Dies ist meine bisher l\xE4ngste Geschichte (und ich denke auch meine beste). Sie ist das Ergebnis von Gedanken, die ich immer schon einmal zu Papier (oder auf einen Monitor, *g*) bringen wollte und wohl das Ende einer Reihe von Stories, die sich um das Thema Flucht drehen. Mal sehen.
Ich bin wie immer f\xFCr Kritik (und auch f\xFCr Lob) zu haben. Die gesamte Storyline und die Charaktere sind (C) Rash_Ktah 2000.
Meine Homepage: http://www.tigress.com/rash_ktah
Meine E-Mail Adresse: rash_ktah@tigress.com



Die Jagd

-1-

Das Leben offenbart sich dem f\xFChlenden und denkenden Wesen als Schmerz.
Schmerz...
David \xF6ffnete seine Augen. Graue Schleier tanzten vor ihnen und verh\xFCllten ihm die Szenerie, in der er sich befand.
War es dunkel? War es hell? Lichter tanzten auf seiner Netzhaut.
Sein Kopf tat so weh...
David versuchte seinen Kopf zu heben. Ein seinen gesamten K\xF6rper durchzuckender Schmerz war die direkte Konsequenz. Der Schmerz zog sich bei\xDFend von seinem Kopf hinab durch sein R\xFCckgrad bis in seine Fu\xDFspitzen.
David jaulte leise auf. Er atmete langsam.
Er roch Blut. Sein eigenes Blut.
Die wirren Schemen vor seinen Augen verzogen sich langsam, er konnte nach und nach besser erkennen, wo er sich befand.
Aber er sah nicht so, wie er es gewohnt sein sollte.
Die ihn umgebenden Mauern waren dunkel und dreckig, an einigen rotetten uralte Plakate vor sich hin. Sie besa\xDFen eine dunkle F\xE4rbung, aber er war sich sicher nicht erkennen zu k\xF6nnen, welche es war.
Langsam hob er erneut seinen Kopf.
Die Mauern um ihn herum geh\xF6rten gigantischen H\xE4usern und sie bildeten eine enge und dreckige Gasse. M\xFClltonnen und -s\xE4cke verstopften den eh schon engen Weg zwischen den H\xE4usern und versperrten die Sicht an ein m\xF6gliches Ende der Gasse.
Alles war so farblos...
Langsam sah David sich um, versuchte sich ein Bild von der Szene zu machen und zu verstehen, was ihn hier her verschlagen hatte.
Blut klebte an einer der Mauern. Es roch warm und frisch. Es war sein Blut. Weiteres Blut klebte auf dem dreckigen Boden, an der Position, von der er eben gerade noch seinen Kopf erhoben hatte. Alte Zeitungen, brackige Pf\xFCtzen und M\xFCll aus zerrissenen Beuteln verdreckte die Gasse und erf\xFCllten sie mit einem w\xFCrzigen Geruch. Des weiteren stank es nach Fisch.
Wo war er? Warum war er hier?
Von irgendwo her hallten Stimmen durch die ... David blickte zum Himmel ... Nacht.
Sein Herz begann aufgeregt zu schlagen. Diese Stimmen bedeuteten Gefahr!
Ohne eine weitere Sekunde nachzudenken sprang David auf. Der Schmerz wollte ihn wieder zu Boden treiben doch er widerstand ihm.
Dann hechtete er von den sich n\xE4hernden Stimmen davon, wirbelte Zeitungen und \xF6liges Wasser auf.

*

Einer der M\xE4nner betrachtete das Blut unter sich. Er lie\xDF einen schwarz behandschuhten Finger durch die dickfl\xFCssige, rote Fl\xFCssigkeit fahren und l\xE4chelte dabei kalt.
Der zweite Mann blickte zu ihm und zog eine Pistole unter seinem dunklen Mantel hervor. Sein Gesicht war hart. Dann sprach er in ein kleines Funkger\xE4t, welches durch einen d\xFCnnen B\xFCgel vor seinen Mund gerichtet war. Das andere Ende des B\xFCgels steckte in seinem Ohr und fungierte als Empfangsstation.
"Agent Johnson hier."
Er nickte kurz, blickte dabei auf seinen Partner, welcher gerade im Begriff war aufzustehen.
"Wir sind auf der Spur, ja."
Er wartete kurz, schob dabei einen Munitionsstreifen klickend in seine Waffe.
"Die Kreatur ist verletzt."
Sein Kollege blickte angewidert durch die Gasse und deutete in die entgegengesetzte Richtung, aus der die beiden Agenten den Weg zwischen den H\xE4usern betreten hatten.
"Keine Gnade, ja. Verstanden. Wenn es sich nicht ergibt, wird es ausgeschaltet werden. Agent Johnson out."
Er nickte seinem Kollegen zu. Ein eisiges L\xE4cheln lag in seinem Gesicht. Dann blickte er in die Richtung, die ihm der andere Agent wies. Ein weiteres Nicken.
Dann liefen die beiden M\xE4nner los.

*

David lief.
Sein K\xF6rper schmerzte mit jeder Bewegung, die sein K\xF6rper wie automatisch durchf\xFChrte. David war in diese Sekunden nicht mehr als ein Gast in seinem eigenen, laufenden K\xF6rper.
Er sp\xFCrte keinerlei Ersch\xF6pfung, nur den Schmerz, der von seinem Kopf ausging.
Aber es war nicht die Zeit f\xFCr lange \xDCberlegungen, Flucht war sein einziges Ziel.
Eine Flucht vor was oder wem auch immer.
David hatte die Gasse schon vor Minuten hinter sich gelassen und war in ein Labyrinth aus weiteren Gassen und kleineren offenen Pl\xE4tzen eingetreten. Er hielt sich im Dunkeln, rannte was sein K\xF6rper hergab.
Alles um ihn herum trug die Farbe der Nacht, hielt sich f\xFCr seine Blicke grau in grau und erschien ihm irgendwie ungewohnt unscharf.
Auf einmal blieb er stehen.
Er befand sich inmitten einer nicht allzu breiten Strasse, die ihren Ursprung in der Dunkelheit hatte und dort auch wieder enden musste. Die einzige Lichtquelle war eine flackernde Laterne. Ihr unstetes Licht warf flackernde Schatten an die W\xE4nde der abbruchreifen H\xE4user, die die Strasse s\xE4umten. D\xFCnner Rauch stieg aus verrosteten Gullydeckeln auf. Es war still. Der Geruch von Asphalt, Laub, Fisch und Autoabgasen lag in der Luft.
David sah sich langsam um. Wo war er? Warum war er hier? Diese H\xE4user wirkten so anders, alles um ihn herum war ... ver\xE4ndert.
Pl\xF6tzlich dr\xF6hnte ein geller Schrei in seinen Ohren und er warf sich herum. Zwei gigantische Sonnen rasten mit einer unglaublichen Geschwindigkeit auf ihn zu, ein R\xF6hren und Br\xFCllen begleitete sie.
David jaulte erschreckt auf und warf sich zur Seite. Er kam rollend an einem Bordstein zum Liegen und blickte dem Unget\xFCm erschreckt nach, als es sich mit hoher Geschwindigkeit von ihm entfernte und in der Dunkelheit der Nacht verschwand.
Ein Auto. Nicht mehr als ein Auto. Aber wie gro\xDF es gewesen war...
Schritte in der Nacht. Sie n\xE4herten sich. Er blickte sich um. Wohin sollte er sich zur Flucht wenden?
Flucht ... vor wem eigentlich? Wer waren seine Verfolger?
Seine Augen erblickten einen grasbedeckten Abhang auf der anderen Seite der Strasse. Dahinter konnte er in der Dunkelheit Bl\xE4tter rascheln und \xC4ste sich wiegen h\xF6ren. Ein Park.
David rannte wieder los, lie\xDF die Stra\xDFe hinter sich.

*

Agent Frederikson blickte auf den Asphalt vor sich. Er deutete nach unten. Blutflecken gl\xE4nzten r\xF6tlich auf dem Schwarz der Strasse.
Sein Kollege, Agent Johnson, blickte ihn nicht einmal an.
Er f\xFChlte den Fl\xFCchtling. Er kannte seine Fluchtroute. Es war so einfach ein so dummes Ziel zu verfolgen.
Johnson deutete mit seiner Pistole auf die andere Seite der Strasse, wo diese in einen steilen Abhang \xFCberging.
"Es wird nicht weit kommen," seine Stimme klang emotionslos.
Er blickte mit kalten gr\xFCnen Augen in die Dunkelheit. Dann schraubte er ein l\xE4ngliches Ger\xE4t auf die Oberseite der Waffe.
Frederikson blickte ihn fragend an.
Johnson nickte. Dann setzten sich die beiden Agenten wieder in Bewegung und liefen den mit Gras bedeckten Abhang hinab.

*

David rannte \xFCber feuchtes Gras und verwelkendes Laub.
Er sp\xFCrte die feuchte Erde unter seinen F\xFCssen, roch das frische Gras und das welke Blattwerk.
Die grauen Wolken am Himmel \xFCber ihm rissen teilweise auf und erlaubten es dem Mond seine milchigen Strahlen auf die Welt unter sich zu werfen.
David passierte B\xE4ume und Str\xE4ucher, lie\xDF steingedeckte Wege und verwelkende Blumenarrangements hinter sich.
Ein in Lumpen geh\xFCllter Mann murmelte ihm unverst\xE4ndliche Worte hinterher. Oder hatte der Mann geschrieen?
David war nicht ersch\xF6pft.
Sein Atem stand ihm trotzdem in kurzen Wolken vor dem Gesicht. Es war kalt. Aber er fror nicht..
Pl\xF6tzlich blieb er erschreckt stehen, die Augen weit aufgerissen.
Sein Gesicht...
Er kam zu keinem weiteren Gedanken als ein Geschoss jaulend an seinem rechten Ohr vorbeisauste, dumpf in einem Baum neben ihm einschlug und gro\xDFe St\xFCcke der Rinde nach Au\xDFen explodieren lies.
David wandte sich um und blickte in die Dunkelheit, die nur teilweise von Mondschein durchbrochen wurde. Inseln aus dumpfer Helligkeit durchwanderten den n\xE4chtlichen Park unstetig und lie\xDFen die Illusion eines gigantischen Schachspiels aufkommen.
Er versuchte die Dunkelheit mit seinen Augen zu durchsto\xDFen und seine Verfolger, wer immer sie waren, zu erkennen. Einen Augenblick lang konnte er ihren Geruch aufnehmen. Ein falscher, verwirrender und todbringender Gestank.
Pl\xF6tzlich wurde er geblendet, als sich eine rote Miniatursonne in sein Auge fra\xDF.
Mit der Geschwindigkeit eines Herzschlages duckte er sich und jaulte erschrocken auf.
Ein weiteres Geschoss schlug neben ihm ein und lie\xDF Dreck und Gras hoch aufspritzen. Nun war auch der zischende Nachhall einer schallged\xE4mpften Waffe zu vernehmen gewesen.
David warf sich herum um begann loszulaufen, wollte so viel Distanz wie m\xF6glich zwischen sich und die offensichtlichen Feinde bringen.
Zwei rote Lichtpunkte durchzitterten die Nacht.
Er hastete an einigen Str\xE4uchern vorbei und setzte \xFCber einen mit scharfen Steinen bedeckten Weg hinweg, versuchte sich in der Dunkelheit der B\xE4ume zu verbergen.
Aber sie waren noch immer hinter ihm - wer immer sie auch sein mochten.
Er setzte seine Flucht tief geduckt fort, rannte wie von Sinnen.
Er kam nicht sehr weit. Ein gl\xFChendes Stechen durchzuckte sein rechtes Bein und lie\xDF ihn keuchend zu Boden gehen. Wieder das Zischen der schallged\xE4mpften Waffe, dazu der Geruch von angesengter Haut und von noch etwas...
Das Bein zuckte scherzerf\xFCllt. War es nur ein Streifschuss gewesen?
Er lag nur wenige Sekunden am Boden, atmete sto\xDFweise und versuchte sich zu konzentrieren.
Wieso war er hier und wurde von zwei v\xF6llig Unbekannten verfolgt? Wieso?
Er h\xF6rte sie sich n\xE4hern, dachte einen Herzschlag dar\xFCber nach Aufzugeben.
Nein! Er knurrte kurz, das Ger\xE4usch erschreckte ihn selbst.
Mit dem Willen des Verfolgten erhob er sich, schleppte sich voran.
Er musste fliehen, fort von diesen Feinden, die sein Leben beenden wollten!
Immer schneller lief er, verwendete sein Bein nun so gut wie gar nicht mehr. Er verschwendete keinen Gedanken daran, wie dies funktionieren k\xF6nnte, er tat es einfach.
Er lief. Er rannte. Er fl\xFCchtete.
Schemenhafte Str\xE4ucher verschwanden hinter ihm in der Dunkelheit, er lies sie ohne einen weiteren Gedanken an sie zu verschwenden hinter sich. Nur die Flucht war jetzt wichtig.
Der Park lichtete sich vor ihm, blinkende Lichter erf\xFCllten sein schmerzgetr\xFCbtes Blickfeld.
Er f\xFChlte erneut Asphalt unter seinen F\xFC\xDFen und hastete voran.
Eine unglaubliche Vielfalt an Ger\xFCchen, Bewegungen und blitzenden Lichtern drang pl\xF6tzlich auf ihn ein und h\xE4tte seine Flucht durch ihre unerwartete Heftigkeit nahezu gebremst, aber er trieb sich weiter.
Erschreckte und verzerrte Gesichter blickten ihn an, Frauen schrieen, sprangen aus seinem Weg. Er roch ihre Furcht.
Furcht vor ihm?
Er blickte sich nicht um, rannte nur so schnell es ihm m\xF6glich war vorw\xE4rts. Sein Bein schmerzte. Sein Geist drohte vor pl\xF6tzlicher Ersch\xF6pfung zu verl\xF6schen.
Er lief. Dann erkannte sein schwindender Geist einen Ausweg.
Ein Versteck!
Mit einem kurzen und sehr schmerzvollen Sprung hechtete er auf die breite Ladefl\xE4che eines wartenden Autos. Decken und Planen. Es roch nach Hund und Exkrementen.
David kroch zitternd unter den sich ihm bietenden Schutz. Er konnte die Feinde sich n\xE4hern h\xF6ren.
Dann erbebte das Gef\xE4hrt unter ihm und setzte sich brummend in Bewegung. Es roch nach Benzin und geschmolzenem Gummi.
David zitterte.
Er war nicht einmal f\xE4hig die Sekunden zu z\xE4hlen, die er vor Furcht den Atem anhielt.
Die Laken und Planen \xFCber ihm dr\xFCckten auf seinen K\xF6rper, der sich so seltsam anders anf\xFChlte.
Anders?
Seine Augen schlossen sich langsam, sein Atem ging sto\xDFweise. Er verlor Blut. Viel Blut.
Dann fiel er in einen tiefen Schlaf, w\xE4hrend sich eine d\xFCnne Blutlache unter ihm bildete.

*

Agent Johnson stand am Rand des Stadtparks und blickte auf die Stra\xDFe.
Er blickte auf die vorbeifahrenden Autos und die Ampeln. Menschen passierten ihn ohne auf ihn zu achten. Er blickte keinem von ihnen nach.
Sein Kollege verstaute unterdessen eine Mikrokamera in einer seiner Manteltaschen.
"Wir werden die Kreatur finden," sagte Johnson leise.
Seine H\xE4nde hatten sich zu F\xE4usten geballt.
Dann bedeutete er seinem Kollegen ihm wieder in den Park zu folgen.
Heute w\xFCrde noch einiges an Arbeit auf sie warten.

-2-

Das Unterbewusstsein ist ein dunkler und einsamer Ort mit nur einem Bewohner ... sich selbst.
Dumpfe Stimmen hallten in der dunklen Welt von Davids Unterbewusstsein wider.
Bilder blitzten vor seinem inneren Auge auf. Sie flimmerten so schnell an seinem Geist vorbei, dass er sie nicht einmal richtig fassen konnte, bevor sie wieder in den Tiefen seines Unterbewusstseins verschwanden.
Graue R\xE4ume rasten an ihm vorbei, beleuchtet von farblosen Lichtern. Gestalten bewegten sich zuckend durch die engen Zimmer. Mechanische Ger\xE4usche. Stahl blitzte auf. Blut. Blut! Ein Gesicht schob sich durch das Blut in sein Blickfeld. Ein Gesicht. Was f\xFCr ein Gesicht?
Mit einem Schlag verstummte sein Ged\xE4chtnis und sein K\xF6rper wurde wieder in die Realit\xE4t geschleudert.

*

David lag mit geschlossenen Augen auf einer harten und kalten Oberfl\xE4che.
Kalter Tisch! Kalter Tisch! Nein! Nein!
Er war schwach, konnte keinen klaren Gedanken fassen.
Wortfetzen drangen an seine Ohren, er verstand sie nur zum Teil.
"... sind sie sicher?" Die Stimme einer Frau. Jung.
"...keinen Zweifel..." Ein Mann, \xE4lter, gewohnt der Frau zu befehlen.
"...melden..." Die Stimme der Frau klang zu gleichen St\xFCcken verwirrt, besorgt und ... \xE4ngstlich.
"...zuerst werden wir uns um ihn sorgen...dann...zu viel Blut..." Die Stimme des Mannes flackerte unstetig in Davids Geist. Er konnte die Worte nicht wirklich fassen, sie nicht v\xF6llig verstehen.
"...aber es ist..." Die Frau klang nun nur noch \xE4ngstlich.
"...wei\xDF, wir werden uns...k\xFCmmern...Beh\xF6rden..." Die Stimmen versiegten als Davids Geist wieder zu verl\xF6schen begann.
Sein letzter Sinneseindruck war sein unnat\xFCrlich langgezogener K\xF6rper auf der kalten Unterlage.
Dann verl\xF6schte sein Geist.

