\x84Eine Endperspektive“

Eine

bizarre Science-Fiction Geschichte

mit

Ratten

von

Felix M. Hummel

 

Meine Frau war, so hatte man mir gesagt, in Aus\xFCbung ihrer Pflicht gestorben. Da sie Quartierdienerin bei einem der reicheren Administratoren war, war ich mir sicher, dass sich ihr Tod durch eine Laune ihres Arbeitgebers begr\xFCndete. Das Geld war knapp nun, mein Verdienst in den Schwefelwerken am Osthang des Olympus Mons reichte kaum mehr aus um meine beiden Kinder zu ern\xE4hren. Schlie\xDFlich begann sich die Neue Cholera in den Arbeitert\xFCrmen auszubreiten. Bald schon hatte man ein Serum erdacht und warf es sofort auf den freien Markt um eine Ausweitung der Seuche auf die Administrationsbezirke zu verhindern, wohl wissend, dass der Preis die Geh\xE4lter aller R\xE4nge unterhalb des Abteiladministrators bei weitem \xFCberschritt. Alle die sich das Medikament nicht leisten konnten lebten in st\xE4ndiger Angst um sich und ihre Familie, zumal sich die Hygiene, die n\xF6tig gewesen w\xE4hre um eine Ansteckung zu vermeiden, beim besten Willen nicht halten lie\xDF. So ging es auch mir.

Und wie es das Schicksal wollte dauerte es nicht lange, bis meine beiden T\xF6chter die ersten Symptome zeigten. Ich versuchte Geld von Verwandten auszuleihen, zu sparen, wo ich sparen konnte und nahm sogar einen Zweitberuf als Wartungsingenieur in der Zentralheitzungsanlage an. Eine Aufgabe, die nur wenige \xFCbernehmen wollten, denn die Systeme dieser Abteilung waren sensibel und befanden sich in Mitten der Administrationsbezirke. Diese Verantwortung brachte drakonische Strafen schon bei kleinen Verfehlungen, von welchen sofortige Erschie\xDFung zwar die h\xF6chste, jedoch die schmerzloseste war, mit sich. Andererseits auch vergleichsweise hohe Bezahlung.

Das Geld reichte immer noch nicht.

Als ich schon versuchen wollte ein weiteres Mal einige meiner Organe zu verkaufen, war es bereits zu Sp\xE4t.

Ich hatte alles verloren, nichts gab mehr einen Sinn. Ich spielte mit dem Gedanken den Freitod zu w\xE4hlen, doch es erschien mir feige. Auch wenn sie alle tot waren, so hatte ich doch noch eine gewisse Verantwortung meinen Liebsten gegen\xFCber. Ich konnte ihnen zwar nicht mehr helfen, doch ich konnte ihren Seelen die Genugtuung verschaffen, die sie Verdient hatten. Sicher konnte ich auch somit mein Leben, mein Leiden, beenden, doch war mein Tod so mehr wert. Es war mir m\xF6glich etwas gegen unser aller Ungl\xFCck zu unternehmen. Und sie, die Administratoren, sollten das Geld f\xFCr ihren eigenen Untergang aufbringen.

 

Organhandel war selbstredend illegal. Doch in der Praxis musste jeder Arbeiter sich fr\xFCher oder sp\xE4ter das ein oder andere Gewebe entnehmen lassen um seinen Lebensunterhalt zu finanzieren. Die so erkauften \x82Ersatzteile’ kamen, \xFCber einen umfangreichen und sehr gut ausgestatteten Schwarzmarkt, mit enormen Preisaufschlag direkt den Administratoren, Ministern, Verwaltern und allen anderen Ratten der F\xFChrungsschicht und ihren zahlreichen Familienmitgliedern zugute. Man munkelte, dass der Generalverwalter der Marskolonie bis auf seine Schnauze kein einziges eigenes K\xF6rperteil mehr besa\xDF und bereits seit der Gr\xFCndung der ersten Werksmodule vor dreihundert Jahren unumstritten herrschte. Nat\xFCrlich waren dies nur Legenden, die sich Alte wie Junge ausdenken mussten um sich mit ihren eigenen L\xFCgen \xFCber den eigentlichen Informationsmangel in der Unterschicht hinwegzut\xE4uschen.

