"Das Zweite Buch der Welten - Was im Verborgenen
liegt..."
von Jaquimo Talaan
letzte Änderung: 14.04.2003 (sprachliche \xC4nderungen +
Rechtschreibkorrekturen)
"Das Zweite Buch der Welten" and contained characters \xA9 2001-2003 by
Christoph G\xFCnther.
Verwendung, \xC4nderung und kommerzieller Vertrieb nur
mit meinem persönlichem Einverständnis. Dies gilt explizit
(aber nicht nur) für die Charaktere Jaquimo Talaan, Ginuthal,
Kirra, Jairree und Loma, an denen mein Herz hängt.
Ich habe eine Menge Arbeit in die Geschichte(n) gesteckt, auch
wenn es mir Spaß gemacht hat. Wenn Du Zeit und Lust hast,
schreib mir eine Email, ob Du die Geschichte mochtest oder nicht.
Ich bin für jegliche ernstgemeinte Form von Kritik und/oder
Lobeshymnen ;) zu haben.
Email an *
* aus Spam-Gr\xFCnden nur als Bild zum abtippen, sorry
Und jetzt viel Spaß mit dem dritten
Teil.
Die Sonne, die hoch über ihnen am Himmel stand, brannte gnadenlos
auf sie hinab. Die Luft verschwamm in einiger Entfernung zu einem
wabernden Flimmern. Das einzig nahezu Klare in Sichtweite war
die mächtige Stadtmauer von Tullma. Den MaKri in seinem Gefolge
machte die Hitze offenbar nichts aus, aber Talaan schwitzte unertr\xE4glich. Er wischte sich die dicke Schweißschicht
von der Stirn und nahm einen tiefen Schluck aus dem Wasserschlauch.
Stumm verfluchte er seine menschliche Gestalt.
Kirra sah ihn zweifelnd an. "Hältst du das wirklich
für eine Gute Idee? Du schwitzt dich ja beinahe zu Tode. Ich
bin ohnehin sicher, dass die Menschen nur MaKri erwarten. Noch
hast du Zeit, dich zurückzuverwandeln."
Talaan schüttelte leicht den Kopf. Die Verlockung war groß.
Vor zwanzig Tagen hatten sie sich auf den weiten Weg durch die
Savanne gemacht, er damals noch in seiner wahren Gestalt. Doch
als Reshero am fünfzehnten Tag ihrer Reise darauf hinwies,
dass sie bald auf die ersten menschlichen Siedlungen treffen würden,
konnte er seine Verwandlung nicht mehr hinauszögern.
"Es ist der bessere Weg, glaube ich. Den Menschen wird es
leichter fallen, sich mit uns zu einigen, wenn sie ein bekanntes
Gesicht vor Augen haben. Sie werden hoffentlich denken, dass ich
auch ein wenig ihre Interessen vertreten werde."
Er versuchte, die Entfernung zur Stadt abzuschätzen. Nicht
mehr weit, vielleicht eine Meile. "Und du weißt ja,
wie die Menschen in dem Dorf auf euch reagiert haben. Es wird
gut sein, wenn ein Mensch dabei ist, um die Menschen zu beruhigen."
Das Dorf, durch das die MaKri vorgestern gekommen waren, war eine
arme Bauernsiedlung, in der einige Familien lebten und Rinder
züchteten. Als sie auf den ersten Einwohner getroffen waren,
hatte er erschrocken die Augen aufgerissen, sich umgedreht und
war schreiend davongestürzt. Diese Szene wiederholte sich ähnlich zwei weitere Male und dann war das Dorf wie ausgestorben.
Einmal hatten sie noch ein Augenpaar erblickt, das aus einem Türspalt
spähte.
"Verhalten sich Menschen eigentlich immer so?"
Die Frage Kirras galt Reshero, doch der hob abwehrend die Hände.
"Mein Kind, die wenigen Bücher, die es über die
Menschen gibt, berichten nur über die Geschichte ihrer Kultur
und enthalten hier und da einige Landkarten, aber ihre Bräuche
sind selbst mir zum Großteil fremd."
"Sie hatten Angst.", stellte Rerrena fest. "Vor
uns. So wie diese armen Bauern uns angesehen haben, könnte
man meinen, sie hätten einen Blick in die unteren Höllen
getan."
"Dann bleibt nur zu hoffen, dass nicht alle so auf uns reagieren,
sonst dürften die Verhandlungen schwierig werden.",
brummte Tonri.
"Bald werden wir es wissen...", meinte Talaan und blickte
dabei in Richtung Stadttor. "Macht euch bereit und setzt
euer gewinnenstes Lächeln auf. Ab jetzt wird jedem Zucken
unserer Ohren eine Bedeutung beigemessen werden. Ich hatte noch
nie das Vergnügen mit einem König zu sprechen, aber
so wie sich die Menschen bei uns im Dschungel aufgeführt
haben, werden wir bei ihm rehgleich vorsichtig sein müssen."
Das östliche Tor Tullmas stand weit offen, doch nur Wenige
durchschritten es. In Richtung Osten lag nichts, was eine größere
Bedeutung für die Menschen hatte. Zwei Wachen, die mit Hellebarden
und einem eisernen Brustharnisch bewaffnet waren, versteiften
sich, als sich die Gruppe näherte. Sie nahmen stramme Haltung
an, als Talaan vor ihnen zu stehen kam, wirkten aber weiterhin
kampfbereit.
"Seid gegrüßt, Soldaten." Talaan deutete
ein Nicken an. "Wir sind die diplomatischen Abgesandten des
Volkes der MaKri. König Mohab erwartet uns."
Der rechte Soldat, ein älterer Mann, neigte zackig sein Haupt
und hob es auf die gleiche Weise wieder. "Seid willkommen,
ehrwürdige MaKri, guter Herr... Der König, möge
seine Herrschaft lange währen, teilte uns bereits mit, dass
ihr eintreffen würdet. Aber es war nur von MaKri die Rede,
guter Herr."
Daraufhin meldete sich Reshero zu Wort, nachdem Talaan das Gesprochene
übersetzt hatte. In seiner silberweißen Robe und seinem
vom Alter leicht ergrauten Fell wirkte er ganz wie der erhabene Würdenträger,
der er war. "Ich darf euch versichern, dass dieser junge
Mann hier ein Abgesandter der Ältesten ist und für unsere
Verhandlungen unabkömmlich sein wird."
Talaan übersetzte seine Worte und die Wache nickte verstehend.
"Natürlich, natürlich. Ich wollte euch nicht beleidigen,
guter Herr. Bitte folgt mir, ich werde euch zum Palast bringen."
Und zu dem Anderen zischte er: "Beweg dich endlich und gib
Bescheid." Die zweite Wache salutierte kurz und rannte davon.
"Ihr müsst uns verzeihen, aber wir wussten nicht, wann Ihr eintreffen würdet. Es ist so gut wie nichts für
Euren Empfang vorbereitet."
"Wir sind auch nicht hergekommen, um ein Bad in der Menge
zu nehmen.", erwiderte Talaan. In Wirklichkeit hatte er den
Eindruck, dass Mohab absichtlich auf einen größeren
Empfang verzichtet hatte. Sie sollten sich wohl nicht zu bedeutsam f\xFChlen. Das
war Martens erster diplomatischer Winkelzug.
Als sie die breiten Straßen Tullmas entlanggingen, gerieten
sie ins Staunen. Die Gebäude bestanden alle aus sandfarbenen,
großen Steinblöcken, die meisterhaft verarbeitet zu sein schienen. Jedes hatte mindestens drei Stockwerke und große,
geschwungene Fensteröffnung gaben ihnen ein luftiges, einladendes
Aussehen. Die Straßen boten viel Platz, breite Treppen führten
zu Plateaus hinauf, auf denen wieder Häuser standen. Überall
gab es Grünpflanzen, schattenspendende Palmen und kleine
Wasserbecken.
"Das ist unglaublich.", hauchte Kirra ehrfurchtsvoll.
Sie sah sich mit großen Augen um. Selbst auf Talaan, der
natürlich bereits große Städte gesehen hatte,
wirkte Tullma beeindruckend. Wie musste das alles hier erst auf die
MaKri wirken? In dem Bauerndorf hatten sie zum ersten Mal überhaupt
Bauten aus Stein gesehen.
Mit der Zeit versammelten sich Leute auf der Straße und
starrten die Gruppe an. Talaan nickte einigen von ihnen lächelnd
zu und erntete größtenteils nur furchtsame Blicke.
Ein Murmeln machte sich breit, als die Zuschauer untereinander
zu tuscheln begannen.
"Yanni!", schrie auf einmal eine Frau entsetzt. Talaan
sah in ihre Richtung und entdeckte ein kleines Mädchen, vielleicht
fünf Jahre alt, dass auf ihn und die MaKri zugerannt kam.
Vor Kirra blieb es stehen und blickte mit großen, dunklen
Augen zu ihr auf. Kirra schmunzelte und das Kind begann ebenfalls
verhalten zu lächeln. Yannis Mutter blieb hin und hergerissen
ein paar Schritte entfernt stehen, wrang ihre Hände und sah
voller Angst zu ihrer Tochter.
"Bist du einer von den Dämonen, von denen Papa immer
erzählt?", fragte die Kleine. Kirra ging vor ihr in
die Hocke und stupste mit ihrer Schwanzspitze an die Nase des
Kindes. Yanni lachte begeistert und stupste mit einem Zeigefinger
zurück. "Glaubst du denn, dass ich ein Dämon bin?",
übersetzte Talaan Kirras Antwort.
Yanni schüttelte energisch mit dem Kopf. "Nein. Du bist
nett." Sie winkte mit ihrer Hand und rannte zu ihrer Mutter
zurück, die sich sichtlich entspannt hatte.
Talaan beugte sich zu Kirra hinunter. "Du hast eben den ersten
Menschen für uns gewonnen, Geliebte. Und noch mehr."
Tatsächlich sahen jetzt einige der Menschen nicht mehr so
verängstigt aus oder lächelten sogar zaghaft.
Kirra stand auf und sah dem Kind lächelnd nach. "Wenn
ich bedenke, dass ich Menschen einmal für Dämonen gehalten
habe..." Sie schüttelte den Kopf. Tonri brummte zustimmend.
Talaan wandte sich verwundert zu ihm um. "Du bist mitgekommen,
obwohl du die Menschen für böse Wesen gehalten hast?"
Der Schamane zuckte mit den Achseln. "Wenn es nötig
ist, verhandle ich mit dem Höllenfürsten persönlich,
um unser Volk zu retten."
"Soweit dürfte es nicht kommen.", erwiderte Talaan
und ging weiter in Richtung des Palastes. Die Verantwortung, die
auf seinen Schultern lastete, wurde mit jedem Schritt schwerer.
Die Bürger der Stadt zählten nicht wirklich. Es galt
vor allem den König zu überzeugen.
Wie unrecht er mit dieser Annahme hatte, sollte sich bald herausstellen.
Die Tür zum Thronsaal war protziger, als alles, was Talaan je in seinen Leben gesehen hatte. Sie bestand aus zwei riesigen Hälften,
die je gute fünf Meter breit waren und ebenso hoch zur Decke
ragten. Die Oberfläche der Tür musste wohl mit Gold
bedeckt sein, doch bei all den Edelsteinen, die in kunstvollen
Mustern ein wahres Mosaik bildeten, konnte er sich da nicht sicher
sein. Dieses... Tor sollte wohl jedem eintretenden Besucher den
unglaublichen Reichtum des Herrschers beweisen, aber Talaan konnte nur traurig
den Kopf sch\xFCttel. Diese armen Bauern, durch
deren Dorf sie gekommen waren, würden mit einem Bruchteil
dieser Edelsteine ein Leben lang satt und anständig leben
können.
Ein schallender Gongschlag ertönte, und die Tür schwang
gemächlich auf. Sie gab den Blick auf einen riesigen, ovalen
Saal frei, an dessen anderem Ende in vielleicht hundertfünfzig
Schritt Entfernung der Thron des Königs auf einem Podest
aus Marmor stand. Die Decke wölbte sich zu einer mit Silberornamenten
ausgelegten Kuppel.
Ein Diener, der direkt am Eingang stand, ließ mit lauter
Stimme vernehmen: "Seine allmächtige Majestät,
der Herrscher des Vereinigten Muronischen Reiches, Mohab der Fünfte,
Sohn des Mohab, gewährt diesen Unterhändlern des Volkes
der MaKri die Ehre eines Empfangs!"
Der Mann, der auf dem Thron saß, ließ sich zu einem
gnädigen Nicken herab. Der Gong wurde erneut geschlagen und
der Vasall fuhr fort: "Majestät, vor euer Antlitz treten
nun der Abgesandte Jaquimo Talaan, seine persönliche Beraterin Kirra, der Schriftgelehrte Reshero, Schamane Tonri, Maigan Sorral
und Rerrena, Expertin für das Östliche Orakel."
Das Östliche Orakel?, wunderte sich Talaan,
während sich die Unterhändler in angemessenem Schritt
dem König näherten. Diese Information konnte nützlich
sein. Rerrenas Augen hatten angefangen zu leuchten, als sie es
vernommen hatte. Also war das auch für sie etwas Neues.
Am Thron angekommen verneigten sich alle auf respektvolle Weise.
"Es ist uns eine Ehre, Hoheit. Wir freuen uns über die
Gastfreundschaft, die uns zuteil wird und hoffen auf fruchtbare
Verhandlungen."
Talaan fixierte den König genauer. Er war vielleicht vierzig
Jahre alt, wirkte sehr reserviert und hatte harte Gesichtszüge.
Als er erneut gnädig lächelnd den Kopf neigte, erreichte
dieses Lächeln seine Augen nicht. Sie waren kalt und musterten
sie alle abschätzend.
Zu beiden Seiten standen zwei Männer, die in ihren eher schlicht
bestickten Roben einen religiösen Eindruck machten. Sie wirkten
in sich ruhend und intelligent. Im Hintergrund stand ein Mann, dessen
Gesicht Talaan nicht erkennen konnte, da es im Schatten einer
Kapuze verborgen lag. Bei dieser Hitze eine Kutte mit Kapuze zu
tragen war absurd und Talaan wurde den Eindruck nicht los, dass
dieser Mann ihn unentwegt anstarrte.
"Lasst Euch versichern, dass die Freude auch auf meiner Seite
liegt." Der Tonfall des Königs war gekünstelt warm
und gleichzeitig kalkulierend. Seine Blicke
ruhten auf Sorral. "Sieh an, ein Maigan. Wie ich hörte
gab es lange keinen mehr bei eurem Volk. Worin liegt eure 'Gabe'?"
Talaan übersetzte und Sorral neigte erneut sein Haupt, bevor
er antwortete. "Ich vermag die Kraft von Blitzen zu lenken, Eure Hoheit."
Mohab nahm das gelassen hin. Ein leicht ver\xE4chtlich Lächeln
lag auf seinen Lippen, seine Augen blieben weiterhin kalt. "So,
so." Dieser Mann ist gefährlich., dachte Talaan
abschätzend. Die Verhandlungen würden nicht leicht werden.
"Es wird Euch doch nicht stören, dass ich meine eigenen
Mystiker um mich versammelt habe. Ich will Euch nicht unterstellen,
dass Ihr vorhabt mich anzugreifen, aber ich ziehe es stets vor,
auf der sicheren Seite zu stehen."
Der Blick Mohabs wanderte zu Rerrena. "Es freut mich, endlich
eine Expertin des Östlichen Orakels kennen zu lernen. Bedan,
einer meiner Gelehrten, wird bestimmt ausgedehnte Gespräche
über dieses Thema mit Euch führen wollen." Während
er das sagte, glomm gut versteckt eine gewisse Gier in den Augen
des Herrschers. Er schien zu versuchen, Rerrenas Wissen in Gold
abzuwiegen.
"Und warum seit Ihr hier, Schamane Tonri?", fuhr er
mit seiner Befragung fort.
Tonri erwiderte ohne Zögern: "Ich will gewährleisten,
dass die Geister unserer Ahnen uns während der Verhandlungen
wohl gesonnen sind, Majestät." Das war eine glatte Lüge.
Die Geister der Ahnen hatten kein Interesse mehr am Diesseits.
Tonri war hier, um seine Geistesbrüder im Dschungel über
die Verhandlungen auf dem Laufenden zu halten. Und sollte er sich
nicht mindestens alle drei Tage melden, wären die MaKri
vorgewarnt, dass die Abgesandten nicht überlebt hatten und
es Krieg geben würde.
Doch Mohab nickte nur bedächtig, wieder unscheinbar geringsch\xE4tzig lächelnd. Er hielt nicht viel von der primitiven Kultur der
MaKri, soviel stand fest. Nun wandte er sich Kirra zu.
"Ein wenig verwundert bin ich allerdings über Eure Anwesenheit,
Kirra. Ihr scheint wahrlich nicht alt genug, um eine Beraterin
bei solch bedeutsamen Verhandlungen zu sein."
Der Mann mit der weißen Kapuzenrobe beugte sich vor und
flüsterte Mohab etwas ins Ohr. Der König hob erstaunt
die Augenbrauen und sah abwechselnd Talaan und Kirra an. "Ihr seid verheiratet?"
Talaan versuchte, den Schatten der Kapuze zu durchdringen. Der Fremde musste eine scharfe Beobachtungsgabe
haben, um so schnell herauszufinden, wie Talaan zu Kirra stand.
"So ist es, Eure Majestät. Aber nicht nur aus diesem
Grunde ist Kirra hier. Sie wird mir eine große Hilfe sein,
da bin ich sicher."
Mohab musterte ihn abschätzend. "Ich bin überrascht,
dass ein Mensch auf Seiten der MaKri an den Verhandlungen teilnimmt.
Und dazu noch ein solch junger. Sicherlich werdet Ihr nur als Übersetzer
tätig sein."
"Im Gegenteil, Hoheit. Ich werde diese Verhandlungen leiten.
Meine Anwesenheit und das Vertrauen meines Volkes in mich sollen
beweisen, dass die Unterschiede zwischen unseren Rassen nicht
unüberwindbar sind."
Bei diesen Worten versteifte sich der Mann in der weißen
Robe. Rasch trat er wieder vor und flüsterte Mohab etwas
zu. Die Augen des Königs verengten sich kaum merklich und
sein Blick schien Talaan zu durchbohren. Dann beriet er sich eine
ganze Weile murmelnd mit dem Unbekannten.
Schließlich sagte er mit kalter Stimme: "Ich schätze
es nicht, wenn Verhandlungspartner Geheimnisse voreinander haben,
Jaquimo Talaan. Ihr seid mehr, als es den Anschein hat. Ihr seid
auch ein Mystiker?"