*

Ein erneutes Erwachen.
Die Schmerzen in Davids K\xF6rper waren zu einem stetigen, aber sanfteren Leid geworden, welches er mehr oder minder leicht verdr\xE4ngen konnte.
Davids Augen waren geschlossen. Er f\xFCrchtete sich davor, sie zu \xF6ffnen.
Sein Herz klopfte aufgeregt und \xE4ngstlich.
Starke Ger\xFCche drangen auf ihn ein. Tiere. So viele Tiere! Hunde vor allem, aber auch Katzen, V\xF6gel und weiteres Kleintier. Er konnte jedes von ihnen aus der Masse herauswittern und genau bestimmen. Er kannte ihr Geschlecht, ihr Alter und ihren sozialen Status in ihrer jeweiligen Meute.
Was war nur geschehen? Was war mit ihm los?
Seine Flucht, seine Wunden, die unheimlichen Verfolger, seine ver\xE4nderten Sinne...
Er musste Gewissheit haben. Er musste erfahren, was mit ihm geschehen war.
Langsam \xF6ffnete er die Augen.
Und erschrak.
Nicht einmal einen Meter vor sich erkannte er leicht verschwommen dicke Metallgitter. Nein, nicht nur vor ihm: Sie erstreckten sich \xFCberall um ihn herum und hielten ihn in einer kleinen, nicht einmal 2 Meter durchmessenden Zelle aus Stahlst\xE4ben gefangen. Der Boden war betoniert, mit einer leichten Erdschicht bedeckt und mit staubigem Stroh ausgelegt. Anderthalb Meter \xFCber ihm erstreckte sich eine mit Metallstreben verst\xE4rkte Holzdecke.
Ein Zwinger? War dies ein Hundezwinger?
Das Stroh und die Schicht rote Erde unter ihm rochen nach Hund, ja. Auch die Metallgitter, die die W\xE4nde seiner Zelle darstellten. Und es roch noch nach etwas anderem ... ihm selbst.
David wollte die Augen schon wieder schliessen, sich von dem, was sich ihm nun er\xF6ffnen w\xFCrde, abwenden, aber er hinderte sich selbst daran. Nein, er musste es wissen.
Er blickte nach hinten auf seinen K\xF6rper und jaulte erschrocken auf.
Ein gedrungener, fellbedeckter K\xF6rper. Grau-schwarzes Fell. Ein buschiger Schwanz. Vier Beine, die in menschenhandgrossen Pfoten endeten. Krallen.
Er war ein Wolf.
David wimmerte. Nein, das konnte nicht sein, es f\xFChlte sich falsch an!
Er ... Nein ... sein K\xF6rper, lag am Boden seiner Zelle in dem trockenen Stroh, die Hinterbeine von sich gestreckt. Der Schwanz zuckte verschrocken von einer zur anderen Seite. Sein Fell war kurz und am R\xFCcken dunkler als an seinen Seiten und der Bauchpartie. Zwischen seinen Hinterbeinen ... er war ein vollkommener Wolf. Er versuchte nach vorn zu blicken. Eine lange Schnauze. Die nasse Nase eines Caniden. Er sp\xFCrte seine Ohren zucken, sich nach den ihn umgebenden Ger\xE4uschen ausrichten.
Ein Wolf. Ein Tier. Was war nur geschehen?
David wusste, er konnte kein Tier sein. Er wusste nicht, weshalb er sich dieser Tatsache so sicher sein konnte, aber es war falsch ... er war kein Wolf, geh\xF6rte nicht in diesen K\xF6rper. Er erschrak, als um ihn herum pl\xF6tzlich ein durch Mark und Bein gehendes Bell- und Heulkonzert begann. Er blickte sich verschreckt um, versuchte zitternd auf die Beine zu kommen. Er blickte in die Zwinger, die an den seinen gereiht standen, roch und sah unz\xE4hlige weitere Tiere, meist Hunde, die ihn aggressiv anbellten und einzusch\xFCchtern versuchten. Davids Schwanz zuckte. Sein Herz pochte vor Furcht.
Er stolperte durch seine Zelle, so weit es ihm m\xF6glich war. Seine Gedanken rasten in seinem Kopf. Er wollte weinen, konnte es aber nicht.
Was war geschehen? Was?!??
Er konnte sich nicht erinnern, seine Gedanken waren wie ausgel\xF6scht! Er wollte schreien.
David knurrte. Bellte. Heulte. Er schlug mit seinem K\xF6rper gegen die Metallst\xE4be, biss in sie. Geifer flog spritzend aus seinem Maul. Sein Kopf schmerzte.
Nein, all dies durfte nicht Wahr sein! Nein!
Er schrie sein Unverst\xE4ndnis in den Zwinger hinaus, schlug sich blaue Flecken an den Gittern. Die anderen Tiere verstummten nach und nach, viele von den Hunden zogen ihre Schw\xE4nze zwischen ihre Hinterbeine. David raste. Er heulte seine Wut heraus.
Es dauerte einige Minuten, bis ein nach Medikamenten stinkender, m\xE4nnlicher Mensch den weitangelegten Zwinger betrat und sich vor Davids Zelle aufbaute. David konnte ihn nicht erkennen, seine Form war bis auf den von ihm getragenen wei\xDFen Kittel verzerrt und unscharf, aber sein Geruch sagte alles \xFCber ihn aus. Dieser Mensch war es gewohnt, mit Tieren zusammen zu sein und sie zu dominieren. Er br\xFCllte David an, dieser verstand die Worte nicht, br\xFCllte w\xF6lfisch zur\xFCck.
David sprang mit der Schnauze voran an die Gitter vor ihm, hinter denen der Mann stand. Er war kein Tier! Verstand der Mensch nicht?
Der Geruch des Mannes schlug rapide um, wurde ebenso aggressiv, wie der Davids. Er bef\xF6rderte etwas unter seinem Kittel hervor und hielt es in Davids Richtung.
Dessen benebelter Geist erkannte die Waffe zu sp\xE4t. Ein Stechen drang von seiner rechten Schulter aus an sein Hirn, dann ging sein K\xF6rper zitternd zu Boden. Seine Hinterl\xE4ufe zuckten noch kurz, dann \xFCberkam ihn eine unvorstellbare Schw\xE4che. Sein Geist wurde von einem Hammer aus Beruhigungsmitteln zerschmettert. Alle Ger\xE4usche und Ger\xFCche verebbten. Schw\xE4rze umfing ihn erneut.

*

Er konnte sich nicht bewegen.
Davids Augen suchten rastlos in dem Raum, aber er konnte nicht einmal seinen Kopf heben.
Er befand sich in einem anscheinend recht kleinen Untersuchungszimmer. Schr\xE4nke und Regale, die allesamt nach Medikamenten und \xE4hnlichem Arztmaterial rochen, f\xFCllten die W\xE4nde in Davids Sichtfeld nahezu vollkommen aus. Eine glei\xDFend helle Lampe strahlte den Raum antiseptisch aus und sorgte f\xFCr eine \xE4u\xDFerst kalte Atmosph\xE4re. Alles erschien seltsam farblos - zweifellos eine Eigenart seiner w\xF6lfischen Augen, die eher auf Bewegungen ausgelegt zu sein schienen, als auf Farben und Formen.
Es roch nach Tier und nach altem Blut.
David war auf einen kalten Untersuchungstisch geschnallt, der Geruch eines unbekannten Mannes haftete noch an seinem Fell. Er war getragen worden.
Wieso erf\xFCllte ihn der Gedanke, auf einem Metalltisch zu liegen, festgeschnallt noch dazu, mit einem solchen Unbehangen? Wieso hatte er Angst davor?
David f\xFChlte sich schwach und ausgelaugt. Die fortw\xE4hrenden Phasen der Bewusstlosigkeit hatten ihn seiner St\xE4rke beraubt. Des weiteren f\xFChlte er einen unwahrscheinlich starken Hunger, der seine scharfen Krallen um seinen Magen legte. Er versuchte irgend etwas zu h\xF6ren, seine Ohren sondierten den Raum. Dumpf konnte er das Bellen von Hunden vernehmen, ansonsten umgab ihn Stille.
David hatte Angst. F\xFCrchterliche Angst.
Er versuchte seine Gedanken zu ordnen, durch das Dickicht von Unwissenheit sehen zu k\xF6nnen. Er versuchte sich an die Ereignisse vor seinem Erwachen in der dunklen Gasse zu erinnern, aber nur seelenlose Schw\xE4rze pr\xE4sentierte sich seinem Unterbewusstsein. Er konnte sich nicht an den Grund erinnern, aus dem ihn die zwei dunklen Gestalten verfolgt und beschossen hatten. Er konnte sich nicht daran erinnern, warum ihm ihr Geruch so feindselig und boshaft erschienen war. Er konnte sich nicht erinnern, warum er ein Wolf war und all die Vorteile dieses K\xF6rpers nutzen konnte, obwohl es ihm so falsch erschien. Warum besa\xDF er den Geist eines Menschen in einem tierischen K\xF6rper?
Er kam zu keinem weiteren Gedanken, da sich eine T\xFCr au\xDFerhalb seines Sichtfeldes \xF6ffnete und die Ger\xFCche und Ger\xE4usche von zwei Menschen in den Raum fluteten.
Ein Mann, eine Frau. Er kannte sie beide. Sie hatten ihn noch vor seinem Erwachen in der Gitterzelle versorgt und untersucht. Was hatten sie nun mit ihm vor?
Er roch eine leichte Aura der Furcht an der Frau, sie blieb in weiterem Abstand zu ihm stehen, als es der Mann, sicherlich ihr Vorgesetzter, tat.
David wollte sie gr\xFC\xDFen, ihnen auf irgendeine Weise klar machen, wer und was er war, aber er konnte sich nicht r\xFChren. Fest angezogene Lederstriemen hielten ihn in einer halbschr\xE4gen Lage auf dem Untersuchungstisch und seinen Kopf leicht nach hinten gebeugt und von dem K\xF6rper abgewandt. Sogar sein Maul war durch einen Maulkorb und einen Lederstriemen unf\xE4hig sich zu bewegen.
Was h\xE4tte er ihnen auch sagen k\xF6nnen? Wie h\xE4tte er sich ihnen verst\xE4ndlich machen sollen? Was h\xE4tte er ihnen erz\xE4hlen k\xF6nnen, wenn er nicht einmal mehr wusste, wer er wirklich war? Er kannte ja selbst nur seinen eigenen Namen.
Pl\xF6tzlich eine Ber\xFChrung. David zuckte leicht zusammen, als eine durch einen Glac\xE9handschuh gesch\xFCtzte Hand ihm zwischen die Hinterbeine fasste, w\xE4hrend die andere seinen Schwanz hoch hielt.
"M\xE4nnchen," sagte der Arzt kurz und trocken.
"Ja, Doktor," antwortete seine Helferin, w\xE4hrend David das Kratzen eines Stiftes auf Papier vernehmen konnte.
Der Doktor begann Davids K\xF6rper zu vermessen. Er arbeitete sich langsam von seinem Hinterteil zu seinem Kopf voran und teilte der Frau immer wieder Daten und f\xFCr David unverst\xE4ndliche Fachausdr\xFCcke zum Aufschreiben mit. Die Ber\xFChrungen des Arztes waren schnell und pr\xE4zise, er war es gewohnt, Tiere wie David zu untersuchen.
Tiere wie David? Was f\xFCr Gedanken entsann sein Geist jetzt?!??
Die Ger\xFCche der Frau normalisierten sich langsam, sie gew\xF6hnte sich an den Anblick Davids und trat sogar ein wenig n\xE4her an ihn heran.
"Er war wohl nicht vorbereitet auf den Zwinger," fragte die Frau den Mann nebenbei und mit einem besorgten Unterton.
"Hm. Nein, scheinbar nicht. Vielleicht h\xE4tten wir ihn in einer abgeschotteten Zelle unterbringen sollen, wenn unser Budget dies zugelassen h\xE4tte," antwortete der Mann, der durch ihre Frage sichtlich genervt war.
Die Frau schrieb etwas auf ihrem Papier auf und n\xE4herte sich noch ein kleines St\xFCck. David konnte das Ger\xE4usch ihrer Schuhe auf dem glatten PVC-Laminatboden vernehmen.
Der Doktor verma\xDF nun seinen Kopf und betrat somit Davids Blickfeld. Der Mann war hochgewachsen und trug wie scheinbar alle Angestellten dieser Institution einen langen wei\xDFen Kittel. Sein Gesicht war wie alles um David herum leicht unscharf, aber er erkannte dennoch die lichten grau-schwarzen Haare und die schroffen Gesichtsz\xFCge, die sich im unteren Teil des Gesichtes unter einem kurzen Bart versteckten.
"Lie\xDF der Mann, der ihn hier ablieferte, seine Adresse und seinen Namen zur\xFCck?" Die Frage des Arztes stand einige Sekunden unbeantwortet im Raum, w\xE4hrend seine Helferin in ihren Notizen bl\xE4tterte.
"Nein, es tut mir leid, unsere Rezeption hat nichts dergleichen vermerkt. Er brachte den bewusstlosen K\xF6rper in die Untersuchungsr\xE4ume und verschwand dann zu schnell wieder, wie es scheint." Die Antwort der Frau klang sachlich aber besorgt. "Er hatte Gl\xFCck. Der Wolf h\xE4tte ihn angreifen und verletzen k\xF6nnen, verwundet und verwirrt wie er war."
"Ja," der Arzt untersuchte Davids Schnauze, tastete durch die Maschen des Maulkorbs und blickte David kurz in die Augen. David tat das selbe. Die Augen des Mannes waren blass-blau und sprachen von Weisheit. Der Funke des Lebens war noch nicht aus ihnen gewichen. Der Arzt blickte tief in Davids Pupillen. Erkannte er etwas? Konnte er durch die H\xFClle von Davids K\xF6rper sehen?
Pl\xF6tzlich zuckte der Mann zur\xFCck und trat einen Schritt nach hinten. Seine Augen l\xF6sten sich von denen Davids. Sein Geruch sprach von \xDCberraschung und leichter Furcht.
"Was ist," fragte die Frau erschrocken, die pl\xF6tzliche Bewegung des Mannes hatte auch sie erschreckt.
"Seine Augen," hob der Arzt kurz an, dann verstummte er. "Lassen sie ihn uns wieder bet\xE4uben, damit er in seine Zelle gebracht werden kann. Geben sie ihm aber nur die unbedingt notwendige Dosis, er hatte schon zuviel in den letzten Tagen.
Sekunden verstrichen ungenutzt, dann versp\xFCrte David ein sanftes Stechen in seinem Hinterteil.
Als die Welt sich um ihn herum zu verdunkeln begann, sp\xFCrte er eine Hand der Frau auf seinem Fell. Sie streichelte ihn sanft.
Dann umfing David erneut die Stille der Bewusstlosigkeit.

*

Als sich die T\xFCr des Untersuchungsraumes hinter seiner Arzthelferin schloss und das Schloss sanft einklickte, setzte sich Doktor Denton auf einen der an einem Schreibtisch stehenden St\xFChle.
Der Wolf war bereits wieder in seine Zelle gebracht worden, trotzdem hang sein Geruch noch leicht in dem Raum.
Der Doktor durchsuchte seine Kitteltaschen nach einer halbzerdr\xFCckten roten Schachtel Zigaretten, f\xF6rderte einen Glimmst\xE4ngel hervor und z\xFCndete ihn, sobald er ihn sich in den Mund gesteckt hatte, an. Er sog den Rauch in seine Lunge und versuchte sich zu entspannen.
Stille umgab ihn, als er den w\xFCrzigen Rauch aus seiner Lunge blies und dem Rauch zusah, w\xE4hrend dieser sich langsam in der Luft zersetzte.
Der Doktor blickte sich in dem Untersuchungsraum um, versuchte einen Grund f\xFCr das seltsame Gef\xFChl zu entdecken, welches sich in seinem Brustkorb eingenistet hatte.
Er fand keinen, alles schien in Ordnung zu sein. Alle Medikamente standen an ihrem Platz, nichts erweckte den Anschein von Unordnung oder Fremdbenutzung.
Er gestand sich ein, dass es nichts sein konnte was sich in diesem Raum befand, was dieses seltsame Gef\xFChl in ihm hatte aufkommen lassen.
Es war der Wolf gewesen.
Nicht die Tatsche, dass es ein Wolf war. Nein, er war schon so lange Tierarzt, dass es ihm recht egal geworden war, was er versorgte. Ob Pferd, Hund, Katze oder Meerschweinchen, alle Tiere waren schon von ihm verarztet worden. Auch einige W\xF6lfe des st\xE4dtischen Zoos.
Es waren die Augen des Wolfes gewesen, die so tief in die seinen geblickt hatten. Es war die Stimme, die ihm aus den dunklen Pupillen angeschrieen hatte.
Er nahm einen weiteren Zug seiner Zigarette, blies den Rauch in den Raum.
Der Wolf...
Pl\xF6tzlich klingelte ein Telefon. Ein Nebenapparat, wie so viele andere, die \xFCberall in dem Tierheim angebracht waren. Trotzdem zuckte Doktor Denton zusammen, stand nur z\xF6gernd von dem Stuhl auf.
Was war nur mit ihm los? So kannte er sich gar nicht...
Er nahm den H\xF6rer von dem Wandapparat und hielt ihn sich an das Ohr, die Zigarette verweilte in seiner linken Hand, die leicht zitternd herabhing.
"Ja?" Seine Stimme hallte in dem stillen Raum seltsam nach.
Sekunden verstrichen, als ihm die Frau von der Rezeption etwas mitteilte und einen Anrufer zu ihm durchstellte.
"Doktor Denton hier," der Anrufer hatte sich der Rezeption nicht vorgestellt und hatte sich sofort zum Chefarzt durchstellen lassen, also gab Doktor Denton seinen Namen noch vor dem Anrufer durch. Hatte seine Stimme gezittert?
Eine seltsam kalte und weibliche Stimme teilte ihm etwas mit, er nickte kurz mit dem Kopf.
"Ja, ist hier eingeliefert worden. Vor vier Tagen. Verletzungen am Kopf und dem rechten Hinterlauf."
Wieder sagte die unbekannte Stimme etwas.
"Meist in Narkose, wir haben das Tier mehrfach untersucht. Es scheint langsam zu genesen."
Die Stimme blieb weiterhin kalt, aber es schlich sich ein leicht dominierender Unterton in sie, als sie dem Doktor Instruktionen mitteilte.
"Welche Beh\xF6rde..." Der Doktor konnte seinen Satz nicht zuende stellen, da hatte sein Gegen\xFCber schon aufgelegt.
Doktor Denton starrte auf den H\xF6rer in seiner Hand. Sie zitterte.
Er bemerkte erst Minuten sp\xE4ter, dass er sich nicht von der Stelle ger\xFChrt hatte, als die Glut der Zigarette nahezu die Finger seiner linken Hand verbrannte.