Ich ben\xF6tigte den Gegenwert meiner Innereien nicht mehr, um mir, oder meiner Familie zu helfen, ich brauchte ihn um allen, die Tag und Nacht durch die engen Versorgungssch\xE4chte krochen, angetrieben von der brutalen Hierarchie, um irgendeine f\xFCr sie selbst sinnlose Sache zu verrichten, die den F\xFChrenden das Geld in die Taschen flie\xDFen lie\xDF, zu helfen. Sicher w\xFCrden auch sie dabei nicht von einigen tausend Opfern verschont bleiben, jedoch musste das Fundament f\xFCr derartige Ver\xE4nderungen, ja Revolutionen, immer etwas Blut im M\xF6rtel haben. Es w\xFCrden alles Opfer f\xFCr eine neue Gesellschaft sein, eine, die mehr auf den einzelnen acht geben w\xFCrde, vielleicht sogar f\xFCr ein klassenloses Zusammenleben.

In Gedanken verloren schob ich mich weiter durch den stickigen Schacht. Das monotone Summen der Ventilatoren, welches nur unregelm\xE4\xDFig von dem Schaben meiner Klauen \xFCber den runden Metallfu\xDFboden unterbrochen wurde, wirkte zusammen mit den allgegenw\xE4rtigen Benzol- und Schwefeldioxidd\xE4mpfen geradezu Einschl\xE4fernd. Man hatte die G\xE4nge hier absichtlich so konstruiert, damit Unbefugte ihren Weg nicht fortsetzten und die Standorte der ,schwarzen Chirurgien’ unentdeckt bleiben. Eigentlich war dies schon seit Jahren unn\xF6tig, denn jeder wusste von ihnen. Man hatte die Schutzvorrichtungen, so sagte man, nicht aufgegeben, damit jeder der diesen Pfad einschlagen musste, noch einmal dar\xFCber nachdenken musste, ob er sich seiner Sache sicher war. Leider hatten die meisten Ratten gar keine andere Wahl.

Ich hatte sie, doch ich war mir sicher und ich kannte den Weg. Ich hatte schon eine Niere und einen guten Teil meiner Leber zu Geld machen m\xFCssen. Dieses mal konnte ich jedoch weiter gehen, denn ich lebte voraussichtlich nur noch einige Stunden, nach der Operation an gerechnet. Ich konnte alles entnehmen lassen, was ich nicht direkt zum Leben brauchte. F\xFCr diesen Wert bekam man sicher einen einigerma\xDFen ausreichenden Sprengsatz und vielleicht sogar einige Utensilien, die mir die Aufgabe, sollte ich entdeckt werden, erleichtern w\xFCrden.

Nun war ich an der Schleuse angekommen. Sie \xF6ffnete sich ohne Probleme und ich glitt in die schmutzige Kammer hinunter. Vor einer rostigen T\xFCr, die wie die W\xE4nde mit einer abbl\xE4tternden Schicht Graffiti bedeckt war, stand eine breitschultrige m\xE4nnliche Ratte, ihre muskelbepackten Arme vor der gepanzerten Brust verschr\xE4nkt.

Dieser W\xE4chter war ein weiteres St\xFCck ;Einrichtung’, welches man nur aus Tradition und auch ein wenig zur Abschreckung von Unsicheren behielt.

\x84Lass mich durch! Ich will was loswerden.“, brummte ich zu dem Koloss.

Er murmelte etwas, \xE4rgerlich dar\xFCber, dass er aus dem Halbschlaf gerissen worden war und trat zur Seite.

Als ich durch die T\xFCr trat ver\xE4nderte sich die Szenerie, als ob ich in eine andere Welt \xFCbergegangen w\xE4re. Die lehmigen, verschmierten Rohrb\xF6den wichen bleich-grauem Linoleum, die schmuddeligen W\xE4nde und tropfende Decke machten einer sauberen wei\xDFen Plastikverkleidung Platz. Neonr\xF6hren erf\xFCllten den Gang mit einem grellen Licht.

Niemand war zu sehen. Niemand auf den schmalen Metallb\xE4nken die den Flur s\xE4umten, niemand auf dem Boden oder irgendwo anlehnend wie sonst.

Heute war ein Arbeitstag. F\xFCr die Meisten jedenfalls, ich hatte heute meinen ,Verkraftungsurlaub’, denn meine \xE4ltere Tochter war erst gestern gestorben.

Es war gut zu solch einer Zeit hierher zu kommen, denn sonst wurden keine direkten Tauschhandel vollzogen und man musste bis zu zw\xF6lf Stunden auf den Operationstisch die \x84Schlachter“, wie sie genannt wurden, warten.