Diesmal war Talaan es, der sich versteifte. Wer war dieser verdammte
Fremde? Er schien jedes Geheimnis über ihn zu kennen. Konnte er vielleicht
seine Gedanken lesen? "So ist es, Majestät. Ich habe es nicht
erwähnt, da ich es für bedeutungslos hielt. Ich bin
hier um zu verhandeln, und meine Fähigkeiten sind ohne mein
Zauberbuch ohnehin nur sehr bescheiden."
Diese Worte schienen Mohab nicht im Geringsten zu beruhigen. Talaan
ging in die Offensive über. "Da es keine Geheimnisse
zwischen uns geben soll, würde ich gerne erfahren, wer Euer
Berater ist, Majestät. Er scheint mich zu kennen, auch wenn
ich mir nicht vorstellen kann, woher."
Mohab nickte dem Mann in der weißen Robe zu.
"Erkennst du einen alten Freund nicht wieder, Talaan?"
Ein unheimlicher Schauer lief Talaans Rücken hinunter. Er
kannte diese Stimme! Der Fremde trat vor und griff mit
einer übertrieben dramatischen Geste nach seiner Kapuze.
Langsam zog er sie zurück und Talaans Herz gefror.
Wie konnte das sein? Wie konnte dieses... dieses unmenschliche
Ding ihm über den Tod hinaus folgen? Schwach hauchte er seinen
Namen: "Marten."
Marten verneigte sich spöttisch. Auch wenn es nach purer
Höflichkeit aussah, konnte es nur Spott sein. "Du weißt
gar nicht, wie sehr es mich freut, dich wiederzusehen, Jaquimo."
Mohab wedelte Marten ungehalten mit der Hand fort und Marten verneigte
sich erneut, nicht weniger spöttisch, da war Talaan sicher.
Jetzt wusste er, wer der wahre Gegner bei den Verhandlungen sein
würde.
"Also kennt Ihr Euch.", stellte Mohab mit einem nebensächlichen
Tonfall fest. "Und Ihr seid Freunde?"
Marten funkelte Talaan herausfordernd an. Seine Augen sprachen
Bände von Hohn und Arroganz. "Man könnte sogar
sagen, ich habe aus ihm gemacht, was er jetzt ist, Majestät.
Aber unsere Freundschaft wird meiner Loyalität zu Euch nicht
im Wege stehen."
"Könnt Ihr dasselbe von Euch behaupten?", hakte
Mohab nach.
Talaan musste sich zusammennehmen, um keinen Feuerball in
Martens grinsendes Gesicht zu schleudern. Seine Zeit würde
vielleicht noch kommen. Solange die Verhandlungen andauerten,
würde Marten am Leben bleiben. "Ich werde meine Beziehung
zu ihm außer Acht lassen, Majestät. Meine Loyalität
gilt den MaKri."
"Gut, gut.", winkte der König ab und wirkte auf
einmal ziemlich desinteressiert. "Dann werden die Verhandlungen
morgen zur zweiten Nachmittagsstunde beginnen. Fühlt euch
derweilen in meinem Palast willkommen."
Die Abgesandten verabschiedeten sich der Reihe nach und zogen
sich dann zurück. Während sie durch den Saal schritten,
konnte Talaan deutlich Martens Blicke auf seinem Rücken spüren.
Kirra flüsterte ihm zu: "Du siehst aus, als hättest
du einen Geist gesehen. Wer ist das?"
"Wir haben die Verhandlungen so gut wie verloren, wenn wir
diesem Mann nicht die Zügel aus der Hand nehmen. Er ist ein
Schlächter. Er war es, der mich in meinem letzten Leben getötet
hat."
Talaan ging unruhig in dem großen Raum auf und ab, der alle
Zimmer der MaKri miteinander verband. Die "Diplomatengemächer",
wie sie einer der Diener genannt hatte, bildeten eigentlich einen
eigenen Flügel in dem riesigen Gebäude. Wie überall
im Palast herrschte auch hier überdeutlicher Reichtum vor.
Weiche, vollendet gefertigte Teppiche bedeckten den ganzen Boden,
Bahnen aus Samt oder einem dem Samt \xE4hnlichem Stoff bedeckte die Wände
und durchscheinende Vorhänge wiegten sich träge im leichten
Wind, der den Palasthügel umstrich. Mohab hatte, offenbar
um ihnen zu schmeicheln, dem
Inventar des Zimmers ein paar Tische von MaKri-Handwerk hinzugefügt. In all dem Pomp wirkten
die eher schlichten, wenn auch meisterhaft verarbeiteten Möbel
eher fehl am Platz.
Doch all das sah Talaan nicht wirklich. Seine Gedanken drehten
sich. Die Verhandlungen konnten an Marten scheitern und er konnte
Marten nicht ausschalten, ohne die Verhandlungen zunichte zu machen.
Und wie kam er hierher? Was wollte er? War es ein Fehler gewesen,
ihm in der Gestalt seines alten Ichs gegenüberzutreten, oder
war es ein Vorteil, vor Marten seine MaKri-Form und seine neuen
Fähigkeiten verborgen zu halten?
Zumindest würde Marten ihn nicht sofort wieder töten
können, auch er war gegenüber Mohab an eine erfolgreiche
Einigung zwischen MaKri und Menschen gebunden. So hoffte Talaan
zumindest.
Die MaKri saßen auf den Liegen des Vorzimmers und folgten
ihm stumm mit ihren Blicken. Wenigstens musste er seine Entscheidungen
nicht alleine treffen. Dazu waren sie hier.
"Welchen Eindruck habt ihr gewonnen?", fragte Talaan
schließlich.
Rerrena meldete sich als Erste zu Wort. "Ich habe nun keine
Erfahrung mit menschlicher Mimik, aber die Art, wie Mohab mich
angesehen hat, behagt mir nicht. Er will das Orakel haben, oder
soviel wie er von ihm haben kann."
Reshero blickte von einem Buch auf, in dem er Notizen machte,
und nickte zustimmend. "Leute wie er sind der Grund dafür,
dass wir vor vielen Jahrhunderten die Ältestenräte ins
Leben gerufen haben. Mohab hat zuviel Macht und noch mehr Gold
und er ist sich dessen durchaus bewusst. Er wird uns bei den Verhandlungen
nichts schenken.
Ist euch aufgefallen, dass er mich als einzigen nicht beachtet
hat? Ich bin nicht eitel, deswegen sage ich das nicht, aber er
sieht in mir weder eine Gefahr noch einen Wert. Er hat uns alle
geschätzt und abgewogen. Und so wie ich das sehe, hält
er sich für die einzig wahre Macht in tausend Meilen Umkreis."
Tonri blickte ärgerlich drein. "Seine Reaktion über
meine Fähigkeit mit den Geistern unsrer Ahnen sprechen zu
können, war nur all zu deutlich. Er hält uns für
rückständig, dabei sind es er und sein Volk, welche
die Augen vor dem Jenseits verschließen." Seine Worte
waren nur ein verärgertes Brummen.
"Diese ,Mystiker' waren reine Provokation.", fügte
Sorral hinzu. "Mohab sollte wissen, dass wir keinen Anschlag
auf ihn planen. Wir sind schließlich MaKri und ein Mord
würde unsere Probleme nur verdoppeln. Er hat seine Hexer
nur herbeigerufen um uns zu zeigen, dass er alles besser bieten
kann, was wir zu leisten vermögen. Deshalb auch der Hinweis
auf Belan, einen seiner Gelehrten. "
"Der ganze Thronsaal dient diesem Zweck.", warf Reshero
ein und kritzelte irgend etwas in sein Buch. "Ich könnte
Tage damit verbringen die Statuen, Mosaike und Wandbehänge
zu studieren. Er scheint sich sehr auf das zu verlassen, was andere
Leute für ihn tun. Deswegen ist er hart. Wenn diese Menschen
seiner Kontrolle entgleiten, kann er selbst nichts mehr leisten."
"Was mich auf seinen Berater bringt. Wer ist eigentlich dieser
Marten, den du zu kennen scheinst?", fragte Tonri beiläufig.
"Und wieso kennt er deine Menschliche Gestalt, wenn du sie
erst durch die Erste Schrift des Orakels erlangtest?"
Talaan hielt in seiner Wanderung inne und sah den alten Schamanen
düster an. Die Frage, die er am wenigsten hören wollte.
"Du musst es ihnen sagen.", beschwor ihn Kirra mit sanfter
Stimme. "Selbst ich weiß noch nicht alles."
Betrübt nickte er. Sie hatte natürlich Recht. Marten
war der wahre Gegner. Um ihn im Zaum zu halten, mussten die anderen
einfach im Bilde sein. Mit einem mal war Talaan das Zentrum
ihrer Aufmerksamkeit.
"Es gibt da etwas über mich, von dem ihr keine Ahnung
habt.", begann er also. "Wie ihr, vor allem Tonri, wisst,
bin ich vor einiger Zeit wie aus dem Nichts in der Großen
Stadt aufgetaucht. Ich habe euch alle glauben lassen, dass ich
weit aus dem Norden stamme, doch dass ist nicht die Wahrheit."
Die versammelten MaKri, außer Kirra, warfen sich überraschte
Blicke zu.
"Ich weiß nicht genau, wie ich es in Worte fassen soll,
aber..." Er wusste es tatsächlich nicht. Dieses Wandeln
zwischen den Welten war ihm selbst ein Rätsel. "Dieses
Leben, dass ich lebe, ist nicht mein erstes. In jedem neuen erwache
ich einfach an einem fremden Ort in einer anderen Welt und in
einer neuen Gestalt."
Die Kri fingen alle an, wild durcheinander zu reden. Selbst Tonri,
den Talaan noch nie anders als besonnen erlebt hatte, wirkte aufgeregt.
Talaan hob abwehrend die Hände und versuchte sie zu beruhigen.
"Lasst mich bitte ausreden, meine Freunde. Ich bereue es ehrlichen Herzens, dass ich euch angelogen habe, aber bei meiner Vergangenheit
versteht ihr das vielleicht. Hätten die MaKri mich ausgestoßen,
hätte ich nur noch zu den Menschen gehen können..."
"Es war deine Bestimmung, zu uns zu kommen, Talaan.",
sagte Tonri ernst. "Die Erste Schrift mit dem Wandlungszauber
beweist es."
Talaan nickte bedächtig. Daran hatte er noch gar nicht gedacht.
Er war wohl das einzige Wesen auf diesem Planeten, das diesen
Zauber hatte anwenden können.
"Worauf ich hinauswollte ist Folgendes: Der Übergang
von einer Welt in die andere scheint der Tod zu sein. Und Marten
kenne ich aus meinem letzten Leben. Er ist der Mann, der mich
dort getötet hat."
"Dann ist Marten so wie du.", schlussfolgerte Reshero.
"Marten ist nicht wie ich!", brauste Talaan auf.
"Dieser Mann ist ein Schlächter! Er hat Dutzende Menschen
auf dem Gewissen, die er nur getötet hat, um an mich heranzukommen!
Er hat eine dunkle Seele und ich weiß nicht einmal, was
er ist. Er bewegt sich mit unmenschlichem Geschick und unmöglicher
Geschwindigkeit. Wenn es auf der Welt Dämonen gibt, dann
ist er einer.
Er wusste über mich bescheid, über die Art meiner Existenz,
als selbst ich nicht einmal ahnte, was auf mich zukam. Nun ist
er hier, in dieser Welt und war nicht einen Deut überrascht
mich zu sehen."
Daraufhin folgte ein langes Schweigen. Jeder dachte über
das nach, was er gesagt hatte. "Was
sollen wir also tun?", fragte Kirra endlich.
"Marten ist nicht der König. Auch wenn er viel Einfluss
auf Mohab hat, so kann er uns doch nicht offen angreifen. Wenn
wir es schaffen, den König von unserem Standpunkt zu überzeugen,
kann uns der Frieden gelingen. Aber ich fürchte, Marten wird
jetzt um so entschlossener gegen ein Abkommen vorgehen, da ich
auf eurer Seite stehe."
Ein bedrücktes Schweigen machte sich breit. Talaans Gedanken
wirbelten umher. Marten, noch andere Orakel, ein gieriger und
harter König auf dem Thron der Menschen. Das waren zuviel
schlechte Neuigkeiten für einen Tag. Es musste doch einen
Ausweg geben! Doch gleich, wie sehr er grübelte, kam ihn nicht
eine brauchbare Idee.
"Was sollen wir jetzt also unternehmen?", brach Sorral
endlich die Stille.
"Die Verhandlungen haben noch nicht einmal richtig begonnen.
Der Empfang Mohabs war ein wenig kühl, aber vielleicht hat
das nichts zu bedeuten.", warf Kirra hoffnungsvoll ein. "Vielleicht
sind es ja auch nur die Unterschiede zwischen unseren Kulturen."
Wenn Martens Einfluss gering genug war, konnte das sogar stimmen.
"Das Orakel.", erinnerte Sorral düster und Rerrena
nickte zustimmend. "Es sagte, das Herz unseres Feindes sei
verdorben von Bosheit." Die anderen stimmten zu.
"Aber wer ist unser Feind?", fragte Talaan bedächtig.
Diese Frage hatte er sich als Vertreter der MaKri, nicht als Martens
Gegner immer wieder gestellt, seit er Marten gegenübergestanden
hatte. Die Gier in Mohabs Augen. War sie eingeflüstert oder
kam sie von ihm selbst?
"Bisher nahmen wir an, dass es der Führer der Menschen
sei.", grübelte Rerrena mehr zu sich selbst gewandt.
"Ich bin nie auf die Idee gekommen die Worte des Orakels
anders zu interpretieren."
"Ihr habt es nicht gefragt?" Talaan konnte es nicht
glauben. Er erntete nur ein mehrköpfiges, betretenes Kopfschütteln.
Wieso sollten sie auch. Marten war vollkommen unerwartet hier.
Er gehörte nicht in diese Welt.
"Aber in einem Punkt hat Kirra recht.", begann Talaan
seine Erläuterung. "Es gibt einen kulturellen Unterschied,
der für die Verhandlungen essenziell wichtig ist.
Was mir an den MaKri am besten gefiel, als ich sie kennen lernte,
war ihre Direktheit. Wenn ihr etwas braucht, sagt ihr es. Wenn
ihr etwas entbehren könnt, auch. Keiner versucht den anderen
bei Geschäften hereinzulegen."
Er wiegte den Kopf bedachtsam hin und her. Genau diese Vorzüge
würden jetzt ein Problem darstellen. Wie sollten sie willk\xFCrlich lernen zu... wie hatte er das in seinem ersten Leben genannt...
zu pokern. Aber sie mussten es lernen.
"Die Menschen, und allen voran solche, die Türen aus
Gold und Edelsteinen haben, sehen in solcher Ehrlichkeit nur eine Schw\xE4che.
Sie versuchen stets den größtmöglichen Vorteil
für sich zu erlangen, auf Kosten von Anderen. Sie nutzen
das Feilschen, Winkelzüge und Intrigen, um ihr Ziel zu erreichen.
Versteht ihr das?"
Dem Ausdruck auf ihren Gesichtern zu Folge war es nicht so. Also
versuchte Talaan, es ihnen so gut wie möglich zu erklären.
Doch viele Dinge passten nicht in den von Ehrlichkeit geprägten
Verstand der MaKri.
Sie redeten noch eine Weile über die Verhandlungen, kamen
aber weder zu neuen Erkenntnissen, noch hatte Talaan den Eindruck,
dass sie seine Belehrungen über menschliches Verhalten wirklich mit dem
Herzen annahmen. Es spielte hoffentlich keine Rolle. Er würde schließlich die
Verhandlungen führen.
Sie saßen sich am Verhandlungstisch gegenüber und lächelten
sich an, als wären sie gute Freunde oder wohlwollende Bekannte.
Zumindest bei den MaKri war es ehrlich gemeint.
Der Tisch selbst war ein großes Unget\xFCm, über und über
mit Schnitzereien versehen, das einen beachtlichen Abstand zwischen
die beiden Gruppen brachte. Auf Seite der Menschen hatten Mohab
persönlich, zu seiner Rechten Marten und etliche Schriftgelehrte
platzgenommen. Zu seiner Linken saßen die Mystiker, heute
waren es vier, die Talaan und Sorral nicht aus den Augen ließen.
Vor den Menschen verteilt stapelten sich alte Bücher und
Landkarten. Auf der Seite der Kri wirkten die wenigen Bücher
und Karten, welche Rerrena und Reshero mitgebracht hatten, wie
verloren. Mohab hatte einmal mehr bewiesen, dass er von allem
mehr besaß.
"Ich hoffe, ihr hattet an eurer Unterbringung nichts auszusetzen,
werte Gäste.", begann Marten das Gespräch. Er strahlte
eine übernatürliche Freundlichkeit aus, die auf ihre
Weise erschreckend war. "Wenn doch, lässt sich bestimmt
etwas arrangieren."
Es gab tatsächlich etwas, das Talaan störte: die Soldaten,
die vor den Türen und Fenstern der Gemächer standen.
Aber Marten würde ihm darauf nur sagen, dass sie natürlich
nur dem Schutz der MaKri galten und selbstverständlich kein
Misstrauen gegenüber den Gesandten ausdrücken sollten.
Nachdem die Delegation ihren Dank geäußert hatten,
begannen endlich die Verhandlungen. Zu Talaans Erleichterung sprach
Mohab die meiste Zeit und Marten beschränkte sich auf ergänzende
Einwürfe.
Der König sprach jetzt wie zu Ebenbürtigen mit ihnen
und brachte nach und nach seine Anliegen vor, wobei er jedes kleine
Detail umschweifend anging, um das Gewicht seiner Bitten durch
schöne Worte zu maskieren. Hätte Talaan die Verhandlungen
nicht geleitet, wäre er bestimmt eingeschlafen.
Mohab wollte Zugang zu den Hallen des Lichts. In welchem Ausmaß?
Natürlich wollte er persönlich an der Weisheit des Orakels
teilhaben. Und nein, das allein würde ihm nicht genügen.
Seine Gelehrten wollten es eingehend studieren. Ob ihm ein ausführlicher
Gedankenaustausch zwischen den Gelehrten beider Völker nicht
ausreichen würde? Das wäre zwar ein Anfang, aber über
weiteres sollte dann später verhandelt werden.
Nun sah Talaan die Zeit gekommen, seinerseits ein paar Fragen
zu stellen. Wie stand es mit der Möglichkeit, dass MaKri
die anderen Orakel besuchten? Lagen sie im Reich Mohabs? Der König
erwiderte, das wäre selbstverständlich der Fall und
er wäre gerne bereit, später näher darauf einzugehen.