*

Lichter zuckten in immer gleichen Abst\xE4nden \xFCber ihm an der Decke vorbei. Die W\xE4nde bestanden aus immer den gleichen Mustern. R\xE4der quietschten. Irgend jemand atmete.
War er es, der atmete? War es ein Anderer?
Er hatte all dies schon einmal erlebt...

*

David schwebte in der See seiner Erinnerungen.
Bilder seiner Flucht tanzten vor seinem inneren Auge vorbei. Er sah sich auf allen Vieren \xFCber Strassen, durch Gassen und den taunassen Park laufen. Er sah seine eigenen Pfoten, wie sie ihn geschwind \xFCber das Gras trieben. Er roch die Ger\xFCche, sp\xFCrte seine gesichts- und k\xF6rperlosen Verfolger. Er sp\xFCrte das Projektil, welches seinen Hinterlauf streifte. Er sah sich durch die mit Menschen bev\xF6lkerte Strasse laufen, verstand nun ihre Angst vor ihm.
Seine Erinnerung endete mit seinem Sprung auf die Ladefl\xE4che des Autos, welches ihn in Sicherheit gebracht hatte.
In Sicherheit? Der Fahrer hatte ihn scheinbar hier in diesem Tierheim abgeliefert und ihn von einer unsicheren Lage in die n\xE4chste bef\xF6rdert. Nun war David nicht mehr auf der Flucht, sondern ein Gefangener.
Er versuchte sich an die Ereignisse vor der dunklen Gasse zu erinnern, aber wie jedes Mal zuvor erkannte er nichts als nichtssagende Schw\xE4rze.
Die Bilder in seinem Kopf verschwanden in einem Nebel, der sich zu festen Eindr\xFCcken verwandelte.
Er erwachte aus der Narkose.
Es dauerte noch einige Minuten, bis er die Nachwirkungen der Medikamente aus seinem Geist vertrieben hatte, dann konnte er wieder halbwegs klar denken.
Er sah sich um.
Wieder befand er sich in der Zelle, in der er vor unbestimmter Zeit bet\xE4ubt worden war. Das Stroh unter ihm roch nun etwas frischer als beim ersten Erwachen, es war anscheinend gewechselt worden. Des weiteren rochen die Gitterst\xE4be vor ihm leicht nach der Helferin des Arztes, sie musste noch vor einigen Minuten hier gewesen sein. Vielleicht hatte sie das Schloss seiner Zelle gesichert, die St\xE4be vor ihm stellten zugleich den Ausgang aus seinem Gef\xE4ngnis dar, sie waren wie eine T\xFCr schwenkbar.
David sah sich langsam um, blieb aber noch liegen.
Der un\xFCbersichtlich gro\xDFe Raum war voller kleinerer Zwinger wie dem seinen, es mussten \xFCber 50 einzelne Gef\xE4ngnisse sein, 25 auf jeder Seite des l\xE4nglichen Raumes. Sie alle waren anscheinend belegt, der Geruch nach Hunden war bedr\xFCckend. Die R\xE4ume der Katzen, V\xF6gel und der anderen Tiere mussten sich ebenso in der N\xE4he befinden, ihr Geruch war nahezu so stark wie der der Hunde.
In den Zwingern links und rechts neben David hatten ein Dobermann und ein Dackel Quartier bezogen. Der Dackel lag zusammengerollt im Stroh am Boden seiner Zelle und schlief, der Dobermann stand und hatte seine Augen auf David gerichtet. Sein Geruch war feindselig, seine Augen blitzten. Trotzdem ging kein Ger\xE4usch von dem Tier aus. Es musste sich nicht einmal r\xFChren, sein Geruch sagte David alles. Es sah ihn als Konkurrenten an, schien den Zwinger als sein Revier zu betrachten. Der Hund konnte nicht wissen, dass er nur ein weiterer Gefangener in einem Tierheim war. David beachtete ihn nicht weiter.
Er war nun also hier. Er war also ein Wolf.
Er musste entkommen. Er musste sein Ged\xE4chtnis wiedererlangen.
David legte seinen Kopf zwischen seine Vorderpfoten und blickte auf die Gitterst\xE4be vor sich.

-3-

In einer Welt des Unwissens ist der eigene K\xF6rper das Gef\xE4ngnis der Seele.
Davids Gedanken waren wirr. Er tr\xE4umte, wurde von einem Erinnerungsfetzen zum n\xE4chsten geschleudert. Er konnte keinen Einzigen von ihnen wirklich fassen, sie entzogen sich seinem Geist noch bevor er sie wirklich sehen konnte.
Bilder von grauen R\xE4umen blitzten in seinem Geist auf. Es roch antiseptisch, es war kalt.
Rollwagen kratzten mit metallischen R\xE4dern \xFCber glatte B\xF6den.
Menschen bewegten sich geordnet durch unendlich lang erscheinende G\xE4nge, in denen glei\xDFend helle Lampen kaltes Licht abgaben.
Messer blitzten auf. Messer und Blut. Spritzen.
Gesichter tanzten vor seinem inneren Auge. Er kannte sie alle, kannte sie alle nicht. Sie verh\xF6hnten ihn, lachten \xFCber seinen fellbedeckten K\xF6rper. Sie trieben unwirklich erscheinende Ger\xE4te in sein Fleisch, er br\xFCllte, sie lachten. Bohrer heulten auf. Nadeln wurden in seinen Kopf getrieben.
Ein Gesicht schob sich durch den Schmerz. Eine Frau, er hatte sie schon in einem anderen Traum gesehen. Lange blonde Haare, ein lasziv ge\xF6ffneter Mund. Sie k\xFCsste seine Schnauze, in ihren Augen lag eine perverse Lust. Er wollte sie fassen, sie an sich ziehen und sie fragen, was sie ihm angetan hatte, aber sie entzog sich seinen kraftlosen Pfoten. Sie lachte ihn aus, ihre Z\xE4hne verformten sich zu Rei\xDFern, Fell wucherte in ihrem Gesicht. Ihre Augen zwinkerten, nahmen die Erscheinung von w\xF6lfischen Raubtieruagen an. Sie heulte tierhaft.
David schrie vor Angst.
Metall schlug auf Metall, Funken stoben. Blut.
David erwachte jaulend.

*

David lebte mehrere Tage in der ereignislosen Welt des Tierheims. Die Hunde um ihn herum verloren nach und nach das Interesse an dem meist im Stroh liegenden Wolf, widmeten sich anderen Dingen.
David a\xDF und trank. Er schlang trockenes Hundefutter herab und leckte Wasser aus einer Schale wie ein Hund. Er tat dies, als ob er es schon sein ganzes Leben lang getan h\xE4tte. Seine Wunden waren anscheinend gut verheilt, nur sein Kopf schmerzte bei schnellen Bewegungen, die David auch meist unterlie\xDF.
Er hatte die Pfleger bei der Arbeit beobachtet, betrachtete sie beim Versorgen und S\xE4ubern der Tiere. Es schien, als w\xE4ren es insgesamt 6 Pfleger, davon 4 M\xE4nner und 2 Frauen, welche gleichzeitig als Arzthelfer und -helferinnen dienten. Dazu kamen zwei \xC4rzte, von denen einer derjenige war, der David versorgt hatte.
Sogar zwei der Hunde des Zwingers wurden in der Zeit anscheinend von einer neuen Familie adoptiert und erlangten ihre Freiheit zur\xFCck.
David hatte jeden angeknurrt, der seinem Gef\xE4ngnis zu nahe gekommen war.
Jeden bis auf die menschliche Frau, die auch bei seinen Untersuchungen anwesend gewesen war. Sie war jeden Tag mehrere Male an seinem Zwinger gewesen und hatte sanft mit ihm geredet. Sie hatte meist unzusammenh\xE4ngend gesprochen und er hatte niemals alles verstanden, aber sie schien ihn zu m\xF6gen. Sie l\xE4chelte, wenn sie vor seinem Zwinger stand und warf jedes Mal neugierige Blicke zu ihm, wenn sie die anderen Tiere versorgte. Einmal hatte sie seine Pfote, die nahe den Gittern gelegen hatte, gestreichelt und dabei sanft gesummt. Ihre Ber\xFChrung war wie Feuer gewesen, Davids Herz hatte einen Sprung gemacht. Auch ihre Augen hatte er gesehen. Blass-gr\xFCn waren sie und lebhaft. Liebevoll. Er hatte bei ihrem Anblick erschrocken gewimmert. Der Duft der Frau hing vor seiner Zelle und beruhigte ihn.
Den Doktor hatte er nicht wieder gesehen.
Ansonsten war David nicht in seinem Bem\xFChen weiter gekommen, zu Fliehen oder den Grund seines Wolf-seins zu erfahren. Sein Ged\xE4chtnis verschloss sich weiterhin vor ihm und erlaubte ihm nur manchmal kurze Einblicke in seine Vergangenheit, welche ihn in irrealen Alptr\xE4umen qu\xE4lte.
Er hatte keine Ahnung, ob er noch verfolgt wurde, aber er war sich sicher, dass die beiden Verfolger aus der Nacht vor einigen Tagen ihn nicht vergessen hatten. Sie mussten etwas von ihm gewollt haben, ansonsten w\xE4ren sie nicht so brutal gegen ihn vorgegangen. Sie hatten ihn t\xF6ten wollen. Warum?
Wussten seine Verfolger mehr \xFCber die Gr\xFCnde seines jetzigen Seins?
Er hatte lange Zeit in seiner Zelle gelegen und nachgedacht. Nicht viel war dabei herausgekommen, nicht einmal an seinen eigenen Nachnamen hatte er sich erinnern k\xF6nnen. Daf\xFCr war er nun mit seinem K\xF6rper zu einem gegenseitigen Einvernehmen gekommen. Er hatte ihn akzeptiert und in den vergangenen Tagen gelernt mit ihm zu leben. Er hatte sich sogar an den Schwanz, der meist ganz und gar nicht das tat, was David gern h\xE4tte, gew\xF6hnt. Seine ver\xE4nderten Sinne hatte er sogar sch\xE4tzen gelernt, seine gesteigerte H\xF6r- und Riechf\xE4higkeit erschienen ihm nicht mehr als Last, sondern eher als Hilfe. Seine eingeschr\xE4nkten visuellen F\xE4higkeiten wurden durch die anderen Sinne mehr als ausgeglichen.
Die Tage waren nie besonders lang geworden, meist hatte er geschlafen und gegessen oder den Menschen bei ihrer Arbeit zugesehen.
Auch hatte er in der Zeit bemerkt, dass er immer wieder in Gedankeng\xE4nge abdriftete, die ihn von den Menschen differenzierten. Er sah sie zeitweise als etwas Fremdes, etwas Anderes. War er denn kein Mensch gewesen?
War er...?
Die Zeit verstrich und David wurde unruhig.

*

Maria g\xE4hnte.
Ihr Hintern tat ihr weh und an einer Fingerspitze bildete sich langsam eine Blase. Sie nahm die H\xE4nde von der Tastatur vor sich und lehnte sich zur\xFCck, wobei der Stuhl unter ihrem Gewicht \xE4chzte. Sie schob einen der Papierstapel vor sich zur Seite, bef\xF6rderte eine Dose Cola aus ihrer Handtasche und \xF6ffnete diese. Sie nahm einen langen Schluck und stellte die Dose dann auf der nun freien Arbeitsfl\xE4che des Tisches ab.
Wie sie diese Arbeit hasste! Immer landete alle Arbeit bei ihr ... und niemals hatte sie Zeit f\xFCr irgend etwas, denn immer musste der Papierkram so schnell wie m\xF6glich bearbeitet werden. Wie konnten so ein paar stinkende Tiere so viel Papierkram verursachen?
Maria stie\xDF kurz auf. Dann grinste sie.
Maria sa\xDF in der Rezeption des Tierheims. Ihr Arbeitsplatz lag hinter einem halbrunden Tresen und war mit unbearbeiteten Papieren \xFCberf\xFCllt. Der Monitor eines Computers zeigte den nicht vollkommen bearbeiteten Text eines Dokumentes. Der M\xFClleimer neben Marias Stuhl war \xFCberf\xFCllt.
Der Raum, in dem sich die Rezeption befand, war nicht gerade klein. Besucher des Tierheims betraten den Raum durch zwei gl\xE4serne Schiebet\xFCren, deren Automatik wieder einmal defekt war, weil der Hausmeister sich noch nicht darum gek\xFCmmert hatte. Es gab mehrere Sitzm\xF6glichkeiten und mehrere G\xE4nge f\xFChrten an Marias\xB4 Tresen vorbei in die einzelnen Abteilungen des Tierheims, so wie die Untersuchungsr\xE4ume und die Zwinger.
Der Gestank hatte Maria immer am meisten gest\xF6rt - sie arbeitete zwar nun schon einige Monate hier, doch an ihn hatte sie sich nie gew\xF6hnen k\xF6nnen.
Eine Stimme riss sie aus ihren Tagtr\xE4umen und lie\xDF sie nahezu ihre Cola versch\xFCtten. Es war Doktor Denton, dieser Wichtigtuer, der ihr immer vorschreiben wollte, wie sie ihre Arbeit zu verrichten habe. Er stand neben dem Tresen und blickte auf sie hinab, seine blauen Augen sprachen von Ersch\xF6pfung. Und von noch etwas - war es Furcht?
"Maria, ich werde einige Tage frei nehmen. Doktor Miles wird meine Aufgaben \xFCbernehmen." Sein Stimme klang seltsam und dumpf, nahezu angsterf\xFCllt, aber Maria hatte keine Lust, sich von ihm in ein langweiliges Gespr\xE4ch verwickeln zu lassen, also nickte sie kurz: "Ist klar, Doktor."
Doktor Denton legte seine Handfl\xE4chen auf den Tresen und wollte scheinbar etwas sagen, dann ballte er die H\xE4nde zu F\xE4usten und zog sie zur\xFCck.
Er nickte kurz, dann drehte er sich um und verlie\xDF den Raum durch den Hauptausgang. Die Glast\xFCren schlossen sich zuckend und blieben auf dem halben Weg rasselnd stehen. Die Automatik hatte wieder ausgesetzt.
"Shit," presste Maria hervor und qu\xE4lte sich von hinter dem beengten Tresen hervor. Sie ging auf die Glast\xFCren zu und r\xFCttelte daran. Sie klemmten.
Kalte Herbstluft wehte durch den Spalt und senkte die Raumtemperatur langsam aber stetig.
Maria trat fluchend gegen eine der T\xFCren und erschrak urpl\xF6tzlich, als sich eine gro\xDFe Gestalt auf der anderen Seite des Glases aufbaute.
Sie sprang nahezu gewandt zur\xFCck und blickte den Besucher erschrocken an.
Es war ein hochgewachsener Mann. Er trug einen ma\xDFgeschneiderten schwarzen Anzug. Seine schwarzen Haare waren ordentlich gek\xE4mmt und zeugten von Haarspray. Eine undurchsichtige schwarze Sonnenbrille verbarg seine Augen. Der Mann erschien sehr stark und seine Haltung war gerade und fast militaristisch.
Maria versuchte freundlich zu L\xE4cheln, was anhand ihres wild klopfenden Herzens allerdings misslang.
Der Mann blickte die Glast\xFCren an, die noch immer halb ge\xF6ffnet waren.
"Sind die T\xFCren defekt?" Seine Stimme war kalt.
Maria wollte etwas sagen, aber ihr Mund war zu ausgetrocknet, um etwas sagen zu k\xF6nnen. Also nickte sie nur kurz.
Der Mann blickte auf sie herab, er war gut 30 cm gr\xF6\xDFer als sie und damit nahezu 2 Meter gro\xDF, dann dr\xFCckte er jeweils eine seiner massiven H\xE4nde an ein Ende der T\xFCren. Er dr\xFCckte sie ohne jedwede ersichtliche Kraftanstrengung auseinander, so dass die Elektromotoren, die die T\xFCren normalerweise \xF6ffneten und schlossen, emp\xF6rt aufheulten. Nur Augenblicke sp\xE4ter hatte er die T\xFCren vollkommen ge\xF6ffnet. Die Motoren gaben ein letztes weinerliches Heulen von sich, dann erstarben sie.
"Meine Beh\xF6rde wird f\xFCr den Schaden aufkommen." Der Mann sprach sie nicht einmal direkt an, sondern ging schon an Maria vorbei und begab sich in Richtung der Untersuchungsr\xE4ume.
Maria blickte ihm nur verst\xF6rt nach, unf\xE4hig etwas zu sagen. Dann sah sie nach drau\xDFen.
Hinter dem grasges\xE4umten Kiesweg, der zum Haupteingang des Tierheims f\xFChrte, stand im Schatten einiger B\xE4ume ein schwarzer Ford am Stra\xDFenrand geparkt. Ein weiterer in Schwarz gekleideter Mann stand an dem auf hochglanz polierten Auto und blickte sie durch eine dunkle Sonnenbrille direkt an.
Maria schluckte und fl\xFCchtete sich zur\xFCck zu ihrem Rezeptionstresen. Sie nahm den H\xF6rer des nahestehenden Telefons ab und w\xE4hlte eine kurze, weil dreistellige, Nummer.
W\xE4hrend sie auf eine Reaktion am anderen Ende der Leitung wartete, blickte sie durch den Eingang auf den anderen schwarzgekleideten Mann. Dieser setzte sich langsam in Bewegung und kam \xFCber den Kiesweg auf die Rezeption zu.
Maria schluckte. Wie lange dauerte das noch, bis jemand bei der Polizei abhob?!??

