"Das Zweite Buch der Welten - Die Macht
der Träume" von Jaquimo Talaan
veröffentlicht: 28.05.2002
"Das Zweite Buch der Welten" and contained characters \xA9 2001-2003 by Christoph Günther.
Verwendung, Änderung und kommerzieller Vertrieb nur mit meinem
persönlichem Einverständnis. Dies gilt explizit (aber
nicht nur) für die Charaktere Jaquimo Talaan, Ginuthal, Kirra, Jairree und
Loma, an denen mein Herz hängt.
Ich habe eine Menge Arbeit in die Geschichte(n) gesteckt, auch
wenn es mir Spaß gemacht hat. Wenn Du Zeit und Lust hast, schreib mir eine
Email, ob Du die Geschichte mochtest oder nicht.
Ich bin für jegliche ernstgemeinte Form von Kritik und/oder
Lobeshymnen ;) zu haben.
Email an *
* aus Spam-Gr\xFCnden nur als Bild zum abtippen, sorry
Und jetzt viel Spaß mit dem vierten
Teil.
Er war sicher, das Paradies gefunden zu haben. Im Osten begannen
vereinzelte Bäume die Vorläufer des Dschungels zu bilden, während in Westen die Savanne endlos und ehrfurchterregend
zum Horizont strebte. Dort, wo er stand, mischten sich die beiden
Welten und das Leben gedieh in unglaublich mannigfaltiger Pracht. Saftiges, hüfthohes Gras wiegte sich einem grünen Meer
gleich im über die Ebene heranschwebenden Wind. Grillen zirpten, Vögel haschten sich zwitschernd in der Luft. Unweit von ihm
machte es sich ein Gepard an einem Wasserloch gemütlich, aus dem gerade zwei Zebras tranken.
Es war friedlich an diesem Ort. Eine unerklärliche
Gelassenheit und Unbeschwertheit schien von ihm auszugehen und
durchdrang alles und jeden hier. Talaan konnte die Harmonien des
Friedens in seinem Herzen hören.
Kirra stand bei ihm und streckte ihr Gesicht mit
geschlossenen Augen dem Wind und der wärmenden Sonne entgegen.
Auch sie konnte es hören, fühlen, genießen.
"Was ist das für ein Ort?", fragte er leicht
verwundert. Er hatte ihn nie zuvor gesehen, ja nicht einmal geahnt, dass es ihn geben könnte.
"Erkennst du ihn nicht wieder?", fragte sie
mit einem glücklichen Lächeln und sah ihn leicht verwundert
an.
Erneut schaute er sich um. Im Westen konnte er weit
entfernt eine kleine Gruppe Büffel ausmachen, die gemütlich
vor sich hin trabte. Sie kannten keine Eile. Eile stand jenseits
des Friedens. "Nein. Ich habe diesen Ort noch nie zuvor gesehen.
Ich könnte so etwas wunderbares nicht vergessen."
Kirra kicherte und schüttelte gutmütig
tadelnd den Kopf. "Lass Deine Augen aus dem Spiel, Geliebter.
Höre auf Dein Herz."
Also schloss er seine Augen und lauschte in sich
hinein. Dieses Gefühl des Friedens kannte er. So hatte er
sich das letzte Mal gefühlt, bevor Ginuthal gestorben war.
Damals im... "im Jungen Wald", brachte er erstaunt hervor
und schlug die Augen auf. Kirra stand dicht vor ihm, schüttelte
wieder den Kopf und legte eine Hand auf seine Brust.
"Dieser Ort ist in dir, Talaan. Nur hast du seit
Ginuthals Tod nicht mehr den Weg hierher gefunden. Frieden kann
nur der finden, der ihn in sich trägt."
"Frieden..." Talaan kostete den Klang dieses
Wortes aus, während er es bedachtsam über seine Lippen
kommen ließ. Es tat gut. Aber...
"Sch", flüsterte Kirra und legte ihm einen
Finger auf die Lippen. "Sprich nicht darüber."
Die Versuchung war groß. Die Versuchung sich
dem Vergessen hinzugeben. Doch eben so kraftvoll war die Erinnerung, die mit einem Schlag wiederkehrte. Getrieben von einer unbekannten
Kraft bemächtigte sie sich seiner. "Aber die Menschen. Wir
müssen sie aufhalten!"
Kirra wurde unsagbar traurig und ihr Gesicht verzog
sich ungläubig. "Warum hast du das getan?", wisperte
sie fassungslos und löste sich von ihm. Die Grillen gaben
einen grässlich verstimmten Ton von sich und verstummten
mit einem Schlag. "Warum?"
"Kirra? Was ist hier los?" Der Wind verblasste
zu einem Hauch und verschwand dann im Nichts.
Kirra war nicht mehr nur traurig. Sie sah jetzt verängstigt
aus. Schrecklich verängstigt. Ihre furchtsamen Blicke galten
dem Westen. "Sie kommen.", flüsterte sie tonlos. "Wieso
hast du ihnen Zutritt gewährt?" Tränen rannen ungehemmt
ihre Schnauze hinab und bildeten eine feuchte Spur in ihrem Fell.
Talaan spähte nach Westen. Doch die grelle Sonne
blendete ihn und brannte nun erbarmungslos auf ihn herab. "Kirra, was..." Doch Kirra war fort. Dort wo sie gestanden hatte
befand sich jetzt nur noch welkes Gras. Auch die Tiere waren fort, der Dschungel schien in weite Ferne gerückt.
Von Westen her brandete etwas heran, das sich wie
der Vorbote von etwas Furchtbarem anfühlte. Eine Ahnung des
Schreckens.
Entsetzt riss Talaan seine Augen auf und stürzte kaltem Wasser
gleich in die Realität. Kirra lag ihm gegenüber und
stumme Tränen rannen durch das Fell ihres Gesichts. "Warum
hast du ihnen Zugang zu deinen Träumen gewährt?",
flüsterte sie traurig, ohne Vorwurf. Es war jetzt eine irdische Traurigkeit,
nicht verzerrt durch das Fieber eines Alptraums. "Es war so wunderschön..."
Auch Talaan war so sehr nach Weinen zu mute, wie
lange nicht mehr. Wie hatte er es nur vergessen können? Jahrzehnte
hatte er ohne diesen Ort in seinem Herzen gelebt. Nun, da er ihn
für einen Wimpernschlag wiedergefunden hatte, schmerzte jedes
einzelne Jahr davon.
"Ich... konnte es nicht aufhalten.", brachte
er mit gebrochener Stimme hervor. Trostsuchend schmiegte er sich
an Kirra, schlang einen Arm um sie und vergrub sein Gesicht an
ihrem Hals. "Es war, als hätte es sich in meinen Traum hineingedrängt,
um meinen Frieden zu zerstören." Dann ließ er
seinen stummen Tränen freien Lauf.
Die Stelle, von der Talaan diese Nacht geträumt hatte, lag
nun einige Tage hinter ihnen. Natürlich hatte sie sich erheblich
von seinem Traum unterschieden. Das Gras war bei weitem nicht
so frisch und die Tiere waren nicht so friedlich. Sauber abgenagte
Knochen hatten das bewiesen. Es war einfach nur jener Landstrich
wo Dschungel und Savanne von jeher um die Vorherrschaft stritten.
Jeder Schritt des heutigen Tages fühlte sich
besser an, als der zuvor. Heute würden sie das letzte Mal
im Dschungel übernachten, dann hatten sie es geschafft. Der
weite Weg durch die Savanne und durch die Vorläufer des Waldes
lag hinter ihnen.
Sie hatten viel länger für den Rückweg gebraucht, als für den Weg nach Tullma. Das lag zum einen
an den Menschen, die sie nun begleiteten. Zwar waren sie Soldaten
und lange Märsche gewohnt, aber sie hatten auch Mägen, die es zu füllen galt. Für beinahe dreißig Menschen
und Kri Beute zu finden war kein Leichtes und nahm Stunden in
Anspruch.
Zum anderen hatten sie es auch nicht eilig. Seit
ihrem phänomenalen Sieg in der Stadt des Königs hatte
sich schleichend aber stetig Euphorie unter den Abgesandten breitgemacht.
Wenn allein eine Handvoll MaKri Mohab in seiner eigenen Thronstadt
die Stirn bieten konnte, was sollte dann ein ganzes Volk von ihnen
aufhalten?
All zu schnell hatten sie vergessen, wie leicht Marten
Kirra in seine Gewalt bekommen und Talaan beinahe vernichtet hätte.
Talaan selbst war da keine Ausnahme. Er wusste um die Macht der
Magie. Und die Möglichkeit Tausende, ja Zehntausende Magier
gegen den Feind zu vereinen, berauschte ihn geradezu. Er war sich
des Sieges gewiss.
Es brauchte nur ein wenig Zeit, um die MaKri zu lehren.
Und er war sich so sicher gewesen, dass sie diese Zeit
hatten. In seinen Gedanken hatte er stets Mohab und Marten ratlos
zögernd gesehen, nicht wissend, ob ein Angriff auf den Dschungel
den begehrten Erfolg bringen würde.
Doch seit heute Nacht war er sich da nicht mehr so
sicher. Nun spürte er deutlich das Auge des nördlichen
Orakels über sich schweben. In dem Moment, in dem Mohab den
Krieg beschloss, würde er wissen, ob es für ihn einen
Sieg geben würde.
Blieb nur noch die Hoffnung, dass Mohab dem Orakel
nicht mehr traute. Schließlich war es Talaan ja gelungen
das Nördliche auszutricksen, mit Hilfe dessen östlichen
Geschwisters.
Obwohl die Heimkehr gleichzeitig auch bedeutete, wieder die Pflichten eines Maigan zu übernehmen,
freute sich
Talaan auf die Große Stadt. Freute sich auf die MaKri, die
dort lebten, auf die Betriebsamkeit am Boden, die spielenden Kinder
und die Baumhäuser. Selbst der Dschungel hier schien ihn
willkommen zu heißen, war vertraut und faszinierend wie
eh und je.
Er freute sich darauf Girrad wiederzusehen und auch Rashek, die Männer,
die ihn in diesem Leben die ersten Schritte
gewiesen hatten. Und von der Großen Stadt aus würde
es nur noch ein Spaziergang zu Kirras Dorf sein. Er vermisste
die üppig grünen Hügel dort.
Die Verlockungen eines normalen Lebens waren enorm.
Ein weiterer Grund, weshalb sie so langsam vorankamen, war der
tägliche Unterricht, welchen Talaan den MaKri während
der letzten hellen Stunde des Tages erteilte.
Sorral war inzwischen vom Lernen zum Lehren übergegangen.
Das lag nicht nur daran, dass er einen Vorsprung hatte und einen
Großteil der Angriffs- und Abwehrzauber schon beherrschte.
Der wahre Grund lag in Sorrals enormen Talent für die Kampfmagie.
Wie sie es an jedem Abend taten, erklärten die
beiden Maigan ein neues Geistessymbol, diesmal die recht schwierige
Erdbeherrschung, und die MaKri lauschten konzentriert. Zum Nachdenken
und Üben war dann während des nächsten Marsches
genug Zeit. Als alle offenen Fragen beantwortet waren, gingen
die Heimkehrenden zu ihrer allabendlichen Gepflogenheit über.
Wie jeden Abend kam das Zwielicht früh, welches
im Dschungel die Dämmerung ersetzte. Und wie jeden Abend
wurde es irgendwann schlagartig dunkel. Einzig das Feuer des Lagers
hielt die Dunkelheit davon ab, über die Delegation und ihre
menschlichen Begleiter herzufallen.
Und wie jeden Abend seit ihrer Flucht aus Tullma
verzehrten Menschen und MaKri am selben Feuer das Fleisch, welches
die MaKri während des Tages erbeutet hatten. Doch nach dem
Essen auch das hatte sich so eingebürgert trennten sich die
beiden Gruppen wieder und schlugen ihr Nachtlager auf der jeweils
gegenüberliegenden Seite des Feuers auf.
Wie jeden Abend ging Talaan zu der Gruppe der Menschen
hinüber und erkundigte sich nach ihrem Ergehen. Er fühlte
sich ihnen in einer seltsamen Weise verbunden. Schließlich
war er selbst mal ein Mensch gewesen und erinnerte sich noch gut
an sein anfängliches Befremden den MaKri gegenüber.
Obwohl er bei den Soldaten keinen Unterschied machte, war es fast
immer Mani, die ihm antwortete.
"Es geht uns gut, wie immer, Talaan. Die Männer
gewöhnen sich allmählich an das Leben als Kronenflüchtige.
Oder sollte ich sagen als freie Menschen? Ich weiß nicht, ob ich mich jemals daran gewöhnen
werde, kein Soldat
mehr zu sein. Seit meiner Jugend kenne ich nichts anderes."
Nachdenklich blickte Talaan in die Richtung, in der
die Große Stadt lag. "Vielleicht musst du das auch nicht, Mani. Ich kann nicht für die Ältesten
sprechen, aber...
Wir werden einen Feldherren brauchen. Den MaKri ist der Krieg fremd, und wir brauchen
jemanden, der etwas von Formationen, Taktiken
und solcherlei Dingen versteht."
Grüblerisch, ja geradezu besorgt, zog Mani ihre
Augenbrauen zusammen. "Du willst, dass ich eure Schlachten befehlige?"
"Was ich möchte zählt nicht, aber ich könnte
mich im Rat dafür stark machen. Auch wird es weniger Tote
auf unserer Seite geben, wenn wir wissen, wie der Feind denkt.
Du kennst die Strategien Mohabs besser als sonst irgendwer.
"Ich..." Sie verstummte nachdenklich und starrte
den Boden an, als könne der ihr eine Antwort geben. "Ich
muss darüber nachdenken. Euch vor einem Hinterhalt in Tullma
zu retten war eine Sache. Einen Krieg gegen Mohab zu führen
ist eine ganz andere."
Talaan hob seine Hände zu einer beschwichtigenden
Geste. "Das verstehe ich gut. Folge deinem Gewissen, das ist der
beste Weg."
Mani ließ ihre Blicke über die MaKri jenseits
des Feuers gleiten und nickte dann. "Das werde ich, Talaan."
Dann entdeckte sie Kirra, die abseits vom Feuer hockte. "Alles
Wichtige ist besprochen, mein Freund. Kümmere dich jetzt
lieber um deine Frau. Sie ist ein liebes Mädchen, aber in
letzter Zeit scheint sie irgendwie nicht mehr so recht froh."
Talaan nickte nachdenklich. Bisher hatte er Kirra
nicht darauf angesprochen, sie ließen sich gegenseitig genug "Luft zum
Atmen', aber allmählich machte er sich Sorgen. "Ich werde mal nach ihr schauen."