So ging es weiter. Bürger, die zum Orakel pilgerten, brauchten
Schutz durch Soldaten Mohabs. Natürlich vor den Gefahren
des Waldes, nicht etwa vor den MaKri. Wie viele Soldaten es sein
könnten, Proviant, Unterkunft, die Stärke der persönlichen
Leibgarde Mohabs und vieles mehr. Wie zufällig ließ
der König die Frage fallen, wie lang denn der Weg zum Orakel
wäre und ob er durch von den MaKri besiedelten Raum führen
sollte.
Hier blockte Talaan behutsam ab. Wo sich die Halle des Lichts
befand war das wertvollste Geheimnis der MaKri. Ein kleines Geplänkel
um Misstrauen und Vertrauen zwischen Verhandlungspartnern brach
aus und führte zu keinem Ergebnis. Mohab vertagte die Verhandlung
auf den nächsten Tag und ging.
Talaan war sicher, dass dies alles nur ein kalkuliertes Schauspiel
war. Mohab wusste genau, dass die MaKri den Standort des Orakels
nicht preisgeben konnten, solange noch die Möglichkeit eines
Krieges bestand.
Obwohl nur vier Stunden vergangen waren, fühlte sich Talaan
erschöpft. Die ganze Zeit über war er wachsam wie auf
der Jagd gewesen. Jede Geste, jedes Wort konnte eine Bedeutung
haben, die es zu erfassen galt.
Die anderen MaKri strebten zu den Quartieren zurück, aber
Talaan stand der Sinn mehr nach einem Spaziergang im Palastgarten.
Sein Kopf brummte und er sehnte sich nach Ruhe.
Der Garten des Königs war wirklich ein Wunder. Das hier gedeihende
Leben machte es in seiner Zahl und Vielfalt selbst dem Dschungel
streitig. So viele fremdartige und wunderschöne Blumen, Büsche
und winzig zarte Grünpflanzen hatte Talaan selbst in den
Blumenhainen der Elfen nicht gesehen.
Er fragte sich, ob Mohab diesem Garten Beachtung schenkte. Vorstellen
konnte es Talaan sich nicht so recht. Egal wo er hinblickte, sah
er eine Symphonie aus lebenden Farben und vollendeter Schönheit.
Das passte nicht zu dem riesigen, goldenen Tor im Thronsaal.
"Himmlisch, nicht war?", seufzte Marten übertrieben
hingebungsvoll und trat hinter einem Busch hervor, der an einer
Wegkreuzung wuchs. "Vierunddreißig Gärtner, wahre
Künstler ihres Faches, sind nötig, um dem ständigen
Verblühen, Sterben und Verfall entgegenzuwirken." Marten
kicherte, als kenne er einen besonderen Witz, den er loszuwerden
gedachte. "Dabei hat König Mohab diesen Garten nur anlegen
lassen, um seine wertvolleren Gäste zu beeindrucken. Welch
eine Schande."
Martens erneutes Kichern ließ Talaan schaudern. Es war nicht
das Lachen eines Irren, aber ein absurd fröhlicher Unterton
ging in diese Richtung.
"Warum gibst du dich mit derart vergänglichem Leben
ab, Talaan?" Martens Gesicht war mit einem Schlag ernst und
seine Augen funkelten hart. Vorsichtig ergriff er eine große,
dunkelrote Blüte und roch daran. "Es erlischt in einem
Wimpernschlag, gemessen an unser beider Leben." Mühelos
pflückte er die Blüte von ihrem Stängel und zerrieb
ihre Blätter zwischen den Fingern. "Es ist wertlos."
"Manchmal braucht es ein kurzes, intensives Leben, um Schönheit
hervorzubringen, Marten. Du solltest es verstehen, sieh dich an.",
erwiderte Talaan trocken.
Marten hob die Augenbrauen und zeigte sein falschestes Grinsen.
"Du bist immer noch zu Scherzen aufgelegt, Elfenfreund? Selbst
nachdem ich dich umgebracht habe?" Wie ein tadelnder Lehrer
schüttelte er den Kopf. "Ich frage mich, ob dir immer
noch danach zumute ist, wenn ich dir erzählt habe, welche
Konsequenzen dein Tod hatte.
Ein ganzes Dorf wurde durch meine Hand ausgelöscht. Schrecklich,
nicht war? Sie hatten keinen schnellen Tod, dessen kannst du gewiss
seien. Ich habe sie nur getötet, weil du nicht mehr da warst,
um mich aufzuhalten." Die Stimme des Mannes war kaltes Eis.
"Es ist deine Schuld, Jaquimo."
Talaan zweifelte nicht einen Augenblick an der Wahrheit über
die Gr\xE4ueltaten. Er hatte die anderen Opfer Martens mit eigenen
Augen gesehen, während seiner Jagd auf diesen Dämon.
"Du verdrehst die Wahrheit. Ich konnte dich nicht besiegen,
du warst mir überlegen."
Martens Blick bohrte sich in seinen Kopf. "Du warst schwächer
als ich, weil du ein Jahrtausend mit den Elfen spielen musstest,
anstatt deiner Bestimmung zu folgen und Macht zu erlangen. Du
warst schwächer, weil du nie auf die Idee kamst, die Art
deiner Existenz zu hinterfragen. Und du bist endgültig gestorben,
weil du es zugelassen hast. Du warst schwach aus Trauer
um deine Liebe. Du wolltest ihr in den Tod folgen - nein wie romantisch."
Zynismus troff von den Worten, die seinen Mund verließen.
"Und selbst damit hast du versagt, nicht war?"
"Du verstehst nichts von der menschlichen Seele, Marten.",
widersprach Talaan schwach. Wie Recht Marten doch hatte. Anstatt
mit Ginuthal vereint zu sein hatte er sich eine neue Frau genommen.
Diese Zweifel kamen nicht oft, aber sie kamen. Und Marten hatte
sie getroffen. "Ich würde deine Macht nicht haben wollen.
Sie dient nur dem Tod und der Zerstörung."
Mitleidig sah Marten ihn an. "Du bist ein schrecklicher Weltverbesserer,
nicht war? Erkennst du überhaupt die Möglichkeiten,
die dir offen stehen? Selbst wenn du jetzt so kämpfen könntest
wie ich, Elfenfreund, würdest du nicht einmal im Ansatz die Macht besitzen, über die ich verfüge. Sieh dich
um. Mohab ist der König, aber ich lenke ihn hier und da ein
wenig in die richtige Richtung. Nicht dass es ein großer
Aufwand wäre. Sein Charakter ist so herrlich verdorben von
der Gier nach Macht, Gold und Unsterblichkeit."
"Es würde Mohab bestimmt interessieren, wie du über
ihn sprichst."
"Ha! Ich glaub' er weiß es sogar. Komm nicht auf den
Gedanken, dass die Sterblichen dumm und ungefährlich sind.
Aber ich besitze dennoch sein volles Vertrauen. Ich habe aus ihm
gemacht, was er jetzt ist. Den mächtigsten König der
bekannten Welt."
"Und er hat nicht versucht dich umzubringen?" Das wunderte Talaan. Mohab schien mehr als rücksichtslos, wenn es um den
Erhalt oder die Ausdehnung seiner Macht ging.
"Tz, tz." Marten wackelte belehrend mit dem Zeigefinger.
"Ich begehre nicht seinen Thron und er weiß das. Ich
habe seine Magier ausgebildet, die er so sehr schätzt, und
sie würden ihn verlassen, wenn ich stürbe. Auch sie
gieren nach dem Geheimnis der unsterblichen Macht und Mohab kann
es ihnen nicht geben."
Talaan musterte Marten eingehend. "Macht" schien sein
Lieblingswort zu sein. Er gebrauchte es mit einem fiebrigen Glanz
in seinen Augen. "Und was für eine Macht soll das sein?
Mohab ist der König."
Marten seufzte, als müsste er sich mit einem besonders dummen
Menschen herumschlagen. "Du hast absolut nichts begriffen.
Es geht nicht um die Macht, ein Leben auszulöschen oder verehrt
zu werden. Selbst ich habe mich damals geirrt, als ich dachte,
ein Leben zu nehmen wäre die einschneidendste Macht die es
geben kann." Er zuckte mit den Schultern. "Schätze,
die ganzen Menschen sind umsonst gestorben.
Wovon ich spreche, ist das Schicksal. Das Schicksal ist die größte
Macht von allen und ich forme sie. Bedenke all die Leben, die
ich beeinflusse, wenn ich einen Krieg anzettele! Oder bestimmte
Gesetze erlasse. Und wenn man einen Blick in die Zukunft werfen
kann, ist dies perfekt. So kann ich das Schicksal ganzer Nationen
lenken, selbst Jahrtausende in der Zukunft, wenn ich diese Welt
schon längst wieder verlassen habe. Das ist Macht."
Wollte er deshalb das Orakel? "Ich werde nicht zulassen,
dass du die Halle des Lichts betreten wirst, Marten. Das Orakel
kann die Zukunft sowieso nicht voraussagen."
Daraufhin warf ihm Marten ein ehrlich amüsiertes Lächeln
zu und schwieg eine Weile.
"Sieh dich an, Talaan. Was hast du bisher aus deinem Leben
gemacht? Du bist wieder zu einer Frau gekrochen und lebst wieder
als Außenseiter bei einem närrischen Volk.
Willst du nicht wieder zu deinem Volk zurückkehren? Mohab
hätte bestimmt Verwendung für dich, wenn ich dich lehre.
Du könntest mein Adjutant sein."
"Die MaKri sind mein Volk, nicht die Menschen."
"Was hält dich bei ihnen? Sentimentalität? Sie
sind ein primitives Volk, das bereits unter einem kleinen Krieg
erzittert und ausgelöscht zu werden droht."
Warum versuchte Marten ihn von den MaKri wegzuholen? Der Vorschlag,
er solle sich Marten unterordnen konnte nur dieses Ziel haben.
Marten konnte ihn nicht einfach töten, also versuchte er...
was? "Dort ist meine Heimat, dort bin ich frei."
"Frei? Ha, ha!" Marten lachte ein sardonisches Lachen.
"Frei? Talaan! Niemand kann unseresgleichen die Freiheit
nehmen. Wir sind selbst von den Fesseln des Todes losgelöst."
Als Marten merkte, dass seine Worte auf unfruchtbaren Boden fielen,
wurde er ruhiger. "Überleg es dir gut, Talaan. Du kannst
nicht ewig von einem Leben ins nächste stolpern, selbst wenn
es nicht Macht ist, was du begehrst."
Hier schwankte Talaan zum ersten Mal. Vor ihm stand der Mann,
der all seine Fragen beantworten konnte, daran zweifelte er nicht.
Aber seine Antworten würden entweder Lügen oder vergiftete
Halbwahrheiten sein. Selbst wenn Marten ihm die Wahrheit erzählen
sollte, würde Talaan ihm nicht glauben. Marten war ein Scheusal.
"Was kannst du mir schon geben?"
Marten ging um Talaan herum und musterte ihn von allen Seiten.
"Wenn es nicht Macht ist, was ist es dann? Frauen? Nein,
die scheinen dir in jedem Leben unweigerlich vor die Füße
zu fallen. Anerkennung? Dann würdest du nicht immer die Rolle
eines Außenseiters annehmen. Ahhh!" Marten blieb stehen
und sah ihm direkt in die Augen. "Wie steht es mit der Magie?
Sie ist eine neutrale Macht, weder gut noch böse. Du hast
ein Faible für die Zauberkunst nicht wahr?" Wieder lag
dieses hintergründige, wissende Lächeln auf seinen Lippen.
Erneut zögerte Talaan mit seiner Antwort. Magie war etwas
wunderbares. Sie zu beschwören ließ ihn jedes Mal lebendig
und energiegeladen fühlen. Seine Droge. Und egal, was Marten
ihm auch vormachte, die magischen Mächte konnte er nicht
korrumpieren. Sie lagen außerhalb seines Zugriffs. Ein,
zwei Zauber von Marten zu lernen konnte doch nichts schaden...
Doch, konnten es. Marten wollte ihn in die Finger bekommen und
er hatte zielsicher einen schwachen Punkt entdeckt. "Warum
gibst du dir solch eine Mühe, mich von dem MaKri fortzuholen?"
"Die MaKri sind mir egal.", erwiderte Marten glattz\xFCngig.
"Sie sind unbedeutend. Du aber, Talaan, bist es nicht. Du
kannst Großes bewirken, wenn du dein Potential erkennst.
Und ich gebe es zu - die Vorstellung, was zwei unseres Schlages
bewirken könnten, reizt mich."
"Vergiss es, Marten."
Der hob beschwichtigend die Hände. "Es war nur ein Vorschlag.
Überleg es dir gut. Bedenke auch, dass du mich nie besiegen
kannst, wenn deine Magie so schwach bleibt, wie in deinem letzten
Leben."
Diesmal war es Talaan, der hintergründig lächelte. Marten
war eben ein entscheidender Fehltritt unterlaufen. Er wusste nicht
alles über ihn. Die Kraft und Natürlichkeit, welche
die Magie in seiner MaKri-Gestalt annahm, mussten wohl jenseits
von Martens Vorstellungskraft liegen.
Talaan ließ sein Lächeln noch ein wenig breiter werden
und wandte sich von Marten ab, um zu den Quartieren zurückzukehren.
Er hatte Zweifel in den Augen des Mannes gesehen. Nur kurz und
gut verborgen, aber sie waren da. Unleugbar.
Die MaKri waren in ein lebhaftes Gespräch vertieft, als Talaan
die Quartiere der Delegation betrat. Sorral sah gerade in seine
Richtung und begrüßte ihn mit einer tiefen Verbeugung.
"Seid gegrüßt, werter Verhandlungsführer Talaan." Dieser Tonfall, den er gebrauchte, klang verdächtig
nach Mohab. "Wenn es dir genehm ist, so sei mir der Vorschlag
gestattet, über die Möglichkeit eines abschließenden
Gesprächs bezüglich des heutigen Tages zu diskutieren."
Die Versammelten brachen in schallendes Gelächter aus und
rissen Talaan aus seiner Grübelei. Er erwiderte die Verbeugung.
"Dem würde ich gerne zustimmen, aber der Wind weht gerade
von Westen. Das ist unakzeptabel." Das Lachen der Kri schwoll
noch mehr an.
"Seih ehrlich, Talaan wie konnte es die Menschheit soweit
bringen, wenn sie auf diese Art ihre Verhandlungen führt?"
Talaan zuckte mit den Schultern und machte es sich neben Kirra
auf einem Kissen bequem. "Versteh einer die Menschen.",
sagte er abwesend und holte sich von seiner Geliebten einen Kuss.
"Lasst den Unsinn, Kinder.", warf Rerrena ein. "Ist euch
an den Verhandlungen heute etwas aufgefallen?"
"Abgesehen davon, dass sie zu nichts führten und wir
Mohab gegen uns aufgebracht haben?", brummte Tonri in seinem
üblichen grüblerischen Tonfall.
"Er hat uns ausgehorcht.", antwortete Reshero knapp
und klappte sein Buch zu. "Die ganze Zeit über hat er
versucht, auf die eine oder andere Weise den Standort der Halle
des Lichts herauszufinden. Die plumpe Frage zum Schluss war nur
die Krönung des Ganzen."
Die Orakelgelehrte nickte bestätigend. "Irgend etwas
ist besonders an unserem Orakel. Wenn er schon das Nördliche
und das Südliche Orakel unter seiner Kontrolle hat, müsste
ihm das eigentlich genügen. Aber er ist geradezu versessen darauf."
Talaan rieb sich gedankenverloren die Schnauze. "Daran habe
ich noch gar nicht gedacht... Ich hatte ein einigermaßen
friedliches Zusammentreffen mit Marten. Er war sehr gesprächig,
aber als ich erwähnte, das Orakel könne ihm nicht helfen
in die Zukunft zu blicken, hat er geschwiegen und wissend gelächelt."
"Also ist es Marten, der es begehrt.", schlussfolgerte Rerrena.
"Von ihm mag die Gier vielleicht ausgehen, jedoch ist sie
bei Mohab nicht weniger stark.", fügte Talaan hinzu.
Er berichtete jedes Detail ihres Zusammentreffens im Palastgarten.
"Wir müssen beide im Auge behalten.", schloss er.
"Damit ist es nicht getan.", widersprach Tonri düster.
"Unsere Unwissenheit wird uns sonst zu Fall bringen."
Am liebsten hätte Talaan Tonri gescholten. Seine ewig
schwermütige und finstere Art zehrte an seiner Geduld, selbst
wenn er Recht hatte. "Was sollen wir tun?"
"Du sagtest, Marten machte Mohab zu einem großen König.",
dachte Reshero laut nach, klappte sein Buch wieder auf und kritzelte
ein paar Notizen hinein. "Marten will nicht den Thron und
dennoch hilft er Mohab bei seinen Eroberungen. Weshalb? Das gilt
es zu ergründen. Ich werde mich mit den Schriftgelehrten
des Königs darüber unterhalten. Ein wenig historische
Neugier sollte Mohabs Misstrauen nicht erwecken."
"Das Orakel ist der Schlüssel.", meinte Rerrena
in grübelndem Tonfall, eher als würde sie laut überlegen.
"Wir müssen herausfinden, was es mit den anderen Orakeln
auf sich hat. Marten und Mohab wollen es, aber ich bezweifle das
ihre Gründe die selben sind. Die Geheimnisse, die Marten
begehrt, würde er doch kaum mit... einem Sterblichen wie
Mohab teilen." Die alte Gelehrte spielte gedankenverloren
mit einem ihrer Schnurrhaare. "Ja, das ist wohl das Wichtigste. Talaan, wir müssen zusehen, dass wir
diesen Bedan unter vier
Augen sprechen können."
Vier Tage lang bot sich dafür keine Gelegenheit, während
sich die Verhandlungen zäh dahinschleppten. Mohab hütete
das Wissen seines bedeutendsten Orakelgelehrten wie einen Schatz
und ließ ihn nicht aus den Augen.
Reshero hingegen war recht bald erfolgreich. Mohab stimmte wohlgefällig
einem Austausch zwischen den MaKri und seinen Geschichtsgelehrten
zu. Es schmeichelte dem König offenbar, dass Reshero mehr
über seine glorreichen Feldzüge erfahren wollte.
Das Ergebnis war verblüffend und bestätigte Talaans
Befürchtungen. Es hatte schon vor Martens Eintreffen Kriege
gegeben, die meisten von ihnen von Mohab angezettelt. Doch seit
Marten Mohabs Berater wurde, änderte sich die Art der Kriege.