*

David verzweifelte.
Wie sollte er aus dieser Zelle entfliehen k\xF6nnen, wenn seine Pfoten, wie sehr er sich auch anstrengte, einfach nicht zu den typischen menschlichen Manipulationen f\xE4hig war? Zwar besa\xDFen seine vier Pfoten kurze `Finger\xB4, diese waren jedoch anscheinend nicht f\xFCr feinmechanische Arbeiten bestimmt.
David starrte auf das massive Eisenschloss seiner Zelle und atmete wimmernd aus. Wie lange w\xFCrde er hier in diesem Tierheim verweilen m\xFCssen? W\xFCrden sie ihn an einen Zoo weitergeben? W\xFCrden sie ihn einschl\xE4fern?
Der letzte Gedanke lie\xDF Davids Herz einen Sprung machen. Sterben? Nein, er wollte nicht sterben. Der Tod im v\xF6lligen Unwissen \xFCber seine Herkunft und den Grund seines jetzigen Seins war vollkommen unannehmbar. Er musste entkommen.
David wurde durch Schritte aus seinen Tagtr\xE4umereien gerissen. Erst Augenblicke sp\xE4ter bemerkte er auch einen Geruch.
Seine Augen weiteten sich und ein verschrecktes Jaulen drang aus seinem halbge\xF6ffneten Maul.
Die freundliche Arzthelferin, die zu dieser Zeit gerade einen Hund auf der anderen Seite von Davids Zwinger versorgt hatte, drehte sich ob diesem seltsamen Ger\xE4usch um und blickte ihn sorgenvoll an. Er erkannte zwar ihr Gesicht nicht genau, ihr Geruch verriet ihm allerdings ihre Sorge um ihn.
Sie trat langsam auf seinen Zwinger zu und legte eine Hand um einen der Gitterst\xE4be.
David wimmerte.
"Was hast du denn?" Ihre Stimme war sie s\xFC\xDFer Honig in seinen Ohren, doch der Geruch den er soeben bemerkt hatte, wurde immer st\xE4rker. Es war die b\xF6sartige Ausd\xFCnstung eines seiner Verfolger: Ranzig, aggressiv, feindlich. Und dazu noch mit einer eigenartigen tierischen Duftnote...
David wimmerte voller Furcht. In dieser Zelle w\xFCrde er dem Mann nicht entkommen k\xF6nnen.
Er musste der Frau klarmachen was er war und welche Gefahr sich n\xE4herte.
Aber wie?
Er sah sie verzweifelt an, jaulte vor Aufregung und Furcht. Er musste schnell handeln. Ihr Duft schlug schnell von Sorge in Furcht um. Aber nicht in Furcht vor ihm, sondern in Furcht um ihn.
Er blickte in ihre Augen, bat um ihre Aufmerksamkeit. Sie blickte ihn an. Diese Augen!
Dann war urpl\xF6tzlich alles sehr einfach.
David winselte kurz auf und schlug mit seiner linken Vorderpfote auf den Boden seines Zwingers. Er wischte das Stroh zur Seite und erkannte den staubigen und dreckigen Boden darunter.
Sie blickte ihn verst\xF6rt an.
Ohne seine Augen von den ihren zu wenden kratzte er mit den Krallen seiner Pfote hakelige Buchstaben in den Boden seiner Zelle. Sein Schwanz wedelte vor Anspannung nerv\xF6s hin und her.
Die Frau atmete erschreckt ein, dann l\xF6ste sich ihr Blick von dem seinen und sie Blickte auf den Boden seiner Zelle, auf dem seine Krallen noch immer ihr Werk verrichteten.
Ihr Herz klopfte immer schneller, dies sp\xFCrte er. Ihr Geruch nahm einen stechenden Charakter an. Sie schwitzte pl\xF6tzlich. Sie zitterte.
Ihre Augen blickten auf die Schriftzeichen, die er vor ihr in den Boden geritzt hatte: HILFE.
Sie murmelte etwas Unverst\xE4ndliches, trat zitternd einige Schritte von seinem K\xE4fig zur\xFCck.
"Was," begann sie mit vor Furcht bebender Stimme, "...was bist du?"
Die Hunde um David herum begannen pl\xF6tzlich wie wild zu Bellen und zu Heulen, Aggression lag in der Luft.
Einer seiner Verfolger war erschienen!
David versuchte einen Blick in Richtung des Eingangs in den Zwinger zu werfen, seine eigene Zelle stand jedoch so ung\xFCnstig, dass es ihm unm\xF6glich war. Trotzdem schlug ihm der widerliche Gestank des Feindes entgegen.
Die Frau, noch immer vor Furcht bebend, drehte sich dem Neuank\xF6mmling zu.
Dieser trat nun in das Sichtfeld Davids. Er erschien dem Wolf so unscharf wie alle Menschen, aber er konnte dennoch einiges an ihm entdecken: der Mann trug einen schwarzen Anzug und eine ebenso schwarze Sonnenbrille. Sein Gang war steif und militaristisch. Sein Geruch absto\xDFend und aggressiv.
Der Mann n\xE4herte sich der unschl\xFCssig und \xFCberrascht riechenden Frau und sprach sie mit einer kalten und gef\xFChllosen Stimme an. Dabei warf er keinen Blick in die um ihn herum stehenden Zwinger, aus denen ihm alle Hunde ihre Wut entgegenbellten.
"Agent Johnson, ich arbeite f\xFCr die Beh\xF6rde f\xFCr freilaufende Wildtiere." Er sprach sie zwar direkt an, trotzdem klang seine Stimme eher nach einem Tonband, welches in einem menschenleeren Raum abgespielt wurde.
Die Frau wich einen Schritt von dem Mann, welcher sie um gut anderthalb K\xF6pfe \xFCberragte, zur\xFCck.
"Was...," hob sie fragend an, ihre Selbstsicherheit kehrte langsam zur\xFCck.
Der Mann lie\xDF sie nicht ausreden und griff in seinen Mantel. Er bef\xF6rderte eine Visitenkarte hervor und hielt sie der Frau entgegen.
David war sich sicher gewesen, eine Pistole im Inneren des Mantels entdeckt zu haben. Ja, es roch nach Pulver und Patronen. Hatte die Frau es auch gesehen?
Sie las die Karte f\xFCr einige Augenblicke, in welchen der Mann sich langsam in dem Raum umsah. Sein Blick glitt durch den Raum und verweilte an keinem der Zwinger - bis er an Davids Zelle angelangt war.
Die Ger\xFCche des Mannes wandelten sich minimal, der Duft eines errungenen Sieges mischte sich h\xE4misch unter sie. David jaulte leise auf.
Der Mann, Agent Johnson, trat auf Davids Zwinger zu und grinste dabei raubtierhaft.
"Ich werde das Tier mit mir in die R\xE4ume meiner Beh\xF6rde nehmen. Machen sie es transportf\xE4hig." Seine Stimme klang nun dumpf und befehlsbetont.
Die Frau blickte von der Visitenkarte auf und blickte erst auf den Mann und dann auf den sich in die hinterste Ecke seiner Zelle verkriechenden David. Sie schluckte.
"Ich muss zuerst ihre Personalit\xE4ten \xFCberpr\xFCfen," sagte sie bestimmt.
Der Agent drehte sich langsam um, nahm seinen Blick anscheinend nur widerwillig von David, und sah sie offensichtlich durchdringend an.
"Nein." Das Wort war ungeduldig aus zusammengekniffenen Lippen hervorgepresst worden.
Der Geruch der Frau schwankte unstetig zwischen Furcht und Mut, sie versuchte sich klarzumachen, was um sie herum vorging.
"So sind die Regeln Agent Johnson, tut mir leid," erwiderte sie leise, "ich kann nicht jedem dahergekommenen Fremden einen wilden Wolf anvertrauen."
Der Agent trat einen Schritt auf sie zu. "Dies ist inakzeptabel. Ich fordere eine sofortige Auslieferung der Kreatur."
David winselte. Der Geruch des Feindes drang wie eine giftige Schlange auf seine Sinne ein.
"Inakzeptabel? Kreatur?" Die Stimme der Frau klang nun zornig. "Was bilden sie sich ein? Sie erscheinen hier und stellen irgendwelche Forderungen, die sich sicherheitsgef\xE4hrdend auswirken k\xF6nnten. Ich werde ihnen das Tier nicht \xFCbergeben!"
"Nein!" Der Mann drehte sich blitzschnell um und zog dabei in einer flie\xDFenden Bewegung seine Pistole. Es dauerte keinen Herzschlag, da hatte ein Projektil schon das Schloss von Davids Zelle zerbersten lassen. Der Wolf kniff erschrocken die Augen zusammen, als der nahe Schusslaut seine Ohren zum Klingeln brachte. Der Agent riss die Gittert\xFCr zu Davids Zwinger auf und wollte mit seiner freien, behandschuhten Hand hineingreifen um ihn zu packen.
David jaulte auf, unf\xE4hig sich zu r\xFChren. Die Finger n\xE4herten sich, waren wie Klauen gekr\xFCmmt. Der Gestank des Mannes wurde unertr\xE4glich.
Mit einem w\xFCtenden Laut warf sich die Frau gegen die rechte Seite des Agenten und brachte ihn somit aus dem Gleichgewicht. Er stolperte und versuchte sich mit der freien Hand an den Gitterst\xE4ben Davids\xB4 Zelle festzukrallen. Aber die Frau hatte sich mit einer solchen Wucht gegen ihn geworfen, dass die beiden zusammen zu Boden st\xFCrzten.
David blickte durch die \xD6ffnung in seinem Zwinger in die Freiheit. Er sprang auf.
Einen Augenblick sp\xE4ter hechtete er mit einem befreienden Sprung aus seiner engen Zelle auf den steinernen Boden davor. Er blickte sich schnell atmend um, suchte nach dem Ausgang. Nur eine Sekunde sp\xE4ter hatte er die T\xFCr ausgemacht und sprintete darauf zu, w\xE4hrend die Hunde um ihn herum ein regelrechtes Konzert aus Belllauten anstimmten.
Er hatte die T\xFCr schon fast erreicht, als er ein schmerzhaftes Wimmern hinter sich vernahm.
Die Frau!
Er drehte sich noch im Laufen um und blickte auf den Agenten, der sich vor Davids alter Zelle mittlerweile aufgerichtet hatte und boshaft auf die am Boden liegende Frau starrte. Er hatte seine Pistole erhoben und zielte damit auf ihren K\xF6rper.
David dachte nicht einmal. Sein K\xF6rper reagierte f\xFCr ihn, setzte ihn in Bewegung. Seine Krallen verursachten klickende Ger\xE4usche auf dem steinernen Boden, als er auf die beiden Menschen zusprintete. Geifer spritzte aus seinem Mund. Seine Augen fixierten den in Schwarz gekleideten Mann.
Dieser war gerade im Begriff die Pistole abzufeuern und seinen Kopf auf den heranrasenden David zu richten.
Ein furchtsamer Geruch, ausgehend von dem Agenten, schlug dem Wolf entgegen, David knurrte vor Freude. Ja, dieser Feind sollte das Gef\xFChl der Furcht kennen lernen!
Die Frau schrie erschreckt auf als David sich vom Boden abstie\xDF und auf den Mann zusprang. Sein Maul war eine einzige nach Vorn gerichtete Waffe. Seine Rei\xDFz\xE4hne blitzten im Licht der Halogenlampen.
Der Agent wollte seine Waffe herumrei\xDFen, doch er war zu langsam. Davids Z\xE4hne packten seinen Waffenarm und rissen ihn, als der Schwung des Wolfes dessen K\xF6rper weitertrieb, zur Seite. Der Agent stolperte, er fiel in die Richtung, in die David gesprungen war.
David schmeckte bitteres Blut. Es pulste aus dem Arm des Menschen in sein Maul und stachelte seine Wut nur noch mehr an.
Der Agent war inzwischen am Boden zum Liegen gekommen und versuchte sich aus Davids Biss zu l\xF6sen, der Wolf verst\xE4rkte den Druck seiner Kiefer jedoch nur noch um so mehr der Mann versuchte, sich zu befreien.
Dann vernahm David die Stimme der Frau.
"Nein, das ist falsch!" Sie sprach ihn, David, an!
David blickte auf, knurrte, den Arm des Agenten nicht aus dem Druck seiner Kiefer befreiend.
Die Frau war mittlerweile aufgestanden und deutete auf David. Sie sch\xFCttelte ihren Kopf und bat ihn mit ihren Worten aufzuh\xF6ren: "Nein, verschone ihn..."
Ihr Geruch war voller Sorge und Furcht. Ihre Augen sprachen eine Sprache, die nicht einmal Davids w\xF6lfische Sinne verstanden.
Aber sein Herz verstand.
Er verst\xE4rkte den Druck seiner Kiefer noch einmal kurz, dann entlie\xDF er den Agenten und begann erneut auf den Ausgang zuzulaufen.
Die Frau blickte ihm nach, sah den Agenten wieder auf die F\xFC\xDFe kommen. Blut sprudelte aus einer fleischigen Wunde in seinem Arm. Er hob noch im Aufstehen seine Waffe auf und richtete sie erneut auf die Frau.
Sie keuchte erschreckt auf und sprang zur Seite, auf den Ausgang zu, als ein Projektil der Pistole dort klatschend in einen der Hundezwinger einschlug, wo noch kurz zuvor ihr Kopf gewesen war. Der Hund im Inneren der Zelle jaulte schrill auf, dann erstarb seine Stimme so schnell wie die Kugel in seinen K\xF6rper gedrungen war.
Mit Tr\xE4nen der Furcht in den Augen hechtete sie in den durch milchige Lampen beleuchteten Gang, der sich hinter dem Ausgang des Zwingers befand und h\xF6rte die schweren Schritte des Agenten hinter sich. Er verfolgte sie.