Ich ging direkt zum Schalter vor. Ein recht h\xFCbsches M\xE4dchen mit gepflegtem braunen Fell sah von ihrem Computerpad auf und blickte mich mit ihren dunklen Augen an, wie sie es bei allen armen Schweinen tat, die t\xE4glich in Massen ihren Tisch passierten. Auch sie war nicht wesentlich besser dran, als wir anderen, erinnerte ich mich. Jeder musste arbeiten.

\x84Bitte?“, fragte sie freundlich.

\x84Ich wollte einen Direkttausch vornehmen.“, antwortete ich heiser, denn es gelang mir kaum die Unsicherheit aus meiner Stimme zu verbannen.

\x84Guter Zeitpunkt daf\xFCr.“, meinte sie. \x84Welche Organe wollen sie gegen was Tauschen?“

\x84Alles, was nicht direkt n\xF6tig ist. Also zu Leben meine ich.“ Ich holte tief Luft. \x84Daf\xFCr m\xF6chte ich Sprengstoff.“

Sie riss die Augen auf. \x84Was? Also, ich kann ihnen nicht versichern, ob dies m\xF6glich ist, da muss ich erst einen der \xC4rzte fragen.“

\x84Hmm.“

\x84Ich rufe gleich den Chirurgen, er wird alles weitere mit ihnen besprechen.“, versicherte sie mir, mit etwas bebender Stimme.

Ohne ein weiteres Wort wandte sie sich wieder ihrem Pad zu und machte einige Eintr\xE4ge. Ich nickte, obwohl sie nicht mehr auf mich achtete und lehnte mich gegen die Wand.

Meine Gedanken versuchte ich unter Kontrolle zu halten, denn es w\xFCrde nicht angenehm werden. Wie konnte es auch? Bei der Menge an entnommenen Organen konnte ich wenigstens eine gute \xF6rtliche Bet\xE4ubung verlangen, nicht so eine, die sp\xE4testens beim Zun\xE4hen den Geist aufgab. Auf eine Desinfektion hingegen, konnte ich wohl verzichten.

Mit weiten energischen Schritten, dass wei\xDFer Kittel und Schwanz hinterher wallten, ging, nein, wandelte der Schl\xE4chter heran. Er h\xE4tte wie eine ergraute Lichtgestalt wirken k\xF6nnen, doch er hob seine extrem Spitz zulaufende Schnauze etwas zu weit dazu in die Luft.

“So, ich gr\xFC\xDFe sie!“, donnerte er und streckte mir die Pfote entgegen.

Ich z\xF6gerte und schn\xFCffelte misstrauisch, ergriff sie aber dann.

Sein Geruch gefiel mir nicht. Es hie\xDF zwar, es sei unm\xF6glich den Charakter einer Person an ihrem olfaktorischen Mantel zu erkennen, doch bei diesem ,Doktor“ zweifelte ich sehr an jener Aussage:

Er roch scharf und stechend, wenn auch leicht s\xFC\xDFlich. Sicher konnte man sagen, dass dies am Desinfektionsmittel und dem st\xE4ndigen Umgang mit Leichen liegen mochte, doch ich konnte mehr daraus lesen. Er dachte kalt und messerscharf, wie die Instrumente, mit welchen er tagt\xE4glich arbeitete und bewahrte trotzdem immer seinen freundlichen Schein um den Ungl\xFCcklichen glauben zu machen, sie seien hier in guten H\xE4nden, die nur das Beste f\xFCr sie wollten.

\x84Kommen sie gleich mit in den Operationssaal!“, meinte er und ging erneut los.

Ich folgte ihm um die einzige, und vollkommen sinnlose Biegung im Flur und begleitete ihn durch eine wei\xDF lackierte T\xFCr am Ende. Der Raum dahinter war nicht besonders gro\xDF und angef\xFCllt mit medizinischen Ger\xE4tschaften von welchen Kabelstr\xE4nge in alle Richtungen und Winkel des Zimmers liefen. Auch wenn ich die genaue Funktion der Apparaturen nicht kannte, wusste ich genau wozu sie gut waren. Sie sollten aufschneiden, entnehmen und frisch halten, daf\xFCr hatte man keine Kosten und M\xFChen gescheut. Die Lebenserhaltung hingegen hing meistens von der Widerstandsf\xE4higkeit der jeweiligen Ratte und der Laune des Arztes ab.