Aus vereinzelten Kriegen hier und da wurde ein gerichteter Feldzug
nach Norden. Der für beide Seiten verlustreiche Vormarsch
endete mit dem Tag der Kapitulation des Hellitischen Reiches.
Das Hellitische Reich war die Heimat des Nördlichen Orakels.
Zwei Jahre später begann ein gnadenloser Feldzug gegen den
Süden. Ein Reich nach dem anderen fiel unter Mohabs Soldaten,
und das Schlachtenglück war dem Eroberer auf wundersame Weise
hold. Seine Verluste waren kaum der Rede wert. Ständig schien
er zu wissen, wo es anzugreifen galt, wo ein Hinterhalt lauerte
oder ein wichtiger Punkt unverteidigt blieb. Der Feldzug gegen
den Süden endete mit dem Fall des Owa-Terretoriums.
Dieses Reich war die Heimat des Südlichen Orakels.
Seit diesen Tagen herrschte Frieden im Königreich Mohabs,
von den kleinen Vorfällen mit den MaKri abgesehen.
Am fünften Tag begegneten sich die MaKri und der Orakelgelehrte
Bedan rein zufällig in der Stadt. Die Wachen, welche Mohab
ihnen "zu ihrem Schutz" mitgegeben hatten, waren unschlüssig,
was sie tun sollten und beschlossen, nichts zu sehen.
Bedan war mehr als nervös, blickte sich ständig um und
wiederhole ständig die Worte "Ich darf nicht mit euch
reden." zwischen seinen Sätzen. Rerrena versuchte ihn
in ein Gespräch zu verwickeln, doch es half nichts. Die misstrauischsten
Blicke warf Bedan den Wachen des Königs zu.
"Ich würde mich gerne mit euch unterhalten, werte Rerrena.
Vielleicht können wir ja bald miteinander sprechen, wenn der
Vertrag unterzeichnet ist."
"Ich dachte, euch läge etwas an dem Orakel.", bedauerte Rerrena. "Offenbar habe ich mich getäuscht."
Die Augen des Gelehrten schimmerten flehend. "Die Orakel
sind die unglaublichsten, weisesten, wertvollsten Wesen auf Erden.
Es liegt mir etwas an ihnen, aber König Mohab..."
Das führte zu nichts. Talaan gab sich einen Ruck und sprach
es aus, bevor er es bereuen konnte: "Das Östliche Orakel
wird sterben, wenn wir es nicht vor Mohab beschützen können.
So lautet seine Prophezeiung."
Bedan erstarrte und riss die Augen ungläubig auf. "Es
kann nicht in die Zukunft..." Er stutzte. "Oh, natürlich
kann es..." Er packte Rerrena am Arm und zerrte sie in Richtung
Osten. "Kommt in mein Haus, dort können wir sprechen."
Mit eiserner Konzentration vermied er es, die Wachen anzusehen.
Also folgten ihm die MaKri.
Bedan schlug die Tür hinter sich zu, bevor die Wachen folgen
konnten. Als sie an die Tür klopften rief er barsch: "Bleibt
draußen!"
"Herr, das können wir nicht. Wir haben strikte Anweisung,
gut auf die hohen Gäste aufzupassen."
"Dann passe jetzt ich auf sie auf."
"Aber..."
Bedan riss die Tür einen Spalt auf. "Willst du mir unterstellen,
ich wäre unfähig in meinem eigenen Hause für die
Sicherheit meiner Gäste zu sorgen, Soldat?!"
"Nein, Herr.", erwiderte die Wache kleinlaut.
Bedan knallte die Tür erneut zu und wandte sich seinen Gästen
zu. Sein Zorn war wie weggefegt und einer besorgten Mine gewichen.
"Mohab lässt mich hinrichten, wenn er sicher sein kann,
dass ich euch mein Wissen verraten habe. Aber das ist egal. Den
Orakeln darf nichts geschehen. Dieser Verlust wäre zu groß
für die Welt."
Sein gehetzter Blick kam auf Talaan zur Ruhe. "Wie kann das
Orakel sterben? Wie kann euer Orakel der Gegenwart seinen Tod
voraussehen?"
Rerrena berichtete ihm von ihren Gesprächen mit dem Orakel
und wie es dabei offenbarte, dass es blinde Flecken in der Zukunft
gäbe, hinter die es nicht blicken könne.
"Und wie soll es geschehen? Sein Tod ist unvorstellbar. Habt
ihr es gefragt?" Noch bevor Rerrena antworten konnte, sprach
der Mann hastig weiter. "Natürlich habt ihr daran gedacht.
Aber die Antwort wäre eine von unendlich vielen gewesen.
Natürlich." Er begann eine rastlose Wanderung hin und
her. "Es ist das Orakel der Gegenwart. Es kann nur alle Zukunft
sehen."
"Bedan, wir müssen wissen, was es mit den anderen beiden
Orakeln auf sich hat.", drängte Talaan. Aber er hatte
schon eine Vorstellung, was er jetzt zu hören bekommen würde,
seit Bedan vom Orakel der Gegenwart gesprochen hatte.
"Selbstverständlich." Der Gelehrte zupfte ein Tuch
hervor und wischte sich den Schweiß aus dem Gesicht. "Mohab
wird mich töten.
Es gibt drei Orakel in der bekannten Welt. Eines im Norden, eines
im Osten und eines im Süden. Sie sind keine Götter,
aber dennoch unsterblich. Jedes kann die gesamte Zeit in allen
Möglichkeiten erblicken, in der es gelebt hat, lebt und leben
wird. Ihr Blick umfasst die ganze Welt. Aber dieses Wissen ist
selbst für die Orakel unerträglich viel.
Das nördlich Orakel wendet seinen ganzen Willen auf, um einen
klaren Pfad in der Zukunft zu erkennen. Es sieht die Zukunft,
die gerade ist - so wie das Schicksal seinen Lauf nehmen wird.
Die Gegenwart ist für dieses Orakel ebenso verschwommen und
vielgefächert wie die Vergangenheit. Mit seiner Hilfe war
es Mohab ein Leichtes, das südliche Orakel zu erobern.
Es ist das Geschwister des nördlichen und wendet seinen Willen
dazu auf, den klaren Pfad der Geschichte zu erkennen, wie sie
geschehen ist. Mohab war zunächst unglaublich enttäuscht,
bis er erkannte, dass die Fehler der Vergangenheit zu vermeiden
genauso nützlich war, wie in die Zukunft zu blicken."
Bedan blieb plötzlich stehen und blickte die MaKri der Reihe
nach mit leuchtenden Augen an. "Aber euer Orakel ist das
mächtigste von allen. Sein Blick ist einzig auf die Gegenwart
gerichtet und es soll selbst in die Herzen jedes Wesens blicken
können."
"Wieso soll es das mächtigste sein?", unterbrach
ihn Kirra. "Die Zukunft zu kennen, heißt alles richtig
machen zu können."
Bedan schüttelte den Kopf. "So haben wir auch gedacht,
aber Marten hat uns eines Besseren belehrt. Die Zukunft wird aus
Taten geformt. Jene Zukunft, die das Nördliche Orakel erblickt
hat ihr Fundament in der jetzigen Gegenwart. Erst wenn Mohab im
Jetzt seine Schritte mit Hilfe eures Orakels planen kann, ist
es ihm möglich zu sehen, ob dieser Plan zum Erfolg führt."
Als der Gelehrte dafür nur verständnislose Blicke erntete,
raufte er sich die Haare, begann erneut mit seiner Wanderung und
grübelte darüber nach, wie er es verständlich machen
könnte.
"Ich gebe euch ein Beispiel. Mohabs Ziel sei es, seinen Reichtum
durch eine neue Goldmine zu vermehren. Solange er nicht weiß,
wo sie ist, kann er auch in der Zukunft nicht erfahren, wie er
dahingelangt ist. Erfährt er nun von eurem Orakel, wo die
Mine ist - und das wäre dem Östlichen ein Leichtes - kann
er Bergleute losschicken, um sie zu erschließen. Erst wenn
das geschehen ist, wird die Zukunft sich so ändern, dass
es das Nördliche Orakel offenbaren kann."
"Ich verstehe.", murmelten Reshero und Rerrena gleichzeitig
und der Schriftgelehrte holte sein Buch hervor, um seine Gedanken
aufzuschreiben. "Ursache und Wirkung. Ja, ja, das leuchtet
ein..."
"Deswegen muss er auch seine Soldaten nach der Halle des
Lichts suchen lassen."
"Nicht nur deswegen.", korrigierte Bedan sie eilig.
"Wir wissen nicht warum, dennoch ist es nicht zu leugnen:
Die Orakel können sich selbst nicht sehen. Der Blick auf
ihre Geschwister bleibt ihnen verwehrt."
Talaan schüttelte ungläubig den Kopf. "Mit allen
drei Orakeln hätte Marten die absolute Kontrolle. Die Gegenwart
zum Schmieden der Pläne, die Zukunft um diese Pläne
zu vervollkommnen und die Vergangenheit, um sich das Wissen und
die Weisheit der Jahrtausende anzueignen."
Bedan musterte Talaan eingehend. "Wieso Marten? Er ist nur
Mohabs Berater. Und wieso wird das Östliche Orakel sterben?
Kein Sterblicher hat die Macht, es zu töten."
Kein Sterblicher. Talaans Herz wurde schwer. "Marten ist
mehr als nur ein Berater. Und er ist nicht sterblich." Mit
diesen Worten ließ er Bedan stehen. Nur am Rande bekam er
mit, wie sich Kirra bei dem Gelehrten bedankte.
Als er die Tür öffnete, setzte er ein zorniges Gesicht
auf und sagte im barschen Ton: "Wenn ihr nicht bereit seid,
euer Wissen zu teilen, hättet ihr uns nicht herbringen brauchen,
Belan. Verflucht, ich bin es leid, von jedem ausgelauscht zu werden.
Von mir erfahrt ihr nicht, wo sich die Halle des Lichts befindet!"
Er hatte keine Ahnung, ob die Wachen dumm genug waren, um diese T\xE4uschung zu
glauben, aber ein Versuch war es wert gewesen. Die anderen
MaKri spielten mit und gaben sich verärgert, während
sie zum Palast zurückkehrten.
Die Nacht war längst hereingebrochen, aber Talaan konnte
nicht schlafen. Mit sorgenschweren Gedanken stand er am offenen
Fenster und blickte zu den Sternen. Er spürte den Wind kaum,
der seinen bloßen Oberkörper mit wunderbar mildem Hauch
umschmeichelte. Auch die Sterne nahm er kaum wahr.
Was sollte jetzt nur werden? Diese Frage ging ihm immer wieder
durch den Kopf. Mohab und mit ihm Marten stand kurz vor dem, was
irdischer Allmacht nahe kam. Talaan erschauerte vor dem Bild eines
totalitären Staates, in dem die Gedanken wegen des Östlichen
Orakels nicht mehr frei waren, ein Umsturz wegen des Nördlichen
Orakels unmöglich war und selbst der kleinste Widerstand
noch nach Jahren durch den Blick des Südlichen Orakels gesühnt
werden konnte. Und all das unter Kontrolle solcher Menschen wie
Mohab oder Marten.
Was ihnen noch fehlte, war das Östliche Orakel. Und zwischen
ihm und Mohab standen die MaKri, seine Heimat, sein Leben. Ob
die MaKri einen Vertrag mit Mohab aushandelten oder nicht, spielte
keine Rolle mehr. Mohab würde die Macht des Östlichen
nicht nur für seine Sammlung haben wollen. Er und seine Erben
würden Kriege führen, wie sie diese Welt noch nicht
gesehen hatte. Unaufhaltsam.
Die Kri würden fallen. Die Frage war nur wann. Wozu führte
Mohab diese Verhandlungen überhaupt? Er musste ihren Ausgang
doch schon kennen. Nichts was Talaan unternahm, war in der Zukunft
nicht schon geschehen. Er konnte dem nicht entfliehen.
Das musste doch heißen, das Mohab zuletzt bekam, was er
wollte. Diese Verhandlungen mussten ihm einen Vorteil bringen.
Diese...
Zwei warme Hände legten sich auf seine Schultern. "Du
stehst jetzt schon beinahe drei Stunden hier, Geliebter, und versuchst
den Sternen eine Antwort abzuringen." Kirras Stimme war ein
beruhigendes Flüstern. "Hattest du Erfolg?"
Talaan seufzte genüsslich, als sie damit begann, seine Muskeln
zu massieren. Erst jetzt merkte er, wie verspannt er war. "Ich
habe Angst, Kirra. Ich weiß nicht, was aus uns werden soll."
"Versuch es einmal mit Schlaf, Talaan. Wenn du jetzt noch
keine Antwort gefunden hast, wirst du sie mit verbissenem Nachdenken
auch in den nächsten sechs Stunden nicht finden."
Er drehte sich zu ihr um und sie überraschte ihn mit einem
Kuss. "Woher nimmst du nur deine Sorglosigkeit, Kirra?"
Sie lächelte und schmiegte sich an ihn. Zum ersten Mal, seit
er die menschliche Gestalt angenommen hatte. Ihr seidiges Fell
glitt über seine Haut und fühlte sich dabei fantastisch
an. Das Lächeln auf ihren Lippen ließ ihn ein paar
seiner Sorgen vergessen. "Ich habe Vertrauen, Geliebter.
Das Schicksal hat dich und Sorral nicht zu uns geschickt, um uns
einfach so untergehen zu lassen."
"Aber..."
Sie bedeckte Seine Lippen mit ihrem Zeigefinger. "Sch. Komm
ins Bett. Morgen wird sich vielleicht ein Weg finden."
Er gab sich ihrer Umarmung hin und ließ sich fallen. "Wie
machst du das nur?"
"Hm?"
"Mich immer wieder so fühlen zu lassen, als könnte
uns nichts etwas anhaben, solange du da bist?"
Sie kuschelte sich an ihn und begann an seinem Hals zu knabbern.
"Ich kann das, weil du es zulässt."
Diese Nacht holte ihn nicht ein düsterer Gedanke ein.
"Maigan! Maigan Talaan!" Hände packten ihm an der
Schulter und schüttelten ihn unnachgiebig. Vollkommen orientierungslos
ließ er den Schlaf fahren und schlug die Augen auf. Kirra
war bei ihm, aber es waren nicht ihre Hände, ihre Stimme.
Seufzend und gleichzeitig gähnend rollte er auf den Rücken
und erblickte Tonri. Schlagartig war er wach. "Schamane!
Was ist geschehen?"
"Etwas sehr ungewöhnliches, Maigan. Ich habe in meinen
Träumen einen Geistesbruder getroffen, der mir folgendes
berichtet hat: Das Orakel hat einer Fragenden die Antworten verweigert.
Das ist in unserer Geschichte beispiellos."
Talaan rappelte sich hoch, wobei er versuchte, Kirra nicht aufzuwecken.
"Was für eine Bedeutung hat das für uns?"
"Keine. Aber es hat der Fragenden zwei Sätze mit auf
den Weg gegeben. ,Der Zeitpunkt das Fundament der Zukunft zu ändern
ist da. Die mächtigsten Geheimnisse des finsteren Herzens
können euch schützen, wenn ihr die Wahrheit über
die MaKri entdeckt.'"
"Das Fundament der Zukunft.", wiederholte Talaan flüsternd.
Die Worte Bedans.
Tonri nickte ernst. "Was also wirst du tun,
Maigan?"
Talaans Gedanken sprangen blitzschnell von der Frage zur Idee
zum Plan. Die Geheimnisse des Feindes. Eine Möglichkeit,
seinen Gestaltenwandel auszunutzen, war stets das Auskundschaften gewesen.
Angesicht der Macht Mohabs , in die Zukunft zu sehen hatte er diese
Idee jedoch verworfen. Der König hatte bestimmt das Nördliche
Orakel befragt, um zu ergründen, was jeder Einzelne der Delegation
in Tullma unternahm.
Doch die Nachricht vom Östlichen Orakel änderte alles.
Es gab etwas, das zu finden es sich lohnte. Wenn Mohab nicht ausgerechnet
heute das Zukunftsorakel befragte, konnte er von diesem Vorhaben
Talaans nichts wissen.
"Heute Nacht werde ich mich im Palast umsehen. Ich muss finden,
was das Orakel meinte."
Erneut nickte Tonri. "Es gefällt mir, endlich selbst
etwas zu unternehmen. Diese Verhandlungen sind eine Farce."
"Und dennoch..." Er packte den Schamanen am Arm. "Wissen
die anderen davon?"
"Nein. Ich kam als Erstes zu dir, Maigan."
"Dann lass sie in der Unwissenheit, bis die Nacht eingebrochen
ist. Und wir beide müssen uns unter Mohabs Augen so verhalten,
als wüssten wir von nichts. Sollte der König merken,
dass etwas anders läuft als es das Zukunftsorakel prophezeite,
sind wir verloren."
Talaan war sich sicher, dass die Mystiker des Herrschers, ähnlich
wie die Schamanen, sich über große Entfernungen verständigen
konnten. Und wie er Mohab einschätzte, hielten Mystiker Tag
und Nacht an den Orakeln Wache, um es für ihn befragen zu
können.
"So sei es." Absolut geräuschlos schlich sich Tonri
aus dem Zimmer, als sich Kirra zu regen begann.
"War das der Schamane?", murmelte sie verschlafen.
"Guten Morgen, Sonne meines Herzens.", flüsterte
er ihr ins Ohr und küsste es dann. "Ja, das war er."
Kirra streckte sich mit einem herzhaften Gähnen in alle Richtungen,
wobei sie selbst die Krallen an Händen und Füßen
reckte. "Ist etwas passiert?"
"Du hattest Recht, Kirra. Der Schlaf bringt manchmal eine
wundersame Wende mit sich." Bevor sie ihre Frage aussprechen
konnte, versiegelte er ihren Mund mit einem Kuss. "Frag nicht,
zum Wohl aller."
Sie lächelte leicht verwirrt und gleichzeitig irgendwie ernst,
dass er sie gleich noch einmal küssen musste. "Heute
Abend."
An diesem Tag hatte Talaan ständig das Gefühl, durch
ein mit Glassplittern gefülltes Fakirbecken zu gehen. Er
fürchtete jeden Schritt etwas falsch zu machen und wenn er
seinen Fuß gesetzt hatte, wünschte er sich, er hätte
sich anders entschieden.