*

David hechtete durch den Gang hinter dem Hundezwinger und h\xF6rte den Schuss hinter sich.
Nein!
Er wand sich im Laufen um und entdeckte die vor Furcht weinende Frau, die sich nur knapp hinter ihm in den Gang gefl\xFCchtet hatte. Sie roch unverletzt aber panisch und sehr \xE4ngstlich.
Der Agent war nicht weit hinter ihnen, er hatte durch seine Verletzung nun einen Nachteil gegen\xFCber David. Aber er w\xFCrde die Frau t\xF6ten, wenn er sie erreichen konnte.
David w\xFCrde es nicht so weit kommen lassen.
Er hastete an die erste Gangkreuzung und versuchte sich anhand der Ger\xFCche zu orientieren. Das Blut des Agenten klebte noch immer zwischen seinen Z\xE4hnen und lag bitter auf seinem Gaumen.
Frische, kalte Luft. Rechts! Er wandte sich in den rechten Gang und konnte nun sogar schon die Silhouette des schwarzgekleideten Mannes erkennen, der nun den Gang erreicht hatte.
Die Frau erreichte David keuchend und blickte ihn verwirrt und \xE4ngstlich an. Sie wusste nicht, wie sie handeln sollte.
Ein Schuss hallte auf und dr\xF6hnte in Davids Ohren. Die Kugel lie\xDF das Schutzglas eines der in dem Gang h\xE4ngenden Wandbilder zersplittern und einen glitzernden Scherbenregen zu Boden gehen. Das Projektil hatte die Frau nur um Zentimeter verfehlt. David musste schnell handeln, bevor der Mann sich einschie\xDFen konnte!
David winselte die Frau w\xF6lfisch an, dann sprang er in den rechten Gang, in Richtung der Freiheit.
Der Agent war nicht weit hinter ihnen. Eine Aura der Aggression umgab ihn.
Die Frau war dicht hinter David, sie hatte sich wohl gegen den Agenten und f\xFCr den Wolf entschieden, da ihr von dem schwarzgekleideten Mann nur Unheil und Tod drohte.
David hastete durch den Gang, seine Krallen verursachten klickende Ger\xE4usche. Sein K\xF6rper f\xFChlte sich wie aufgeladen an, jede seiner Muskeln war nur auf die Flucht eingestellt. Kein unn\xF6tiger Gedanke wand sich in Davids Hirn, nur die Flucht war wichtig.
Ein Schuss hallte hinter ihm auf, das Geschoss pfiff nur Zentimeter an seinem Kopf vorbei und - auch nur aus dem Grund, dass David sich bei dem Ger\xE4usch geistesgegenw\xE4rtig geduckt hatte. Aber der Agent schoss nun weitaus besser, er hatte sich an sein Ziel gew\xF6hnt ... der n\xE4chste Schuss w\xFCrde sitzen.
Die Frau keuchte, ihre Bewegungen wurden langsamer und fahriger. Sie war nur ein Mensch und w\xFCrde das Tempo der Flucht nicht mehr lange durchstehen k\xF6nnen.
Der Wolf hastete aus dem Gang heraus und in eine gr\xF6\xDFere Empfangshalle hinein. Der Geruch von Blut drang auf ihn ein, sein Kopf ruckte herum.
Der blutige K\xF6rper einer Frau lag am Boden vor einem halbrunden Rezeptionstresen. Das aus ihr austretende Blut lief in d\xFCnnen Fl\xFCssen \xFCber den glatten, gefliesten Boden. David wusste instinktiv, dass sie tot war. Der Gestank von Pulverdampf lag schwer in der Luft. Die gl\xE4sernen Eingangst\xFCren standen weit offen und die kalten Herbstwinde au\xDFerhalb des Geb\xE4udes k\xFChlten diesen Raum stark ab.
All diese Beobachtungen hatten David in etwa einen Herzschlag gekostet.
Die vollkommen ersch\xF6pfte Frau erschien keuchend hinter ihm und erblickte die Leiche. Ihr Geruch nahm einen extrem stechenden Charakter an. Ein kurzer Schreckenslaut entstieg ihrem Mund, sie zitterte.
David blickte zur\xFCck in den Gang, in dem der Agent immer n\xE4her kam. Der Mann war schon wieder dabei seine Waffe zu heben, um einen weiteren Schuss abzugeben.
Sie gaben ein zu gutes Ziel ab!
David fasste den Kittel der Frau mit seinen Z\xE4hnen und sprang zur Seite hinter den Tresen. Die Wucht des pl\xF6tzlichen Sprunges riss die Frau von ihren Beinen und mit ihm hinter den h\xF6lzernen Tresen, direkt neben den ausblutenden K\xF6rper der toten Rezeptionistin.
Ein Schuss hallte in der selben Sekunde auf und jagte durch die Luft, schlug nahe der gl\xE4sernen Eingangst\xFCren ein.
Der Wolf sprang sofort wieder auf und wollte \xFCber den Tresen hinwegsetzen, aber die Frau kniete noch immer am Boden und starrte auf die Leiche. Sie murmelte unverst\xE4ndliche Worte.
David knurrte sie an, roch den Agenten schnell auf die Eingangshalle zusprinten. Nur noch wenige Sekunden und er w\xFCrde hier angekommen sein und David und die Frau wie auf einem Pr\xE4sentierteller vor sich sehen.
Die Frau blickte auf, ihre Augen trafen auf Davids. Er versuchte sie zu bitten, ihm zu folgen, wimmerte leise. Sie stand auf. Ihr Gesichtsausdruck verh\xE4rtete sich, auch wenn David dies eher durch ihren Geruch mitbekam.
Der Wolf setzte \xFCber das Holz des Tresens hinweg und sprintete auf die offenstehenden gl\xE4sernen Eingangst\xFCren des Geb\xE4udes zu. Die Frau war kurz hinter ihm, war ebenso \xFCber den Tresen gesprungen, was bei ihrem derzeitigen k\xF6rperlichen Zustand nahezu ein Wunder war. Noch befanden die beiden sich au\xDFerhalb des Sichtfeldes des Agenten, der mittlerweile in der Eingangshalle angekommen war.
David lief voran, passierte die T\xFCren. Er betrat eine v\xF6llig andere Welt.
Dunkles Laub tragende B\xE4ume. Ein grauer Himmel, nur ab und an durch d\xFCnne Sonnenstrahlen durchbrochen. Ein Kiesweg unter seinen Pfoten. Ein k\xFChler Wind in seinem Fell. Unz\xE4hluge Ger\xFCche drangen auf ihn ein.
Er \xFCbersah den schwarzgekleideten Mann, der etwa zehn Meter weiter an der Strasse an einem Auto stand und seine Pistole auf ihn richtete. Der zweite Agent zog den Abzug der Waffe durch.
David wurde zu Boden geworfen, er schlitterte b\xE4uchlings auf dem Kiesweg voran, den K\xF6rper der Frau \xFCber sich. Er roch Blut.
Er blickte voran, erkannte nun den dunklen Sch\xFCtzen. Sie hatte den Mann vor ihm gesehen und ihn, David, zu Boden geworfen. Blut tropfte auf seinen R\xFCcken, die Frau wimmerte schmerzhaft. David blickte auf, h\xF6rte den ersten Agenten, denjenigen, den er verletzt hatte, auf die T\xFCren zulaufen.
Die Frau war angeschossen, das Projektil der Pistole des zweiten Agenten hatte ihre linke Schulter gestreift. Sie stand w\xFCtend auf, hielt dabei ihre Schulter und rannte von dem Kiesweg, dabei presste sie ein schmerzhaftes "Komm!" hervor.
David reagierte sofort und sprang ihr nach, w\xE4hrend der Agent an dem Auto dabei war loszulaufen, um den Wolf abzufangen. Dieser Mann roch nicht weniger b\xF6sartig als der andere, aber weniger aggressiv und daf\xFCr verschlagener.
Die Frau lief quer \xFCber den Rasen, der den Kiesweg s\xE4umte auf einen kleinen Parkplatz zu, welcher von einigen B\xFCschen und B\xE4umen flankiert wurde. Sie keuchte und hielt sich noch immer die Schulter. Blut klebte an ihrer Hand. Sie hatte Angst, doch sie wurde von einem seltsamen \xDCberlebenstrieb angestachelt, den David nur schwer einordnen konnte. Er dachte nicht weiter dar\xFCber nach.
Die zwei Agenten hinter sich erreichten David und die Frau den kleinen Parkplatz, auf dem zur Zeit drei kleinere Autos geparkt standen. Sie lief auf einen gelben VW-K\xE4fer zu, der seine besten Zeiten anscheinend schon lange hinter sich gelassen hatte.
David h\xF6rte das Ger\xE4usch von Schl\xFCsseln, die sie noch im Laufen aus einer ihrer Kitteltaschen hervorbef\xF6rderte.
Sie hechtete zu der Fahrert\xFCr des kleinen Autos und \xF6ffnete sie mit zitternden Fingern.
W\xE4hrenddessen erreichten die beiden Agenten die den Parkplatz umgebenden Geb\xFCsche.
Die Frau sprang in das Auto, schnallte sich gar nicht erst an und starrte auf David, der unverrichteter Dinge neben dem Wagen stand. Sie \xFCberlegte den Augenblick eines Herzschlages, w\xE4hrend sie den Wagen anlie\xDF. Dann \xF6ffnete sie die Beifahrert\xFCr in einer flie\xDFenden Bewegung, schaltete in den R\xFCckw\xE4rtsgang und dr\xFCckte das Gaspedal tief durch.
David sprang in das rapide beschleunigende Auto und klammerte sich an den Beifahrersitz. Der Wagen schlingerte um seine eigene Achse, die R\xE4der drehten durch. Der Motor heulte auf.
Dann, den Bruchteil einer Sekunde sp\xE4ter, rasten sie mit noch immer offen stehenden T\xFCren aus dem Parkplatz heraus und lie\xDFen die Agenten hinter sich.
Die Frau fluchte, schloss zitternd die beiden T\xFCren und versuchte dabei nicht von der Strasse abzukommen. Ihr Blick streifte David, der zitternd auf dem Beifahrersitz lag.
"Du wirst einiges zu erkl\xE4ren haben," presste sie leise hervor, dann steuerte sie ihren Wagen in den dichten Stadtverkehr.

*

Agent Johnson stand auf dem Parkplatz, er hatte sich auf einen der geparkten Wagen gelehnt.
"Sie haben die Rezeptionistin get\xF6tet?" Seine Stimme war kalt und an seinen Kollegen gerichtet.
Der andere Agent, welcher in die Richtung blickte, in die der gelbe K\xE4fer soeben gefl\xFCchtet war, nickte nur kurz. "Sie hatte die Polizei alarmieren wollen."
Ein Nicken von Johnson war die Antwort. Dann drehte er sich um und ging langsam zu dem schwarzen Ford. "Die S\xE4uberungseinheiten sollen die Beweise vernichten und eventuelle Zeugen zum Schweigen bringen. Unterrichten sie die Basis von unserer Aktion und verfolgen sie das Nummernschild des Fluchtwagens zur\xFCck. Die Kreatur mag dieses Mal entkommen sein, aber wir werden ihr keine weitere Chance geben."

-4-

Sicherheit ist ein Gef\xFChl. Gefahr ist real.
Mehrere Stunden waren vergangen.
Die Nacht war mittlerweile \xFCber der Stadt eingekehrt und hatte ihr dunkles Band \xFCber den Horizont gespannt. Die k\xFChlen Herbstwinde sorgten f\xFCr leere Strassen vor dem Haus der jungen Arzthelferin.
David sa\xDF auf einem dicken Teppich in einem wohlig eingerichteten Raum. Eine Gasheizung spendete ein wenig W\xE4rme.
Die junge Frau sa\xDF nicht unweit von David, sie hatte ihre Schulterwunde versorgt und anscheinend ein wenig Entspannung gefunden. Ihr Atem ging ruhig und ihr Geruch war von einer erfreulichen Neutralit\xE4t, als sie ihn minutenlang betrachtete. Sie hatte ihren verschlissenen Kittel mittlerweile durch Jeanshosen und einen blauen Pullover ersetzt.
Trotzdem lag eine unheilschwangere Atmosph\xE4re in dem Raum. Die Frau blickte ihn an. Er versuchte ihren Blick nicht zu erwidern, sah sich aber schneller als es ihm lieb gewesen w\xE4re in ihre Augen eintauchen. Diese Augen!
"Was bist du?" Ihre Frage durchbrach die Stille und war mit fester Stimme gestellt worden.
David schaute sie verzweifelt an und brachte nur ein w\xF6lfisches Wimmern zustande.
Wie sollte er ihr etwas erkl\xE4ren, was er sich selbst nicht erkl\xE4ren konnte?
Er senkte den Kopf und versuchte sich zu erinnern. Nichts.
David blickte sich in dem Raum um. Ihr Blick folgte dem seinen.
Er musste mit ihr kommunizieren! Er musste ihr sagen, wer er war. Vielleicht konnte sie ihm helfen!
"Was suchst du?"
David stand pl\xF6tzlich auf und trottete zu einem nahen Schrank. Ja, er hatte etwas gefunden!
"Was..." Sie konnte ihre Frage nicht zuende stellen.
Der Wolf fasste die Kartonverpackung eines in den Schrank gestellten Spiels mit seinen Z\xE4hnen und trug es auf den Teppich vor die Frau.
Ihr Geruch war pl\xF6tzlich der von \xDCberraschung und Neugier.
Davids Schwanz wedelte aufgeregt. Er legte das Spiel vor sie und blickte dann auf.
Sie l\xE4chelte. "Scrabble?" Sie starrte auf das Spiel, welches vor ihr lag. Dann, als seine Intention f\xFCr sie augenscheinlich wurde, \xF6ffnete sie den Karton und sch\xFCttete die kleinen Plastikk\xE4rtchen mit den aufgedruckten Buchstaben auf den Teppich.
David jaulte erfreut auf. Ja, sie hatte verstanden!
Mit seinen Pfoten und seiner Nasenspitze schon er einige der vor ihm liegenden Buchstaben zu einem Wortgebilde zusammen. Zuvor musste er jedoch jeden von ihnen genauestens betrachten, da seine Augen sie ihm schrecklich verschwommen und unscharf darstellten.
Die Frau atmete erschreckt auf, als sie das Wort las, welches der Wolf vor ihr zusammengebaut hatte: DAVID.
Sie blickte ihn an. Sein Schwanz wedelte erfreut.
"Mein Gott! Entweder du bist ein Wunder oder nur au\xDFergew\xF6hnlich gut trainiert!" Ihre Stimme zitterte vor \xDCberraschung und Erstaunen.
David sch\xFCttelte den Kopf. Seine rechte Vorderpfote deutete auf das Wort, welches er gerade gebaut hatte.
"Wie kann das sein?" Ihre Frage richtete sich mehr an sie selbst als an ihn. Dann sah sie ihn wieder an und deutete leicht auf sich selbst: "Ich bin Christine. Christine Swartz."
Er winselte kurz, sein Schwanz wedelte.
Ich verstehe das alles nicht. Wieso bist du ... intelligent ... wieso verfolgen dich diese M\xE4nner?"
David blickte auf die Buchstaben unter sich. Dann legte er einige von ihnen zu einem neuen Wort zusammen: UNWISSEND.
Christines H\xE4nde verkrampften sich bei diesem weiteren Beweis seiner Intelligenz. Sie reagierte aber gefasst und sprach schon leise, aber interessiert weiter: "Du hast keine Ahnung, ja? Was kanst du mir erz\xE4hlen? Ich m\xF6chte wissen, warum all dies geschieht."
Der Wolf blickte erneut auf die Buchstaben vor sich. Wie konnte er ihr etwas sagen, was er nicht einmal selbst wusste? Immer wieder hinderten ihn seine gest\xF6rten Erinnerungen daran, alles was geschehen war zu verstehen. Er legte Buchstaben zu W\xF6rtern. ERINNERUNG VERLOREN. GEJAGD. FLUCHT. DANKE.
Sie atmete scharf ein, starrte auf die Worte. Lange Sekunden, die David wie Stunden vorkamen, verstrichen. Die Stille hatte etwas unangenehmes an sich. Entweder w\xFCrde sie sich nun von ihm wenden und verraten oder sich zu ihm bekennen und ihm helfen.
David sah sie an.
Sie schloss ihre Augen. Ihr Atem ging in langsamen Z\xFCgen. Dann stand sie langsam auf.
"Ich werde uns erst einmal was zu Essen machen, dann k\xF6nnen wir vielleicht dar\xFCber nachdenken, wie wir deinem Ged\xE4chnis wieder auf die Spr\xFCnge helfen k\xF6nnen."
Mit diesen Worten verlie\xDF sie den Raum und murmelte irgend etwas unverst\xE4ndliches. Ihr Geruch war freundlich. Sie half ihm! Davids Schwanz wedelte fr\xF6hlich.
W\xFCrde nun doch alles gut werden? W\xFCrde er nun auf irgend eine Weise erfahren, wieso all dies geschehen war?
Er blickte sich in dem Raum um. Er war wirklich sch\xF6n eingerichtet, wie alle R\xE4ume, die David bisher in dem kleinen Haus zu Gesicht bekommen hatte. Sie hatte Geschmack. David versuchte noch einen anderen Geruch als den ihren zu wittern, aber sie schien weder oft Besuch zu bekommen, noch Kinder oder einen Ehemann zu besitzen.
"Ich habe nur ein wenig rohes Fleisch hier, ich halte es eher mit den vegetarischen Sachen. Magst du Salat?" Ihre Stimme klang aus der K\xFCche, David h\xF6rte Teller und T\xF6pfe klappern.
Mochte er Salat? Er hatte keine Ahnung.
Christine blickte aus der K\xFCche auf David, welcher schwanzwedelnd auf dem Teppich sa\xDF, die Zunge weit heraush\xE4ngen lassend und sie ebenfalls anblickend.
Er war sich sicher, dass sie l\xE4chelte. Manchmal verfluchte er seine Augen noch f\xFCr ihre unscharfe Darstellung der visuellen Welt um ihn herum. Dann nickte er kurz.
Sie verschwand wieder in der K\xFCche und bereitete weiterhin etwas sehr frisch riechendes zu. Salat. Fleisch. David lief das Wasser im Maul zusammen. Im Tierheim hatte er nur h\xFCndisches Trockenfutter bekommen. Sein Magen knurrte.
Er legte den Kopf auf seine Vorderpfoten und atmete tief aus. Es war gut, sich ein wenig ausruhen zu k\xF6nnen, ganz ohne Verfolger im Nacken. Seine Augen schlossen sich langsam, die W\xE4rme der gasheizung legte sich wohlig auf seine Muskeln.
Der Gedanke an die Agenten kam ihm zu sp\xE4t, als sein K\xF6rper schon in einen tiefen Schlaf gefallen war.

*

Der Mond stand hell am wolkenlosen Himmel und lie\xDF seine milchigen Strahlen auf die Erde niedergehen. Schattige und weitestens laublose B\xE4ume wiegten sich in einem sanften Wind.
Agent Johnson steuerte den Wagen langsam um eine enge Vorstadtkurve und \xFCbersah die Strasse vor sich im kegelf\xF6rmigen Licht der hellen Scheinwerfer.
Eine Strasse hier war wie die andere. Haus an Haus. Gehweg an Gehweg. Alles wie aus dem Baukasten.
Er atmete scharf aus, in seinem rechten Augenwinkel konnte er seinen Kollegen dabei beobachten, wie dieser einen Schalld\xE4mpfer an eine Schnellfeuerpistole schraubte.
Dieses Mal w\xFCrden sie die Kreatur erlegen, um dieser Farce von einer Flucht ein Ende zu setzen.
Er f\xFChlte seine eigene Schnellfeuerwaffe in ihrem Halfter im Inneren seines Mantels. Keine weiteren Fehler.
Ein Fingerzeig seines Kollegen lie\xDF ihn die Scheinwerfer abschalten und den schwarzen Ford am Bordstein zum Halt bringen.
Zwei H\xE4user weiter konnte er das Haus der Frau, die der Kreatur zur Flucht verholfen hatte, erkennen. Der gelbe K\xE4fer stand nicht unweit davon geparkt.
Er l\xE4chelte finster.
Sein Kollege war schon im Begriff aus dem Wagen aufzustehen. Johnson blickte noch einmal die Strasse hinauf. Er fasste sich mit der Hand seines gesunden Armes an die Wunde, die die Kreatur ihm vor einigen Stunden beigebracht hatte. Sie war aufgrund seiner ver\xE4nderten Physiologie schon dabei zu heilen, die Z\xE4hne der Bestie hatten jedoch viel Muskelgewebe zerfetzt. Sein Blick verfinsterte sich.
Er f\xFChlte sich seltsam. War es nur die Wunde? War es etwas Anderes? Er knurrte dumpf.
Dann stieg er ebenso aus dem Wagen aus.

*

David war fest an einen metallischen Tisch geschnallt.
All seine Knochen taten ihm unendlich weh, ihr Schmerz war wie gl\xFChende Lava in seinen Adern.
Sein Kopf schmerzte von Allem am Meisten, schien \xFCberdimensional aufgebl\xE4ht, pulsierte vor Pein.
Er wimmerte, schrie. Er versuchte sich loszurei\xDFen, die ihn haltenden Lederstriemen schnitten in sein Fleisch.
Er roch sein Blut.
Glei\xDFend helle Lichter \xFCber ihm blendeten ihn, seine Augen tr\xE4nten dauerhaft.
Aus all diesem Schmerz sch\xE4lte sich ein Gesicht in sein Blickfeld, blickte ernst auf ihn hinab.
Weiblich. Lange, blonde Haare. Tiefblaue Augen. Ein perfektes Gesicht.
Sie l\xE4chelte ihn mitf\xFChlend an, Worte flossen wie Blut aus ihrem Mund.
"Du bist es, du warst es ... es war dir vorbestimmt."
Ihr Geruch war der eines Wolfes.
"Du bist so sch\xF6n, so perfekt. Du bist die erste Sch\xF6pfung Gottes ... denn der Mensch ist nun Gott!"
Ihre Z\xE4hne waren Rei\xDFer.
"Du bist erst der Erste..."
Mit diesen diabolischen Worten senkte sie ein blitzendes Skalpell auf sein Gesicht herab und zerschnitt seinen Alptraum in einem Aufwallen von Blut.