Also ging er zu Kirra und kniete sich neben sie.
Wie an den letzten Abenden saß sie ein wenig abseits und
starrte gedankenverloren und traurig in das undurchdringliche
Dunkel außerhalb des Feuerscheins.
"Einen Flussopal für deine Gedanken.",
flüsterte er in ihr Ohr.
Wie aus einem Traum erwacht zuckte sie zusammen und
sah ihn überrascht an. "Wie?"
Er küsste sie sanft auf die Nase. "Nur eine dumme, menschliche Redensart. Was geht dir durch den
Kopf, Geliebte?"
"Ich..." Sie seufzte traurig und musterte ihn
eigenartig forschend. "... will nicht darüber reden."
Sie legte ihm einen Finger auf die Lippen, als er zu Protest anheben
wollte. "Noch nicht. Keine Sorge, Liebster, ich will mein Herz
nicht vor dir verschließen."
Wie zum Beweis küsste sie ihn liebevoll und
wusch seine leisen Zweifel weg, dass ihr gegenseitiges Vertrauen
an Schwäche litt. "Dann sag mir wenigstens, warum du immer
abseits sitzt. Weder die Ehrwürdigen noch die Menschen hätten
etwas gegen deine Gesellschaft einzuwenden. Mani hat dich in ihr
Herz geschlossen, glaub' ich."
Sie warf einen flüchtigen Blick zu beiden Lagern. "Ich fühle mich unter all den Gelehrten fehl am Platze. Ich
bin doch nur eine einfache Jägerin und will auch nicht mehr
als das sein. Und die Menschen bleiben unter sich." Nach
einiger Zeit gab sie noch verlegen zu: "Ich grusele mich auch
ein wenig vor ihnen. Einige der Menschen sind so eignartig..."
Sie suchte vergeblich nach Worten. "Ich weiß nicht. Eigenartig
eben."
"Sie sind Soldaten, Kirra. Die müssen so sein.
Gehorsam und... unselbstständig im Denken. Dass die MaKri
so etwas nicht kennen ehrt euch."
"Es ist ihnen verboten selbstständig zu denken?"
Kirra schmunzelte, als ob er sie auf den Arm nehmen wollte. Als
er aber keine Anstalten machte, ebenfalls zu lächeln, wurde
sie nachdenklich. "Es ist mir schon aufgefallen, dass die meisten
Krieger erst zu Mani sehen, bevor sie sprechen, aber das..."
Sie schüttelte den Kopf. "Ihr Menschen seid seltsam."
Jetzt zog er eine gespielt beleidigte Grimasse. Sie
wusste genau, dass sie ihn damit ärgern konnte. "Ich bin
zutiefst gekränkt." Dann fing er an zu schniefen und
wandte sich ein wenig von ihr ab. "Niemand glaubt mir, dass ich
ein echter MaKri bin."
Sie schlang ihre Arme um ihn und schnurrte in sein
Ohr. "Du könntest ja versuchen, es mir zu beweisen. Starker
Mann."
Verschmitz blinzelte er ihr zu. "Du weißt wie
schüchtern ich bin, wenn ich das vor Anderen tun soll."
Als sie anfing zu lachen wusste er, dass er gewonnen
hatte.
Er konnte geradezu ihren Kampf mit sich selbst spüren, als sie versuchte wieder ernst zu werden. Seit sie sich
kannten, spielte sie diese Spielchen mit ihm. Es war sogar noch schlimmer
geworden, seit sie herausgefunden hatte, dass Talaans menschliche
Prägung nach MaKri-Verhältnissen geradezu prüde
war.
"Wenn du mich schon verschmähst, könntest
du mir ja einen anderen Gefallen tun."
Er stahl seiner Liebsten einen Kuss. "Was immer du
willst."
Sie senkte... verschämt? ihren Kopf und blickte
aus den Augenwinkeln zu ihm auf. "Nimmst du dir die Zeit und erklärst
mir noch mal das Symbol für den Feuerball?"
"Warum hast du nicht vorhin gefragt?", wunderte
er sich.
"Ich... wollte euch nicht aufhalten. Und du weißt doch, dass ich mich bei all den Ehrwürdigen nicht wohlfühle."
"He, ich bin selbst einer! Ein Maigan, du erinnerst
dich?", protestierte er mit einem Lächeln und erntete
einen Rippenstoß.
"Träum weiter, Jungspund."
"Natürlich helfe ich dir. Es macht mich stolz, dass du nicht aufgibst."
Talaan zog einige Schatten um sie beide zusammen
und schirmte sie so vor den Blicken der Anderen ab. Sollten sie denken, was sie wollten. Dass sich Kirra ein wenig schämte,
weil sie bisher nicht einen einzigen Angriffszauber gemeistert hatte, war ihm nicht entgangen. Ihre Erfolge im Erlernen von neutralen
Zaubern wie Ruhe und Licht standen denen der anderen jedoch kaum
in etwas nach.
Talaan machte
es sich hinter Kirra gemütlich und schlang seine Arme um
ihren Bauch. Mit einem wohligen Seufzer lehnte sie sich an ihn, schmiegte sich in seine Umarmung. Nun fühlte sie sich
geborgen, so als könnte ihr kein Übel widerfahren. Als könnte
selbst ein Fehlschlag ihr nichts anhaben.
"Gut, Kirra. Fang an."
"Ich? Du sollst es mir erklären."
"Du hast schon viel gelernt. Zeig mir, was du dir
merken konntest." Mit einem humorvollen Unterton fügte
er noch hinzu. "Und sieh dich vor, auf wen du damit zielst. Nicht
dass am Ende jemand geröstet wird, den wir kennen."
Darüber musste sie ein wenig schmunzeln. "Du
bist sehr davon überzeugt, dass ich es schaffe, nicht war?"
"Felsenfest."
In diesem Moment glaubte sie beinahe selbst daran.
Um sich Mut zu machen, atmete sie einmal tief durch und ließ
dann ihre verkümmerte Version des Feuerballzeichens in der
Luft erscheinen. Es leuchtete fast gar nicht und entbehrte auch
der Ästhetik eines vollendeten Symbols.
"Ich liebe es, wenn du das tust.", raunte er
mit verführerischer Stimme in ihr Ohr und küsste es
verspielt.
"Schmeichler.", spöttelte sie liebevoll.
Dennoch spürte sie so etwas wie Stolz. Ein Luftbild
mit einem Schlag erscheinen zu lassen gelang nicht einmal Talaan.
Sie hatte diesen Zauber instinktiv verändert, dass es ein
Abbild ihres Geistes war. Sie liebte die kunstvollen Bilder, die
sie heimlich damit malen konnte.
Und sie freute sich über seine ehrliche Bewunderung
für diesen Erfolg. Jetzt wollte sie ihm einen weiteren Grund geben, auf sie stolz zu sein.
"Also? Was mache ich falsch?"
"Siehst du diese Stelle dort? Sie kanalisiert die
Kraft der Hitze. Feuer ist eigentlich nur..."
Sie arbeiteten gemeinsam an ihren Fragen und zum
Schluss hatte sie das gute Gefühl, alles verstanden zu haben.
Voll und ganz, da war sie sicher. Es klappte dennoch nicht. Wann
immer sie an einem Ende etwas verbesserte, so wie es seien sollte, verschob sich am anderen Ende wieder etwas. Nach einer fruchtlosen
Stunde des Übens standen ihr beinahe Zornestränen in
den Augen. Dieser Zauber hasste sie!
"Lass es für heute genug sein, Kirra. Du kannst
es nicht erzwingen."
Am liebsten hätte sie ihren Zorn auf ihm niedergehen lassen, weil er nicht mehr
glaubte, dass sie es schaffen konnte.
Genau das hieß es nämlich, selbst wenn er es nicht
böse meinte. Er hatte viel Geduld mit ihr bewiesen und dennoch
fühlte sie sich gekränkt. Gedemütigt von ihrer
eigenen Unfähigkeit. "Nur noch ein bisschen! Ich könnte
mir in den Schwanz beißen!", knurrte sie mürrisch.
"Kirra..." Er gebrauchte seine sanfteste Stimme
und ließ ihre Wut auf sich selbst nicht mehr wichtig erscheinen
und sie verrauchte. "Es ist gut. Lass uns schlafen."
Sie machten es sich nahe des kleiner werdenden Feuers
gemütlich und kuschelten sich aneinander. Doch Kirra fühlte
sich trotz seiner Nähe traurig und irgendwie verlassen.
Talaan hatte mit einem freudigen Empfang gerechnet, aber nicht mit solch einem
Andrang, solch einer Begeisterung.
Schon von weitem hatten sie ein unglaubliches Stimmenwirrwarr vernommen, das zu einem unglaublichen Jubelchor
anschwoll, als
sie den Westrand der Großen Stadt erreichten.
MaKri saßen auf so ziemlich jedem Ast der Bäume, MaKri standen dicht an dicht auf Plattformen und Hängebrücken
und MaKri drängten sich zu Tausenden auf dem Boden. Sie wirkten
wie ein freudig brodelnder Vulkan, der kurz vor einem Ausbruch
stand.
Einzig die Ältesten der Großen Stadt schienen
sie mit ihrer Würde davon abzuhalten. Sie standen ein wenig
vor den versammelten Kri und erwarteten die Reisenden. Doch selbst
auf ihren sonst so ehrwürdigen Gesichtern lag die Freude
von Kindern.
Firr trat mit einladend ausgebreiteten Armen vor.
Das Gemurmel und der Jubel in der Menge erstarben rasch. "Ihr
wurdet zu den Menschen gesandt, mit der schwachen Hoffnung auf
Frieden. Der Frieden wurde uns verwehrt, aber was ihr brachtet
ist dennoch mehr, als wir zu träumen wagten. Unsere Hoffnung
ist dank euch zu einem Berg gewachsen, meine Freunde. Ihr habt
die Bestimmung der MaKri gefunden."
Mit einer ausschweifenden Geste seiner Arme holte
Firr zu weiteren Lobpreisungen aus, doch eine Frauenstimme aus
der Menge ließ seine Dramatik zu Staub zerfallen. "Passt auf, meine Helden,
der ehrenwerte Firr scheint in den Klang seiner
Stimme verliebt zu sein."
Heiteres Gelächter brandete durch die Versammelten
uns selbst Firr konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. "Sehera
hat recht, fürchte ich. Wir sollten euch lieber mit einem
Fest denn mit Worten ehren. Willkommen daheim."
Er hatte noch gar nicht richtig zu Ende gesprochen, da strömten die Kri schon zu den Heimgekehrten und ehe Talaan
es sich versah, hatte ihn die Menge auch schon geschluckt. Es
folgte ein wildes Durcheinander aus freudestrahlenden Gesichtern, Händeschütteln,
herzlichen Umarmungen und sogar hin
und wieder Küssen von jungen Frauen.
Sosehr Talaan den Trubel vor Monaten gehasst hatte, sosehr genoss er ihn nun. Diese Kri schienen sich beinahe noch
mehr als er zu freuen, dass er wieder hier war. Es war eine wahre
Heimkehr. Dieses Volk war seine Heimat.
Irgendwann entdeckte er am Rande des Gedränges
Mani und ihre Soldaten. Sie wurden größtenteils ignoriert
und wirkten irgendwie verloren und sogar furchtsam. Die Angst
konnte er ihnen nicht verdenken. Eine Horde entfesselter Kri wirkte
einfach furchteinflößend.
Talaan kämpfte sich fröhlich durch den
Wust aus MaKri und gelangte schließlich zu den Menschen. "Komm mit, Mani, ich will dich dem Häuptling von dem wilden
Haufen vorstellen." Ohne eine Antwort abzuwarten griff er
ihre Hand und zog sie hinter sich her, als er sich seinen Weg
zurück durch die Menge suchte.
Es dauerte eine wenig, bis er Firr gefunden hatte. "Häuptling,
dies ist Mani. Ihr haben wir alles zu verdanken.
Unser Leben und unsere Zukunft. Ohne sie hätte ich das Zauberbuch
nie gefunden."
Mit einer ernsten Mine musterte Firr die ehemalige
Effenda. Mani fühlte sich unter seinem Blick nicht so recht wohl, wie es schien. Firr hatte gelbe Augen und Talaan
wusste, wie irritierend das war. "Tonri hat schon viel über dich berichtet,
Kriegerin Mani. Dein Vater war mir wohl bekannt und
es freut mich sehr, dass seine Tochter nach ihm geraten ist."
Bei diesen Worten schenkte er ihr ein warmes Lächeln. "Ist
es bei euch üblich sich aus Freude zu umarmen?"
Mani hatte sich inzwischen ein wenig entspannt und
lächelte ebenfalls. "Das ist etwas, an das ich mich gewöhnen kann, glaube ich."
Firr schloss sie herzlich in die Arme und drückte
sie kurz. "Willkommen bei unserem Volk. Du und deine Mannen werdet
hier rasch eine neue Heimat finden."
"Danke, Häuptling. Ihr... du kanntest meinen
Vater? Wie..."
Talaan beschloss, die beiden mit ihrem Gespräch
allein zu lassen. Mani war sichtlich überrascht über
die Wärme, die ihr entgegengebracht wurde. Es war ein guter
Anfang und sie würde sich zurechtfinden. Wenn sich erst einmal herumsprach,
dass Mani ein Freund des Häuptlings der Großen
Stadt war, würden sich der Glauben, Menschen seien Dämonen, bald im Wind zerstreuen.
Der Abend brachte ein wunderbares Fest mit sich, an dem alles teilnahm, was auf den Beinen war. Den
MaKri, die aus Tullma heimgekehrt
waren wurden Ehrenplätze gegeben. Auch Mani und ihre Soldaten, die nun zum ersten Mal ohne Rüstung und Waffen zu sehen
waren, wurden geradezu gedrängt, an der Feier teilzunehmen. Ihnen
wurde beinahe genauso viel Aufmerksamkeit zuteil, wie Talaan und
seiner Gruppe. Zwanzig friedliche Menschen auf einmal waren einfach
eine riesige Attraktion.
Das Fest dauerte bis tief in die Nacht war jene zwanglose
Mischung aus Musik, Tanz und Plauderei, die Talaan so lieben gelernt
hatte.
Am nächsten Tag versammelte sich der Rat der Räte. Die
Ältesten aller Siedlungen waren auf und um den zentralen
Platz der Stadt versammelt. Das war etwas, das es seit dem Bestehen
der Ältestenräte noch nie gegeben hatte. Es galt über
die Zukunft der gesamten MaKri zu entscheiden.
Die Bürger der Stadt, die keinen Platz auf den
Plattformen und Hängebrücken fanden, wurden von der
Versammlung ausgeschlossen. Selbst die Große Stadt bot nicht
genug Platz für ein solches Ereignis.