Dennoch kamen die Verhandlung zum ersten Mal seit ihrem Beginn
wirklich voran. Mohab verzichtete heute auf seine üblichen
Drohgebärden und im Gegenzug gab Talaan in einigen Punkten
ein wenig nach. Von da an ging es aufwärts.
Diese Verhandlungen mussten in der Zukunft ein Erfolg gewesen
sein, einen anderen Grund sie zu führen konnte es für
Mohab nicht geben. Und so hatte Talaan am Ende des Tages das Gefühl,
alles richtig gemacht zu haben, als sie sich auf die Stärke
der Truppen und deren Verpflegung in den Städten der MaKri
geeinigt hatten. Als sie den Tisch verließen, zeigte sich
Mohab rundum zufrieden. Die MaKri hatten kein Misstrauen gesät.
Und zu Talaans Erleichterung lebte Bedan noch. Sein Verrat an
Mohab war entweder nicht aufgefallen oder in den Augen des Königs
nicht wert, ihn zu bestrafen. Dieser Tag war ein Erfolg. Nun sollte
die Nacht zeigen, was sie zu bieten hatte.
Talaan glitt in den Schatten einer Ecke und die Farbe seines Fells
verschmolz mit dem hellen Stein der Wände. Seine menschliche
Gestalt hatte er abgestreift. Sein Gesicht war jetzt zu bekannt,
um ihm bei seinem Erkundungsstreifzug noch von Nutzen zu sein.
Er vertraute jetzt auf Instinkte und Magie.
Zwei Stiefelpaare nährten sich im Gleichschritt und er verharrte
bewegungslos, bis die Wachen vorbeimarschiert waren. Er richtete
seine Ohren noch einmal in alle Richtungen, bevor er sich auf
leisen Pfoten wieder aus der Ecke löste, um zur nächsten
zu huschen.
Allmählich gewann er den Eindruck, dass es in Mohabs Palastanlage
mehr Soldaten als Bürger in Tullma gab. Das war auch nicht
weiter verwunderlich, denn er näherte sich der Kaserne.
Schließlich stand er vor der Mauer, welche sie umgab. Meisterhafte
Steinmetze hatten die Quader so aneinandergefügt, dass die
Fugen kaum zu erkennen waren. Im Stillen verwünschte Talaan
sich, dass er den Flugzauber nie auswendig gelernt hatte.
Blieb nur noch der Weg durch die Vordertür. Behutsam wob
er seinen Schlafzauber und sandte ihn in abgeschwächter Form
zu den Wachen. Das Letzte was er jetzt gebrauchen konnte waren
vier Wachen, die mit laut polternden Rüstungen umfielen.
Er hüllte sich in Schatten und schlüpfte zwischen ihnen
durch das Tor.
"Solmar?" ein lautes Gähnen folgte. "Habt
ihr das gesehen?"
"Was denn, Soldat?"
"Die dunkle Wolke, die eben an uns..." Ein weiteres
Gähnen. "vorübergezogen ist." Talaan erstarrte
in der Bewegung und presste sich dann gegen die Wand.
"Das ist jetzt die letzte Warnung.", knurrte die zweite
Stimme. "Wenn du noch mal betrunken zum Dienst kommst, melde
ich dich der Effenda."
"Aber... äh... Ja, natürlich."
Talaan atmete erleichtert aus und ließ seinen Blick über
den Kasernenplatz schweifen. Hier sah es ähnlich wie in Tullma
selbst aus. Um den zentralen Platz herum gab es höherliegende
Ebenen, auf denen die Häuser standen und die über breite
Treppen zu erreichen waren. Nur gab es hier keine Pflanzen oder
anderes Überflüssiges, das ihm ein Versteck geboten
hätte.
Aber es waren keine Wachen zu sehen. So rasch es ging hastete
er eine der Treppen hinauf und tauchte in den Mondschatten eines
Hauses ein. Es war kleiner und erweckte nicht den Eindruck, eine
Unterkunft für Soldaten zu sein. Aber da seine Türen
nicht bewacht waren, konnte es nichts Wichtiges enthalten.
Er schlich zur nächsten Ecke und spähte um sie herum.
Auch hier gab es keine Wachen. Hinter dem Gebäude erstreckte
sich der Rest der Kaserne wie eine kleine Stadt. Noch mehr Plätze
und weitere Gebäude auf erhöhten Ebenen. Wie sollte
er hier nur finden, was er suchte?
Er strengte seine Augen an und konnte letztendlich ein Haus ausmachen,
das bedeutsam genug aussah. Es war das einzige hier, auf dessen
Dach das königliche Banner träge im Wind wehte und seine
Fassade unterschied sich ein wenig von den restlichen Bauwerken
hier.
Aber warum gab es selbst hier keine Wachen? Das machte ihn nervös.
Möglicherweise war es in Tullma üblich, die Wachen nur im
Innern zu postieren? Da es nirgends eine Möglichkeit zum Verstecken
gab, machte er sich daran, quer über den Platz zu rennen.
"He, Soldat!", rief plötzlich eine Stimme rechts
von ihm und Talaan blieb wie vom Blitz getroffen stehen. Eine
sechsköpfige Patrouille bog gerade um die Ecke eines Hauses.
Er fühlte sich mitten auf dem Platz gefangen. Vielleicht
hundertfünfzig Schritt trennen ihn in alle Richtung von den
rettenden Schatten.
"Ja, du! Wohin denkst du, dass du gehst? Unerlaubter Ausgang
bringt dir Peitschenhiebe ein, mein Freund."
Gesegnet sei das Zwielicht der Nacht!, dachte er noch,
drehte sich ohne nachzudenken auf der Stelle um und rannte dorthin
zurück, wo er herkam. "Haltet ihn, Männer! Ihr
rechts, ihr links. Los, los!", verfolgte ihn die Stimme des
Anführers. An der Vorderseite des Hauses angelangt schätze
Talaan hastig die Entfernung über den Hauptplatz bis zu den
nächsten Gebäuden. Das würde er nie rechtzeitig
schaffen, bevor die Soldaten hier waren.
Schon vernahmen seine empfindlichen Raubtierohren die trampelnden
Schritte seiner Verfolger. Sie kamen von beiden Seiten! Er saß
in der Falle. Also blieb ihm nur noch ein Weg. So lautlos und
rasch wie möglich schlüpfte er durch die nächstbeste
Tür und schloss sie hinter sich.
Und sah sich einer Frau in einem Nachtgewand gegenüber. Sie
kam gerade aus einem anderen Zimmer herein und starrte ihn ungläubig
an. Draußen kamen die Schritte seiner Verfolger zum Stehen.
"Wo ist er hin, verdammt?"
Talaan fing den Blick der Frau ein und sah sie flehend an. In
seinem Kopf glomm das Geistessymbol einer tödlichen Kraftkugel
und wartete auf den vollendenden Strich, um seine Energie zu entladen.
Er wollte sie nicht töten.
In ihren obsidianschwarzen Augen schimmerte eine Mischung aus
Angst und etwas, das er nicht so recht einordnen konnte.
Jemand hämmerte gegen die Tür. "Effenda! Effenda Mani!"
Die Lippen der Frau teilten sich und Talaan verkrampfte. Er konnte
es nicht. Ihr Tod würde auch nichts mehr bewirken. "Was
ist denn, Lewek?"
Nur das. Ungläubig starrte er sie an.
"Wir haben einen Ausreißer, Effenda."
"Und deswegen weckst du mich, Soldat?" Ein Lächeln
erschien auf ihren Lippen, das Talaan vollkommen unvorbereitet
traf. Sie hatte keine Angst vor ihm und dennoch verriet sie ihn
nicht?
"Nun, verzeiht Effenda, aber er muss in dieses Gebäude
geflüchtet sein." Der Soldat klang nun leicht verwirrt.
"Dann durchsucht die anderen Räume und findet ihn! Muss
ich mich um alles kümmern?"
"Selbstverständlich Effenda. Ich meine, selbstverständlich
nicht, Effenda."
"Und Lewek! Wenn du mich in dieser Nacht noch einmal weckst
und dabei nicht Tullma in Flammen steht, werfe ich dich in eine
Einzelzelle." Die ganze Zeit über unterbrach seine Retterin
ihren Augenkontakt mit Talaan nicht ein einziges Mal. Jetzt konnte
er den Zweiten Ausdruck in ihrem Blick deuten. Es war Faszination.
Mit einigem Gestammel verschwand der Soldat dann endlich.
Als Talaan immer noch kein Wort hervorbrachte, verschränkte
sie die Arme vor der Brust und fragte nur: "Nun? Was soll
ich jetzt mit dir machen?"
"Warum habt ihr mich nicht ausgeliefert?"
"Warum hast du mich nicht getötet? Ich zweifle
nicht daran, dass du dazu in der Lage warst."
"Ich... konnte es nicht."
"So lautet auch meine Antwort." Sie kam behutsam näher
und reichte ihm die Hand. Immer noch nicht sicher, ob das hier
wirklich geschah, ergriff Talaan sie. "Ich bin Mani. Die
Effenda der königlichen Truppen."
Eingehend musterte Talaan diese wundersame Frau. Sie mochte ein
wenig über dreißig sein, pechschwarzes Haar umrahmte
ein von ständiger Sonne gebräuntes, schmales Gesicht
mit eben jenen schwarzen Augen darin. Sie sah überhaupt nicht
wie ein Befehlshaber in Mohabs Diensten aus, was vielleicht mit
an dem luftigen Nachtgewand liegen durfte.
"Man nennt mich bei meinem Volk Talaan."
Ihre Augen weiteten sich. "Der Verhandlungsführer? Aber
der ist ein Mensch!"
"Warum, Mani?", hakte er nach. Er wurde aus ihr nicht
schlau und wusste immer noch nicht, ob er ihr trauen sollte.
Sie seufzte schwermütig und Sorgenfalten bildeten sich auf
ihrer Stirn. "Ich weiß jetzt schon, dass es dumm von
mir war. Mohab wird diesen Verrat bemerken. Mich wundert ein wenig,
dass er uns hier keine Falle gestellt hat." Sie schüttelte
den Kopf und ließ sich sorgenschwer auf einen Stuhl fallen.
"Diese verdammten Orakel."
"Wegen unseres Orakels bin ich hier, Mani. Wegen ihm weiß
Mohab nichts von dem hier.", versuchte er sie zu beruhigen.
Was für ein schwacher Trost. Mohab würde es auf jeden
Fall bemerken, nur eben später.
Hoffnung glomm in ihren Augen auf und sie entspannte sich ein
wenig. "Mein Vater ist ein hoch angesehener Händler
in Tullma. Er hat dein Volk schon besucht, als ich ein kleines
Kind war. Immer wenn er von einer Reise zurückkehrte, hat
er mir von den wundersamen Katzenmenschen im Dschungel jenseits
der Savanne erzählt. Eure Kultur hat er stets bewundert,
musst du wissen." Mit einem Schmunzeln fügte sie hinzu:
"Und er hat ein Vermögen mit eurer Handwerkskunst verdient.
Seit ich ein Kind bin habe ich davon geträumt, einmal einen
MaKri von Angesicht zu Angesicht zu treffen." Ihre Augen leuchteten erneut begeistert
auf, als sie ihn anblickte.
Das allein war aber wohl kaum Grund genug für ihren Verrat
an Mohab.
"Ich weiß, was du jetzt denkst, und du hast Recht damit.
Ich habe einst einen Treueschwur auf den König geleistet.
Aber das war, bevor dieser Marten sein Berater wurde. Ich verfluche
den Tag, an dem er kam! Es ist nicht so, dass er Mohabs Gedanken
vergiften würde, so naiv bin ich nicht. Mohab war schon immer
machthungrig. Aber Marten hat eine Gier in ihm geweckt, die irgendwann unser Untergang
sein wird."
Sie schwieg einen Moment nachdenklich und fuhr dann fort. "Das
Blut von so vielen Menschen klebt an meinen Händen, wegen
dieser Gier. Einige meiner engsten Freunde sind gestorben für
diese nicht enden wollenden Eroberungen." Energisch wischte
sie sich eine Träne aus dem Augenwinkel und sah Talaan grimmig
an. "Ich werde nicht zulassen, dass diese Gier auch noch
dein einzigartiges Volk vernichtet! Diese Verhandlungen sind nichts
als eine große Lüge!
Mohab hat schon Pläne ausarbeiten lassen, um euch vom Orakel
zu vertreiben. Aus irgend einem Grunde will er aber vorher mit
ihm sprechen. Ich verstehe nichts von diesen Dingen, doch es ist
so."
Warum überrascht ihn das nicht? Genaugenommen hatte er sich
das so schon aus den einzelnen Bruchstücken zusammengereimt.
Doch jetzt hatte er Gewissheit.
"Ihr habt mir und meinem Volk mehr Gutes getan, als ihr es
vielleicht ahnt, aber könnt ihr mir noch mehr helfen? Ich
suche nach etwas und weiß nicht einmal, was. Es würde
Tage dauern, den Palast zu durchsuchen."
Ihre grimmig entschlossene Mine wich nicht von ihrem Gesicht.
"Ich bin bereits tot und habe nichts mehr zu verlieren. Du
weißt nicht, wonach du suchst? Warum bist du dann hier?"
"Das Orakel sprach vom mächtigsten Geheimnis des finsteren
Herzens."
"Hm." Mani spielte gedankenverloren mit der Kordel,
die ihr Gewand zusammenhielt. "Ich hätte gesagt, dass
unser bestgehütetstes Geheimnis die Angriffspläne auf
die MaKri sind. Die kannst du gerne haben, aber ich bin nun mal
ein Soldat und mein Denken ist stets zuerst auf solche Dinge gerichtet.
Ich bezweifle, dass euer Orakel dies meinte."
Inzwischen hatten ihre Finger ein paar Knoten in die Kordel geknüpft
und machten sich mit einem wundersamen Eigenleben wieder daran
sie aufzuzupfen. "'Das finstere Herz.' Dabei fällt mir
sofort Marten ein. Mohab mag machthungrig sein, aber sein Berater
stellt alles in den Schatten. Er ist ein Scheusal."
Nur zu bereitwillig stimmte ihr Talaan da zu. Er musste sich jedoch
hüten. Sein Hass auf seinen Erzfeind durfte ihn nicht blind
machen für andere Möglichkeiten.
Mani sprang urplötzlich auf. "Es gibt da ein Zimmer,
in das Marten niemanden einlässt. Die arme Seele von Diener,
die es doch einmal versuchte, hat er zu Asche verbrannt. Selbst
seine Schüler und der König halten sich von dort fern."
Sie stürmte aus dem Zimmer und rief durch die Tür: "Wenn
wir etwas finden wollen, dann dort."
"Wir?" Talaan fühlte sich vollkommen überrannt.
Diese Frau ging mit einer Leidenschaft an die Sache, die ihn misstrauisch
machte. Aber was hatte er für eine Wahl? "Es ist viel
zu gefährlich. Ihr könnt nicht mitkommen."
Ein bitteres Lachen drang vom Nebenzimmer herüber. "Gefährlich?
Du hättest mich vor der Gefahr warnen sollen, bevor du in
mein Quartier geplatzt bist. Dann hätte ich abgeschlossen."
Ihre Stimme klang kurz gedämpft, als sie sich offenbar etwas
über den Kopf streifte. "Außerdem findest du ohne
mich nie dort hin.
Du solltest dich wieder in die Illusion deiner menschlichen Gestalt
hüllen, Talaan. Ich verschaffe dir eine Uniform und wir haben
keine Probleme damit, an den Wachen im Palast vorbeizukommen."
Talaan tat wie ihm geheißen. Allmählich gewöhnte
er sich an das Gefühl, wie der Wandlungszauber an seiner
Haut und seinen Organen zu zerren schien. Nur mit dem Verlust
seines Schwanzes würde er sich wohl nie anfreunden können.
Nach einer kleinen Weile kam Mani in eine prachtvolle Rüstung
gekleidet zurück.
"Sieht gut aus, nicht war? Ich war einst stolz auf die Muster
der Effenda der Truppen. Verflucht sei Martens Antlitz!"
Sie blieb vor ihm stehen und nährte sich mit ihrem Gesicht
kaum eine Handbreit dem seinen. "Erstaunlich. Sieht aus wie ein
wahrhaftiger Mensch. Wir besorgen Dir noch eine Uniform und dann lass uns gehen."
"Wir sind fast da." Mani nickte knapp zwei Soldaten
zu, welche an einem Korridor Wache hielten.
"Was, wenn Marten in seinen Gemächern ist? Wir können
ihn nicht besiegen. Ich habe es schon einmal versucht und habe
versagt."
"Also seid ihr Feinde?", ihre Stimme klang erfreut.
"Das lässt es mich weniger bereuen, dass ich dich nicht
verraten habe, Talaan. Zumindest hast du den Kampf mit ihm überlebt.
Zu zweit können wir..."
"Das habe ich nicht.", knurrte er finster und ignorierte
Manis Verwirrung. Ein Teil von ihm hoffte auf Marten zu treffen
und einen Weg zu finden, ihn zu vernichten. Mit der Magie in seiner
MaKri-Gestalt mochte es sogar möglich sein.
"Wie dem auch sei. Marten ist zu dieser Zeit niemals in seinen
Zimmern. Manchmal frage ich mich, ob er überhaupt schläft.
Zu dieser unheiligen Stunde zieht er es vor, die Mystiker des
Königs zu unterweisen." Sie deutete auf eine Tür,
an der eine unheilvoll aussehende Rune prangte. "Da ist es."
"Haltet nach Wachen Ausschau. Ich werde nicht in dieser Gestalt
da reingehen." Leise murmelte er den Wandlungszauber und
wappnete sich gegen die Veränderung. Jedes Mal schob sich
ein anderer Aspekt der Transformation in den Fokus seines Bewusstseins.
Diesmal konnte er deutlich spüren, wie sich seine Zähne
verformten. Seine Eckzähne dehnten sich mit einem Gefühl,
als würde sie jemand mit einer Zange in die Länge ziehen,
bis sie zu Reißzähnen geworden waren.
Mani starrte ihn großäugig an. "Könnt...
könnt ihr das alle?"
Talaan hörte sie kaum. Die Rune zog ihn voll in seinen Bann.
Ein fadgrünes Leuchten ging von ihr aus und überzog
die Tür mit ihrem Schein. Warum hatte er es zuvor nicht bemerkt?
Das musste an seiner jetzigen Gestalt liegen. Sie schien für
die Magie geschaffen zu sein.
Behutsam streckte er seine Hand nach der Tür aus und spürte
ein kaum merkliches Kribbeln. Wenn er die Tür öffnete,
würde er eine Falle auslösen, da war er sicher. Er betrachtete
die Rune eingehender. Er konnte nicht einmal annährend erraten,
was sie darstellte. Aber sie erinnerte ihn entfernt an die Geistessymbole,
die er verwendete...