*

David schrak jaulend auf.
Ein Name hallte durch seinen schmerzenden Kopf, seine Augen blickten verwirrt in dem Raum herum, in dem er sich befand.
Natasha, Natasha, Natasha. Der Name der Frau aus seinem Traum. Kehrte seine Erinnerung zur\xFCck?
Er blickte sich um, roch die Umgebung. Langsam erinnerte er sich, wo er hier war.
Es war mittlerweile tiefste Nacht. Der Geruch von Salat und Fleisch lag in der Luft, ein Teller davon stand nicht unweit von ihm am Boden. Er machte sich sofort dar\xFCber her.
W\xE4hrend er das Essen fra\xDF, h\xF6rte er das ruhige Atmen eines schlafenden Menschen. Christine schlief nicht unweit von ihm in einem Nebenzimmer.
Wie sp\xE4t war es?
Er schlang den letzten Bissen herunter und leckte sich die Lefzen.
Dann erstarrte er.
Die Verfolger! Er witterte ihren Gestank.
Sie waren nah!
Ein kurzes Jaulen entfloh seinem Maul, er wollte sich gerade umdrehen, als ein m\xE4chtiger dunkler Schatten vor einem der Zimmerfenster erschien. Der lauf einer Waffe blitze im Mondschein auf.
Wie hatte er die Verfolger vergessen k\xF6nnen?
David hechtete mit einem verzweifelten Sprung hinter einen der Sessel, als eine Garbe aus zischenden Geschossen das Fenster durchschlug und sich dort in den Boden grub, wo er soeben noch gestanden hatte. Sofort versuchte er den anderen Agenten zu wittern, herauszufinden, wo sich dieser befand.
Ihm blieb keine Zeit dazu.
Eine weitere Salve der Maschinenpistole zuckte pfeifend in den Raum, grub sich dieses Mal in das Polster des Sessels, hinter dem David Schutz gesucht hatte. Er hatte unwahrscheinliches Gl\xFCck, dass keine Kugel durch das Holz schlug, welches den Sessel zusammenzuhalten schien.
David h\xF6rte den Agenten das nicht zersprungene Fensterglas aus dem Rahmen zu fegen. Er wollte in den Raum eindringen.
Verdammt! Wo war der andere Agent?
David nutzte seine Chance, die sich ihm durch die Bewegung seines Angreifers bot, und hechtete auf das Zimmer, in dem Christine schlief, zu.
Die T\xFCr stand gl\xFCcklicherweise leicht offen und er konnte sich mit einer flie\xDFenden Seitw\xE4rtsbewegung durch den Spalt zw\xE4ngen.
Das Zimmer war sehr dunkel, die Vorh\xE4nge waren vor das einzige Fenster gezogen. Es gab nur zwei M\xF6bel, die Davids Augen, die der Nachtsicht ein wenig f\xE4hig waren, ausmachen konnten: einen gro\xDFen Kleiderschrank, der gegen\xFCber dem Fenster lag und dazwischen ein gr\xF6\xDFeres Bett, in dem Christine schlief. Sie hatte sich in einige Decken verkrallt und schien nicht sehr gut, jedoch recht fest zu schlafen. Schwei\xDF stand ihr auf der Stirn, David roch es.
Der Wolf h\xF6rte den Agenten, es war der derjenige, welchen er auch in dem Hundezwingerraum gesehen hatte, durch das Zimmer hinter ihm stapfen.
Er hatte nur wenige Sekunden.
Mit einem schnellen Sprung hechtete David auf das Bett und r\xFCttelte mit seinen Vorderpfoten und seinem Maul an der schlafenden Christine.
Sie w\xFCrde get\xF6tet werden, wenn er sie nicht retten konnte! Sie hatte ihm das Leben gerettet, niemals k\xF6nnte er so etwas zulassen!
Der Agent mit der Maschinenpistole hatte die T\xFCr nahezu erreicht, als Christine die Augen erschreckt aufschlug und David erschreckt anstarrte.
"Was...," presste sie verschlafen und ver\xE4rgert hervor, als der Agent die T\xFCr mit einem kr\xE4ftigen Fu\xDFtritt aufstie\xDF.
David drehte sich blitzschnell um, sah die m\xE4chtige Gestalt des schwarzgekleideten Mannes vor sich und die metallische Schnellfeuerwaffe in dessen Hand.
Er dachte nicht nach, sprang nur auf den Feind zu, sein Maul zu einem b\xF6sartigen Knurren verzogen.
Der Agent r\xFChrte sich nicht, seine Augen gl\xE4nzten im schwachen Licht gr\xFCnlich, er grinste w\xF6lfisch. Sein Abzugsfinger zuckte kurz, die Waffe in seinen H\xE4nden spuckte zischend Geschosse.
David wurde getroffen, die Salve schnitt blutig \xFCber seinen R\xFCcken, hinterlie\xDF tiefe Wunden. Trotzdem wurde er nicht aus seinem Sprung geworfen, raste auf den Agenten zu. Er erwischte ihn direkt an der Brust und riss ihn von den Beinen. Der Mann fiel r\xFCcklings zu Boden, David auf ihm.
Christine schrie etwas kurzes und erschrockenes und richtete sich dann schnell, aber zitternd in ihrem Bett auf.
David hockte auf dem Agenten. Sein Blut kochte, der Schmerz von seinem R\xFCcken \xFCbermannte seinen Geist. Die tierischen Instinkte in ihm befahlen ihm, sein Opfer zu zerrei\xDFen. Geifer spritzte aus seinem Maul, als er es auf den Mann niedersausen lie\xDF.
Die vor Panik zitternde Stimme Christines hielt ihn auch dieses Mal wieder von einer Bluttat ab.
"Nein," schrie sie, David h\xF6rte sie aus ihrem Bett aufspringen.
Der Wolf blickte den Agenten unter sich, der sich gerade genug gefangen hatte, Gegenwehr zu leisten, knurrend an. Er h\xF6rte Christine hinter ihm schnell n\xE4her kommen.
Was hatte sie vor?
Der Agent mobilisierte seine gesamten Kr\xE4fte und warf den abgelenkten David mit einem Ruck seines gesunden Arms von sich. Der Wolf landete rollend in dem Wohnzimmer und versuchte so schnell wie m\xF6glich wieder auf die Beine zu kommen.
Er sah vor sich im Dunklen zuckende Schemen. Christine hatte sich dem aufstehenden Agenten gen\xE4hert und hielt ihm etwas vor das Gesicht. Es zischte. Der Agent schrie vor Schmerzen auf, landete erneut, dieses Mal jedoch zuckend, am Boden. Er verlor seine Waffe aus den H\xE4nden.
Reizgas! Sie hatte den Agenten ausgeschaltet!
Aber sie hatten keinen Augenblick Zeit, sich \xFCber diesen kleinen Sieg zu freuen.
David winselte erstaunt, als das Fenster in Christines Raum pl\xF6tzlich in den Raum hinein explodierte und das Bett sowie die Frau mit einem Schauer aus scharfen Glassplittern bedeckte.
Christine schrie. David hastete vor.
Der andere Agent stieg b\xF6sartig l\xE4chelnd durch das zerschossene Fenster und lie\xDF den Lauf seiner Maschinenpistole durch den Raum gleiten. Er dr\xFCckte ab.
Zischende Geschosse wurden in das Bett, den T\xFCrrahmen, den am Boden liegenden Agenten und nahezu auch in Christine und David getrieben. Die Beiden waren geistesgegenw\xE4rtig abgetaucht, Christine hinter ihr Bett, auf die dem Agenten abgelegene Seite, und David au\xDFerhalb der Sichtweite des Mannes, neben den T\xFCrrahmen.
Mit einem w\xFCtenden Knurren lud der Mann seine Waffe nach, lie\xDF das leergeschossene Magazin dumpf klingend auf den Teppichboden Christines\xB4 Schlafzimmer fallen und schob ein neues ein.
David nutzte diese, nur wenige Herzschl\xE4ge andauernde, Feuerstille und sprang \xFCber den noch immer vor Schmerzen zuckenden Agenten am Boden hinweg und in das Schlafzimmer.
Christine rollte sich unterdessen panisch unter ihr Bett und suchte nach dem darunter stehenden Telefon.
Der bewaffnete Agent blickte den sich schnell n\xE4hernden David duchdringend an und grinste dunkel.
Sein Abzugsfinger zuckte. In dieser Sekunde traf ihn ein Fu\xDF Christines\xB4, die das Telefon liegen gelassen hatte und sich wichtigeren Dingen zugewandt hatte. Ihr Fu\xDF schnellte unter dem Bett hervor, traf einen seiner F\xFC\xDFe und nahm dem Mann damit das Gleichgewicht.
Er fiel nicht, aber verzog seine Waffe so sehr, dass die Geschossgarbe nur klatschend in die Zimmerdecke fuhr.
Das war Davids Chance. Er hechtete vor, knurrte. Sein Gebiss schloss sich um eines der Beine des Mannes. Dieser lie\xDF ein kurzes St\xF6hnen von sich vernehmen.
Dieses Mal hatte David, bedingt durch die relative Enge des Raumes, allerdings nicht die Wucht besessen, den Mann umzuwerfen. Der Agent blickte mit vor Schmerz verzogenen Augen auf den sich in sein Bein verbei\xDFenden Wolf und hob seine Waffe.
Der Lauf richtete sich auf den wild knurrenden David.
Dann durchzuckte ein kurzes Pfeifen den Raum und endete in einem Klatschen.
Der Agent \xFCber David zuckte kurz, dann brach er r\xFCcklings an der Zimmerwand zusammen. Blut sprudelte aus einer Kopfwunde.
David sprang vor \xDCberraschung jaulend zur\xFCck und wandte sich um, bereit einem neuen Feind in die Augen zu sehen.
Aber er sah nur Christine. Die Frau hielt die Maschinenpistole des im T\xFCrrahmen liegenden Agenten in ihren zitternden H\xE4nden. Einen Augenblick sp\xE4ter lie\xDF sie die Waffe polternd zu Boden fallen und brach dann selbst schluchzend auf ihre Knie zusammen.
David blickte zuerst auf den toten Agenten, dann auf den bet\xE4ubten im T\xFCrrahmen und zum Schluss auf Christine.
Sofort eilte er zu ihr. Seine Zunge fuhr feucht \xFCber ihre H\xE4nde, die sie vor ihr Gesicht gepresst hatte. Sie schluchzte. David wimmerte.
"Was, was ... was geschieht hier nur?" Ihre Stimme klang gepresst und panisch.
Der Wolf jaulte kurz, dann leckte er ihre H\xE4nde weiter, versuchte sie mit den ihm zur Verf\xFCgung stehenden Mitteln zu bes\xE4nftigen.
Sie schluchzte. David witterte ihren inneren Schmerz und ihre Furcht, verstand sie mehr als es ein Mensch in dieser Situation vermocht h\xE4tte.
Sie sa\xDFen lange Minuten zusammen am Boden des Schlafzimmers.
Nach und nach verstummte ihr Schluchzen und ihre Stimme kl\xE4rte sich auf.
Sie nahm die H\xE4nde von ihrem ger\xF6teten Gesicht und bot David dadurch eine neue Angriffsfl\xE4che f\xFCr seine Zunge. Sie war zu langsam sich zu wehren und l\xE4chelte sogar.
Dann lachte sie leise.
Davids Herz machte einen Sprung. Dieses Lachen!
Sie schob ihn einige Zentimeter von sich, dann vergruben sich ihre Finger in seinem Nackenfell. Sie streichelte ihn, umarmte ihn. Er badete in ihrem Geruch.
Sie weinte wieder, aber dieses Mal aus der reinen Freude nach diesem n\xE4chtlichen Angriff noch zu Leben.
Sie weinte. David wimmerte.

*

Weitere Minuten vergingen, bis sich die Beiden aufrappelten.
David durchsuchte das Haus nach weiteren Agenten, fand aber keine Anzeichen f\xFCr weitere Verfolger.
Christine hatte sich etwas vor der sich im Haus ausbreitenden K\xE4lte sch\xFCtzendes angezogen und dann den bet\xE4ubten Agenten fesseln und knebeln wollen, aber sie hatte mit Schrecken feststellen m\xFCssen, dass eine der fehlgeleiteten Geschossgarben des anderen Mannes ihn t\xF6dlich erwischt haben musste. Er war tot. Beide Agenten waren tot.
Danach hatte Christine die R\xFCckenwunde Davids versorgt, welche die Geschosse des einen Agenten verursacht hatten.
Sie und David \xFCberlegten sich, was sie mit den Leichen anstellen konnten, fanden aber keine L\xF6sung.
"Wir werden uns etwas einfallen lassen m\xFCssen," fl\xFCsterte Christine zitternd bei dem Anblick der beiden vor ihr am Boden liegenden M\xE4nner.
David hatte dem einen Unterdessen seinen Mantel ge\xF6ffnet, ein wirkliches Problem ohne H\xE4nde, und nach einer Brieftasche oder etwas \xE4hnlichem gesucht.
Christine kniete sich neben ihn und half ihm bei der Suche. Sie hatte einen der M\xE4nner get\xF6tet, also was sollte sie unn\xF6tige Zur\xFCckhaltung zeigen?
Christine fand eine Brieftasche bei den beiden Agenten, aber die Inhalte der identischen Ledertaschen waren vollkommen informationslos.
"Keine Ausweise, nur vollkommen nichtssagende Visitenkarten einer Beh\xF6rde von der ich noch nie etwas geh\xF6rt habe und sonst nichts." Ihre Stimme klang entt\xE4uscht, auch sie wollte wissen, wer hinter ihrem Leben her war.
David jaulte kurz auf. Er blickte auf eine der Visitenkarten, die zu Boden gefallen war.
`Beh\xF6rde f\xFCr freilaufende Wildtiere\xB4 stand auf die Karte gedruckt. Dazu der Name des Mannes: Johnson. Nicht mehr. David verzweifelte. W\xFCrde er nie mehr etwas \xFCber seine Vergangenheit erfahren?
Dann blickte er auf.
Christine war unterdessen zu einem der zerschossenen Fenster gegangen und blickte in die k\xFChle Nacht hinaus.
"Ihr Auto," sagte sie kurz, dann wandte sie sich schon zur Haust\xFCr.
David sprang von dem am Boden liegenden Agenten weg und ebenfalls auf die Haust\xFCr zu, seine Zunge hang hechelnd aus seinem Maul.
Christine blickte ihn verdutzt an. "Gassi gehen?" Ihre Frage war nur halbherzig, aber mit einer winzigen Nuance an freudiger \xDCberraschung ausgesprochen.
Sie \xF6ffnete die T\xFCr und trat in die mondbeschienene Dunkelheit hinaus. Vollkommene Stille herrschte um sie herum, die Nachbarn hatten anscheinend nichts von dem n\xE4chtlichen Angriff mitbekommen. Kein Auto fuhr zu dieser Zeit. Es schien als w\xE4ren sie sicher und unbeobachtet.
David trat ebenso in die Nacht hinaus und sp\xFCrte den k\xFChlen Wind in seinem Fell. Sein Schwanz wedelte fr\xF6hlich. Er sog die Ger\xFCche der Nacht ein, h\xF6rte die verschiedensten Nachttiere ihren Besch\xE4ftigungen nachgehen. Eine Eule zog weit \xFCber ihm am Himmel ihre Bahnen.
Christine ging mit schnellen Schritten auf den schwarzen Ford der Agenten zu und warf dabei einen kurzen Blick auf ihr eigenes Auto. Sie blieb stehen und atmete scharf aus.
"Nein, diese Schweine!"
David blickte den gelben K\xE4fer an und erschrak, als er die zerstochenen Reifen erblickte. Die Agenten hatten ihnen jeden Fluchtweg verbauen wollen. Es war nur Gl\xFCck gewesen, dass er und Christine den Angriff \xFCberlebt hatten. Nur Gl\xFCck.
Christine stapfte w\xFCtend von ihrem Auto weg und auf das der Agenten zu, welches zwei H\xE4user entfernt geparkt stand. Ein schwarzer Ford, der Selbe anscheinend, welchen die Agenten auch vor dem Tierheim geparkt hatten.
Sie testete den T\xFCr\xF6ffner der Fahrert\xFCr und l\xE4chelte erfreut, als sich diese \xF6ffnen lie\xDF. Christine stieg in den Wagen und \xF6ffnete die Beifahrert\xFCr, um David ebenfalls in das Auto zu lassen.
Das Interieur des Wagens war recht schlicht gehalten, sie hatte nichts anderes erwartet, also blieb ihr nichts anderes, als nach irgend etwas Interessantem zu suchen.
David sprang auf den Beifahrersitz und f\xFChlte sich sofort von dem Gestank der toten Agenten umgeben. Er lag in der Luft, klebte an den Sitzen, den Armaturen ... \xFCberall. David knurrte kurz, dann verstummte er und sah Christine bei ihrer Suche zu.
Die Frau suchte in den F\xE4chern des Armaturenbretts und in dem Fach vor dem Beifahrersitz nach irgendwelchen Anhaltspunkten, aber sie konnte nur eine Stadtkarte und eine Chipkarte unter all den weiteren, vollkommen nutzlosen Zetteln und Scheibenwischt\xFCchern finden.
"Hm." Sie besah sich die Karte. "Vom n\xF6rdlichen Stadtgebiet. Ein gr\xF6\xDFeres Gebiet ist rot angestrichen ... oh, und das Tierheim auch. Und mein Viertel, wo wir uns gerade aufhalten."
David jaulte kurz auf und blickte sie an.
"Willst du sie sehen? Hier." Sie senkte die Karte, um David einen Einblick zu verschaffen.
Der Wolf versuchte die winzigen, vielfarbigen Strassen und Zeichen auseinander zu halten, aber seine extrem eingeschr\xE4nkte Farbsicht verkomplizierte die Sache sehr stark. Er schaute eine lange Zeit auf die Karte, dann sch\xFCttelte er mit dem Kopf. Zu komplex.
"Die zwei letzten Orte kenne ich, der erste scheint mir ein Stra\xDFengeflecht nahe dem Hafen zu sein. Erinnerst du dich daran?"
David nickte. Ja! Dort war er erwacht. Seine erste Erinnerung.
"Vielleicht solltest du dorthin zur\xFCckkehren, um..." Sie sprach nicht aus.
David blickte aus dem Frontfenster die Stra\xDFe hinauf und versuchte etwas zu erkennen.
"Polizei. Einer meiner Nachbarn muss sie alarmiert haben! Verdammt."
Christine suchte etwas. David sah sie fragend an.
"Wir k\xF6nnen nicht hier bleiben. Wenn sie dich finden, werden sie dich einschl\xE4fern. Sie t\xF6ten dich, okay?"
David r\xFChrte sich nicht. Dachte sie nicht an sich?
"Aha." Christine schob den Schl\xFCssel zu dem Auto, welchen sie hinter einer der Sonnenblenden gefunden hatte, in das Schloss und lies den Wagen an. Dann schloss sie die beiden Autot\xFCren.
"Es scheint, als ob wir schon wieder fliehen," presste sie zwischen zusammengepressten Lippen hervor, als sie den Wagen r\xFCckw\xE4rts auf die Strasse rollen lies und ihn, ohne die Scheinwerfer anzuschalten, wendete.
Augenblicke sp\xE4ter hatte sie den schwarzen Ford schon in eine andere Stra\xDFe gesteuert, danach in eine weitere. Erst dann schaltete sie die Scheinwerfer ein.
Ihr Geruch war unverkennbar. Sie hatte den Entschluss gefasst, ihm zu helfen. Sie wollte wissen, was um ihn und sie herum geschah. Sie w\xFCrde nicht zur\xFCckweichen.
Der Ford brauste durch die k\xFChle Nacht.