“Gehen wir es noch mal durch: Sie wollen sich also alle Organe entnehmen lassen, die sie nicht direkt zum Leben brauchen, oder?“, fragte der Chirurg. \x84Wie lange wollten sie denn noch in etwa leben?“

Nachdenklich lie\xDF ich mich auf dem Operationstisch in der Mitte des Raumes nieder. \x84Ich denke, zwei, drei Stunden sollten gen\xFCgen.“

\x84Wa..? Ach so.“ Er strich sich \xFCber das linke Ohr. “Sie wollten als Tauschobjekt Sprengstoff... Warum habe ich das nicht fr\xFCher bemerkt...? Ja, nat\xFCrlich.“

Ich stand wieder auf, trat vor den etwas gr\xF6\xDFeren Schlachter und blickte ihm fest in die Augen. \x84Werden sie mir helfen?“

Er entriss sich meinem Blick und wendete mir den R\xFCcken zu. Ich konnte dennoch sehen, wie er eine Pfote zur Stirn hob und sie nerv\xF6s massierte. \x84Hmm, tja. Wir- wir stellen hier keine Fragen, darauf muss man sich verlassen k\xF6nnen.“, sagte er langsam. \x84Andererseits arbeiten wir auch eng mit den Administrationen zusammen.“

“So?“ Ich spuckte w\xFCtend auf den mit Kabeln bedeckten Boden. “Das habe ich wirklich nicht erwartet. Sie m\xFCssen jeden Funken Anstand verloren haben, jedes K\xF6rnchen an Mitgef\xFChl, wenn sie nicht einmal einem verzweifelten Mann helfen. Wohlgemerkt einem gut zahlenden verzweifelten Mann.“

Ich hoffte, dass die letzten Worte ihre Wirkung nicht verfehlten, doch noch war nichts davon zu sehen.

Der Chirurg schritt unruhig zwischen den Ger\xE4ten hindurch und rang die H\xE4nde. Dabei murmelte er etwas vor sich hin. Ich wollte schon ein weiteres Mal das Wort ergreifen, als er sich umdrehte und mich sein erhobener Zeigefinger zum Schweigen brachte.

\x84Ich werde ihnen den Sprengstoff direkt implantieren. Sie k\xF6nnen so durch jedwede Kontrolle hindurch kommen. Funkz\xFCnder haben wir allerdings nicht, doch ich glaube kaum, dass sie das von ihrer –hm- Sache abbringen wird, oder?“

\x84Bestimmt nicht.“ erwiderte ich und legte mich auf den Tisch. \x84Machen sie nur. Nehmen sie alles raus, was ich nicht mehr brauche.“

Ein kurzes Grinsen, welches seine nikotingelben Nagez\xE4hne entbl\xF6\xDFte, huschte \xFCber seine Schnauze. \x84\xD6rtliche Bet\xE4ubung?“

\x84Ja.“

Ein kurzer Schmerz zuckte wie ein Stromschlag durch meinen gesamten K\xF6rper, als die Nadeln aus der st\xE4hlernen Tischplatte durch mein Fell in das R\xFCckrad eindrangen.

Nachdem mein Bauch rasiert war legte ich den Kopf so weit wie m\xF6glich in den Nacken um nicht stehen zu m\xFCssen wie der Laserstrahl in mein Fleisch schnitt. Ich presste die Augen so fest zu, dass Str\xF6me von Tr\xE4nen daraus hervor quollen und versuchte das taube Ziehen und Rei\xDFen in der f\xFCr mich nicht sichtbaren Wunde zu ignorieren.

Nach einiger Zeit wurde mir eine Atemmaske aufs Gesicht gepresst, die Luft daraus f\xFChlte sie wie ein Fausthieb an. Ich konnte es nicht mehr aushalten, konnte nicht mehr atmen, nicht mehr bewegen, nicht schreien, nicht... denken.

Meine Gedanken entglitten mir und alles verschwamm, auch die Dunkelheit hinter meinen geschlossenen Augendeckeln.

 

Ich erwachte umringt von Ratten in wei\xDFen Kitteln, wie viele konnte ich nicht sagen. Ich konnte nur genau bestimmen, wie mich der Schmerz der Luftr\xF6hre hinab bis in die Bronchien qu\xE4lte. Jeder Atemzug kam rasselnd und der Sauerstoff schien nur sp\xE4rlich in mein Blut zu gelangen.