Mit der Kralle an seinem Zeigefinger durchtrennte er eine Linie
der Rune und das Glimmen erlosch. Dennoch vorsichtig packte er
den Knauf der Tür und drehte ihn behutsam. Außer dem
Klacken des Riegels geschah nichts. Er stieß die Tür
auf und glitt lautlos hinein. Mani folgte ihm ungleich geräuschvoller.
Er hatte irgendwie erwartet, hier einen Nachhall Martens dunkler
Aura zu finden, aber das war nat\xFCrlich nicht so. Das geräumige
Zimmer verriet nicht viel über das Wesen seines Bewohners.
Eher spartanisch eingerichtet konnte Talaan nirgends etwas Zierrat
oder auch nur schmuckvolle Möbel entdecken. Selbstverständlich
bestand hier alles aus edlen Metallen, Stoffen und Hölzern,
Mohabs Leidenschaft für Pomp teilte sein Berater jedoch nicht.
Feuerschalen erleuchteten die Gemächer.
"Wo ist die Kammer, von der ihr spracht?"
"Gleich dort hinten im nächsten Raum. Folge mir."
Bevor sie auch nur einen Schritt gemacht hatte, war er schon bei
ihr und hielt sie am Arm zurück. "Ich gehe vor. Die
Rune an der Tür war eine Falle, aber zu stümperhaft
um die einzige hier zu sein."
Behutsam setzte er einen Fuß vor den anderen, während
er versuchte alles gleichzeitig im Auge zu behalten. Er war so
fixiert auf eine weitere magische Falle, dass er den hauchdünnen
Draht beinahe übersehen hätte, der auf Bauchhöhe
zwischen den Türrahmen gespannt war.
"Duckt euch.", wies er seine Begleiterin an und schob
sich unter dem Draht durch. Unter seinen Füßen gab
der Teppich leicht nach und ein kaum hörbares Klicken ertönte.
Nur seinen katzenhaften Reflexen hatte er sein Leben zu verdanken,
die ihn in die Mitte des Gemachs hechten ließen. Dort, wo
sich eben noch sein Kopf befunden hatte, schoss ein Armbrustbolzen
durch die Luft und blieb surrend in einer Ebenholztruhe stecken.
Erleichtert ließ er seinen Atem entweichen. Ich dachte,
der Bastard lebt hier. Früher oder später erwischen
ihn noch seine eigene Fallen. Das konnte ihm eigentlich nur
Recht sein. "Ihr bleibt besser, wo ihr seid, Mani. Diese
Tür dort?"
Die Effenda nickte nur stumm und folgte ihm dennoch in den Raum.
Sie zog den Bolzen aus der Truhe und roch an der Spitze. "Vergiftet."
Und als sie Talaans verärgerten Blick bemerkte, fügte
sie noch hinzu: "Vier Augen sehen mehr als zwei. Ich werde
immer hinter dir sein."
Von nun an vermied es Talaan, wann immer es möglich war auf
dem Teppich zu gehen. Und selbst auf dem Steinboden prüfte
er jeden Schritt vorsichtig, bevor er den Fuß belastete.
Seltsamerweise blieben weitere Fallen aus, bis er die Tür
erreichte. Sie sah nicht im geringsten besonders aus, sonder bestach
vielmehr durch ihr langweiliges Äußeres. Aber allein
die Tatsache, dass diese Tür verschließbar war, anstatt
nur ein in Gemächern üblicher Rahmen zu sein, machte
sie wieder interessant.
Der dunkle Fleck auf dem Marmorboden war ein stummer Zeuge des
letzen Versuchs eines Fremden, die Kammer hinter der Tür
zu betreten. Einen Auslöser für eine Falle konnte Talaan
jedoch nicht ausmachen. Er packte vorsichtig den Knauf und drehte
ihn. Verschlossen.
"Lass mich das machen.", forderte Mani ihn auf, griff
in ihren Gürtel und zog einen gezackten Dietrich hervor.
Als Talaan sie fragend ansah meinte sie nur: "Ich wäre
eine schöne Effenda, wenn ich mich von einer lächerlichen
Tür aufhalten lassen würde. Ein... Freund meines Vaters
hat es mir beigebracht."
Sie ging vor der Tür in die Hocke und schob den Dietrich
Stück für Stück ins Schloss. Nach einer Minute
konzentrierten Arbeitens klackte es in der Tür. Mani ergriff
den Knauf, aber Talaan packte sie am Handgelenk. "Danke, Mani. Jetzt übernehme ich wieder."
Murrend zog sie sich zurück. Hielt sie all das hier nur für
ein aufregendes Abenteuer? Bereit, bei auch nur dem Hauch eines
Widerstandes aufzuhören, schob er die Tür einen Spalt
breit auf und spähte hindurch. Nichts zu sehen. Weder eine
normale Falle, noch eine magische.
Er öffnete die Tür soweit es nötig war, um seinen
Kopf hindurchzuschieben. Direkt hinter der Tür glomm eine
kleine mattweiße Sphäre, die wie ein blindes Auge knapp
über dem Boden schwebte. Hätte er die Tür auch
nur ein wenig weiter geöffnet, hätte er sie berührt.
Doch was sollte er nun tun? Es musste für Marten eine einfache
Möglichkeit geben, die Kammer zu betreten. Löste er
die Tür einfach auf? Oder ließ er die Sphäre je
nach Belieben verschwinden und wieder erscheinen? Egal wie - Talaan
sah keine Möglichkeit die Falle unschädlich zu machen.
Dann musste sie eben umgangen werden. "Mani, helft mir mit
der Tür! Wir müssen sie aus den Angeln heben."
Zu zweit schafften sie es dann. Mehr als einmal hatte Talaan
das Gefühl, dass sie viel zu knapp an der Sphäre vorbeischrammten.
Immer noch behutsam lehnten sie die Tür an die Wand und sahen
sich im Raum um.
Es war wirklich nur eine kleine, fensterlose Zelle. Der einzige
Einrichtungsgegenstand war ein auf einer schmalen Marmorsäule
gesockeltes Lesepult. Und auf dem Pult...
Wie im Trance machte er einen
Schritt darauf zu.
"Halt!" Mit voller Wucht prallte etwas auf ihn und riss
ihn von den Beinen.
"Bist du auf einmal von einem Dämon besessen, MaKri?!",
fauchte eine schwer atmende Mani und wälzte sich von ihm herunter.
"Was..."
"Zornig deutete sie auf eine Marmorplatte im Boden, die sich
ganz leicht von den anderen abhob. In der Kammer, die allein von
den Feuerschalen im Nachbarraum erleuchtet wurde, war sie kaum
auszumachen. Mit seinem nächsten Schritt wäre er auf
sie getreten.
"Wie oft wollte ihr mir noch das Leben retten, Mani?",
fragte er sie lächelnd und schüttelte über seine
eigene Dummheit den Kopf.
"Was ist an diesem alten Buch so verdammt besonders, dass
du deswegen vergisst, dass du durch die Höhle des Löwen
schleichst?"
Wieder zu Verstand gekommen wich er weiteren losen Bodenplatten
aus und blieb dann ehrfürchtig staunend vor dem in weinrotes
Leder gebundenen Buch stehen. Beinahe zärtlich strich er
über die vertrauten Symbole auf dem Einband.
"Das ist mein altes Zauberbuch. Wie kann das sein?"
Die Antwort, zumindest einen Teil davon, fand er im Innern. Der
letzte Teil des Buches enthielt einige Seiten nichtmagischen Papiers,
auf denen sich seit jeher die Besitzer des magischen Werkes verewigt
hatten. Nach seinem eigenen Eintrag fand er die harte, eng gedrängte
Handschrift Martens.
"Endlich ist es soweit! Ich habe es so lange gesucht und
nun ist es mein! Nachdem ich Talaan niederstreckte, war es mir
nicht vergönnt es zu finden, aber es in dieser Welt hier
zu beschaffen war ein Leichtes.
Dieser Narr Talaan! Er hat nie begriffen, welch Macht er mit diesem
Buch in den Händen hält. Tausend Jahre und er nutzte
es nur zum Heilen und zum Fliegen! Er verbrachte mehr Zeit damit
sein Liebchen zu vögeln, als die Magie zu studieren. Pah!
Armseliger Trottel.
Noch verschließt sich mir seine Macht, da jeder Versuch
es zu übersetzen gescheitert ist. Dieser Rückschlag
ist bedeutungslos, denn ich kann warten. Das Östliche Orakel
wird mir auch dieses Problem lösen können. Und was ist
Zeit für die, welche unsterblich sind?"
Und wieder irrte sich Marten. Talaan hatte sehr gut begriffen,
welche Macht in der Magie lag, die dieses Buch enthielt. Er hatte
sie nur nicht annehmen wollen. Wozu auch? Nie hatte der Krieg
oder auch nur eine Schlacht einen Weg in den Jungen Wald gefunden.
"Dann nimm es mit, verdammt, aber lass uns hier verschwinden!
Lesen kannst du es später noch."
Vorsichtig, in Erwartung einer letzten Falle, nahm er es an sich.
"Wir müssen alles wieder so herrichten, wie es war.
Marten darf vor morgen früh nicht merken, was hier geschah."
"Morgen früh?"
"Mohab hält dann ein öffentliches Gericht über
Mörder und Verräter. Halb Tullma wird anwesend sein,
wenn man ihm Glauben schenken darf. Wir werden ihn bloßstellen
und dann die Stadt verlassen."
Mani nickte bedächtig und schien kurz über etwas nachzudenken.
"Dann lass uns keine Zeit verschwenden, Talaan."
Keiner der MaKri hatte
die Ruhe besessen, sich in dieser Nacht schlafen zu legen. So
waren noch alle wach und warteten auf Talaans Rückkehr, als
er die Gemächer der Delegation betrat. Sein Schwanz peitschte
verärgert hin und her.
Kirra sprang sofort auf, rannte zu ihm und umarmte ihn stürmisch.
Es tat so gut, ihn in Sicherheit zu wissen. "Du lebst.",
flüsterte sie erleichtert und koste seine Schnauze mit ihrer.
Dann wurde sie sich der würdevoll wartenden Blicke der Anderen
bewusst und löste sich leicht verlegen von ihm. Manchmal
fühlte sie sich unter den Ältesten und Gelehrten vollkommen
fehl am Platze.
Reshero zwinkerte ihr jedoch wohlwollend zu, bevor er ihren Geliebten
fragte: "Nun, Talaan, hast du etwas entdeckt, das uns Schutz
vor Mohab bieten kann?"
"Ich weiß es nicht.", erwiderte er schwermütig.
Und nach einigem Zögern korrigierte er sich: "Ich glaube
nicht. Ich habe mein Zauberbuch wiedererlangt. Mit seiner Hilfe werden
wir hier lebend herauskommen und Mohab eine Lektion erteilen.
Vielleicht hilft es uns auch ein wenig Zeit zu erkaufen, aber
den Krieg werden wir mit seiner Magie nicht gewinnen."
Unruhe machte sich unter den Ehrwürdigen breit. "Wir
brechen auf?"
"Morgen früh werden wir Mohab bloßstellen und
dann gehen. All das hier", er deutete mit einer allumfassenden
Geste auf den Palast, "ist nur eine Lüge." Er warf
ein paar Landkarten auf den Tisch, wo sie schlitternd zum Liegen
kamen. "Der Krieg gegen unser Volk ist bereits beschlossen.
Geht jetzt schlafen, wir alle müssen morgen hellwach sein,
um zu überleben."
Gedankenverloren kraulte er Kirra hinter den Ohren und ließ
sie dann einfach stehen, als er mit gesenktem Haupt zu ihrem gemeinsamen
Schlafgemach ging.
Reshero hatte inzwischen die Karten ausgebreitet und stand nun
mit gerunzelter Stirn über sie gebeugt. Hin und wieder murmelte
er etwas wie "Ja, ja. So m\xFCsste es sein.", "Hmm, das ist nicht
gut." Oder "Interessant.". Rerrena und Tonri sahen
ihm dabei über die Schulter, versuchten aber erst gar nicht
zu verstehen, was sie dort sahen.
Kirra sah nur eine große grüne Fläche mit roten
Kreisen, Kreuzen und Pfeilen darauf. Die MaKri benutzten keine
Karten. Sie fanden sich auch so im Dschungel zurecht.
Schließlich blickte der Schriftgelehrte auf. "Ich habe
schon darüber gelesen, dass die Menschen ihre Kriege auf dem Papier planen, aber bis heute habe ich so etwas noch nicht mit
eigenen Augen gesehen. Nach meinem Verständnis haben die
Menschen schon wesentlich mehr Soldaten in unserem Dschungel,
als wir angenommen haben. Mohab mag noch nicht wissen wo sich
die Halle des Lichts erhebt, seine Truppen könnten das Orakel
dennoch innerhalb von vierzehn Tagesmärschen erreichen.
Einen Krieg kann er mit dem Wenigen, was er hat nicht gewinnen,
das Orakel vorläufig von uns zu trennen wäre ihm jedoch
ein Leichtes."
Daraufhin begannen Tonri, Rerrena, Sorral und Reshero über
die Lage zu beraten. Kirra verstand bald überhaupt nichts
mehr. Wie war sie hier nur hineingeraten? Sie war doch nur eine
einfache Jägerin, die noch vor einem halben Jahr keine Sorgen
kannte. Jetzt stand ihr Volk vor einem Krieg und nach dem, was
sie den Worten der Ehrwürdigen entnehmen konnte, sah es nicht
gut aus.
Traurig schlich sie sich davon. Die vier MaKri bemerkten nicht
einmal, dass sie den Raum verließ.
In ihrem Schlafgemach kniete Talaan vor einem flachen Tisch nahe
einer Feuerschale und starrte auf die Seiten des Buches, welches
er mitgebracht hatte. Aber er las nicht. Kirra setzte sich seiner
Seite zugewandt neben ihn und ließ ihre Augen über
ihn wandern. Wie gerne würde sie jetzt sein Fell berühren.
"Es tut gut, wieder dein vertrautes Gesicht zu sehen.",
sagte sie sanft. Inzwischen hatte sie sich an seine menschliche
Gestalt gewöhnt, aber jetzt sah sie wieder den Mann, in den
sie sich verliebt hatte.
Wie aus einem Traum erwachend blickte er auf und lächelte
ein unglaubliches Lächeln, als er sie sah. "Kirra! Es
fühlt sich auch gut an, wieder ein Fell zu haben, glaub mir."
Er lehnte sich zu ihr und küsste sie zart und ausgiebig.
"Geh jetzt besser schlafen, du wirst es brauchen."
"Nicht ohne dich."
Talaan seufzte schwermütig und warf seinem Buch einen flüchtigen
Blick zu. "Ich kann nicht, Kirra. Ich muss noch sehen, wie
ich uns morgen möglichst gut aus Tullma bringe."
"Dann lass mich hier bleiben, ja? Ich möchte einfach
nur bei dir sein und dich ansehen."
Zärtlich strich er mit dem Handrücken ihre Schnurrhaare
zurück und küsste sie erneut. "Wie könnte
ich dir einen Wunsch abschlagen? Ich fürchte nur, ich werde
keine gute Gesellschaft sein."
"Ich werde einfach nur hier sitzen." Sie musste innerlich
schmunzeln, mit welchem Widerwillen er seinen Blick von ihr abwandte.
"Vielleicht...", sie kam sich dumm vor, dies auszusprechen,
"könnte ich dir aber auch helfen." Wie sollte sie
denn?
"Ich wünschte, du könntest." Den Vorwurf,
dass ihr Vorschlag sinnlos war, da sie weder von Politik noch
von Magie etwas verstand, sprach er nicht aus.
"Ich kann zuhören. Manchmal hilft das."
Talaan zerraufte sich das Fell auf seinem Kopf und knetete seine
Ohren durch. "Ich habe nicht einmal eine Ahnung, wo ich anfangen
sollte. Die Warnung des Orakels, der Krieg, mein Zauberbuch, der
morgige Tag..."
Kirra legte ihre Hände in den Schoß und neigte ihren
Kopf lauschend zur Seite. Ihr Liebster sah diese Geste und ein
schmales Lächeln brach durch seine ernste Mine. "Na
gut, ich will es versuchen.
Am meisten zerbreche ich mir den Kopf über den Satz des Orakels:
,Die mächtigsten Geheimnisse des finsteren Herzens können
euch schützen, wenn ihr die Wahrheit über die MaKri
entdeckt.'. Ich habe nichts über das Wesen der MaKri herausgefunden.
Wie sollte ich auch? Wir sind hier in der Hauptstadt der Menschen.
Und dennoch habe ich das Gefühl noch einmal auf die Suche gehen zu
müssen, um es zu finden. Habe ich mich durch das Buch nur
ablenken lassen? Ich weiß es nicht."
Er verfiel dem Schweigen und sie konnte geradezu sehen, wie sich
die Gedanken in seinem Kopf zu einem finsteren Knäuelwirrwarr
zusammenballten. "Was noch?", fragte sie behutsam nach.
Beinahe überrascht wirkend sah er sie an, so als hätte
er ihre Anwesenheit vergessen. "Das Buch... Wieso ist es
hier? Es war ein Bestandteil meines letzen Lebens, in einer Welt
die unerreichbar von hier ist. Wie konnte es Marten mit hierher
bringen?"
"Du bist doch auch hier.", wunderte sich Kirra. Das
war wundersam genug. Sie liebte einen Mann, der auf eine seltsame
Weise unsterblich war und zwischen den Welten wandelte. Warum
machte er sich da Gedanken wegen eines Buchs?
Verdutzt sah er sie an und nickte dann bedächtig.
"Was ist an ihm so besonders?", fragte sie neugierig
und warf einen Blick auf die Seiten. Sie kannte nicht einmal die
Zeichen, aus denen sich die Schrift zusammensetzte. "Du nanntest
es dein ,Zauberbuch'."
"Es ist eine beispiellose Ansammlung von Magie, von der ich
früher nicht einmal zu träumen wagte. Heilung, Kampf,
Illusion, Bezauberung von Wesen... Der Magier, der es einst schrieb,
musste unglaubliche Fähigkeiten besessen haben."
"Diese Worte sind Magie?", staunte Kirra ungläubig.
"So wie die eines Maigan?"