*

Officer Barnsdale betrat das ihm von einer panisch klingenden Frau, welche die Polizei aus einem Haus in der N\xE4he alarmiert hatte, beschriebe Haus durch die offen stehende T\xFCr. Sein Kollege schlich sich zur selben Zeit zur R\xFCckseite des Hauses.
Die Frau hatte etwas von Mafiakillern, W\xF6lfen und zerschlagenen Fenstern erz\xE4hlt. Okay, zerschlagene Fenster hatte er hier gesehen, aber Mafiakiller?
Er erschrak, als seine Taschenlampe ihm das Chaos eines Feuergefechtes offenbarte. Zwei Leichen lagen am Boden des Zimmers, beide trugen schwarze Anz\xFCge und waren anscheinend durchsucht worden. Blut klebte an ihrer Kleidung. Zwei Maschinenpistolen lagen auf einem Tisch im selben Zimmer.
Blutige Fu\xDFspuren, Schuh- und Pfotenabdr\xFCcke, waren \xFCberall am Boden zu erkennen.
Was war hier nur geschehen?

-5-

Wenn Unwissen sich in Wissen wandelt - in was wandelt sich dann der Schmerz?
Christine lenkte das Auto mit schlafwandlerischer Sicherheit durch den schwachen Nachtverkehr der Innenstadt. Ihre Augen waren auf den Verkehr gerichtet und nicht auf den geduckt auf dem Beifahrersitz liegenden David.
"Ich verstehe noch immer nicht, was hier \xFCberhaupt geschieht" Ihre Stimme verhallte in der Stille des Wagens.
Davids Augen legten sich auf ihren K\xF6rper.
"Agenten. Maschinenpistolen. Ein intelligenter Wolf." Sie blickte kurz zu ihm hinab und ihm dabei auch kurz in die Augen.
"Was bist du David? Wer bist du?"
Der Wolf lie\xDF ein kurzes Jaulen aus seinem Maul entweichen, dann atmete er tief aus.
Er hatte ja selbst keine Ahnung. Das sie ihm trotzdem half war das gr\xF6\xDFte Gl\xFCck, welches ihm je hatte widerfahren k\xF6nnen. Gl\xFCck.
"Du hast keine Erinnerung. Sie jagen dich, sogar mich jetzt. Was k\xF6nntest du wissen, was sie interessieren k\xF6nnte?" Ihre Augen lagen wieder auf der Strasse.
"Was haben sie mit dir angestellt? Wieso kannst du denken und handeln wie ein Mensch?"
Die Fragen waren eher an sich selbst gestellt als an ihn, sie wusste sehr wohl, dass er ihr nicht w\xFCrde antworten k\xF6nnen.
Sie lenkte den Wagen auf die \xE4u\xDFerste rechte Spur und schwieg eine l\xE4ngere Zeit.
"Wir werden es herausfinden, mein Freund, wir werden es erfahren..."
David h\xE4tte gel\xE4chelt, wenn es ihm m\xF6glich gewesen w\xE4re. So wedelte er nur schwach mit dem Schwanz.

*

Christine parkte den schwarzen Ford nahe einigen stinkenden M\xFClltonnen und blickte sich, durch die Scheiben des Wagens, in der Umgebung um.
Sie hatte das Auto in einem Gewirr aus Seitenstrassen und Lagerh\xE4usern geparkt. Nicht gerade die beste Gegend um mitten in der Nacht zu parken, aber der unbekannte Positionseintrag auf der Stadtkarte der Agenten musste irgendwo hier in der N\xE4he sein. Sie blickte David an.
Der Wolf erschien aufgeregt und unruhig, er blickte mit seinen dunklen Pupillen in die Nacht hinaus. Sie \xF6ffnete die Beifahrert\xFCr und strich ihm dabei versehentlich \xFCber das Bauchfell...
David sah sie an. Diese Augen!
Christine rutsche zur\xFCck, \xF6ffnete ihre T\xFCr und verlie\xDF den Wagen.
David tat es ihr nach und witterte die Ger\xFCche der Umgebung. Er roch salziges Wasser, Fisch, dreckigen Beton und unz\xE4hlige vollgestellte Lagerh\xE4user. Es war nahezu unm\xF6glich, einzelne Ger\xFCche aus dem Wirrwarr der Sinneseindr\xFCcke zu filtern. Aber es waren keine Menschen in der N\xE4he, soweit waren sie anscheinend sicher.
"Hier irgendwo ist die Stelle, die der uns unbekannte Karteneintrag anzeigt. Kanst du dich erinnern, wo dies sein k\xF6nnte?"
David sch\xFCttelte langsam seinen Kopf. Nein. Seine erste Flucht war ohne sein eigenes Denken geschehen. Instinktiv war er durch die Gassen und \xFCber die Strassen geeilt. Durch den Park. Park...
David jaulte kurz auf, dann tippte er mit einer Pfote auf den taunassen und dreckigen Betonfu\xDFweg.
Christine blickte hinab und wartete. Wusste sie, was er vorhatte?
Davids Pfote zeichnete schwer lesbare Zeichen auf den Boden. Langsam. Sie musste sie erkennen. PARK.
"Ein Park? Du willst zu einem Park?" Ihre Stimme war erfreut \xFCber diese positive Kommunikation.
David nickte, seine Zunge hing hechelnd aus seinem Maul.
Christine schaute auf den Stadtplan, las einige Sekunden darin und blickte dann auf.
"Es gibt einen kleinen Park, etwa einen Kilometer von hier. Wenn wir das Auto nehmen sind wir in diesem Stra\xDFengewirr sicherlich langsamer als zu Fu\xDF. Was meinst du?"
Der Wolf sprang zu ihr, lief kurz vor und dann wieder zur\xFCck. Er freute sich. Er wurde nicht gejagt und befand sich unter freiem Himmel. Nat\xFCrlich w\xFCrden sie zu Fu\xDF gehen. Christine l\xE4chelte. Dann nickte sie. "Okay, ich sehe schon, du brauchst deinen Auslauf."

*

Die Beiden schlichen sich durch schattige Seitenstrassen, wanden sich an dampfenden M\xFCllcontainern vorbei und \xFCberquerten menschenleere Strassen.
Der Mond schien sie bei ihrer Wanderung zu beobachten, jeden ihrer Schritte mitzuverfolgen.
Ein seltsames Gef\xFChl beschlich David. Ein Gef\xFChl, das ihm sagte, er w\xFCrde bald mehr \xFCber das erfahren, was er immer hatte wissen wollen seit dem Augenblick, in dem er in der Gasse erwacht war: die Wahrheit.
Seltsamerweise kroch ihm bei dem Gedanken an das Wort Wahrheit ein ungutes Gef\xFChl in den Magen.
Was war los mit ihm? Wollte er es nicht mehr wissen? F\xFCrchtete er sich? Warum dieses Gef\xFChl?
Seine Pfoten tapsten durch schleimige Pf\xFCtzen und \xFCber mit Unrat bedeckte Strassen. Christine war immer neben ihm, deutete ihm den Weg zum Park.
David f\xFChlte den k\xFChlen Wind, der durch die engen Gassen wehte, in seinem Fell. Es f\xFChlte sich gut an. Aber es f\xFChlte sich zugleich auch so falsch an.
Was w\xFCrde er erfahren? Was w\xE4re, wenn es ihm nicht gefallen w\xFCrde?
"Dort ist es!" Christines Stimme klang gepresst, als ihr Zeigefinger aus der Gasse, in der die Beiden sich zur zeit befanden, heraus und \xFCber eine Stra\xDFe hinweg auf eine Reihe von B\xE4umen deutete.
Sie hatte Recht, es war der Park, durch den David vor Tagen gefl\xFCchtet war, wenn auch eine andere Seite davon. Trotzdem wusste David nun, wo er war und in welche Richtung er sich w\xFCrde wenden m\xFCssen, um die Gasse zu finden, in der er ohne Erinnerung erwacht war.
Er hastete los, so dass die erschreckte Christine ihm nur mit M\xFChe folgen konnte.
Seine Pfoten gruben sich in weiches Erdreich und stampften \xFCber harten Beton. Seine Zunge hing weit hechelnd aus seinem Maul. Seine Augen waren starr nach vorn gerichtet. Sein K\xF6rper bewegte sich in wellenhaften, fl\xFCssigen Bewegungen. Er war ein Wolf...
Hinter sich h\xF6rte er Christine. "Langsam..."
Abrupt blieb er stehen und sah sie an. Die junge Frau lief auf ihn zu, hielt sich dabei aber in den Schatten eines nahen Geb\xE4udes. Als sie neben ihm angekommen war, atmete sie schwer.
"Du ... du wirst mich doch jetzt nicht im Stich lassen, oder?" Ihre Stimme klang sorgenvoll. "Nicht nach all dem, was wir bis jetzt durchgestanden haben, oder?"
David winselte. Nein. Niemals. Er w\xFCrde sie nicht im Stich lassen. Er w\xFCrde sein Leben f\xFCr sie geben.
Er wand sich um und ging langsam auf eine Seitenstrasse zu.
Augenblicke sp\xE4ter verschwanden er und Christine in der Dunkelheit.

*

Gr\xFCnliche Augen blickten auf flimmernde Monitore.
Ein tierhaftes L\xE4cheln legte sich in ein vor Hass verzogenes Gesicht.
Ein dumpfes Knurren erf\xFCllte die Luft.
Er war zur\xFCckgekehrt. Was f\xFCr ein Dummkopf.

*

"Also das ist es?"
Christines Stimme hallte von den feuchten W\xE4nden der Gasse unheimlich wider.
David antwortete nicht, er wanderte ziellos durch den herumliegenden M\xFCll und roch an einigen der Kartons und M\xFClltonnen.
"Sieht nicht anders aus als die anderen Gassen, durch die wir gekommen sind."
David versuchte irgend etwas zu wittern. Irgend etwas. Etwas, was seine Erinnerungen zur\xFCckbringen konnte. Er verzweifelte.
"Hm." Christines Stimme verlor sich in der Stille.
David blieb pl\xF6tzlich vor einer der die Gasse bildenden W\xE4nde stehen und erstarrte. Blut.
"Was..." Christine n\xE4herte sich ihm, wobei sie versuchte nicht in zu viel von dem \xFCberall aufgestapelten M\xFCll zu treten oder gar auszurutschen.
Blut. Sein Blut! Es klebte noch immer an der Wand, war aber mittlerweile eingetrocknet. Fliegen hatten sich daran gelabt.
"Blut?" Die Stimme der Frau klang verdutzt.
David roch daran, erinnerte sich an sein Erwachen in der Gasse. An seine Flucht.
Aber davor? Diese verdammte Dunkelheit! Wie konnte er sie durchbrechen?
Er knurrte die Wand an, fletschte seine Z\xE4hne. All dies geschah v\xF6llig aus einem unergr\xFCndlichen tierischen Instinkt heraus. David knurrte seine Wut und seine Hilflosigkeit heraus.
Warum war er hier und trug die Form eines Wolfes? Wer war diese Frau ... Natasha ... aus seinen Tr\xE4umen?
Er knurrte.
Pl\xF6tzlich drehte sich Christine um, ihr Geruch schlug um. Gefahr?
Davids Knurren verstummte, er blickte zu ihr hinauf.
Einen Herzschlag sp\xE4ter wurde die Gasse von roten Strahlen durchzuckt, die sich suchend an den W\xE4nden und dem M\xFCll entlang tasteten.
Nein!
Es dauerte keinen weiteren Herzschlag, da fielen die Strahlen auf David und Christine.
Sch\xFCsse hallten auf, Christine wurde zuerst erwischt. Projektile bohrten sich in ihre Schulter und ihren Magen. Sie brach zuckend zusammen, Blut spritzte aus ihrem Mund.
David wollte reagieren, sich diesem neuen und unsichtbaren Feind entgegenstellen, aber auch er hatte keine Zeit mehr. Sein K\xF6rper zuckte unter den unz\xE4hligen Treffern der Waffen der Feinde und er ging zu Boden.
Sein K\xF6rper schrie vor Schmerzen.
M\xFCdigkeit umfing ihn wie eine Decke aus Eis.
Dann erlosch sein Geist.

*

David erwachte.
Wie lange war er dieses Mal bewusstlos gewesen?
Er musste sich nicht bewegen um zu wissen, dass er festgeschnallt war.
Er sp\xFCrte wo er war. Er hatte den Ausgangsort seiner Reise erneut betreten. Er war an dem Ort, dem ihm seine Alptr\xE4ume beschrieben hatten.
Er lag auf einem kalten Metalltisch, sein K\xF6rper war durch feste Lederstriemen daran gebunden. Sonden und Nadeln waren in sein Fleisch gesteckt. Irgendwo piepte ein Ger\xE4t, welches seinen Herzschlag aufzeichnete.
Die W\xE4nde des grauen Raums, in dessen Mitte der Tisch stand, waren kahl und er konnte bis auf eine verschlossene Metallt\xFCr keinen Ausgang und kein Fenster erkennen. \xDCber ihm strahlten Halogenlampen ihr glei\xDFend helles Licht ab.
David war kalt. Er wusste, das er verwundet war. Er sp\xFCrte die Wunden. Sie waren versorgt worden. Aber ... sie schmerzten, als w\xE4ren sie ihm gerade erst zugef\xFCgt worden.
Er w\xFCrde sterben.
Warum war er wieder hier? Wer hatte dies veranlasst?
David versuchte zu jaulen, aber er bekam keinen Laut hervor.
Er war v\xF6llig allein. Was war mit Christine? Er hatte sie zu Boden gehen sehen. War sie tot? Hatte man sie gerettet? Wenn nein, wieso lebte er noch?
Wenn sie nicht mehr lebte ... er h\xE4tte geweint, h\xE4tte es sein w\xF6lfischer K\xF6rper zugelassen.
Minuten vergingen, in denen David sich nicht r\xFChren konnte. Seine Knochen schmerzten, aber er verdr\xE4ngte das Gef\xFChl so gut es ihm m\xF6glich war.
Dies war also das Ende seiner Flucht? Sollte er allein und verwundet in diesem Raum sterben?
Pl\xF6tzlich \xF6ffnete sich die T\xFCr des Raumes und ein Mann trat ein. Er war hoch gewachsen und trug einen hellblauen Arztkittel. Sein Gesicht war ausdruckslos und er betrachtete David kaum.
David wollte ihm irgend etwas mitteilen, ihn nach Christine fragen ... aber kein Laut drang aus seinem Maul. Er war zu schwach.
Der Mann blickte auf David hinab, testete anscheinend die Wundverb\xE4nde und den Sitz der Sonden.
Dann schob er den Metalltisch auf quietschenden R\xE4dern aus dem Raum hinaus.
Davids Herz raste. Er hatte dies alles schon einmal erlebt!
Die langen grauen G\xE4nge, die Lichter, die \xFCber ihm an der Decke montiert waren. Die T\xFCren neben sich.
Nein! Was geschah hier?
Er blickte den Mann verzweifelt an, dieser achtete aber nicht im geringsten auf den Wolf und schob den Tisch wortlos durch schier endlose G\xE4nge. Er roch neutral, wie ein Mensch. V\xF6llig teilnahmslos. Emotionslos.
David atmete schnell. Was w\xFCrde geschehen? Was?
Er sah T\xFCren an sich vorbeiziehen. Einige waren ge\xF6ffnet und offenbarten ihm leere graue R\xE4ume. Die Flure, durch die ihn der Mann schob, waren menschenleer.
Die Luft roch antiseptisch, aber erweckte nicht den Eindruck eines stark frequentierten Geb\xE4udes.
David fror.
Die Reise durch die G\xE4nge nahm kein Ende.