\x84Gut. Ich dachte sie w\xFCrden nicht mehr aufwachen.“, stellte die Stimme des Doktors trocken fest. \x84Wir haben ihnen die H\xE4lfte ihrer Lunge, den Rest ihrer Leber, die Bauchspeicheldr\xFCse, das, was wir von der Schilddr\xFCse runter bekommen haben, die Gallenblase und ihre Niere, davon hatten sie leider nur noch eine, entnommen. Sehen sie hier.“ Eine der Gestalten, die wohl der Chirurg sein musste deutete auf meinen Bauch. M\xFChsam hob ich meinen Kopf und versuchte die Luft anzuhalten, als ich dabei meine Kehle bog. Eine Naht ein Form eines umgedrehten Y erstreckte sich \xFCber meinen unteren Bauchbereich hinauf bis zum Hals. Unterhalb des Brustkorbes ragte eine kleine, metallene Schaltvorrichtung aus meinem K\xF6rper hervor.

“Dies ist der Z\xFCnder. Der Sprengstoff, den wir ihnen eingesetzt haben entspricht in etwa 10 Tonnen TNT, nach der alten Rechnung. F\xFCr mehr haben ihre Teile nicht gen\xFCgt. Was immer sie auch damit hochjagen tun sie es weit genug von hier entfernt“ Er lachte gek\xFCnstelt auf. “Nun aber ab mit ihnen.“

Es waren drei andere Schlachter au\xDFer ihm im Saal, stellte ich fest. Wie die Geier hatten sie wohl mein baldiges Ableben gewittert. Die Vorstellung, dass ich ihren gierigen Klauen zum Teil entkommen war baute mich gleich wieder etwas auf. Noch war ich am Leben und wenn ich das nicht mehr sein w\xFCrde, dann w\xE4re ich h\xF6chstens noch als ein wenig Erbmasse von Relevanz. Sich in die Luft zu sprengen, war wohl der einzige Weg, auch als Toter Ruhe zu bekommen.

Ich stemmte mich, den unangenehmen Druck in meiner Bauchh\xF6hle ignorierend, von der kalten Tischplatte hoch und glitt vorsichtig hinab. Ohne einen weiteren Blick auf die Metzger verlie\xDF ich den Raum und stolperte benebelt durch den Flur zur\xFCck. Die Sekret\xE4rin schaute gar nicht erst zu mir auf.

Als ich wieder in den dampfigen Tunnel kroch merkte ich erst, wie schwierig mein Vorhaben werden w\xFCrde. Meine Kehle und Bauchdecke schmerzten. Ich atmete schwer, es schien mir unm\xF6glich genug Luft einsaugen zu k\xF6nnen, schlie\xDFlich hatte sich mein Lungenvolumen halbiert.

Die Gase im Tunnel setzten mir mehr zu als je zuvor. Ich wusste dass ich hier sterben w\xFCrde, sollte ich nicht schleunigst vorw\xE4rts kommen. Allerdings kroch ich weiter langsam vor mich hin und genoss die Leichtigkeit, die sich in meinem Kopf ausbreitete. Es war zu verf\xFChrerisch ein wenig zu entspannen. Es gab keine Probleme, nicht hier, nicht in diesem Augenblick. Sicher war es nicht n\xF6tig zu Atmen, es w\xFCrde reichen meine Augen zu schlie\xDFen und mir eine Auszeit zu g\xF6nnen. Schlaf. Ich hatte schon seit zwei Tagen keinen Schlaf mehr gehabt, denn ich hatte an ihren Betten gewacht. Ich hatte mir die Ruhe verdient.

Meine Schnauze stie\xDF gegen etwas hartes. Ich war an der Schleuse zum Hauptversorgungssystem angekommen. Mit letzter Kraft drehte ich den Heben, kroch hindurch und zog die Luke hinter mir zu. Dann, dann, wurde es abermals schwarz um mich herum.

 

Ich wusste nicht, wie lang ich so dagelegen hatte, aber ich war mir sicher, dass meine Schicht bereits begonnen hatte. Also schleppte ich mich weiter. Ich brauchte keine Angst davor zu haben, dass man mich deshalb zur rede stellen w\xFCrde, denn man verschwendete Arbeitszeit nicht mit solchen Dingen. Kam man zu sp\xE4t merkte man es oft nur daran, dass man nach Arbeitsschluss nicht aus seiner Abteilung herausgelassen wurde um die verloren gegangenen Stunden, Minuten und sogar Sekunden noch abzuarbeiten. Manchmal erschien dies v\xF6llig absurd, doch f\xFCr die \xDCberwachungscomputer war dies eine bestechende Logik.