Erheitert musste sie feststellen, dass Talaan wieder dieses Leuchten
in den Augen bekam, welches er immer hatte, wenn er sich für
etwas begeisterte. "Ja und nein. Die Magie der Menschen formt
sich aus Konzentration, Worten und Gesten. Manchmal benutzen sie
auch noch Gegenstände, Zeichen und Rituale. Als ich damals
Girrad heilte, wollte ich zunächst die Formel aussprechen.
Aber statt dessen hat sich in meinem Kopf ein seltsames Muster
aus glühenden Linien und Kurven gebildet. Später hat
mir Sorral erzählt, dass er es genauso macht. Ich habe dir
ja erzählt, wie ich von ihm und er von mir gelernt hat."
Kirra warf dem Buch einen triumphierenden Blick zu. Sie hatte
schon befürchtet, dass so ein einfaches Buch jeden Menschen
zu einem Maigan machen konnte. "Also ist eure Magie etwas
besonderes.", stellte sie begeistert fest.
"Oh ja, das ist sie. Sie fühlt sich beinahe wie ein
Teil von mir an. So... natürlich. Und sie ist stärker.
Nur in meiner menschlichen Gestalt und ohne die verstärkende
Kraft des Buches hätte ich Loma niemals heilen können."
"Das mach mich glücklich, Talaan." Sie schmiegte
sich an seine Seite, legte ihren Kopf auf seine Schulter und schlang
einen Arm um seine Taille. "Ihr seid etwas Besonderes. Nicht
nur menschliche Mystiker mit einem Fell. Und trotzdem kannst du
dieses Buch benutzen? Was macht dieser Zauber dort?" Sie
deutete auf die Seite, auf die Talaan vorhin gestarrt hatte.
"Levitation. Mit ihm kann man fliegen oder Dinge zum Schweben
bringen." An dem verschmitzten Ausdruck in seinen Augen erkannte
sie, dass er etwas vorhatte, noch bevor ihn eine weißlich
leuchtende Aura umgab. Dann hob eine unsichtbare Kraft die Spitze
ihres Schwanzes hoch, ließ sie durch die Luft gleiten und
gegen ihre Nase stupsen.
"Aber du hast den Zauber gar nicht ausgesprochen.",
brachte sie verblüfft heraus und entzog ihren Schwanz seinem
Zugriff. Das Leuchten um ihn verschwand.
"Ich habe ihn oft genug gebraucht.", erläuterte
er ihr und küsste sie verspielt. "Ich hatte nur ein,
zwei Dinge vergessen, die mir zur Vervollkommnung fehlten. Und
damit hatte ich auch das Geistessymbol."
"Die glühenden Muster in deinem Kopf? Sie sind bestimmt
wunderschön. Eine Skulptur aus Gedanken..." Sie seufzte
verträumt. "Ich würde gerne mal eins sehen."
Das Leuchten um Talaan erschien wieder. "Nichts leichter
als das." Er fuhr die Kralle an seinem Zeigefinger aus und
auch sie begann zu leuchten, ja beinahe zu glühen. Er fuhr
mit dem Finger durch die Luft und hinterließ eine bläulichweiß
glimmende Line. Beinahe verspielt fuhr er fort, einen Strich nach
dem anderen aneinander zu fügen. Kirra verfolgte das Schauspiel
sprachlos.
Mit jedem Teilstück schien ihr das, was er da in die Luft
malte, vertrauter zu werden. So als könne sie erraten was
es werden würde, wenn er nur noch den nächsten Strich
setzte. Doch das blieb natürlich nur eine Illusion. Als seine
Hände nach vollbrachtem Werk zur Ruhe kamen, war das Symbol
in der Luft zwar wunderschön, aber immer noch nicht begreifbar.
Sie stand auf und betrachtete es von allen Seiten. Mal aus der
Ferne, mal berührte sie es beinahe mit ihrer Schnauze. Je
länger sie es ansah, desto verständlicher schien es
ihr. "Was tut es?", hauchte sie ehrfurchtsvoll. Es schien
in seiner Art so filigran, dass es durch laute Worte bestimmt
zerbrach.
"Das Symbol des Lichts. Sprich es aus, und du erleuchtest
die Welt um dich herum, egal wie tief die Finsternis auch sein
mag."
Sie neigte den Kopf und sah Talaan fragend an. "Wieso habe
ich das Gefühl, es beinahe anfassen zu können?"
"Versuch' es doch mal."
Kirra streckte ihre Hand aus, doch Talaan schüttelte den
Kopf. "Nichts so. Mit dem Geist. Stell dir vor, dieses Muster
würde sich in deinem Kopf bilden."
Beschämt zog sie die Hand zurück. "Das wäre
närrisch. Eine einfache Jägerin, die sich in der Kunst
einer Maigan versucht."
Talaan schlang von hinten seine Arme um ihren Bauch und liebkoste
ihren Hals mit seiner Schnauze. "Wenn du es willst, tu' es
einfach. Ich werde es niemandem verraten."
Über ihre eigene Dummheit lächelnd schloss sie die Augen.
Sie konzentrierte sich auf das Muster, so wie sie sich daran erinnerte
und scheiterte. Dann machte sie es wie Talaan und malte eine Linie
nach der anderen. Es ging erstaunlich leicht. Doch als sie fertig
war, geschah überhaupt nichts. Selbstverständlich nicht.
Es war und blieb närrisch. "Es leuchtet nicht mal richtig.",
klagte sie ihr Elend.
Sie wollte sich von dem Symbol wegdrehen, aber Talaan hielt sie
fest. "Selbst Sorral hat nichts auf Anhieb gelernt.",
flüsterte er ihr ins Ohr. "Du sagst, es leuchtet ein
wenig? Das ist doch schon ein Anfang. Versuch es noch mal, einfach
nur mir zuliebe. Der Anblick lohnt sich, glaub mir."
Was sollte das? Sie war keine Zehnjährige mehr, die davon
träumte eine Maigan zu sein. Sie sah das Symbol, das in der
Luft schwebte noch einmal an und entdeckte tatsächlich einen
Bogen, der in ihrem Kopf anders ausgesehen hatte. Erneut schloss
sie die Augen und korrigierte diesen Fehler.
Und das Symbol in ihrem Kopf füllte sich mit strahlendem
Licht. Zufrieden lächelte sie. "Es ist wunderschön..."
Kirra begann in seiner Umarmung zu glühen. Vollkommen überrascht
sprang er zurück und starrte sie fassungslos und hingerissen
zugleich an. Sie sah aus wie ein strahlend weiß leuchtender
Engel. Wie war das möglich? War Kirra auch eine Maigan, die
ihr Talent nur noch nicht entdeckt hatte? Das wäre ein zu
großer Zufall. Aber was geschah dann gerade?
Kirra betrachtete verzückt ihre Hände, die wie der Rest
ihres Körpers in weißem Licht glühten. Ab und
zu sah sie ihm in die Augen, unfähig ein Wort hervorzubringen.
Mit einem Donnerschlag kam ihm die Erkenntnis. Niemals hatte er
sich gefragt, warum die Magie in seiner MaKri-Gestalt so anders
war. Nie hatte er sich gefragt, warum die Geistessymbole schon
im Ansatz scheiterten, wenn er sie als Mensch gebrauchen wollte.
Das Wesen der MaKri!
Wenn das stimmte... Er ergriff Kirras Hand, zog sie zu sich und
küsste sie leidenschaftlich. Ihr Leuchten flackerte kurz
und verschwand dann ganz, als sie seinen Kuss erwiderte. Ihre
Augen glommen mit einer Begeisterung, die dem magischen Licht
in nichts nachstand. "Kirra, du hast vielleicht eben die
MaKri gerettet. Hol' die Anderen."
Immer noch sprachlos verließ sie eilig den Raum.
Als Kirra mit den ehrwürdigen MaKri zurückkehrte, hatte
Talaan das Symbol des Lichts durch ein anderes ersetzt. Es war
selbst für ihn neu, da es von einem Zauber stammte, welchen
er sich erst mit Hilfe des Buches in Erinnerung gerufen hatte.
Sorral erkannte dies sofort, doch Talaan bedeutete ihm mit einem
Zeigefinger auf den Lippen zu schweigen.
"Was seht ihr?", fragte er die Ehrwürdigen ohne
Umschweife.
Sie betrachteten es eingehend, bevor Rerrena antwortete: "Ein
filigranes Kunstwerk aus Licht, zweifellos erschaffen durch deine
Magie, Maigan."
"Das ist interessant...", murmelte Reshero gedankenverloren.
"Ich kann es nicht nur sehen. Ich kann es sogar ein wenig
spüren." Er tippte sich bedächtig an die Stirn.
"Hier drin. Ein bemerkenswertes Kunstwerk."
Mehr Bestätigung brauchte Talaan nicht. Er nickte seiner
Geliebten zu. "Kirra? Zeig es ihnen."
Kirra neigte verlegen ihr Haupt, als sie in die Mitte des Raumes
trat. In diesem Moment tat sie ihm regelrecht Leid. Die Blicke
der Ehrwürdigen lagen schwer auf ihr. Sie schloss ihre Augen
und konzentrierte sich. Die MaKri traten allesamt erschrocken
einen Schritt zurück, als mit einem Mal taghelles Licht den
Raum durchflutete, dessen Quelle Kirra war.
"Sie ist auch eine Maigan?", hauchte Reshero ehrfürchtig.
Talaan nickte. "In gewisser Weise. Sie, ich und jeder andere
in diesem Raum."
"Das ist Unsinn.", brummte Tonri ungehalten. Das Wort
Unsinn klang bei ihm so düster und schwer, als hätte
ein Anderer "Blasphemie" gesagt. Rerrena und Sorral
nickten zustimmend. Nur Reshero wiegte nachdenklich seinen Kopf.
"Was ihr dort seht, meine Freunde,", Talaan deutete
auf das Geistessymbol, welches er in die Luft gemalt hatte, "ist
die Gestalt der Magie, wie sie den MaKri eigen ist. Sie konnte
bisher nicht von einem Maigan einem Anderen gelehrt werden. Weder
auf Papier noch sonst irgendwie. Selbst der Zauber, den das Orakel
aufschreiben ließ war unvollkommen. Das ist der einzige
Grund, warum unser Volk seine Kraft nicht nutzen konnte.
Doch von Zeit zu Zeit geschieht es, sei es durch Zufall oder Schicksal,
dass ein MaKri eines dieser Symbole entdeckt, einen Weg findet
die Magie zu lenken." Die Kri, selbst Kirra, sahen ihn weiter zweifelnd an. "Bedeutet
Maigan denn nicht ,vom Schicksal erwählt'? Es ist doch eine
Wahl des Schicksals, wenn ein MaKri durch Zufall einen Zauber
für sich erschließt."
"Unter keinen Umst\xE4nden war es Zufall.", widersprach ihm Sorral
mit Nachdruck. "Als der Tiger mich anfiel, wusste
ich, was zu tun war. Ich griff nach der Magie, als wäre sie
schon immer ein Teil von mir gewesen, und schleuderte sie nach
dem Angreifer."
Talaan hob beschwichtigend die Hände. "Hört mich
an..."
Reshero, der natürlich wieder in seinem Buch schrieb, begann
in abwesendem Tonfall zu rezitieren: "Sivra, die erste Maigan
von der wir wissen, berichtete, ihr sei die Gabe im Traum vom
Schöpfer selbst gegeben worden. Nrali, die ihr nachfolgte,
sprach von einer Vision. Dann gab es noch..." Und so fuhr
er fort.
"Ich bitte euch, hört...", versuchte Talaan es
erneut, doch Tonri unterbrach ihn. "Du erzürnst die
Geister der Ahnen, wenn du ihre Taten mit solchen Worten schmälerst."
"Ich wollte doch nur..."
Diesmal fiel ihm Rerrena ins Wort. "Das Orakel selbst hat
niemals etwas erwähnt, dass deine Worte auch nur..."
Talaan stieß ein ohrenbetäubendes Brüllen aus.
"SCHWEIGT!"
Die Ehrwürdigen verstummten wie vom Blitz getroffen. Sie
hatten Talaan noch nie derart aufgebracht erlebt. Es kochte in
ihm. "Ihr benehmt euch wie Kinder, denen man das Spielzeug
weggenommen hat! Ich weiß, dass es euch wichtig ist, aber
wir haben morgen früh einen Krieg zu verhindern! Und wir
haben jetzt keine Zeit für eine philosophische Diskussion,
verdammt!"
Ihm entwich ein zufriedenes, kehliges Knurren, als die Ehrwürdigen
sich stumm hinsetzten. Er atmete mehrmals tief durch, bevor er
weitersprach. "Ihr habt vermutlich Recht und ich ebenso.
Vielleicht ist ein Maigan eine Wahl des Schöpfers oder der
Schicksalsmächte, schließlich kamen sie stets in Zeiten
der Not.
Aber morgen entscheiden allein wir über die Zukunft unseres
Volkes. Wir werden Mohab die neue Macht der MaKri offenbaren.
Er soll vor ihr erzittern und seine Angriffsgelüste noch
einmal überdenken. Aufhalten werden wir ihn wohl nicht, aber
wenn wir es richtig anstellen, verschaffen wir uns Zeit. Zeit,
die wir brauchen, um die MaKri auf den Krieg vorzubereiten.
Ihr könnt in einer Nacht nicht einfach die Geheimnisse der
Magie erlernen, sie ist weit mehr als das Zeichnen von Linien
und erfordert Verstehen. Aber das dort", er wandte seinen
Blick nicht von ihnen ab, als er auf das in der Luft schwebende
Gebilde zeigte, "ist unser Weg zum Sieg über Mohabs
Soldaten und seine Mystiker. Dieses Geistessymbol müsst ihr
bis morgen Früh beherrschen, und wenn es die ganze Nacht
dauert. Fegt all eure Zweifel und Widersprüche beiseite und
lernt!"
Erleichtert, dies hinter sich zu haben, setzte er sich hin. Es
lag ihm nicht, Reden zu halten. Kirra lächelte ihn aufmunternd
an, ihre Unterstützung hatte er. Um Sorral brauchte er sich
keine Gedanken machen. Dieser Zauber war für ihn neu und
nun versuchte er bereits mit konzentriert gefesseltem Blick seine
Struktur zu begreifen. Die restlichen MaKri warfen sich stumm
zweifelnde Blicke zu, nickten dann aber letztlich einstimmig.
"Wir wollen es versuchen, Maigan Talaan.", sprach Reshero
für sie alle.
Also begannen sie.
Das Herz schlug Talaan bis zum Hals, als er durch die Palasttore
nach draußen trat. Vor ihm lag die größte und
bedeutungsvollste Schlacht seines Lebens. Eine Schlacht aus Worten,
Täuschungen, Magie, Blut und Stahl.
Die öffentliche Verhandlung war perfekt inszeniert, das erkannte
er auf Anhieb. Auch hier bewies Mohab seinen Hang zu Prunk und
Dramatik. Der König saß auf seinem Thron auf der höchsten
von drei Ebenen, welche auf einer Höhe mit dem Palast lag.
Ihn umringten drei Mystiker, welche heute eindrucksvoll bestickte
Roben trugen. Allein schon ihre Anwesenheit gab dem König
eine Aura der Macht. Hinter ihm, geradezu unauffällig in
seiner weißen Kapuzenrobe, stand Marten.
Nur wenige Stufen der imposant breiten Treppe tiefer lag ein weiteres
Plateau, auf dem klein und unbedeutend ein Gefangener in Ketten
seiner Verurteilung harrte. Er wirkte kl\xE4glich verloren.
Eine weitere, längere Treppe tiefer befand sich der riesige
Platz für die Bevölkerung Tullmas. Dicht gedrängt
tummelte sich dort ein buntgemischter Haufen aus allen Schichten
der Bevölkerung. Sie alle waren gekommen, um das Schauspiel
der Verhandlung zu begaffen. Nun - heute würden sie mehr als
das zu sehen bekommen.
Soldaten mit eindrucksvollen Rüstungen und grimmigen Gesichtern
bewachten die Treppen zwischen den Ebenen in waffenstarrenden
Doppelreihen. Sie rundeten das Bild von Mohabs Macht endgültig
ab.
Eine seltsame, magisch leuchtende Kugel aus dunklem Gestein stand
vor Mohab auf einem Sockel und ein kleineres Gegenstück dazu
vor dem Gefangenen. "HASSAN, SOHN DES ALBERI!", donnerte
Mohabs Stimme unglaublich laut über die Ebenen. Die magische
Kugel vor ihm pulsierte synchron zu seinen Worten. "DU STEHST
HIER WEGEN DES VERRATS AN DEINEM KÖNIG UND DEM MORD AN ZEHN
SEINER TREUEN SOLDATEN. ES WAREN MÄNNER, DIE FRAUEN UND KINDER
ZURÜCKLIEßEN. DEINE SCHULD WURDE DURCH DAS SÜDLICHE
ORAKEL UNWIDERLEGBAR BEWIESEN! TUE BUßE UND ERFAHRE GNADE.
WEIGERE DICH UND DU WIRST STERBEN."
"Ich sehe nichts Falsches in meinem Handeln.", erwiderte
der Mann. Seine Stimme klang ungleich leiser, auch wenn sie laut
genug waren, die Ebenen zu überqueren. "Ihr seid nicht
mein König, Mohab. Mein König starb durch eure Soldaten!
Das Reich der Owari wird sich eines Tages wieder erheben!"
Von dieser kleinen Ansprache zeigte sich Mohab wenig beeindruckt.
Würdevoll erhob er sich. "BÜRGER VON TULLMA, VERNEHMT
MEIN URTEIL. DIESER MANN WEIGERT SICH, AUF DEN RECHTEN PFAD ZURÜCKZUKEHREN.
HASSAN, SOHN DES ALBERI, DU BIST DES TODES." Ein zufriedenes
Raunen ging durch die Menge. Einer der Mystiker trat vor und begann
einen Zauber zu beschwören. Nach der magischen Aura, die
ihn dabei umgab, musste es etwas mächtiges sein. Ein Feuerstrahl
schoss vom Himmel auf den Verurteilten herab. Vor Schmerzen wahnsinnig
werdend, versuchte die arme Seele noch kreischend zu entkommen,
aber der Flammenstrahl verfolgte ihn. Innerhalb weniger Augenblicke
blieb von ihm nur noch Asche. Die Bürger der Stadt jubelten begeistert.
Angewidert wandte Talaan sich von dem grausigen Schauspiel ab.
"Lasst uns gehen.", forderte er seine Gefährten
auf. Die Schlacht begann.
Mohab drehte sich zu ihnen, als er sie bemerkte. Abgesehen von
einem kurzen Moment harmloser Überraschung behielt er sein
würdevolles Gebaren bei. "WILLKOMMEN, MEINE WERTEN GÄSTE.