Nach einer ausführlichen Rede Firrs, der diesmal
nicht unterbrochen wurde, kam der Rat auf die im Dschungel verstreuten
Truppen des Königs zu sprechen. Ein Häuptling einer
im Herzen des Dschungels gelegenen Siedlung ergriff das Wort.
"Was die in unserem Dschungel umherziehenden Soldaten
des Königs angeht, können wir schon einige Erfolge melden.
Seit wir von den Lagerplätzen der einzelnen Gruppen wussten, konnten wir gut die Hälfte von ihnen siegreich bekämpfen."
Der MaKri schüttelte verständnislos den Kopf. "Jeder
einzelne Kampf war aussichtslos, dennoch haben sie sich geweigert, sich zu ergeben. Die wenigen
Soldaten, die schwer verwundet den
Kampf überlebten, haben sich inzwischen das Leben genommen."
Ein Raunen ging durch die Versammlung.
Mani neigte sich zu Talaan herüber und flüsterte: "Mohab hat für diesen Plan nur äußerst loyale
Männer ausgewählt. Und Marten hat ihnen solch einen
Horror vor den MaKri in die Köpfe gepflanzt, dass sie euch
jetzt mehr fürchten als den Tod."
"Mohab hat schnell reagiert.", fuhr der Redner
fort. "Wie er seine Truppen gewarnt hat wissen wir nicht, dennoch
sind sie nicht mehr an den Stellen, die der ehrenwerte Reshero
auf Mohabs Karte bestimmt hat. Für das Orakel stellen sie
indes keine Gefahr mehr dar. Wir haben sehr viele Krieger zur
Halle des Lichts geschickt. Erst ein richtiger Krieg könnte
sie bezwingen."
Das brachte dem Redner begeisterte Zustimmungsrufe
ein.
"Die übriggebliebenen Schlächter werden
dennoch ein Problem sein. Sie können nach Belieben unsere
Siedlungen angreifen. Sie aufzuspüren wird nicht leicht, wenn nicht sogar unmöglich
werden, sollten sie in Bewegung
bleiben und sich verstecken."
Talaan erhob sich ein wenig nervös. All die
Ältesten verunsicherten ihn. "Ich... ich arbeite an einem Zauber, um dieses Problem zu lösen. Er wird es uns auch ermöglichen
die Savanne bis nach Tullma zu überwachen."
Die Augen jedes einzelnen Kri waren auf ihn gerichtet, als er sich wieder setzte. Dass diese Blicke danach weiterhin
auf ihm ruhten, machte ihm wieder bewusst, dass sie in ihm immer
noch einen Maigan sahen. Selbst nach allem, was sie nun über
die Natur ihres Volkes wussten.
Als sich das peinliche Schweigen und erwartungsvolle
Starren dehnte, fügte er noch kleinlaut hinzu: "Mehr wollte
ich nicht sagen." Das brach den Bann endlich. Talaan seufzte
innerlich. Ob er sich jemals daran gewöhnen würde, von
diesem Volk als eine Art Erwählter betrachtet zu werden?
"Es tut gut, das zu wissen, Maigan. Gerade die kleinen
Dörfer könnten wir kaum gegen einen unsichtbaren Feind
halten." Es folgte eine ausführliche Diskussion, wie
eine Suche auf herkömmliche Weise erfolgen könne und
wie viel Krieger dafür eingesetzt werden sollten, ohne den
wichtigen Siedlungen eine Blöße zu geben.
Von dort aus war es nur noch ein kleiner Gedankenschritt
zum Krieg. Doch mit einem Mal war nicht mehr von Kriegern die
Rede. "Ihr alle wisst von den Ereignissen in Tullma. Doch was
wir nicht wissen ist, welche Veränderung sie mit sich bringen.
Ist diese Magie denn derart mächtig, dass sie uns gegen die
erdrückende Übermacht des Feindes wappnen kann? Der
ehrenwerte Maigan Talaan hat das Wort."
Kirra, die zur anderen Seite ihres Mannes saß, drückte ihm kurz aufmunternd die Hand.
"Ich bin bei dir, habe Mut.', sagte diese Geste und Talaan war Kirra in diesem Moment
unendlich dankbar dafür. Seine Liebste anlächelnd stand
er auf, um in die Mitte des Platzes zu treten.
"Ich bin kein Mann für große Reden, also
werde ich versuchen, es kurz zu halten. Die Magie wird uns stark, aber nicht unbesiegbar machen. Sie wird uns
helfen, durch Überlegenheit
im Kampf unsere geringe Zahl auszugleichen. Ob dieser Vorteil
genügen wird, hängt davon ab, wie groß das Talent
unseres Volkes wirklich ist.
Allein schon bei den fünf Schülern, die
ich bisher hatte, gab es in einigen Belangen erhebliche Unterschiede.
Deshalb sollten wir zunächst die hundert MaKri in der Großen
Stadt ausfindig machen, deren Begabung für die Kampfmagie
am größten ist. Wir, die aus Tullma kommen, werden
sie diese lehren. Andere Zauber mögen auch wichtig sein, aber Heilung wird uns nichts mehr
nutzen, wenn unser Volk vor
dem Feind gefallen ist. Solche Magie mag später folgen.
Diese Hundert werden dann zu den Siedlungen überall
im Dschungel ziehen und dort selbst zu lehren beginnen. Auf diese
Weise könnten die MaKri schon in wenigen Monaten für
den Krieg bereit sein. Wenn unser Volk stark genug ist."
"Monate?", fragte eine Älteste mit lauter
Stimme. "Haben wir denn soviel Zeit?"
Diese bedrohende Vorahnung, die Talaan seit seinem
Traum in sich trug, hielt ihn von einer raschen Antwort ab. Eigentlich
müsste das Nördliche Orakel doch wissen, dass die MaKri
zu diesem Zeitpunkt leichte Beute waren.
"Darf ich sprechen?", bat Mani geradezu schüchtern
ums Wort. Der Ratsführer Firr nickte zustimmend. Die Soldatin
entschied sich zu bleiben wo sie war und nicht in den Kreis zu
treten. "Mohab war stets zögerlich, wenn es um Pläne
zur Eroberung des Östlichen Orakels ging. Er ist sich eurer
Schwäche durchaus bewusst, bildet euch nur nichts Anderes
ein. Warum er zögert, weiß ich nicht. Ich habe Marten
einmal hinter verschlossener Tür sagen hören, die Idee kleine, schnelle Truppen hier im Dschungel zu
verteilen, gehöre
zu dem einzigen Plan, der Früchte tragen könnte."
"Das ergibt keinen Sinn!", widersprach ein Schamane
lautstark. "Er könnte uns jederzeit vernichten, wenn eure
Armee so stark ist, wie jeder behauptet. Wie sollten dann ein
paar Hundert den Sieg bringen?"
"Ich weiß, dass das keinen Sinn ergibt.",
erwiderte Mani ärgerlich. "Mohab ist versessen auf das Orakel
und er hätte nicht gezögert, euch bereits vor einem
Jahr auszurotten, wenn es nicht doch einen Sinn geben würde
zu warten."
Dann wurde ihr bewusst, in welchem Ton sie mit den
Hohen der MaKri gesprochen hatte. Mani räusperte sich verlegen
und kam auf den Punkt. "Kurz: So knapp vor der Regenzeit wird
er nicht angreifen, es sei denn Marten heckt einen neuen Plan
aus. Ein Krieg während der Regenzeit währe sinnlos und
reiner Selbstmord." So schnell sie konnte, ohne panisch zu wirken, setzte sich Mani wieder hin.
Nach einer gedehnten Minute des Schweigens, in dem
alle Versammelten wohl abwogen, ob Mani zu trauen war oder nicht, sprach eine Älteste eine andere Angelegenheit an.
"Und nun
wäre es gut, wenn Maigan Talaan uns sagen könnte, wie
diese Magie aussieht, die unser Volk erlernen soll."
Talaan, der sich nun erneut im Fokus der allgemeinen
Aufmerksamkeit wiederfand, bekam noch nicht einmal ein Wort heraus, als ein anderer MaKri schon rief:
"Es uns zu zeigen wäre
noch viel besser."
"Muss das sein?", fragte Talaan niedergeschlagen.
Er würde sich wie ein Angeber vorkommen, der billige Zaubertricks
vorführte. Wenn man sie einmal beherrschte, stellten die
meisten Zauber keine Herausforderung mehr dar.
Firr war es, der wie so oft die richtigen Worte mit
einem einleuchtenden Grund verband. "Es geht uns nicht um die
Vorstellung eines Gauklers, Talaan. Die Ältesten jeder einzelnen
Siedlung werden von ihren Einwohnern gefragt werden, wie sich
die Zukunft unseres Volkes gestaltet wird. Sie haben ein Recht
es zu erfahren."
Resigniert seufzte Talaan. Firr hatte natürlich
Recht.
Also erklärte er kurz Sinn und Charakter jedes
Zaubers und führte ihn dann einem staunenden Publikum vor. Feuer,
Levitation, Schweigen... Und er kam sich dabei nicht wie
ein Angeber vor. Vielmehr fühlte er sich wie ein äußerst
talentierter Waffenhändler. Und eine ganze Rasse war sein
Kunde.
Im Rat der Räte wurde noch viel mehr besprochen, denn die
Umstände waren einzigartig und die Gelegenheit günstig.
Der Tag war schon längst Vergangenheit, als die Versammelten
endlich auseinander gingen.
All das Reden und vor allem der rege Gebrauch der
Magie hatten Talaan erschöpft und er war glücklich, als seine Wange endlich die Felle seines Betts berührten.
Er hoffte auf einen erfrischenden Schlaf und erholsame Träume.
Er fand weder das Eine noch das Andere.
In dem Moment, in dem seine Füße das verdorrende
Gras am Rande des Dschungels berührten, wusste er, dass er
den Kampf gegen den Albtraum schon verloren hatte. Er konnte das
unterschwellige Grauen nicht aufhalten. Es war bereits da. Das
Gefühl einer nahenden Bedrohung war nun ein spürbares
Vibrieren im Boden der Savanne, in der Luft, in seinem Körper.
Die Bedrohung lag im Westen. Er richtete seinen Blick
in diese Richtung, ein Hügel versperrte ihm jedoch die Sicht.
Er war froh darüber, wollte den Schrecken nicht sehen der
jenseits lauerte, nicht die Dämonen, die dort hausten.
Doch seine Beine verrieten ihn, lenkten ihn auf die
Kuppe des Hügels zu, Schritt für erbarmungslosen Schritt.
Und mit jedem einzelnen vermischte sich das tonlose Vibrieren
mehr und mehr mit einem sehr wohl hörbaren Lärm.
Noch bevor ihn der letzte Schritt über die Kuppe
trug wusste er, was er dort sehen würde. Dennoch erstarrte
er verzagend, als dieser Schritt getan war. Er hatte mit einer
Armee gerechnet, groß und mächtig, nicht jedoch mit
dieser Streitmacht. Die Armee Mohabs war mehr als riesig.
Zusammen mit Talaan schien auch die Zeit zu erstarren
und ein grausamer Moment der Klarheit brach an. Er bemerkte nicht
die feinen Staubteilchen, die in der Luft schwebten, auch wenn
er sie sah. Dafür erfasste sein Verstand jeden einzelnen
Soldaten dort in der Savanne. Eine derart große Zahl hatte
er noch nie, in keinem seiner drei Leben, gesehen.
Sie überschwemmten die Savanne. Ein jeder trug
den Hass auf die MaKri in seinem Herzen, war in einen stählernen
Panzer gehüllt und mit stählernen Zähnen gerüstet.
Auf vielen Rücken konnte Talaan Bögen ausmachen und
sogar die Pfeile, die in Köchern an den Hüften ihrer
Besitzer ruhten, konnte er sehen. Unter ihnen waren auch Brandpfeile, für die Hütten der MaKri bestimmt.
Dieser Moment der Klarheit brachte außerdem
eine Erkenntnis mit sich. Diese Armee war real. Was er sah war
nur das Abbild in einem Traum, aber diese Armee existierte auch
in der wachen Welt. Entweder jetzt oder in einiger Zeit würde
diese riesige Horde aus Hass, Mensch und Stahl genau an dieser
Stelle stehen.
Und inmitten dieser Horde entdeckte er plötzlich Marten, wieder in seine verspottend weiße Robe gekleidet.
Als ob dieser Talaans Aufmerksamkeit spüren könnte, drehte sich Marten überrascht um und ihre Blicke trafen sich.
In diesem Moment starb der Moment der Klarheit und
wich einer derartigen Konzentration, welche die gesamte Welt um
Talaan herum auslöschte. Nur Marten und er selbst blieben
zurück. Über Meilen hinweg sahen sie sich an.
Die Entfernung zwischen ihnen verhinderte nicht, dass Talaan das unnatürlich freundliche Lächeln seines
Feindes erkennen konnte. Diese lächelnden Lippen formten
lautlose Worte: "Siehst du nun, was Macht bewirken kann?"
Kräftig zupackende Hände schüttelten ihn aus seinem
Traum heraus. Kirra saß über ihn gebeugt und sah ihn
besorgt an.
"Kirra? Was ist los?", fragte er vollkommen
orientierungslos. Stand die Armee des Königs bereits vor
den Toren der Großen Stadt?
Seine Geliebte hielt ihn sanft zurück, als er
sich aufrichten wollte. "Du hattest einen Albtraum."
Allmählich entspannte er sich und der Rest seiner Angst, die er aus dem Traum mitgenommen
hatte, zerschmolz unter
einigen zärtlichen Küssen. "Warst du wieder dort?"
Kirra schüttelte den Kopf. "Das nicht, aber
ich erkenne einen geplagten Ehemann, wenn ich einen sehe."
Mit diesen Worten schmiegte sie sich eng an ihn und schloss ihn
fest in ihre Arme.
Trotz der Geborgenheit, die sie ihm schenkte, und
der Gewissheit, dass ihre Nähe jeden Albtraum, jegliche Angst
diese Nacht von ihm fernhalten würde, konnte er ewig nicht
einschlafen. Dicht neben der Angst stand das Wissen um die Wahrheit
dieses Traums. Eine Wahrheit die war oder seien würde.
Am nächsten Tag herrschte auf dem Stadtplatz rege Betriebsamkeit.
Jeder MaKri, der halbwegs erwachsen war, stellte sich den Prüfungen, welche
Talaan, Sorral und deren Schüler für sie bereithielten.
Das Ergebnis überraschte Talaan gewaltig. Am
Ende vielen ihm und Sorral die Auswahl der neuen Schüler
so schwer, dass es letztlich hundertdreißig waren, welche
die Kampfmagie später zu den anderen Siedlungen tragen sollten.