Der Weg durch die Sch\xE4chte von hier aus war lang, jedoch waren die Hauptr\xF6hren trocken und stanken nicht all zu sehr. Ich genoss die angenehme K\xFChle des Metalles unter meinen Pfoten und presste von Zeit zu Zeit auch meinen Bauch dagegen, denn die schlecht vern\xE4hten Wunden brannten wie Feuer. Vermutlich hatten sie auch schon begonnen sich zu entz\xFCnden. Ein sicheres Todesurteil, doch es gab sowieso kein Zur\xFCck mehr. Es z\xE4hlte nur noch wie viel Schaden ich anrichten konnte, wie viel Sinn ich in meine Ausl\xF6schung noch brachte.

Als der Versorgungstunnel die Hallen der Administrationsbereiche \xFCberquerte konnte ich die Stimmen hunderter von Ratten vernehmen. Alle sie waren meine Feinde, die F\xFChrungskr\xE4fte, die zwanzig Meter unter mir, in ihrer Freizeit \xFCber die hellen, mit echten Pflanzen geschm\xFCckten, Pl\xE4tze flanierten, zusammen mit ihren Familien. Immer waren sie gl\xFCcklich, immer wieder vernahm ich Kinderlachen. Sie hatten es nicht verdient in ihrer sorgenfreien Welt zu leben, die wir, die wir nichts hatten mit unserem Blut in Gang hielten. Ich w\xFCrde dem Ganzen ein Ende bereiten, ein f\xFCr alle Mal. Nie wieder w\xFCrde so etwas geschehen! Schade, dass ich sie von dieser stockfinsteren R\xF6hre aus nicht sehen konnte.

Nur noch wenige hundert Meter lagen vor mir.

Am Ziel angekommen, stieg ich durch die recht breite Luke im Boden und lie\xDF mich in den Heizungsraum fallen. Schmerz schoss in meinen Kopf, als ich f\xFChlte wie hei\xDFes Blut \xFCber meine Brust rann. Die anderen Ratten, die \xFCber die breite, helle Halle verteilt waren, warfen mir mitf\xFChlende Blicke zu, wandten sich aber nicht von ihren Arbeiten ab.

M\xFChsam kroch ich auf allen Vieren zum Hauptmodul, welches aus einem gro\xDFen, st\xE4ndig dampfenden Wasserbecken bestand. Niemand von uns wusste wie es genau funktionierte, doch alle waren sich dar\xFCber im Klaren, dass es eine sehr gef\xE4hrliche Einrichtung war.

An einer nahem Wand war ein Warnschild zu sehen. Sinnlos, hatte ich mir schon oft gedacht, zumal niemand das Zeichen darauf verstand.

Es war gelb mit einem schwarzen Punkt, von dem aus drei f\xE4cherf\xF6rmige Strahlen ausgingen.

Ich schritt zum Rand des Beckens, mit der Hand nach dem Z\xFCnder tastend.

Der Augenblick meiner Rache war gekommen. Schon tat es mir um meine Kollegen um mich Leid, doch das war nichts, woran ich jetzt denken wollte. Nur die s\xFC\xDFe Vergeltung und die Tat an sich waren nun wichtiger. Ein letztes, verz\xFCcktes Grinsen machte sich auf meinem Gesicht breit.

Dann sprang ich.

Ich sp\xFCrte das siedendhei\xDFe Wasser nur einen Augenblick lang, dann war es ruhig. Ein grelles Licht blitzte auf, als sich die Wolke erhob und die gesamte Kolonie mit sich riss.

Nie mehr konnten wir ausgebeutet werden und nie mehr konnten sie jemanden ausbeuten. Die Revolte hatte begonnen und war drei Komma f\xFCnf Sekunden sp\xE4ter in Asche zu Ende. Kein Tropfen Blut wurde vergossen, denn es gab keines mehr. Kein Leben, keine Unterdr\xFCckung, keine Administratoren und keine bessere Welt.

Friedlich lag der Rote Planet schlie\xDFlich da, wie er es schon vor sechshundert Jahren, vor seiner Korrumpierung, getan hatte. An einer Stelle nur unterbrachen schwarze Krater das rote Bild. Einige verbogene Metallskelette. Ruinen die auch bald vom Vergessen \xFCberflutet wurden.