SEID IHR GEKOMMEN, UM MENSCHLICHES RECHT ZU SCHAUEN?" Martens
Blicke bohrten sich währenddessen in Talaans Kopf. Einer
der Diener eilte auf ein Zeichen herbei und stellte eine weitere
magische Kugel vor Talaan ab. Auch sie war kleiner als die des
Königs.
"Nein, Majestät. Ich bin hier, euren Lügen ein
Ende zu bereiten." Damit schleuderte er Mohab die Angriffspläne
vor die Füße. Entrüstung brandete durch die Menschenmenge
weiter unten.
Mohab brauchte nicht lange, um zu erkennen, was vor ihm auf dem
Boden lag. Seine Brauen zogen sich zusammen und bedrohlich langsam
hob er seinen Zeigefinger gegen sie. "IHR WAGT ES?!",
polterte er. "ICH BIETE EUCH MEINE GASTFREUNDSCHAFT UND IHR
VERGELTET ES DURCH HINTERGEHEN?!"
"Nein, Mohab!" Talaan ließ seine Stimme finster
und unheilvoll klingen. In diesem Moment fühle er sich wie
ein Racheengel: Voller gerechtem Zorn und der Macht zur Vergeltung.
"Wir boten euch das Geschenk des Friedens, doch ihr tretet
es mit Füßen. Diese Pläne, unterzeichnet durch
eure Hand, besiegeln den Tod der MaKri, sobald ihr das letzte
Orakel an euch gerissen habt."
Mohab bebte. Inzwischen musste
er erkannt haben, dass die
Zukunft zum ersten Mal seit langem eine Überraschung für
ihn bereithielt. Seine sonst so eiserne Selbstsicherheit schwankte.
"Tötet die Unwürdigen!", befahl er mit eiskalter
Stimme, in der dennoch der Zorn vibrierte.
"Eines noch, Mohab.", unterbrach ihm Talaan und der
König gebot seinen Mystikern zu warten.
"Ich kam in der Gestalt eines Menschen, in der Hoffnung es
würde der Annährung unserer Rassen förderlich sein.
Bevor ich euch verlasse, sollt ihr mein wahres Gesicht erblicken.
Vergesst es nicht!"
Er trat einen Schritt vor, um sich Platz zu verschaffen, und fing an.
Kaum begann er die ersten Worte der komplizierten Zauberformel
auszusprechen, schrie Marten: "Das ist eine List! Schüler,
vernichtet ihn!"
Doch das drang kaum noch zu Talaan durch. Nur am Rande bekam er
mit, wie die Zauberer des Königs einen Angriff wagten. Sorral
trat vor ihn und machte sich bereit. Gleißende Energie schoss
aus den Fingerkuppen der drei Magier und tasteten knisternd über
Sorrals schwach leuchtenden magischen Schild.
Die Mystiker sahen rasch ein, dass sie bei Sorral nichts ausrichten
konnten und lenkten ihre tödlichen Strahlen auf Rerrena,
Tonri und Reshero. Marten schleuderte einen Blitz nach Kirra.
Jeder einzelne Angriff zerschellte an den Barrieren der MaKri.
Fingernägel wurden zu Krallen, sein Mund dehnte sich zur
Schnauze und dann war es vorbei. Wie ein süßes Versprechen
konnte er die Magie durch seine Adern fließen fühlen.
Mohabs Augen zeigten so etwas wie entsetzte Ungläubigkeit.
Talaan streckte sich zufrieden. Zurück im eigenen Körper.
"Mohab. Ihr seid Zeuge geworden, dass es mehr auf dieser
Erde gibt, als es selbst für euer Auge sichtbar ist. Jeder
eurer Vertrauten könnte einer von uns sein und ihr werdet
es niemals wissen.
Wir wollen den Frieden, Majestät. Überlegt es euch wohl,
ob ihr einen Krieg gegen uns wagen wollt. Lasst uns ziehen, oder
viele eurer Soldaten werden heute ihr Leben verlieren."
Mohabs ganze Gestalt war sengender, schwefliger Zorn. "ICH
BEUGE MICH NICHT AUF MEINEM GRUND UND BODEN!", brüllte
er. "ICH BIN DER KÖNIG! MYSTIKER! WACHEN! ZEIGT IHNEN
IHRE GRENZEN!"
Talaans Kugelblitz traf den ersten Magier, bevor er auch nur den
Gedanken an einen Schutzzauber haben konnte. Er lebte bereits
nicht mehr, als sein Körper den Boden berührte. Sorral
beschwor indessen einen Feuerball, der krachend zu Füßen
der anderen beiden Zauberer einschlug. Der eine wurde von der
Wucht der Explosion beiseite geschleudert, doch der letzte war
schon gewappnet und holte zu einem Gegenschlag aus. Talaan konnte
die Beschwörungsformel nicht verstehen, doch die krankhaft
summende, violette Energie, die sich um die Fäuste des Mystikers
ballte, verhieß nichts Gutes.
Schlagartig schwoll das Summen zu einem irren Kreischen an, waberndes
Violett glitt durch die Luft und durchschlug Kirras Schild geradezu
mühelos. Mit einem schmerzerfüllten Stöhnen ging
sie zu Boden.
"Kirra! NEIN!" Seine Instinkte zerrten an ihm, riefen
ihn, seiner Frau zu Hilfe zu eilen. Mühevoll drängte
er sie zurück. Ob magischer Schild oder nicht, die Kraftkugel
wirkte k\xF6rperlich und riss den verblieben Magier von den Füßen.
Das Glimmen um ihn herum erlosch, als seine Konzentration brach.
"Sorral, jetzt!" Der Maigan richtete seinen Blick auf
den am Boden liegenden Mann. Ein Zittern durchlief den Boden,
dann durchbrach ein Stalagmit die Steinplatten des Plateaus und
durchbohrten den Zauberer.
Kirra rappelte sich hoch und taumelte ein wenig benommen. "Es
geht mir gut, glaube ich."
"Oh wirklich?", höhnte Marten. Talaan schnellte
zu ihm herum und erschrak. Der magischen Aura nach, welche Marten
umgab, musste er ungeheuer mächtig sein. Ein Zauberbuch lag
geöffnet in seiner linken Hand.
"Diesen Kampf kannst du nicht gewinnen, Elfenfreund."
"Du verschwendest Deine Stimme.", knurrte Talaan. Ein plötzliches
Gefühl von Gefahr ließ ihn zur Seite springen und ein
Dolch schnitt knapp an seinem Arm vorbei durch die Luft. Mordlust
stand in Kirras Augen. Ein Band dunkler Magie verband sie mit
Marten.
"Kirra! Komm zu dir!" Marten kicherte sein beinahe wahnsinniges
Lachen, als seine Geliebte erneut angriff. Behände wich er
dem Dolch aus und schlug kurz entschlossen zu. Seine Faust traf
ihr Kinn und schickte sie ins Reich der Träume. Hoffentlich
war sie wohlauf, wenn sie aufwachte.
Da musst du schon früher aufstehen, Marten. "Sorral,
kümmere dich um die Soldaten, Marten gehört mir."
"Nein, wie naiv.", spottete Marten und schleuderte ihm
einen halbherzigen Energiestoß entgegen. "Wie ich schon
sagte, du kannst nicht gewinnen." Er schloss sein Buch mit
einem Knall und ein kraftvoller Blitz schoss daraus hervor. Knisternd
entlud er sich an Talaans Schild, leckte gierig über ihn,
tanzte. Und hörte nicht auf.
Beim Schöpfer, diese Macht!, Talaans Abwehr begann
zu flackern. Natürlich, das Buch! Mit zwei Sätzen
war er bei Reshero, griff in eine seiner Taschen und zog sein
Zauberbuch hervor. Es war nicht nur eine Sammlung von Zaubersprüchen,
sondern auch eine Quelle der Macht. Keine Sekunde zu spät
ließ Talaan die Magie des Buches durch seinen Körper
fließen. Das Flackern seines Schildes verschwand.
Als Marten erkannte, was Talaan in den Händen hielt, begann
er wie ein verwundeter Geier zu kreischen. "Wie kann das sein?! Das Orakel hat mich betrogen!"
Talaan achtete nicht auf sein weiteres
Gejammer
und wehrte Martens
nächsten wütenden Angriff mit Mühe ab. Dann beschwor
er eine Kraftkugel, verkleinerte sie, presste sie zusammen, bis
sie schnell und klein wie das Herz eines Kolibris pulsierte. Vage
konnte sich Talaan an das Konzept der irdischen Gewehre erinnern
und ließ das Geschoss auf Marten los. Es durchschlug Martens
Herz und hinterließ ein kleines, unscheinbares Loch in seiner
Brust.
Marten blickte ungläubig an sich hinab und begann zu lächeln.
"Du bist gewachsen, Elfenfreund.", brachte er schwach
hervor, während seine Knie allmählich nachgaben. "Aber
du bist immer noch ein Narr. Glaub` nicht, dass es... vorbei...
ist."
Mit diesen Worten starb er. Talaan wollte zu ihm. Mit Sicherheit
war er nicht endgültig tot, doch Sorral rief ihn zur Vernunft:
"Zu mir, Talaan! Ich brauche Hilfe!"
Nach einer Minute der Raserei waren die Soldaten niedergestreckt.
Die Wachen weiter unten zögerten anzugreifen. Talaan webte
die Levitation um Kirra und hob ihren schlaffen Körper vorsichtig
an. "Auf, meine Freunde, wir gehen heim."
"DAFÜR WIRST DU BEZAHLEN, MAKRI", fluchte Mohab
drohend.
Talaan ging zu ihm und blieb dicht vor ihm stehen. Er bohrte seinen
Blick in das Gehirn des Königs. "Nur der Tatsache, dass
wir als Friedensvermittler kamen, verdankt ihr euer Leben, Mohab.
Und einen Rat habe ich noch für euch: Wendet euch von Marten
ab. Er ist Gift für eure Zukunft."
Mit diesen Worten ließ er Mohab stehen. "Rasch, Freunde,
er wird uns nicht einfach so gehen lassen. Sorral, du bildest
den Schluss." In einer langgezogenen Reihe rannten die Kri
hintereinander die Treppe hinab. Talaan ließ um seine Hände
unheilvolle Blitze tanzen, welche die meisten Soldaten beiseite
treten ließ. Wer standhaft blieb, starb.
Was von der gaffenden Menschenmenge auf dem Platz übriggeblieben
war, stob nun panisch auseinander. Dennoch blieben die meisten
und starrten ungläubig diejenigen Wesen an, die es gewagt
hatten ihrem absoluten Herrscher die Stirn zu bieten. Sie bildeten
eine breite, lebende Gasse.
Auf halben Weg zu den Stadttoren kam Kirra wieder zu Bewusstsein.
"He, lass mich runter, Talaan. Was soll das?" Sie sah
noch ziemlich mitgenommen aus. Behutsam löste er den Zauber
von ihr.
"Bist du in Ordnung?", fragte er aus sicherer Entfernung.
Sie sah überhaupt nicht mehr gefährlich aus.
"Dieser Mystiker hat mich ganz schön erwischt, nicht
wahr?" Mürrisch rieb sie sich die Schläfen. Dann
bemerkte sie die abschätzenden Blicke der anderen. "Warum
schaut ihr mich so seltsam an?"
Sie war wieder die Alte. Vermutlich war es besser, dass sie sich
an nichts erinnern konnte. Er nahm sie einen Moment glücklich
in die Arme und küsste sie innig. "Gut dass du wieder
da bist. Rasch, wir sind auf der Flucht."
Talaan sollte Recht behalten. Mohab hatte eine letzte Überraschung
für sie parat. Das Stadttor nach Westen war geschlossen.
Und vor ihm und auf der Mauer verteilt standen mindestens hundert
Soldaten, einige von ihnen mit Bögen bewaffnet. Ein einziger
Pfeil konnte den Tod bringen.
Einer der Soldaten, der in eine besonders prachtvolle Rüstung
gehüllt war, trat vor und nahm den Helm ab. Es war Mani.
"Ich habe den persönlichen Befehl des Königs, euch
zu töten, Abgesandte der MaKri."
Um Sorral herum erschien die magische Aura, doch Talaan gebot
ihm mit einer unauffälligen Geste Einhalt. Diesen Kampf konnten
sie nicht mit Gewalt gewinnen.
Mani zog ihr Schwert und rief laut. "Meine Getreuen! Angriff!"
Was dann geschah war unglaublich. Die Bogenschützen auf den
Mauern ließen die Sehnen surren und Soldaten Tullmas gingen
stöhnend zu Boden. Das vollkommene Chaos brach aus. Soldaten
schrieen, Soldaten kämpften gegen Soldaten, Soldaten starben.
Talaan kannte keinen außer Mani, also beschränkte er
sich darauf, ihr den Rücken freizuhalten. Als die kurze,
aber heftige Schlacht zu Ende war, erhoben sich Manis Anhänger
siegreich über ihre ehemaligen Kameraden. Kaum mehr als zwanzig
waren noch am Leben.
Bekümmert sah Mani auf einen alten Soldaten hinab, der vor
ihr auf dem Boden lag. "So habe ich das nie gewollt. Er...
er war mein Freund, aber Mohab treu ergeben." Sie sah Talaan
fragend in die Augen. Stumme Tränen liefen ungehemmt ihre
Wangen hinab. "Warum tut es immer so verdammt weh, für
die gute Sache zu kämpfen?"
Talaan warf einen gehetzten Blick in alle Richtungen.
"Darauf
weiß ich keine Antwort, Mani. Bitte öffnet das Tor,
damit wir fliehen können."
Mani schlucke den Schmerz hinunter und wurde hart.
"Ja, es ist
Zeit für uns zu gehen."
"Uns?" Er konnte unmöglich die ganzen Soldaten mitnehmen.
"Ich kenne und traue euch, Mani, aber ich kenne diejenigen nicht,
die an eurer Seite stehen."
Einer der Soldaten, ein junger Bursche, von dessen Wange Blut
rann, trat aufbrausend vor. "Wir haben für euch gekämpft, MaKri! Einige von uns sind sogar für euch gestorben!"
Mani legte ihm beruhigend eine Hand auf die Schulter. "Talaan,
bitte schick uns nicht fort. Meinetwegen streifen wir unsere Waffen
und Rüstungen ab, aber bring uns fort von hier! Hier
sind wir des Todes."
Talaan fürchtete eine letzte List
Mohabs. Wenn er die MaKri
nicht im offenen Kampf besiegen konnte, versuchte er es vielleicht
mit einem Attentat. Ein Soldat nur, mit einem Dolch in der Nacht,
konnte sie alle das Leben kosten.
"Ihr sagt, ihr vertraut diesen Männern?"
Die Effenda hob eine Hand zum Schwur. "Diese Männer stehen
nicht auf der Seite Mohabs oder Martens. Ich habe meine Wahl mit
äußerster Vorsicht getroffen, sonst wären es jetzt
mehr, die hier stünden."
Was sollte er jetzt tun? Die Vorsicht gebot die Männer hier
zu lassen, die letzte Brücke zu Mohab einfach abzubrechen.
Aber er brachte es nicht übers Herz. Wenn er sie hier zurückließ,
würde ihr Tod ihn verfolgen.
"So sei es. Behaltet eure Waffen, ihr werdet sie wohl brauchen. Mani, ihr seid für eure Leute verantwortlich."
Mani stieß ein erleichtertes Seufzen aus. "Ich danke dir, Talaan. Sollte einer von ihnen dennoch ein Verräter sein,
werde ich zehn von ihnen jede Nacht die restlichen bewachen lassen.
Ihr sollt euch um eure Sicherheit nicht sorgen."
Dann schwieg sie einen Moment nachdenklich. "Talaan? Wie wird
man uns bei euch aufnehmen?"
"Es wird nicht leicht für euch, denke ich, aber es ist nicht
die Art der MaKri, Vorurteile lange zu pflegen.",
antwortete er so ehrlich wie möglich.
Ein Horn schmetterte irgendwo in der Stadt. Talaan brauchte nicht
erst fragen, was das Signal bedeutete. "Wir müssen fort!
Beeilt euch!"
Die Sonne gleißte genauso heiß wie auf ihrem Weg nach Tullma, aber es machte Talaan nichts mehr aus. Die MaKri waren
die Eingeborenen dieses Kontinents und die Hitze war seit Anbeginn
der Zeit ihr Begleiter.
War es wirklich erst wenige Tage her, dass sie in die entgegengesetzte
Richtung unterwegs waren? So recht konnte er es nicht glauben.
Viel war seit dem geschehen. Ein alter Feind, Orakel, Lügen,
Verrat und Fallen im Dunkeln... Er hatte sein Zauberbuch wieder und neue
Verbündete liefen an seiner Seite. Die MaKri waren erwacht
und hatten Mohab in seiner Thronstadt eine Niederlage beschert.
Und jetzt ging es heim.
Heim? Wie lange war es denn her, dass er auf dieser Welt weilte?
Kaum mehr als vier Monate. Vier Monate, in der er von einem verirrten
Mensch in einem Fell zu einem verheirateten MaKri geworden war,
der das Schicksal eines ganzen Volkes in den Händen gehalten
hatte. Oder es immer noch hielt.
"Was ist, Talaan?", fragte Kirra, die neben ihm ging.
"Du
siehst schon wieder aus, als versuchtest du die Probleme der Welt
durch Grübeln zu lösen."
"Wir lassen einen mächtigen Feind zurück, Kirra. Mohab
wird sich nicht von seinem Ziel abbringen lassen, fürchte
ich. Erst recht nicht, wenn ihn Marten weiter anstachelt."
"Du hast Marten doch getötet, oder nicht?"
"Ich habe lange darüber nachgedacht, Kirra. In meinem letzten
Leben bin ich das eine oder andere mal getötet worden, ohne
endgültig zu sterben. Ein kurzer Moment der Dunkelheit und
dann lebte ich wieder. Ich wusste nie warum das geschah, oder
warum es nicht geschah, als Marten mich tötete...
Er hat etwas über meinen letzten Tod gesagt, von dem ich
glaube, dass es die Wahrheit ist. Seinesgleichen..." Er schüttelte
den Kopf. Es hatte keinen Sinn es länger zu leugnen. "Unseresgleichen
verlässt eine Welt, ein Leben nicht, solange uns hier etwas
Bedeutsames hält."
Kirra wusste darauf nichts zu sagen und schwieg.
Nicht alles war düster. Vor ihnen lag die Heimat. Und vor
ihnen lag die Hoffnung.
Hoffnung.
Und der Schatten des Krieges.