Das Potential dieses Volkes war gewaltig.
Kirra stand am Rande
der Plattform, die um ihr Haus herumführte, und starrte gedankenverloren
in die Dunkelheit. Und sie fühlte sich unendlich traurig
dabei. Die ganzen Tage über hatte sie dieses Gefühl
im Griff gehabt, obwohl sie schon damals bemerkt hatte, dass ihr
die Magie nicht lag. Mit jedem Tag, an dem die anderen MaKri der
Delegation mehr und mehr Fortschritte machten, ließen sie
Kirra immer weiter hinter sich und machten ihr deutlich, wie anders
sie war.
Dennoch war es erträglich geblieben. Schließlich
waren sie Gelehrte, Älteste oder gar Maigan. Und Talaan hatte
Kirra immer wieder versichert, dass die Kampfzauber nicht leicht
waren und hatte gemeint, dass sie es auch noch schaffen würde.
Seine Zuversicht tat manchmal weh. Sie wollte ihn nicht enttäuschen, tat es aber dennoch jeden Tag.
Heute war der Bruch endgültig. Jeder MaKri in
dieser Stadt war zu der Talentprüfung gegangen um seine Begabung
in Kampfmagie zu beweisen. Kirra wollte es gar nicht erst versuchen.
Sie wusste, dass sie nicht den Hauch einer Chance gehabt hätte.
Diese Demütigung hatte sie sich erspart.
Kräftige Arme schlangen sich um ihren Bauch
und Talaans Stimme raunte in ihr Ohr. "Was suchst du so angestrengt, wenn du in die Dunkelheit schaust?"
Sie schmiegte sich in seine Umarmung und seufzte
traurig. Obwohl es in seiner Nähre nicht mehr so schwerwiegend schien, sagte sie:
"Eine Antwort. Wie ist es gelaufen?"
"Phantastisch, Kirra, einfach fabelhaft. Es ist unglaublich
wie viele MaKri eine Stärke für Angriffszauber haben.
Wir mussten die Aufgaben schwerer gestalten, um eine engere Auswahl
treffen zu können. Wenn das in unserem ganzen Volk so ist, dann Gnade Mohab der Schöpfer!"
Die Begeisterung in seiner Stimme tat weh. Die meisten
MaKri waren von Natur aus begabt für etwas, das sie mit viel
Lernen nicht zu Stande brachte! Eigentlich sollte sie sich freuen, schließlich bedeute
es, dass die MaKri überleben konnten.
Aber ihre Traurigkeit ließ diese Tatsache verblassen und
unwichtig erscheinen.
"Du musst schrecklich enttäuscht von mir sein.",
brachte sie mühsam heraus. Talaan hatte es nie erwähnt, geradezu so, als wolle ihr in dieser Hinsicht ausweichen.
"Warum..." Talaan stutzte, als er merkte, was
sie meinte. "Oh." Danach schwieg er ratlos.
"Ausgerechnet die Frau des Maigan ist in der Magie
ein Versager.", sprach sie es endlich aus.
"Das ist nicht war!", protestierte ihr Mann.
Er klang entsetzt. "Ist es das, weshalb du in den letzten Tagen
so traurig bist? Du hast doch den magischen Schild gelernt. Und
das Licht, die Levitation und die Ruhe."
Geradezu trotzig und herausfordernd, ja sogar ein
wenig wütend wand sie sich aus seiner Umarmung und drehte
sich zu ihm um. "Und ich habe oft am längsten von allen gebraucht!
Und mein Schild war der schwächste von allen. Das hätte
uns in Tullma das Leben kosten können!"
"Kirra..."
"Und was ist mit dem Blitz?! Und dem Feuerball oder
der Kraftkugel? Bei all diesen Symbolen habe ich versagt, egal
wie viel Mühe ich mir gegeben habe." Sie musste jetzt
mit sich kämpfen, damit sich ihre Wut und ihre Enttäuschung
nicht in Tränen entluden. "Ich bin nutzlos.", flüsterte
sie.
Sanft, aber bestimmt ergriff er ihre Schultern und
ignorierte ihre Versuche, sich ihm zu entziehen. "Warum sagst
du so etwas?"
"Ich habe nicht einen Zauber gemeistert, das uns
im Kampf gegen die Menschen von Nutzen wäre! Und egal was
du behauptest, ich werde es auch nie lernen."
Voller Ernst fing er ihren Blick ein und fragte dann
mild: "Willst du das denn?"
Kirras Trotz wurde jetzt endgültig zu Ärger.
Er übertrieb es mit seiner verdammten Führsorglichkeit! "Natürlich will ich für die MaKri kämpfen. Was
für eine dumme Frage!"
"Das meinte ich nicht.", sagte er bedächtig. "Schau in dein Herz Kirra. Willst du
lernen, Menschen zu töten?
Leben auszulöschen?"
Diese Frage hatte sie sich noch gar nicht gestellt.
Ein Moment der Konfusion und dann verpuffte Kirras Zorn. Zurück
blieb ihre Traurigkeit. Bisher hatte sie eine selbstverständliche
Pflicht darin gesehen, sich aber nie gefragt, ob sie es wollte. "Nein.", haucht sie schließlich.
Behutsam nahm er sie in die Arme und sie war unglaublich
froh darüber. "Damit bist du mir die liebste Kri auf der
Welt. Dieser Krieg wird alle die kämpfen verändern, das erkennen die Meisten noch nicht. Es gibt
Momente, da hasse
ich mich dafür, diese Veränderung herbeizuführen."
"Ich verstehe es trotzdem nicht.", seufzte sie
immer noch enttäuscht. "Die anderen MaKri haben es alle geschafft.
Sie sind Gelehrte und Älteste, klüger als ich. ... Ich
bin zu dumm, um die Magie zu lernen."
"Ich mag es überhaupt nicht, wenn jemand meine
Frau als dumm bezeichnet.", tadelte er sie mit einem Schmunzeln.
Sie war zu traurig, um über seine Antwort auch nur zu lächeln.
Hartnäckig half er mit ein wenig Kitzeln nach. Sie war ungemein
kitzlig und das wusste er. Hilflos entkam ihr ein quiekendes Kichern. "Dass du kein Talent für die Magie
besitzt, bedeutet nicht, dass du dumm bist, Kirra. Sie liegt dir einfach nicht. Warum ist
es dir so wichtig?"
Er sagte das so gutmütig, beinahe beiläufig.
Sie löste sich sanft und mit einigem Zögern aus seiner
Umarmung und musterte ihren Mann eindringlich. Machte es ihm wirklich
nichts aus? "Ist es dir denn nicht wichtig?"
Er stutze. Dieser Gedanke schien ihm bisher nicht
gekommen zu sein. "Nein." Dann erhellte sich sein Gesicht, als er sie durchschaute.
"Ist es das? Der Grund, weshalb du so
traurig bist und mir so selten in die Augen blickst?
Kirra, Ginuthal hat sich nicht einmal für meine
Magie interessiert, nicht so richtig jedenfalls. Sie hat immer
darüber gelacht und gescherzt, dass es wohl in der Natur
des Menschen läge mit Kräften herumzuspielen, die auch
ohne sein Zutun wirken. Und dennoch waren wir Jahrhunderte lang
glücklich."
Und sie hatte die ganze Zeit geglaubt, sie wäre
eine Enttäuschung für ihn! Sie sah eingehend in seine
wunderbaren Augen und war sich wieder einmal im klaren, warum
sie diesen Mann so sehr liebte. Er nahm die Wesen, mit denen er
zu tun hatte, so wie sie waren. Mit einem unerklärlichen
Verständnis anstatt Gleichgültigkeit.
"Außerdem stimmt es nicht ganz, dass du in
der Magie unbegabt bist. Den Lichtzauber hast du beinahe ohne
mein Zutun erlernt."
"Er war... schön. Es hat mir gefallen, wie er
sich in meinem Kopf angefühlt hat. Licht ist etwas wunderbares."
Sie konnte sich eines verträumten Lächelns nicht erwehren, als sie das sagte.
"Und der Luftbildzauber? Du hast ihn intuitiv verändert. Kirra,
das ist kreative Magie!"
Kirra sah erneut verlegen zu Boden und rang mit sich, ob sie es ihm sagen sollte. Sie würde ihm so gerne ihr letztes
Werk zeigen, das sie geschaffen hatte. Aber es war so unbedeutend
im Vergleich zu den magischen Symbolen.
"Talaan?" Sie musste es tun. Sie wolle es mit
ihm teilen. "Ich zeichne Bilder damit... Einfach nur Bilder."
Neugierig neigte er seinen Kopf zur Seite und Kirra
musste grinsen. Diese Eigenart hatte er unbewusst von ihr übernommen.
Anstatt etwas zu sagen, sah er sie einfach nur lächelnd an.
Und nahm ihr alle Scheu damit.
Sie schloss die Augen und besann sich noch einmal
auf die Formen, die sie Talaan zeigen wollte. Alles war in ihrem
Gedächtnis noch so, wie sie es haben wollte. Dieses neuste
Werk war etwas, auf das sie richtig stolz war.
Sie ließ das Geistessymbol in ihrem Kopf erstrahlen
und lenkte seine Energie in das Bild.
Als sie die Augen wieder öffnete, erblickte
sie einen ungläubig verzückten Talaan, der mit vor Staunen
geöffneter Schnauze das Bild vor sich betrachtete. Seine
Augen glitten unentwegt über die geschwungenen Linien, in
allen Farbschattierungen leuchtenden Flächen und eingestreuten
kleinen Sonnen. Das letzte Mal hatte sie einen derart von Schönheit
verzauberten Gesichtsausdruck bei ihrer Hochzeit an ihm erlebt.
Er ließ nicht von ihrem Bild ab, als er anfing
zu sprechen. "Beim Schöpfer, ist das schön. Wie kannst
du etwas derart schönes erschaffen und dann noch glauben, du wärest nicht von Wert für unser Volk?"
"Kunst wird nutzlos und vergessen sein, wenn der
Krieg ausbricht."
"Es gibt auch noch ein Leben neben und nach dem Krieg, Kirra. Etwas derartiges wird uns nach dem Krieg daran
erinnern, wofür wir ihn gekämpft haben."
Nun wandte er sich doch von ihrem Bild ab uns sah
Kirra dafür an. In seinen Augen lag Liebe und Ernst gleichermaßen. "Kirra,
es ist mir wichtig, dass du mir das Folgende glaubst."
Sanft ergriff er ihre Hand und legte sie zwischen die seinen. "Ich liebe dich, egal was du zu tun vermagst oder nicht. Ich würde
dich nicht mehr oder weniger lieben, wenn du die Fähigkeit
hättest, tödliche Magie zu lenken. Zerstören ist leicht, etwas zu
erschaffen, so etwas", er nickte in Richtung
ihres Luftbildes, "zu erschaffen ist schwer. Aber ich liebe dich
auch nicht dafür mehr. Ich liebe dich für das, wie du bist, für deine innere Schönheit die in dir wohnt. Dass
du einen solchen Weg gefunden hast sie mit mir zu teilen, macht
mich natürlich glücklich.
Glaubst du mir das?"
Jetzt hatte sie etwas drückendes im Hals, den
sie auch mit mehrmaligen Schlucken nicht fortbekam. Sie suchte
nach irgend einer Antwort, fand aber keine, die nicht irgendwie
plump geklungen hätte. Also küsste sie ihn mit all ihrer
Liebe.
Ohne ein weiteres Wort zu verlieren sanken sie auf
den Boden und liebten sich zärtlich und innig.
Er stand auf dem Hügel unterhalb
dessen die Armee des Königs lagerte, um am nächsten
Tag in den Dschungel einzumarschieren. Ihr Anblick besorgte ihn
immer noch, seine Hoffnung und Zuversicht aber waren viel, viel
stärker.
Kirra stand neben ihm und hielt seine Hand. "Das
ist es also?", fragte sie bedacht. "Ist es das, was uns erwartet?"
Talaan nickte ernst. "Sieh dich um, Kirra."
Er selbst brauchte nicht hinter sich zu schauen, denn er wusste, dass dort tausend und abertausend MaKri standen
und für den Angriff der dort kommen würde bereit waren.
Doch Kirra hegte Zweifel. "Diese Wenigen soll das
da aufhalten?" Sie deutete auf die dicht gedrängten
Lager. Es waren mindestens zehnmal so viele Soldaten vor wie Kri
hinter ihnen. Vielleicht auch zwanzig mal soviel.
"Er kommt.", sagte Kirra nur, doch Talaan wusste sofort, wen sie meinte. Dieser grauweiße Schatten dort unten
konnte nur Marten sein.
"Es ist vielleicht besser, wenn du gehst, Kirra.
Kein Grund, dich in Gefahr zu bringen." Dies hier war zwar
nur ein Traum, doch war er anders, als alles, was er bisher kannte.
Ob dieser Marten dort nun der echte oder nur ein Abbild seiner
Fantasie war - gefährlich konnte er in beiden Fällen
sein.
Kirra ergriff seine Hand und stellte sich dicht zu
ihm. "Ich bleibe."
Schon bald erklomm Marten die letzten Meter des Hügels
und musterte sie beide herablassend lächelnd. "Hast du mein
kleines Geheimnis also entdeckt, Talaan.", bemerkte Marten
mit betont gekünsteltem Bedauern und warf dabei einen Blick
über seine Schulter. Dennoch drängte sich Talaan das
Gefühl auf, dass er nicht die Armee meinte. Marten verbarg
etwas anderes.
Talaan zweifelte nun, da der Mann vor ihm stand, keinen Moment mehr an seiner Echtheit. Dies war Marten.
"Dein Versteck war nicht gerade zu übersehen.", versuchte
Talaan ihn aus der Reserve zu locken.
Martens Mundwinkel zuckten kurz beleidigt. Es blieb
bei dieser Reaktion. Vielmehr interessierte er sich für das, was hinter Talaan war.
"Soll das deine Armee sein, Talaan? Das
ist enttäuschend."
Gelassen nahm Talaan all seine Zuversicht und schickte
sie zu Marten. Sein Widersacher hob zynisch anerkennend die Augenbrauen. "Netter
Trick, Talaan. Du lernst schnell, dich den Gegebenheiten
in einem Traum anzupassen. Aber ich habe dieses Spiel bereits gespielt, da war an Deine Existenz noch gar nicht zu denken."
Schrecklich starke Emotionen des Hasses, des Siegesbewusstseins
und des Hohns brandeten über ihn hinweg. Kirras Hand schloss
sich fester um die seine. Das schrecklichste Gefühl aber, das Talaan
erreichte, war ein Gefühl der Freude. Es sagte "Ich weiß, dass ihr noch schwach seid."