*

Ein weiterer Raum, dieses Mal jedoch ausgestattet mit Videoleinw\xE4nden, einigen St\xFChlen und ... waren es Untersuchungstische? David konnte nicht alles \xFCberblicken, er lag zu unvorteilhaft, sein Kopf war auf die gr\xF6\xDFte der Videoleinw\xE4nde gerichtet.
Er verstand nicht. Was wollte man ihm zeigen? Warum t\xF6tete man ihn nicht?
Die Schmerzen, die noch immer in seinem K\xF6rper hausten, waren nicht abgeklungen. Im Gegenteil, sie kratzten mit einer gnadenlosen Gelassenheit an Davids Kraft und stahlen ihm mit jedem Atemzug, den er tat, ein weiteres St\xFCck seiner Lebenszeit.
Die Lichter in diesem Raum waren so grell wie in dem anderen Raum und den G\xE4ngen, die W\xE4nde ebenso grau und der Boden ebenso glatt und gefliest. Keine Fenster. Eine T\xFCr. Wo war er?
Warum erinnerte er sich nicht?
Pl\xF6tzlich erloschen die grellen Lampen \xFCber ihm und lie\xDFen ihn in vollkommener Stille und Dunkelheit auf seinem Tisch liegen. Er h\xF6rte nur seinen eigenen Herzschlag und seinen eigenen Atem.
Dann pl\xF6tzlich ein dumpfes Knacken und Rauschen. Einen Augenblick lang, dann erstarb es.
Dann erf\xFCllte eine weibliche Stimme die Stille, t\xF6nte in seinen Ohren, erf\xFCllte seinen Geist.
"Willkommen David."
Er kannte diese Stimme. Er kannte das Gesicht, welches dazu geh\xF6rte. Natasha.
"Es ist sch\xF6n, dich wieder hier zu haben."
Warum erinnerte er sich nicht an mehr Details? Wer war sie? Warum kannte sie ihn?
"Wir haben von deiner Gef\xE4hrtin erfahren, dass du dein Ged\xE4chtnis verloren hast."
Gef\xE4hrtin? Also lebte Christine noch? Davids Herz tat einen Sprung.
"Dein ... Ged\xE4chtnis also, ja?"
Die Stimme klang ver\xE4chtlich. Was wusste sie?
"Dein Leben ... David."
Wieder das Knistern und Knacken, dann lag der Wolf wieder in der Stille und der undurchdringlichen Dunkelheit.
Es dauerte einige Minuten, bis ein d\xFCnner Lichtstrahl, der von einer Quelle hinter David abgestrahlt wurde, die Dunkelheit durchbrach und auf die Videoleinwand vor dem Wolf fiel. Der Strahl verbreiterte sich auf die Breite und H\xF6he der Leinwand. Ein Knistern erf\xFCllte die Luft. Roch es nach Ozon?
Dann erkannte David Bilder. Unscharf. Aber er erkannte sie.
Sein Herz schlug schneller.
Mit einem Blitz kehrte seine Erinnerung zur\xFCck und flutete seinen Geist mit Wissen.

*

David sah das Geb\xE4ude, in welchem er sich befand. Es war ein weitangelegtes Forschungszentrum nahe dem st\xE4dtischen Hafen. Diese Lage hatte gewisse Vorteile, da man so illegal eingef\xFChrte Ware, Tiere, aufnehmen konnte, die zu Forschungszwecken gebraucht wurden.
David sah die G\xE4nge und R\xE4ume der Einrichtung. F\xFCr wen arbeiteten all die Menschen, die er sah? Die Regierung? Gesichtslose Geldgeber?
Er sah \xC4rzte und Helfer, Tiere und Untersuchungstische. Er wusste, was hier getan wurde.
Er sah sich. Er sah Dr. David M. Jordan.
Er sah seine Gef\xE4hrtin, seine Helferin. Er sah Dr. Natasha Michaels.
Er sp\xFCrte die Liebe zwischen den beiden. Er liebte sie. Liebte sie ihn?
Er sah sich Tiere untersuchen. W\xF6lfe. Immer wieder W\xF6lfe. Hatte er W\xF6lfe gemocht? Hatte er sie gehasst?
Zuerst ging er bei seinen Untersuchungen vorsichtig vor, aber getrieben durch seinen eigenen Erfolgsdrang und die Forderungen Natashas nach schnelleren Ergebnissen lie\xDF er bald davon ab. Liebte sie ihn mehr, wenn er Erfolge vorzuweisen hatte?
Vivisektionen. Gen- Doping. Befruchtungsversuche. Bestrahlungstests. Spritzen. Blut.
Wie viele W\xF6lfe hatte er get\xF6tet? Hunderte? Tausende?
Er trieb seine Forschungen voran, verkroch sich tage- und wochenlang in seinem B\xFCro.
Er schrieb, berechnete, testete. Er stellte Thesen auf, verwarf diese wieder.
Er t\xF6tete. Immer wieder. Gefiehl es ihm?
Er hatte einen Durchbruch. W\xF6lfe und Menschen waren sich genetisch nicht \xE4hnlich, aber durch eine spezielle Genbehandlung konnte er es schaffen, dass die menschlichen Zellen die neuen tierischen Fr\xFCchte annahmen.
Warum nur Wolfszellen? Warum? Es war egal, der Erfolg z\xE4hlte. Der Fortschritt allein z\xE4hlte.
Warum suchte er nach einem solchen Weg? Wer hatte es ihm befohlen? Warum hatte er sich nicht gewehrt?
Warum? Warum? Immer wieder die selbe Frage. Warum? Er verzweifelte daran, zerbrach psychisch.
Er sah sich durch die Bordelle der Stadt ziehen. Er verschleuderte sein Geld, betrog Natasha.
Er vernachl\xE4ssigte seine Arbeit. Wer f\xFChrte sie weiter? War es egal? War es zu sp\xE4t?
Er verkam zu einem Trinker, er verlor sein Haus, seine wenigen Freunde.
Bis er nach langer Zeit wieder einmal auf Natasha traf. Sie half ihm auf die Beine, brachte ihn in die Forschungsanstalt.
Neue Geldgeber hatten den Komplex \xFCbernommen und Interesse an seiner Arbeit angemeldet. Natasha war so froh gewesen.
Wer waren diese neuen, gesichtlosen Arbeitgeber? Egal.
Zu viele Tiere hatten sterben m\xFCssen. Er hatte schon zu viel Leid angerichtet.
David hatte das Angebot zur\xFCckgewiesen. Nein. Er war durch damit. Zu viele Tiere waren gestorben.
Sie war w\xFCtend ... rasend. Sie hatte ihn festnehmen lassen.
Sie hatte seine Arbeit fortgef\xFChrt, hatte Versuche angestellt, mehr Tiere get\xF6tet. Nun brauchte sie nur noch eins: einen menschlichen Wirtsk\xF6rper f\xFCr die w\xF6lfischen Zellen.
David hatte sich zu wehren versucht. `Verr\xFCckt\xB4 hatte er sie genannt. `Unm\xF6glich\xB4 hatte er gesagt. Es hatte keinen Sinn gehabt.
Sie hatten ihn auf Metalltische geschnallt. Sie hatten ihn aufgeschnitten. Drogen ver\xE4nderten seine Sinneswahrnehmungen. Spritzen mit mutierten Genen ver\xE4nderten seinen K\xF6rper.
Sie verwandelten ihn. Er sollte ein Wolf werden.
Wie lange hatte die Qual angedauert? David wusste es nicht.
Natasha ver\xE4nderte ihn, sie fand Gefallen daran. Sie br\xFCtete n\xE4chtelang \xFCber seinem mutierenden K\xF6rper, schmiegte sich an ihn oder lachte ihn aus.
Ihr Geist drohte zu schwinden. War sie vormals eine brilliante Wissenschaftlerin gewesen, war sie nun nicht mehr als eine Puppe ihrer Geldgeber.
Aber sie hatten David verwandelt. Er war k\xF6rperlich ein Wolf geworden. Sein Geist war jedoch der eines Menschen.
Ein Erfolg auf der ganzen Linie.
Wochen vergingen. Experimente wurden von Natasha geplant und durchgef\xFChrt. Menschen und Tiere wurden wie Vieh in den Komplex gebracht.
Immer wieder wurde David getestet. Sie nahmen Blutproben. Sie untersuchten ihn.
Zuerst schienen die \xC4rzte um Natasha ruhig und sorgf\xE4ltig zur Sache zu gehen, doch mit den Tagen wurde ihre Arbeit fahriger. Gab es ein Problem in dem Forschungskomplex?
Dann unterlief den \xC4rzten ein Fehler ... sie hatten David eine Sekunde lang aus den Augen gelassen.
Er war aus dem Komplex gefl\xFCchtet. Er war durch die Strassen des Hafens geflohen.
Natasha hatte aber nicht nur ihn ver\xE4ndert. Sie hatte vor ihrem psychischen Absturz auch einige M\xE4nner ihres pers\xF6nliche Sicherheitsteams einer speziellen Behandlung unterzogen. Sie hatte sie zu menschlichen W\xF6lfen verkommen lassen. Zwei dieser J\xE4ger hatte sie hinter David hergeschickt.
Die dunkle Gasse. Der Boden war feucht. David war noch nicht v\xF6llig an seinen neuen K\xF6rper und die pl\xF6tzliche Freiheit gew\xF6hnt. Er war panisch vor Furcht. Er war ausgerutscht. Die Mauer.
Er hatte sein Ged\xE4chtnis verloren.
Was hatte er getan?
Er ... er allein hatte all dies beginnen lassen. Er allein trug die Schuld daran.

*

Mit einem Mal erlosch das Licht der Kamera und der Raum erhellte sich langsam. Die Beleuchtungsst\xE4rke kam aber nicht \xFCber ein schummeriges Zwielicht heraus.
Die Gedanken an seine wiedergewonnene Erinnerung drangen in seinen Geist.
Was hatte er getan? Wie vielen Tieren hatte er das Leben genommen? Warum? Wof\xFCr?
F\xFCr Geld? F\xFCr den Fortschritt? F\xFCr die wahnsinnigen Gel\xFCste von gesichtslosen Geldgebern?
Es war egal. Er hatte es getan. Er hatte es vieleicht nicht zu Ende gef\xFChrt, aber dieser Fakt war nicht von Bedeutung.
Er war der alleinige Verursacher des Leids, welches man ihm angetan hatte.
Konnte all dies auch beenden?
Eine T\xFCr wurde ge\xF6ffnet und ein unangenehmer Geruch drang in Davids Nase.
Mehrere Gestalten betraten den Raum. Nach den Ger\xE4uschen her waren es zwei Frauen.
Ihr Geruch erinnerte ihn an den der J\xE4ger, allerdings war er weiblicher. Der Geruch der einen Frau war b\xF6sartig, den der anderen konnte er nur schwer einordnen.
Er hatte keine Zeit mehr dar\xFCber nachzudenken als sich die beiden Gestalten in sein Blickfeld schoben.
Zwei Frauen, ja. Sie beide trugen die selben blauen Arztkittel wie der Mann, der David in diesen Raum geschoben hatte.
"Da liegt er nun. Gefesselt. Sterbend. Aber dennoch so sch\xF6n." Natashas Stimme. Ihr Geruch war der von Neid und Hass.
Er konnte keine der beiden Frauen genau erkennen, es war zu dunkel und ihre Schemen erschienen ihm zu unscharf.
Aber sie beide waren recht schlank, auch wenn eine von ihnen, es war Natasha, leicht geb\xFCckt zu stehen schien ... pl\xF6tzlich erkannte er den Geruch der Anderen!
"So sch\xF6n..." Natasha strich durch sein Fell. Ihre Ber\xFChrung lie\xDF ihn vor Abscheu erzittern. Sie zog eine der Sonden, die in David steckten, heraus. Er sp\xFCrte Blut an dieser Stelle austreten.
Die andere Frau sagte nichts. Sie verharrte regungslos neben Natasha.
"Ich habe mir oft vorgestellt so zu sein wie du."
Davids Atem stockte. Was erz\xE4hlte Natasha da?
Hatte sie die Verwandlungsprozedur nicht wiederholen k\xF6nnen? War sie nicht mehr f\xE4hig dazu?
"Ich wollte immer sein wie du. Wild und frei." Ihre Stimme zitterte.
Dann, urpl\xF6tzlich, passten sich Davids Augen der Dunkelheit an und er erblickte Natashas Gesicht.
Es war unvorstellbar entstellt. Eines ihrer w\xF6lfisch glitzernden Augen lag schief in einer der H\xF6hlen, Fell wuchs in unregelm\xE4\xDFigen Abst\xE4nden auf ihrer Haut. Ihre Z\xE4hne waren verunstaltete Rei\xDFer. Ihre H\xE4nde! Sie erschienen wie verkr\xFCppelte Wolfspfoten. Ihre blonden Haare klebten wirr an ihrem mutierten Kopf.
Was hatte sie mit sich angestellt? Was f\xFCr Experimente hatten ihren K\xF6rper und ihren Geist, die einst so strahlend hell geleuchtet hatten so verkommen lassen? War sie noch ein menschliches Wesen?
War er, David, jemals eines gewesen? Er hatte selbst die schrecklichsten Versuche an lebenden Wesen durchgef\xFChrt. War er besser als sie?
"Ich kann es nicht mehr, David. Ich brauche deine Intelligenz, dein Genie. Ich habe es versucht zu steuern, aber es gelingt nicht. Nicht einmal die Agenten waren l\xE4nger als einige Wochen lebensf\xE4hig, ihre K\xF6rper stiessen die Wolfszellen zu schnell wieder ab. Aber ... aber ich musste sie hinter dir her schicken. Niemand ausser mir darf von deiner Perfektion wissen. Niemand!"
Davids Augen suchten nach der anderen Gestalt. Er wusste, wer es war.
Christine.
"Gl\xFCcklicherweise versagten meine beiden J\xE4ger, so dass sich mir nun die M\xF6glichkeit ergibt, dich noch einmal genauestens zu untersuchen ... sie, unsere Auftraggeber, schlie\xDFen den Forschungskomplex. Das d\xFCrfen sie nicht! Du musst mir die Gabe wiedergeben! Lass mich die Menschen verwandeln! Lass mich erfahren, warum dein K\xF6rper den Geist des Wolfes annahm, warum du die Transformation zur Perfektion f\xFChrtest!" Natashas Stimme klang schrill und unbeherrscht.
David versuchte Christine, die unbewegt neben Natasha stand, zu erkennen. War es Fell, das er sah? Waren es die spitzen Ohren eines Wolfs?
"Ich habe es sogar mit deiner Freundin versucht. Vieleicht, so dachte ich, h\xE4ttest du sie als kompatible Partnerin erw\xE4hlt? Aber sie ist misslungen wie all meine anderen Versuche. Misslungen! Sie ist nicht einmal ein Spiegelbild deiner w\xF6lfischen Sch\xF6nheit!"
David konnte pl\xF6tzlich den Geruch Christines sehr deutlich wahrnehmen. Angst. Verletztheit. Hass.
Was hatte Natasha ihr angetan? Sie hatte doch nichts mit der Sache zu tun!
Hatte Natasha David durch sie bestechen wollen? Hatte sie Davids Gef\xE4hrtin einfach nur entstellen wollen aus Rache f\xFCr seine fr\xFCheren Vergehen? F\xFCr seine Bordelltouren? F\xFCr das, was er nun war?
"Ich muss es wissen, David! Sag es mir! Wir haben viele Tage lang versucht, deine Wunden zu heilen, aber sie wollen sich nicht schliessen! Wir verlieren dich! Ich verliere dich ... dein Wissen! Ich will wieder die Gabe besitzen!" Natasha schrie nun und dieses Schreien ging in ein Heulen \xFCber. Sie krallte ihre Klauen in sein Fell. Sie durchbohrte seine Haut, riss tiefe Wunden. Sie br\xFCllte. Ihr Geist zerbrach.
David schrie vor Schmerz. Sein Leben str\xF6mte blutig aus ihm heraus.
Natasha schrie vor Hass und Verzweiflung. Das Tier, welches sie scheinbar immer hatte sein wollten, vernichtete ihren Geist und brach an die Oberfl\xE4che.
Konnte sie durch sein Wissen wirklich weitere erfolgreiche Verwandlungen durchf\xFChren?. Zu welchem Zweck? Wer verlangte so etwas? War es allein ihre Bessessenheit?
Natashas Krallen bohrten sich tief in Davids Fleisch. Er sp\xFCrte seine inneren Organe reissen. Blut sprudelte aus den tiefen Wunden. Er schrie vor Schmerz.
In diesem Augenblick bewegte sich Christine. Sie knurrte und sprang seitlich auf Natasha zu, riss diese dabei zu Boden.
David konnte nichts erkennen, aber er h\xF6rte das Rei\xDFen von Klauen, die durch Fleisch schnitten. Er h\xF6rte Rei\xDFz\xE4hne auf Knochen treffen. Er h\xF6rte das Br\xFCllen, Knurren und Jaulen von Natasha und Christine.
Sein Leben endete. Er sp\xFCrte es. Es sprudelte rot und warm aus seinem K\xF6rper.
Stille kehrte in dem Raum ein.
Die Welt verschloss sich um David.
Pl\xF6tzlich eine Ber\xFChrung. Eine sanfte Klaue. Verdreht und missgestaltet. Christine.
Sie stand neben ihm, stank nach Blut. Ihre eigenen Wunden waren tief. T\xF6dlich.
David versuchte Natasha zu wittern, aber blutige Schatten legten sich \xFCber seine Augen. "Sie ist tot. Nie wieder wird sie irgend einem Wesen ein Leid antun."
Christine streichelte sanft durch Davids Fell.
"Nie wieder Leid, David. Nie wieder...."
Mit diesen Worten brach sie zusammen, als das Leben aus ihr wich.
Davids Augen schlossen sich.
Seine Flucht war beendet.
Er tat einen letzten Atemzug.
Dann fiel eine kalte Stille \xFCber den Raum.

ENDE.