"Mohab zu einem Krieg herauszufordern war keine gute Idee, Talaan.", verkündete Marten nach einem beinahe
irren Kichern. "Früher wollte er nichts davon hören, als ich ihm Vorschlug die MaKri einfach aufzureiben. Mitsamt Greisen
und Kindern. Aber seit ihr ihn vor seinen Untertanen bloßgestellt
habt..." Mit berechnender Absicht überließ er
Talaan die Vollendung des Satzes.
"Weshalb hasst du uns so? Weil ich ein MaKri bin?",
fragte Talaan ungläubig. Er konnte nicht nachvollziehen, wie man derart verkommen seien konnte.
"Du?" Marten lächelte mitleidig. "Überschätze
nicht deine Bedeutung, unwissender Weltenwandler. Es geht mir
um die Sache an sich. Der Tod einer ganzen Rasse! Welch großartige
Verheerung des Schicksals das doch ist.
Und da glaubst du doch nicht, dass ich Rücksicht
auf "dein' Volk nehmen würde, wenn es einen Krieg braucht, um das Orakel zu erlangen?"
Kirra konnte Marten nicht mehr ertragen. Zitternd
trat sie einen Schritt zurück und aus dem Traum heraus und
riss Talaan mit sich.
Als sie erwachten, war die Welt draußen bereits in das Zwielicht
des erwachenden Morgens getaucht. Diesmal gönnte sich Talaan
nicht den Luxus des genüsslichen Faulenzerräkelns der
Traum der Nacht war viel zu deutlich zurückgeblieben.
"War es der wirkliche Marten?", fragte Kirra besorgt, welcher der Sinn auch nicht nach Gemütlichkeit stand.
Leicht verlegen fügte sie hinzu: "Ich verstehe nichts von
diesen Dingen, aber... kann er in unsere Träume dringen?"
Talaan antwortete nicht sofort, er konnte es nicht.
Im Traum war er felsenfest überzeugt davon, aber jetzt... "Mein Kopf sagt
nein, mein Herz sagt ja. Vielleicht war er sogar
die Ursache für diese Träume... Oder er verändert
sie. Es schien mir wie ein ständiges Kräftemessen zwischen
den Bildern und Ängsten, die er mir schicken will, und dem Traum, den ich herbeisehne." Er versuchte seinen Kopf
freizubekommen, indem er ihn schüttelte. Es half nichts. "Wenn wir doch Gewissheit
hätten."
"Tonri. Er kann uns helfen."
"Der Schamane?", wunderte Talaan sich. "Wir
haben es nicht mit einem Geist zu tun. Marten lebt noch, da bin
ich sicher."
Erneut nahm Kirra die Rolle seiner Lehrerin an. Es
würde Jahre brauchen, die MaKri vollständig zu kennen. "Die Schamanen haben nicht nur eine Verbindung zu den Geistern
unserer Ahnen. Sie wandeln auch in den Traumreichen, um Visionen
zu erlangen oder einfach nur, um sie zu ergründen. Ich kenne
Tonri inzwischen gut genug, dass ich ihm unserer Träume offenbaren
und anvertrauen kann."
Talaan wusste auch, dass Tonri hinter seinem düsteren
Gebaren eine gute Seele war. "Einverstanden. Am besten, wir gehen
gleich zu ihm, bevor die Lehrstunden beginnen."
Kirras Humor blitze wieder durch, als sie lächelnd
fragte: "Ohne Frühstück?"
Also gingen sie wie besprochen zum Schamanen, den sie gerade mit
seiner fünfköpfigen Familie beim Morgenmahl vorfanden.
Er lud sie ein, verlangte aber, ihr Anliegen nicht bei Tisch vorzubringen.
Danach widmete er sich ihnen voller Ernst und mit zunehmender
Besorgnis. Er schickte sie mit den Worten fort, er würde
sich der Sache annehmen.
Welche Spuren der Traum hinterließ, bemerkte
Talaan dann während des Tages. Er trieb seine Schüler
zu mehr Leistung an und musste sich zwingen, sie nicht über
ihre Fähigkeiten hinaus zu belasten. Er brachte ihnen ferner
ein paar Kniffe bei, ihre bisher einstudierten Zauber stärker
und schneller wirken zu lassen. Sie lernten gut und machten ihn
stolz. Am Ende des Tages lobte er sie als die Hoffnung der MaKri, denn das waren sie für ihn.
Dennoch war er innerlich unruhig, geradezu unzufrieden.
Schließlich verstand er auch, warum. Er hatte einfach zu
wenig Zeit für seine eigenen Studien. Seine Verpflichtungen
nahmen ihn zu sehr in Anspruch. Dabei machten ihm die Träume
deutlicher denn je, wie nötig sein Suchzauber war. Er arbeitete
bis tief in die Nacht, bis ihn der Schlaf in die Knie zwang.
Wenigstens kehrten die Träume in dieser und
den folgenden Nächten nicht zurück. Der Schlaf wurde
wieder etwas erholsames und unter dem Druck seiner Arbeit vergaß
Talaan bald, welche Bedrohung im Reich der Träume auf ihn
wartete.
Doch sie schlummerte nur, sammelte Kraft, um dann um so härter
zuzuschlagen.
Die Schlacht war verloren, bevor sie überhaupt begonnen hatte.
Als Talaan die Streitmacht Mohabs einem gewaltigen Tsunami gleich
auf sich zubranden sah, wusste er, dass keine Magie der Welt sie
aufhalten konnte.
Kugelblitze hagelten auf die hassgepeitschten Soldaten
nieder und rafften unzählige von ihnen fort. Fließend
ersetzten Andere die gerissenen Schneisen. Feuerbälle explodierten
krachend und versengten abermals Tausende. Und so ging es weiter, doch die Flutwelle war nicht zu stoppen.
Die ersten Soldaten erreichten die Reihen der MaKri
und wurden von Speeren aufgehalten. Dann prallte die geballte
Macht tausender und abertausender Schwerter auf sie und das Gemetzel
nahm seinen Lauf.
Mit erbarmungsloser Deutlichkeit hörte Talaan
die dumpfen Geräusche der in ungeschützte Leiber eindringenden Klingen,
hörte die Schreie der Sterbenden, sah den Schmerz
in ihren Augen, sah den Tod.
Eine Unendlichkeit später erstarrte all das, als der letzte MaKri fiel.
"Ist das alles, was du zu bieten hast?", fragte
Marten mit verächtlichem Mitleid in der Stimme. "Ich hatte
mehr erwartet."
Nur mühsam schüttelte Talaan das Grauen ab, das sich eben in seinen Kopf gefressen hatte. Es war nur ein
Traum, der Schrecken jedoch war unfassbar real. War Tonri in der
Nähe? Es war schon solange her, dass sie ihn gebeten hatten...
Vielleicht hatte er aufgegeben.
"Was bezweckst du damit?", brachte Talaan mit
gezwungen fester Stimmer hervor. "Versuchst du mich in die Verzweiflung
zu treiben? Selbst wenn das hier die Zukunft ist, werden wir dennoch
kämpfen. Du kannst unseren Freiheitswillen nicht brechen."
Marten begann mit einer gemächlichen Wanderung
um Talaan herum. Mal beäugte er ihn, mal die toten MaKri, dann wieder die siegreichen Soldaten.
"Wirklich!", höhnte
er mit beiläufigem Tonfall. "Ist das so." Ohne jede
Hast nahm er einem Kämpfer das Schwert ab und trieb es in
den Körper eines gefallenen Kri. Mit sichtbarer Genugtuung
registrierte er Talaans Zusammenzucken. "Sie bedeuten dir so viel.
Und dennoch führst du sie ins Verderben. Tzt, tzt. An ihrem
Kampfeswillen zweifle ich nicht, Elfenfreund. Aber wie steht es
mit deinem? Du musst einsehen, dass jeder Kampfzauber den du sie
lehrst kaum mehr ist, als ein besserer Speer."
Betroffen neigte Talaan sein Haupt. Auch wenn er
es sich nicht eingestehen wollte, hatte Marten Recht. Diese Schlacht
hier war nicht übertriebenes Blendwerk seines Widersachers.
Es war das, was sie erwartete.
"Es gibt einen Ausweg, Talaan.", erklang plötzlich
Martens Stimme direkt in seinem Ohr. Talaan konnte seinen Atem
im Nacken spüren. Ein Ausweg. Wie verführerisch, aber
Talaan wusste, dass der Preis zu hoch war. Egal, was der dunkle
Weltenwandler von ihm verlangte.
"Sprich."
"Es gibt nur eines, was mich mehr reizt, als "dein'
Volk zu vernichten." Er kam noch näher, so dass seine
Lippen beinahe Talaans Ohr berührten und seine Stimme schwand
zu einem Flüstern. "Diene mir. Sei mein Adjutant, das Schicksal
dieser Welt nach meinem Maß zu verändern."
"Das ist nicht sein wahres Anliegen.", erklang
unvermittelt eine finstere Stimme. Tonri!
Keine drei Meter von ihnen stand der Schamane und
hielt seine Augen auf Marten geheftet.
"Was weißt du Sterblicher schon von meinem
Anliegen?", murmelte Marten missfällig.
Tonris Augen erglommen in einem kalten, blauen Feuer
und er entblößte seine Fangzähne. "Du kannst mich
nicht täuschen, Dämon. Dies ist mein Reich!"
"Dämon?" Marten kicherte sein fast wahnsinniges
Kichern. "Dies mag dein Reich sein, Geisterhascher, aber ich bin
hier Kaiser." Mit einem Mal erwachten alle Soldaten aus ihrer
Starre und wandten sich Tonri zu.
Plötzlich brachen die bläulichen Flammen
aus Tonris Augen auch an seinem ganzen Körper aus. Sie waren kalt, geradezu eisig.
"Dieser Thron gebührt dir nicht!",
donnerte er mit all durchdringender Stimme. Eine unsichtbare Welle
der Macht durchdrang Talaan, brandete über alles hinweg und
riss jeden Soldaten mit sich. Auch die Traumbilder der toten MaKri
wurden von ihr fortgespült.
Zurück blieben Tonri, Talaan und Marten. Der
wirkte zum ersten Mal beunruhigt.
"Talaan, du sagst, der Tod kann ihm nichts anhaben?",
fragte der Schamane gelassen. Er wirkte wieder vollkommen normal.
Talaan nickte.
Traurig schüttelte Tonri den Kopf und sah Marten
bedauernd an. "Du wirst nie den Frieden finden, der uns andere
willkommen heißen wird. Du weißt nicht, was dir entgeht."
Bei diesen Worten riss Marten mit einem Mal entsetzt
die Augen auf und fasste sich an die Brust. Krampfadern bildeten
sich auf seinem Gesicht und seinen Händen, als er unter qualvollem
Stöhnen zu Boden ging. "Netter Trick, Schamane.", lächelte
er gepresst. "Ich wusste nicht... verdammt... das man durch Träume
den Träumer..." Einen Moment schwieg er mit konzentriert
zusammengezogenen Augenbrauen. "töten kann." Seine Gestalt
begann zu verblassen.
"Woher auch, Weltenwandler? Du hast nichts als Missachtung
für Träume übrig."
Dann war Marten verschwunden.
Talaan schlug die Augen auf und sah nur Dunkelheit. Kirra lag
neben ihm, atmete ruhig und schlummerte friedlich. Dem Schöpfer
sei Dank, sie hatte die Schlacht nicht mit angesehen. Zärtlich
küsste er ihre ledrige Nasenspitze und befreite sich behutsam
aus ihrer Umarmung. Sie murrte kurz ungehalten, schlief aber weiter.
Auf leisen Pfoten schlich er auf die gegenüberliegende
Seite der Hütte. Dieser Traum war zu real gewesen, als dass
er diese Nacht noch hätte schlafen können. Er befahl
die Schatten zu sich, um Kirra nicht zu stören und entfachte
ein Licht in einer Schale. Dann schlug er sein Zauberbuch auf
und begann zu lesen. Er musste den Suchzauber finden, er war sicher, ihn im letzten Leben einmal überblättert zu haben. Vielleicht
stieß er dabei ja auch auf irgend etwas, dass die Armee
aufhalten konnte, die den Dschungel überfluten würde...
Aber das war Wunschdenken... Keine Magie der Welt konnte so stark
sein.
Als Kirra erwachte, durchfuhr sie ein ungutes Gefühl,
als sie Talaan nicht neben
sich fand. Sie konnte sich an Schattenbilder einer gewaltigen
Schlacht erinnern und ihr Mann war mitten unter den Kämpfenden.
War es ein Ohmen? Rasch richtete sie sich auf und ließ ihren
Blick durch die Hütte schweifen. In diesem irrationalen Gefühl
von Panik übersah sie ihn beim ersten Mal, wie er, offenbar
über seinem Zauberbuch eingeschlafen, am Boden kauerte.
Erleichtert seufzte sie und ging zu ihm. Das hereinströmende
Licht und die Gedämpften Geräusche der Stadt verrieten ihr, dass der Morgen nicht mehr ganz so jung war. Talaan würde
noch seinen Unterricht versäumen, wenn er weiterschlief.
Sie kniete neben ihm nieder und streichelte zärtlich
seinen Kopf. "Wach auf, Geliebter.", hauchte sie in sein
Ohr und er regte sich.
"Der thaumaturgische Fluss...", murmelte er verschlafen, bevor er
erkannte, dass er über seinen Studien
eingeschlafen war. "Oh." Dann stahl sich ein verliebtes Lächeln
auf sein Gesicht, als er Kirra sah. "Guten Morgen, Geliebte."
"Wieso bist du nicht im Bett, wie jeder vernünftige
Kri auch.", fragte sie mit gespielter Strenge. Sein besorgter
Blick daraufhin trieb ihr jegliche Fröhlichkeit aus. "Du
hattest wieder einen Traum." Er nickte nur stumm und seine
Augen verfinsterten sich. "Eine Schlacht?"
Er nickte erneut. "Wir können diesen Krieg nicht gewinnen,
Kirra.", sagte er düster und sah beschämt
zu Boden. "Sie sind einfach zu viele. Aber wir müssen es
dennoch versuchen." Talaan sah zu dem Buch vor ihm. "Ich dachte, ich könnte eine Antwort finden. Dieser verflixte
Unterricht... Er stielt meine Zeit und wird uns doch nichts bringen..."
Kirra war zu Tode erschrocken. Noch nie zuvor hatte
sie ihn in einer solch verhängnisvollen Stimmung erlebt.
Das waren diese Träume! Sie ergriff sanft aber bestimmt seine
Schnauze und drehte seinen Kopf zu sich. "Was redest du da für
einen Unsinn, Maigan Talaan! Du wirst dich doch nicht von diesem
Marten einwickeln lassen? Es sind nur Träume, Geliebter, nur Träume. Er mag sie verändern,
aber sie sind nicht
das Jetzt."
Niedergeschlagen schüttelte ihr Mann den Kopf. "Es geht nicht nur um
das, was er mir zeigt. Es ist die Wahrheit, daran wage ich nicht zu zweifeln. Diese riesige Armee... Ich habe
die Kasernen Tullmas gesehen, sie boten vielen Tausenden Platz
und das war nur die Hauptstadt! Er kann die Kräfte von Dutzenden
Königreichen gegen uns schicken.
Es geht um das, was ich ihm gezeigt habe. Ich war
so ein Narr! Ich dachte erst, er wolle mich in diesen Träumen
verunsichern und demoralisieren... Aber Marten ist viel zu schlau, nur ein offensichtliches Ziel zu verfolgen. Er hat nun genau in
Erfahrung gebracht, wozu unser Volk in der Lage ist und hat keinen
Grund mehr, uns nicht anzugreifen."
"Die Regenzeit steht kurz bevor.", erinnerte
sie ihn. Was war nur mit ihm los? "Und diese Macht aus seinen
Reichen muss er erst einmal um sich scharen."
Einen Moment lang sah er sie nur verwirrt an und
schlang dann plötzlich verzweifelt seine Arme um sie. "Aber
ich habe trotzdem solch eine Angst. Marten ist unglaublich mächtig...
seine Magie, seine Erfahrung... Wie soll ich dagegen bestehen?",
murmelte er in das Fell ihrer Schulter.
Tröstend legte sie ihre Arme um ihn und liebkoste
seinen Kopf mit ihrer Schnauze. "Marten hat Angst vor der Macht
in diesem Buch.", raunte sie sanft. "Lerne sie zu nutzen
und zeige ihm seine Grenzen, Geliebter. Ich glaube an dich."
Und das tat sie. Sie trug ein warmes Gefühl unerschütterlicher
Zuversicht in ihrem Herzen, dass er es irgendwie schaffen würde.
Seine Umarmung wurde ein wenig entspannter und er
seufzte laut. "Da sind immer noch meine Schüler, die auf
mich warten. Ich habe keine Zeit zum Lesen."
"Kannst du deine Schüler nicht zu den anderen
Lehrern schicken? Maigan Sorral ist ein hervorragender Lehrer
und auch Reshero, Rerrena und Tonri sind fähig."
"Es sind jetzt schon mehr in einer Gruppe als gut
ist.", brummte er nur und massierte sich die Schläfen.
"Dann lass den Unterricht ausfallen. Du glaubst sowieso nicht, dass uns diese Magie hilft."
Sofort schüttelte Talaan energisch den Kopf. "Sie hilft uns, nur eben nicht genug. Und was glaubst Du wird
geschehen, wenn sich herumspricht, dass ich, der die Magie zu
den MaKri brachte, sein Vertrauen in sie verloren hat?"
Niedergeschlagen musste Kirra eingestehen, dass es
fatal für ihr Volk wäre. Indes kam ihr sofort eine andere Idee, auch wenn diese ihr überhaupt nicht schmeckte.
"Ich...
ich könnte ja den Unterricht übernehmen."
"Du?" Mit einem freudigen Lächeln löste
er sich von ihr und musterte sie neugierig. "Das wäre phantastisch.
Willst Du das wirklich auf Dich nehmen?"
Kirra graute es bei der Vorstellung, den talentiertesten
der Kri Unterricht erteilen zu sollen. Sie war doch keine Gelehrte!
Aber sie hatte verstanden, worauf es bei den einzelnen Zaubern
ankam. Nur bei der Ausführung versagt es bei ihr, aber das
sollten ja die anderen machen. Schließlich nickte sie zustimmend.
Der Tag verlief bei weitem nicht so schlimm, wie sie es befürchtet
hatte. "Ihre" Schüler zeigten sich mehr als verständig
für ihre Situation und gaben ihr zu keinem Zeitpunkt das
Gefühl, dumm zu sein. Uns sie stellte fest, dass es ihr Freude bereitete, ihr Wissen zu vermitteln. Als die ersten Schüler
das Erlernte anwandten, war sie glücklich. Am Ende des Tages
ging sie frohen Herzens nach Hause.
Sie wollte gerade ihre Hütte betreten, als Tonri
heraus kam. Er trug ein noch finstereres Gesicht als sonst und
begrüßte sie nur mit einem brummenden Nicken. Sie musste
von Talaan unbedingt in Erfahrung bringen, was letzte Nacht genau
vorgefallen war.
Doch als sie das Haus betrat, waren erst einmal alle
Fragen vergessen, wegen des Anblicks, der sich ihr bot. Das gesamte
Haus schien vollgestopft mit eigenartigen, leicht durchsichtigen Kugeln, die vielleicht eine Armlänge durchmaßen und
die unterschiedlichsten Bilder zeigten. Da war der Platz der großen
Stadt mit seinem großen Steinkreis. Da war ein sich ständig
bewegendes Bild der Savanne, so als würde man durch die Augen
eines Vogels auf sie herabschauen. Kirra sah die bewaldeten Hügel
nahe ihrer Heimat. Und vieles mehr: Dschungel, Dörfer, MaKri.
Eine der Sphären zeigte sie selbst von schräg oben, so wie sie gerade in der Tür stand. Als sie erstaunt
die Augen aufriss, tat es ihr die Kirra in der Kugel gleich. Sie
winkte sich zaghaft zu, die andere folgte ihrem Beispiel. Kirra
blickte nach oben und entdeckte eine weitere Sphäre, klein
und matt blau schimmernd.
"Ein herrliches Spielzeug, nicht wahr?", erklang
die amüsierte Stimme ihres Geliebten. "Und dabei so nützlich."
Die blaue Kugel kam näher und hielt kurz vor
ihrem Gesicht an. Auf der großen Sphäre sah Kirra sich
nun ebenfalls aus der Nähe. Sie wollte die Blaue anstupsen, doch ihr Finger glitt durch
sie, wie durch Luft. "Ist das eine
Art Auge?", fragte sie ehrfürchtig.
Talaan erschien zwischen den großen Bildkugeln, das hieß,
er schritt eigentlich einfach durch sie hindurch.
Sie sah ihn zum ersten Mal seit Tagen so fröhlich. Er umarmte
sie stürmisch und gab ihr ein paar schrecklich verliebte
Küsse. "So viele Augen ich will, Geliebte." Er deutete
auf die Sphären im Haus. "Ich gebe zu, viele davon dienen
nur meinem Spieltrieb." Mit diesen Worten verschwanden mehr
als die Hälfte von ihnen. Nur die mit Bildern des Dschungels
und das fliegende der Savanne blieben.
Erleichtert atmete sie auf und küsste ihn ihrerseits. "Dann hattest du Erfolg."
"Ich hätte den Zauber schon längst finden
können, stell dir das mal vor. Ich muss ihn übersehen haben, während ich zu müde
war, um klar zu denken."
Dann tauchte auf einmal ein verschmitztes Lächeln
in seinen Augen auf. "Ich hatte sogar mehr als nur einen Erfolg.
Ich wollte den Sicht-Zauber eigentlich irgendwie dauerhaft machen, damit ich oder ein anderer Kri ihn nicht ständig im Kopf
bewusst halten muss. Die Sicht war zu komplex, aber der Zauber
den ich fand hat dennoch etwas Gutes."
Mit diesen Worten holte er einen faustgroßen, rundgeschliffenen und wunderschön marmorierten Stein aus
einer Gürteltasche und hielt ihn Kirra hin. "Berühr
ihn und konzentriere dich auf das Bild, welches Du mir gezeigt
hast."
Kirra tat wie ihr geheißen, doch zunächst
schien nichts zu geschehen. "Sollte irgend etwas passieren?"
Talaan schenkte ihr ein strahlendes Lächeln
und nahm den Stein fort. Plötzlich erschien ihr Gemälde
in der Luft, obwohl sie schon längst nicht mehr daran dachte. "Jeder Kri, der von nun an diesen Stein berührt,
wird deine
Kunst bewundern können. Wenn Du es willst." Mit diesen
Worten drückte er ihr den Stein in die Hand.
Mit verzücktem Staunen betrachtete sie das Ding
in ihrer Hand. "Das wäre phantastisch.", freute sie
sich. "Wann hast Du die Zeit gefunden, diesen Stein zu verzaubern?"
"Ich wollte, dass Du auch was zu freuen hast.",
schmunzelte er. "Wie war Dein Tag?"
Die Soldaten Mohabs kämpften sich
ihren Weg durch den Dschungel. Die Schlacht würde nicht auf
dem offenen Feld der Savanne geschlagen werden, sondern hier, auf dem Boden der MaKri.
Eine krachende Explosion raffte zwei Dutzend Menschen dahin, als einer von ihnen eine magische Feuerrune auslöste.
Die Soldaten waren nervös. Sie hatten mit glorreichen Kämpfen
gerechnet, nicht aber damit, einem unsichtbaren Feind gegenüberzutreten.
Einem Gegner, der töten konnte, ohne sich zu zeigen.
Und wenn er doch einmal sein Gesicht offenbarte, brachte er Tod. Knisternd schwebten Kugelblitze
herab, durchschlugen
Rüstungen und die Körper darunter, flogen weiter und
suchten wie von Geisterhand neue Opfer.
"Wo ist er?", rief der Kommandant aufgebracht. "Findet den Bastard und holt ihn runter!" Ein Feuerball schlug
in einer Gruppe Bogenschützen ein, ein zweiter tötete
den Befehlshaber und die Männer um ihn herum. Drei weitere
Flammenkugeln sausten herab, bevor die Menschen den Angreifer
entdeckt hatten. Der Kri war in dem Gewirr der Blätter jenes Baumes, auf dem er
stand, kaum zu sehen. Die Pfeile, die ihn hätten
töten sollen, verfingen sich im Geäst und der Kri zog
sich ohne Eile aus dem Blickfeld der Menschen zurück.
"Nun, Marten, du hattest doch nicht geglaubt, dass
wir es dir so einfach machen würden, oder?", fragte
Talaan. Er war sich sicher, dass sein Widersacher in der Nähe
weilte und wurde nicht enttäuscht. Marten trat aus dem Stamm
des Baumes heraus. Unter ihnen tobte der ruhmlose Krieg weiter.
Dieses irritierende Kichern erklang. Talaan verabscheute
ihn und diese wahnsinnig machende Verhöhnung des Frohsinns.
Neben dem Respekt vor der Macht Martens war nur noch Platz für
Verachtung. "Talaan, Talaan. Denkst du ernsthaft, dass ihr uns
damit aufhalten könnt?" Mitleidig schüttelte
er seinen Kopf. "Tz, tz. Schwächen vielleicht, aufhalten
niemals."
"Du unterschätzt die Größe des Dschungels, Marten."
"Und du unterschätzt eure Achillesferse, mein
närrischer Elfenfreund. Selbst wenn ihr eure Städte aufgebt, um weiter aus dem Verborgenen angreifen zu können:
An einem Ort müsst ihr euch dem Kampf stellen."
Die Veränderung seines Traumes war diesmal geradezu
körperlich zu spüren. Es fühlte sich an, als würde
jemand in seinem Gehirn herumkneten. Talaan wurde übel.
Er hatte das östliche Orakel nie zuvor gesehen, aber dieser mächtige
Bau, der sich nun vor ihm in den Himmel erhob, musste seine Stätte sein. Der Schrecken durchfuhr
ihn eiskalt. Wenn sie die Halle des Lichts nicht halten konnten, war der Krieg verloren! Sollte Mohab irgendwie in Erfahrung
bringen, wo sie lag, brauchte er nur direkt darauf zu marschieren und all
seine Kraft auf dieses zu Ziel werfen.
Die Schlacht tobte. In der Luft surrten Pfeile, knisterten
magische Geschosse und fauchten mächtige Feuerbälle.
Tausende Soldaten starben und wurden durch andere ersetzt. Hunderte
von MaKri kamen um und hinterließen große Lücken
in der Verteidigung. Das Massaker würde sich wiederholen.
Talaan konzentrierte seinen Willen, lenkte ihn auf
den Traum.
Die überlebenden MaKri zogen sich zurück, bildeten einen engeren Kreis. Energie
knisterte, als sich magische
Ströme vereinten. Selbst an der Stelle, an der sich Marten
und Talaan befanden, konnte man noch das gewaltige Potential spüren, welches die MaKri um sich sammelten.
Die Magie entlud sich mit einem widerlichen, summkreischenden Ton, der einem die Knochen im Leibe vibrieren ließ. Ein
Gewitter ging von der Gruppe der Verteidiger aus. Blitze zuckten
in alle Richtungen, fraßen sich ohne Unterschied durch Mensch
und Pflanzen, tasteten gierig nach neuen Opfern und verbrannten
auch sie zu Asche. Die Welt versank in einem Inferno aus Energie.
Als sich die Sicht wieder klärte, war die Landschaft
nicht mehr wiederzuerkennen. Alles was übrig blieb war verbrannte
Erde in einer Meile Umkreis. Und in der Mitte dieses Gebiets der
Vernichtung erhob sich die Halle des Lichts unbeschadet und strahlend
im Sonnenschein.
Marten hob kurz die Augenbrauen und wiegte bedächtig
den Kopf. "Deine Phantasie ist jämmerlich, Elfenfreund und
Freund der Katzen. Wenn Du schon versuchst, mich im Traum zu täuschen, such dir etwas besseres. Etwas mit mehr Stil. Über solch
eine Magie verfügt ihr nicht."
Mit einem Mal ging ein tiefes Grollen durch die Erde
und ließ die Überreste der verkohlten, mächtigen
Bäume zu Staub zerfallen. Das Grollen schwoll immer mehr an, bis es die gesamte Welt zu erfüllen schien. Es vermischte
sich mit einem unheilvollen Knirschen, eher ein Reißen.
Dann taten sich Risse im Boden auf, die in wenigen Augenblicken
zu Abgründen anwuchsen und viele MaKri verschlangen. Einige
retteten sich in die Luft, doch dann brach Lava hervor und ergoss
sich in gewaltigen Eruptionen über die Übriggebliebenen.
Marten betrachtete all dies mit amüsierter Genugtuung. "Ich gebe
zu, dass selbst ich nicht über diese Macht
verfüge. Aber in unserem kleinen Kräftemessen der Lügner
habe ich klar gewonnen, Katzenfreund."
Talaan wusste nicht, was er sagen sollte. Er war
Marten stets unterlegen gewesen und das war auch in seinen Traumbegegnungen
mit ihm nicht anders geworden.
Dieses halb verrückte Kichern Martens riss ihn
aus seiner Grübelei. "Und richte deinem Freund, dem Schamanen, meinen Dank aus. Ich habe durch ihn eine mächtige Waffe erhalten."
Mit diesen Worten wurde der Blick seines Feindes hart und kalt
und bohrte sich in Talaans Kopf. "Das Herz zum Stillstand zu bringen
erscheint mir allerdings ein wenig beleidigend simpel. Lass uns
etwas anderes versuchen."
Talaan zeigte sich wenig beeindruckt. "Wohin soll
das führen, Marten? Du tötest mich, ich töte dich, bis einer von uns beiden dieses Spiels überdrüssig wird?"
"Talaan, Talaan, Talaan..." Die Stimme eines tadelnden, strengen aber gerechten Herrschers drang in seine Ohren.
"Das ist kein Spiel. Du hast immer noch nicht begriffen, was unsereins
die Unsterblichkeit verleiht. Nur soviel will ich Dir verraten:
Der Wille oder der Zwang zurückzukehren allein vermag dich
nicht vor dem Tode zu retten.
Du hast es in diesem Leben noch nicht versucht, Katzenfreund.
Du wärst gescheitert."
Etwas schien in Talaans Innern zu reißen und
ein wahnsinnig machender Schmerz schoss durch seinen Körper, durch sein Bewusstsein. Und Talaan schrie.
Während ihn der Schmerz aus dem Traum riss und zum Wachsein
peitschte hallte die Stimme eines alten Mannes durch seinen Kopf: "Bedenke, Weltenwandler. Du hast ein sterbliches Leben gewählt."
Ein gequälter Schrei
zerriss das Gewebe ihrer Träume mit brutaler Heftigkeit.
Es dauerte keinen Wimpernschlag, bis sie erkannte, dass es ihr
Mann war, der da schrie, und sie war sofort wach. Ihr Geliebter
wandte sich neben ihr in Schmerzen und ein dünner Rinnsal
aus Blut floss aus seiner Schnauze an seiner Wange hinab.
Sie brauchte nicht erst fragen, was geschehen war.
Das konnte nur Martens Werk sein. Behutsam packte sie ihn bei
den Schultern und versuchte vergeblich ihn ruhig zu halten. "Was
ist geschehen?", fragte sie äußerlich ruhig, obwohl
die Panik in ihr zu toben begann.
"Marten... ich sterbe... Wunde..." Kaum
hatte er zu sprechen angefangen wurde aus dem Rinnsal ein kleiner
Bach. "Innerlich zerrissen.", brachte er noch heraus, bevor der Schmerz ihn übermannt und das Wort abschnitt.
Sofort war Kirra aufgesprungen und eilte zur Tür.
"Ich hole Sorral. Er kann dich heilen!"
Sie war schon halb zur Tür hinaus, als Talaans
schwache Stimme sie zurückhielt: "Kirra... bleib' hier."
Ein glucksender Husten zerschnitt ihr fast das Herz. "Ich
bin tot, bis er hier ist."
Alles in ihr trieb sie, Sorral zu holen, aber sein
Blick war so flehend und gleichzeitig voller Liebe, dass sie nicht
gehen konnte. Langsam nahm sie wieder neben ihm Platz und ergriff
seine Hand. Sie war so furchtbar kalt. Warum tust du mir das
an? Ich will Dich nicht sterben sehen.
"Du wirst doch wieder... aufwachen, Geliebter.",
versuchte sie ihn und gleichzeitig sich ein wenig zu trösten.
Doch Talaans trauriger Blick verschlang diese Hoffnung bereits
im Ansatz. Ihre Stimme zitterte, als sie nachfragte: "Das
wirst du doch, oder? So wie Marten auch!"
Talaan schloss kurz die Augen um Kraft zu sammeln.
"Ich bin nicht wie Marten, Kirra."
Ein trotziger Zorn flammte in ihr auf und sie schloss
ihre Finger fest um die seinen. "Du kannst nicht von mir
verlangen dich hier sterben zu lassen!", schrie sie ihn beinahe
an. "Ich muss wenigstens versuchen, Sorral rechtzeitig hierher
zu bringen!" Mit diesen Worten wollte sie erneut aufstehen, doch Talaan hielt sie mit erstaunlicher Kraft zurück.
"Ihr werdet es niemals rechtzeitig schaffen."
Er drehte den Kopf beiseite und spie eine Mundvoll Blut aus, um
den Hals freizubekommen. "Aber bei meinem Buch... liegt ein...
Stein."
Sein Blick ermahnte sie, wirklich den Stein und nicht
Sorral zu holen, als er sie losließ. Kirra war mit zwei
federnden Sätzen bei dem Buch, ergriff einen faustgroßen
Marmorbrocken und rannte zu Talaan zurück.
Ihr war klar, dass in ihm ein Zauber eingeschlossen
seien musste und sie ließ Energie in den Stein fließen.
Doch statt der erhofften Heilung erschien nur ein Geistessymbol
in der Luft.
"Heilung.", gurgelte Talaan. "Zu komplex, sie... arg verdammt! ... selbst einzuschließen."
Ungläubig starrte Kirra den komplexesten Zauber an, den sie je gesehen hatte. Wieso tat Talaan das? Sie würde
es niemals schaffen, sie war in der Magie ein Versager! Und nun
würde sie sich ein Leben lang vorwürfe machen, weil
ihr Geliebter wegen dieser Unfähigkeit...
Ehrfürchtiges Staunen erfasste Kirra und dieses
Erstaunen schob für einen Moment alles andere beiseite. Das
Geistessymbol war groß, kraftvoll in jeder Linie und von
Grund auf gut. Sie hatte noch nie etwas derart schönes gesehen
und gefühlt.
Doch so groß und verschlungen es auch war, ergab doch jedes Stück davon einen Sinn. Es
war, als würde
sie die ausschmückenden Worte einer Geschichte lesen, deren
Kurzform sie schon kannte. Das Symbol der Heilung...
Alles begann... mit diesem einen Teil dort. Ein Symbol
in dem ganzen Symbol. Es wirkte klein und unbedeutend im Vergleich
zum Rest, ergänzte das Heilungssymbol aber perfekt. "Schmerzen."
Talaan sah erstaunt zu ihr auf und nickte schließlich.
"Es hat etwas mit Schmerzen zu tun, nicht wahr?"
Daran bestand kein Zweifel, die Linien sprachen eine deutliche
Sprache.
Das kleine Symbol erstrahlte in ihrem Geist. Instinktiv
berührte sie Talaan an der Stirn und zuckte mit einem schwachen
Aufschrei zurück. Was war das? Sie nahm allen Mut zusammen
und berührte ihn wieder, diesmal zwang sie ihre Hand an Ort
und Stelle zu bleiben. Sie spürte Talaans Schmerzen. Es war, als wäre sein Körper eine Verlängerung ihres eigenen.
Nur das seine Wunden ganz klar zu erkennen waren, durchtrennte
Blutgefäße bis hin zu winzig kleinen... Zellen.
Entschlossen unterbrach sie die Verbindung. Talaan
blickte sie matt lächelnd an. "Ich musste es dir nicht einmal...
erklären.", stellte er zufrieden fest. Verwirrt musste
sie ihm Recht geben. Es war zu einfach gewesen, dieses Symbol
hatte sich von alleine erklärt.
Nun nahm sie sich den Rest der "Geschichte" vor, welche ihr das Heilungssymbol erzählte. Eine gewisse
Euphorie erfasste sie, als nach und nach jede der Linien und Kurven
einen Sinn ergaben, sich zusammenfügten und in ihrem Kopf
zu erstrahlen begannen.
Als sie Talaan erneut berührte wäre alles
vor Schreck beinahe wieder zusammengebrochen. Wie schwach er geworden
war! Wie lange hatte sie gebraucht um zu lernen? Panisch tastete
sie sich zu seinen inneren Wunden vor und verschloss sie spielend
leicht. Die heilenden Ströme flossen durch seinen Körper
und verbanden sich mit ihm. Und mit jeder geheilten Stelle wurde
ihr leichter ums Herz, da mit ihnen auch Talaans Schmerz abnahm, der an ihrem Verstand zerrte. Sie spürte den Fluss seiner
Lebensenergie kräftiger werden, strahlender und wunderschön.
Sie spürte das Leben selbst.
"Es ist gut Kirra.", hörte sie von
fern Talaans Stimme zu ihr dringen. Das Leben selbst war soviel
mächtiger als diese Stimme. Schöner, reiner. "Ich
bin geheilt. Lass los."
Loslassen? Wieso sollte sie... es war wunderbar auf
diese Weise eins zu sein mit Talaan, eins zu sein mit seinem Leben...
"Es ist gefährlich, Kirra. Lass los."
Wie Recht er hatte merkte sie daran, wie schwer es
ihr fiel, den Zauber und somit die wunderbare Verbindung zum Leben
fahren zu lassen.
Es war wie eine Sucht.
Sie schlug die Augen auf und blickte in das Gesicht
ihres sichtbar geschwächten, aber glücklichen Mannes.
"Wie konnte das sein?", fragte sie schließlich
verwundert. "Es ging wie von alleine."
Talaan hob mit einiger Anstrengung die Hand uns streichelte
ihre Schnauze. "Du bist eine Heilerin, Kirra. Das ist die
Antwort auf all deine Fragen. Das Leben erhalten und nicht zu
vernichten ist deine... Bestimmung."
Mit einem glücklichen Lächeln sank seine
Hand zurück und er war auf der Stelle eingeschlafen.
Kopfschmerzen, die ihn an eine durchzechte
Nacht zu erinnern scheinen wollten, hießen Talaan am nächsten
Morgen willkommen. Zumindest dachte er, dass es Morgen wäre, bis er Kirras und Tonris gewahr
wurde, welche neben seiner Ruhestätte
hockten und ihn sorgevoll und ernst musterten.
Überfallsgleich holten ihn die Erinnerungen
wieder ein, wobei ihm alles wie ein seltsamer Traum vorkam. Von
all dem, was ihm einfiel, war der eigentlich Traum um Tod und
Vernichtung noch das, was am klarsten aus dem Nebel hervorstach.
Doch ab dieser fremden, uralten Stimme "Bedenke, Weltenwandler, du hast ein sterbliches Leben gewählt." begann alles
zu verschwimmen.
War er verletzt gewesen? Gar dem Tod durch die Finger
geglitten? Kirra hatte... "Du hast..."
Sie legte ihm einen Finger auf den Mund und brachte
ihn so zum Schweigen. "Ja, ich habe Dich geheilt." Ihr Lächeln
war so bezaubernd, so froh wie seit Wochen nicht mehr, dass ihm
viel leichter ums Herz wurde.
"Eine Heilerin.", murmelte er bewundernd und
ergriff sanft ihre Hand. "Nichts könnte mich glücklicher
machen."
Sie nickte bedächtig mit einem gewissen Stolz
in der Mine. "Ich weiß, wie sehr du diese Gabe schätzt.
Aber ich habe erst jetzt begriffen, weshalb."
Tonri räusperte sich vernehmlich. "Ich muss
bald gehen. Jetzt, wo du erwacht bist, gibt es für mich keinen
Grund mehr, hier zu sein."
"Warum bist du denn hier?"
"Um über Deinen Schlaf zu wachen, denn einen
zweiten Angriff Martens würdest du nicht überleben.
Und ich bin hier, um dich zu warnen. Seine Macht über die
Träume hat bedenkliche Ausmaße angenommen. Er hat mich
diesmal aus deinem Traum aussperren, so dass ich nicht eingreifen
konnte. Aber ich habe seine Absichten erkannt. Er treibt etwas
mit dir, was Mani als "Planspiele" bezeichnet hat. Er probt
den Krieg in deinen Träumen, Maigan. Und mit jedem eurer
Kräftemessen weiß er mehr darüber, wie der Krieg
für ihn ausgehen wird." Tonri schwieg einen Momentlang
lang mit finsterem Blick. "Siegreicher als heute Nacht kann er
nicht werden. Der Krieg wird kommen."
"Er weiß nicht, wo das Orakel lebt.",
widersprach ihm Talaan halbherzig.
"Wir können es nicht auf ewig vor ihm verbergen, Talaan. Das weißt du."
Talaan ließ schwermütig den Kopf hängen.
Diese Träume hatten noch einen anderen Nutzen für Marten.
Sie nahmen Talaan die Kraft zu kämpfen. Nach und nach versickerte
sie in den Niederlagen, die er gegen seinen Feind einsteckte. "Aber was soll ich tun?"
Als hätte sie auf diese Frage gewartet, reichte
Kirra ihm sein Zauberbuch. "Suche und finde, was uns retten kann.
Wenn es eine Antwort auf die Bedrohung durch den Westen gibt, dann findest du sie hier."
Kaum hatten seine Finger den ledernen Einband berührt, durchströmte ihn Zuversicht. Einmal mehr wurde ihm
bewusst, dass seine Niedergeschlagenheit nur ein finsterer Zauber Martens
seien konnte, der sich nun an der Macht des Buches brach. Er schaute
zu seiner Frau und seinem Freund auf und lächelte zuversichtlich. "Das werde ich."
Die Tage vergingen schnell und ohne bedeutende Ereignisse. Viele
Stunden des Tages verbrachte er mit dem Studium der Magie, lernte
viel Interessantes und Nützliches, aber nicht das, was die
MaKri retten konnte. Er nahm sich Zeit für Kirra, um ihr
die Kunst der Heilung bis hin zum letzten Zauber beizubringen.
Seine magischen Augen überwachten die Savanne und den Dschungel
und er hatte sie bei allem, was er tat im Blick. Eine Stunde am
Tag verbrachte er mit Tonri und lernte von ihm viel über
die Welt der Träume. Des Nachts versteckte er sich vor Marten, wich ihm aus,
bis zu dem Zeitpunkt, da er ihm gewachsen seien
würde.
So flossen die Tage mit ihrem gleichmäßigen
Gang dahin. Die Kampfmagier der Großen Stadt beendeten ihre
Lehre und machten sich auf den Weg, um die MaKri aller Städte
und Dörfer zu unterrichten. Kirra begann die Heilmagie ausgewählten
Schülern zu lehren. Sie sollten mit diesem Wissen dann ebenfalls
durch die Siedlungen ziehen und ihre Fähigkeiten weitergeben.
Ein Volk stand vor dem Umbruch, doch für Talaan blieb alles
gleich.
Bis zu dem Tag, an dem er das Tor zur Hölle entdeckte.
"Tor der Niederen
Von den Künsten der Dunkelheit habe ich mich
stets ferngehalten. Aber es sind Zeiten angebrochen, da ich alter
Mann mich einem finsteren Feind stellen muss. Das Forschen nach
den bösen Mächten ist unausweichlich geworden.
Heute ist mir ein Erfolg vergönnt gewesen, der
mich beinahe das Leben gekostet hätte. Ein Dämon trat
aus einer von mir erschaffenen Spalte und durchbrach meinen Bannzauber
mühelos. Die Narben, welche dieser Kampf in meiner Seele
hinterlassen hat, werden nur langsam verheilen.
Ich muss einen Weg finden, diese Kreaturen aufzuhalten.
Der Feind meines Reiches vermag diese Höllenwesen in großer
Anzahl zu beschwören und seinem Willen zu unterwerfen. Eine
Armee wartet auf uns."
Talaan lief ein kalter Schauer über den Rücken
und sein Fell sträubte sich, als er den Bericht des alten
Zaubermeisters las. Dämonen... Wenn Dämonen existierten, dann gab es auch eine Hölle,
aus der sie kamen. Nie zuvor
hatte er wirklich an die Existenz einer Hölle geglaubt. Wesen
einer bösen Macht?
Talaan schüttelte seine ersten Zweifel entschlossen
ab. Böse, missgestaltete Wesen mochten von vielen als Dämonen
bezeichnet werden, aber in seinem Weltbild gab es keinen Platz
für eine Hölle. Er glaubte an den Schöpfer, nicht
an eine Gegenmacht.
Diese "Dämonen" konnten sich allerdings
als wertvolle Verbündete herausstellen... Wenn jeder MaKri
auch nur ein einziges dieser Wesen beschwören könnte, wäre das eine
Macht, die dem gierigen König und seiner
Schlange von Berater durchaus Einhalt gebieten konnte.
Magie war niemals böse. Es kam immer auf den
Zaubernden an.
Die Vorboten der Regenzeit machten sich allmählich bemerkbar.
Die Luft wurde feuchter, schmeckte viel intensiver nach der Wildnis.
Die MaKri begannen vermehrt zu jagen und Früchte zu sammeln, um noch fehlende Vorräte aufzustocken. Und die Kri wurden
ruhiger. Mit jedem Tag, da der langerwartete Regen näher kam, schwand die Furcht vor einem Angriff Mohabs mehr.
Talaan setzte inzwischen kaum noch einen Fuß
vor die Tür. Sein Zauberbuch hatte ihn vollkommen in seinen
Bann gezogen. Das Ritual zur Beschwörung der niederen Wesen
begriff er bereits nach drei Tagen, aber das war erst der Anfang.
Viel wichtiger als die Herbeirufung waren die Zauber, welche den "Dämon" in Zaum halten und schließlich
bannen konnten. Ihr Studium wurde für Talaan zu einen fieberhaften
Drang. Er ertrug es nicht mehr, keine Träume haben zu dürfen, so dass er gerade nur soviel
schlief, wie sein Körper von
ihm erzwang. Wenn er erst einmal Macht über solch mächtige
Wesen hatte, konnte er auch Marten in den Träumen begegnen
und ihn vielleicht sogar von einem Krieg abhalten.
An dem Tag, bevor der erste Regen fiel, war jegliches Treiben
auf dem zentralen Platz der Großen Stadt erstorben. Vielmehr
drängten sich unzählige schaulustige MaKri auf den Brücken
und um den Platz herum. Doch keiner von ihnen wagte einen Fuß
auf das große, steinerne Rund zu setzen.
Talaan machte sich diesen perfekten Steinkreis, der
Ring für Ring mit der Größe der Stadt gewachsen war, für sein Ritual zu Nutze. Kreise waren Grenzen für
die Niederen und Steinkreise nahezu unzerstörbar. Es bedurfte
ihrer nicht, jedoch waren sie eine Absicherung gegen ein mögliches
Scheitern.
Er begann mit dem Beschwörungsritual. Er murmelte
komplizierte Zauberformeln, die sich nicht in Symbole pressen
ließen, lenkte magische Energien in wohlüberlegte Bahnen, errichtete Barrieren. Er rief die Mächte
an, welche über
die Grenze zwischen der Welt der Lebenden und die der Niederwelt
wachten. Mal verfiel er in einen monotonen Singsang, mal stieß
er gutturale Laute aus.
Es war ein schwieriges Ritual. Und es war hässlich.
Etwas geschah. Etwas fremdartiges, nicht so recht
fassbares. Der alte Zuabermeister hatte es eine Spalte genannt, aber das war nur eine unzureichende Bezeichnung. Die Öffnung,
die sich dort inmitten der Luft auftat, wirkte seltsam... flach
und dabei unstetig im Anblick. Sie schien einen Rand zu besitzen, doch wenn man ihn
anblickte, konnte man ihn nicht fokussieren
er zuckte weg. Es war vielmehr ein nicht klar abgrenzbarer Bereich
einer verzerrten Realität.
Die Spalte wurde langsam immer größer
und gab so den Blick auf das frei, was dahinter war. Dort lag
eine ölige, zähe Dunkelheit, die in ungleichmäßigen
Abständen zu einem ekelhaften Rot anschwoll um dann wieder
in dieses verstörende Schwarz abzugleiten. Immer und immer
wieder. Es wirkte wie ein langsamer, kranker Herzschlag. Kleine
Blitze zuckten aus dem Spalt, wenn das rote Glimmen seinen Höhepunkt
erreicht hatte.
Dann begann diese Dunkelheit herauszufließen.
Schwarzen Zungen gleich leckte sie über den Rand der Realität, packte zu und... zog sich heraus. Stetig und unaufhaltsam kämpfte
sich eine große, massige Gestalt in diese Welt. Schwarz-rot
pulsierend wie die Ebene, aus der sie kam.
Und Talaan konnte sie in seinem Geist hören, mehr noch, er konnte sie spüren.
Seelenlose, finstere, niedere Bosheit sickerte in seinen Verstand, durch seinen
Körper und in sein Herz. Und dieses Wesen war kalt, so unsagbar
kalt!
Als es vollständig aus der Spalte herausgetreten
war und sich diese zu schließen begann, witterte das Dunkelwesen
die Luft. "FREI!' grollte eine eindrucksvolle Stimme in seinem
Kopf. Bilder ewiger Finsternis brandeten zu ihm herüber.
Und verzweifelte, irrsinnige Wut.
"Das glaube ich nicht, Kreatur!", erwiderte
Talaan und wappnete sich. Der Blick des Wesens nicht sichtbar, aber dennoch sehr wohl spürbar traf ihn mit der Wucht eines
gewaltigen Rammbocks.
Die Kreatur entzog sich dem Auge des Betrachters
genauso wie die Spalte hinter ihm. Aber es war eindeutig mehr
als mannshoch, grobschlächtig und ohne jeden Zweifel mit
Unmengen von kraftvollen Muskeln versehen. Sei Gesicht wirkte
hart geschnitten, wenn auch die Konturen hin und herwaberten.
Sein Aussehen wirkte ganz einfach brutal.
"StERbLiChE?!? BEsuDeLT NIcHt dEN weG, AUf DeM ich
GEhE!' Seine Stimme wirkte so kraftvoll und gleichzeitig unstetig
wie sein Äußeres. Begleitet wurden diese Worte durch
Bilder des gesamten Weges, den er hinter sich hatte und Talaan
verzweifelte. Noch nie hatte er solche Abgründe gesehen.
Eine Ewigkeit aus Qual, Quälen, Dunkelheit, Schmerzen, Vernichtung, Tod und Verderben.
Einen Moment lang konnte er den Dämon nur fassungslos
anblicken. Jegliche Zweifel, dass ein wahrhaftiger Dämon
vor ihm stand, waren in diesem Moment zerschmettert worden.
Diesen Augenblick der Schwäche nutzte das Höllenwesen
sofort. Es holte zu einem kräftigen Schlag aus und rammte
seine Faust in die erste magische Barriere, die Talaan um den
Beschwörungspunkt errichtet hatte. Knochen splitterten, doch
die Barriere zerbrach ebenfalls.
Dumpf blickte der Dämon auf seine Faust hinab
und dann erstaunt zu Talaan auf. "WEr BiSt DU? Ein WeLtEnWAnDLeR?'
Beinahe hätte er Talaan damit wieder aus der
Bahn geworfen. Vor ihm stand eine Kreatur, ohne Zweifel verabscheuungswürdig
böse, aber mit Wissen über Weltenwandler! Den nächsten
Schlag des Dämons erwartend, fing Talaan ihn mit seinem Geist
ab und brach ihm dabei beinahe die zweite Hand. "Du wirst meinen
Weg gehen, Dämon. Keinen andren."
Dann ballte er seine Konzentration um das Wesen zusammen, sprach die richtige Zauberformel und verschmolz sie mit einem
Geistessymbol, das in seinem Kopf glomm. Der Dämon schrie.
Sein Äußeres... schälte sich. Es wirkte, als würde
der Dämon eine ölige, schwarze Haut abstreifen und darunter
eine irdischere Hülle freilegen. Ledrig, dunkelrot und vernarbt, aber auch sehr viel... realer. Es tat dem Auge nicht mehr
weh, den Dämon anzusehen.
Ungläubig sah der Dämon an sich herab. "DieSe HüLLe! WAS HasT dU GeTaN!?! ICh HasSe dIcH! iCH ZerMAlMe
DiCh! ICh BiN gEFaNgEN!'
Talaan atmete erleichtert auf und betrachtete den
Dämon mit abschätzenden Blicken. Er hatte ihn an diese
Welt und gleichzeitig an sich gebunden. Der Dämon könnte
ihn immer noch töten, würde damit aber auf ewig an den
Ort gebunden sein, an dem sein neuer Meister gestorben war. Und
das Höllenwesen spürte das.
"Du weißt, was Der Preis für eine Rückkehr
ist."
"RüCkKehR?', heulte der Dämon und schwieg
einen Moment. Leise konnte Talaan die wütenden, boshaften
Gedanken der Höllenkreatur in seinem Kopf zischeln hören.
Es machte ihn beinahe wahnsinnig. Dienen, um in die Niederwelt
zurückgekehrt erneut entkommen zu können stand gegen
die Aussicht einer ewigen Gefangenschaft in der Welt der Lebenden. "JA! ICH wErDe DIeNen!'
Talaan nickte, wenn auch ohne viel Begeisterung.
Dieses Wesen war ein mächtiger Krieger. Eine Armee von ihnen
würde die Soldaten Mohabs auf ewig vom Land der MaKri vertreiben.
Vereinzelte Jubelrufe drangen von den MaKri auf den Brücken
und vom Rand des Platzes herüber. Sie sahen, wie nahe ein
Sieg mit Dämonen an ihrer Seite seien konnte. Andere wiederum
blickten voller Abscheu.
Er befahl ein magisches Auge zu sich, welches eine
kleine Gruppe Soldaten im Dschungel aufgespürt hatte. Er
deutete auf die in ihrem Versteck schlafenden Menschen. "Geh zu
ihnen und halte sie auf. Wenn möglich, töte sie nicht.
Und richte sonst keinen Schaden an."
"JA!' bellte der Dämon. Talaan senkte die verbliebenen
Barrieren. Ohne einen Augenblick zu zögern, drehte sich das
Wesen um und rannte mit großen Schritten in Richtung seiner
Ziele davon. Eher wiederwillig wich er dabei den MaKri aus, die
zum Teil panisch davon stoben. Innerhalb kürzester Zeit war
der Dämon verschwunden.
Einer der MaKri trat an Talaans Seite und starrte
mit finsterer Mine in die Richtung, in die das Wesen gerannt war. "Eine machtvolle
Kreatur, Maigan. Aber dennoch... Hältst
du das für eine gute Idee?"
Darauf konnte Talaan ihm keine Antwort geben.
Es war keine gute Idee. Es war eine grauenhafte Idee. Die seltsam unstetigen, bösartig irrsinnigen Gedanken des Dämon
zischelten ununterbrochen in seinem Kopf. Leise, aber nur schwer
zu ignorieren.
Er wagte es nicht zu schlafen. Die Angst, diese finsteren
Gedanken könnten seinen Geist vergiften, war stärker
als der Drang nach Ruhe. Der Dämon brach mit müheloser
Leichtigkeit durch das Buschwerk des Dschungels und bahnte sich
einen direkten, unaufhaltsamen Weg zu den Soldaten des Königs.
Im ersten Morgenlicht erreichte er sie dann. Talaan
brauchte sein magisches Auge nicht, um das folgende Geschehen
zu beobachten. Die Gedanken des Dämonen wurden von Bildern begleitet, verzerrt durch den
Kampfesrausch, in den er verfiel.
Talaan sah, wie der Dämon die Soldaten dabei
überraschte, als sie ihr Tagesversteck aufbauten. Der erste
Soldat war tot, bevor er Zeit hatte sich umzudrehen. Ein Gefühl
dumpfer... Lust brandete zu Talaan herüber. Es war widerlich.
Er sah das ungläubige Entsetzen in den Augen
der Menschen, als sie sich ihrem unnatürlichen Angreifer
zuwandten.
"ErGeBT eUch MeiNeM HerReN',, befahl ihnen der Dämon
unwillig. Kaum zog der erste Mann sein Schwert, griff er an. Mit
grotesker Hemmungslosigkeit schlug er zu, zertrümmerte Knochen, riss Wunden mit seinen Klauen. Der Dämon raste. Die Gegenwehr
seiner Opfer war geradezu fanatisch aber dennoch aussichtslos.
Die wenigen Verletzungen, welche sie dem Dämon zufügten, entfachten nur einen Blutrausch in
ihm, der ihn noch zügelloser
töten ließ. Er sog den Schmerz der Männer in sich auf, weidete sich an ihm und aß sich daran satt.
Als das Grauen ein Ende hatte und alle Menschen tot
danieder lagen, saß Talaan wie erstarrt da. Dieses Wesen
war zum Kämpfen geschaffen, aber die Bosheit, diese irrsinnige, grenzenlose Bosheit war krankhaft. Dieses Lustgefühl beim
Töten war widerlich, das Aufsaugen des Leids verachtenswert.
Der einsetzende Regen hielt keinen der MaKri davon ab, die Rückkehr
des Dämons mitzuerleben. Die meisten von ihnen jubelten Talaan zu, als sie
sahen, wie er das Wesen nach seinem Willen zum Steinkreis
lenkte und es verkündete, dass der Spähtrupp Mohabs
tot war. Als er es dann scheinbar mühelos in seine Niederwelt
entließ, wurde der Jubel zu lautstarker Begeisterung.
Talaan für seinen Teil war nicht begeistert.
Er ahnte schon, welche Entscheidung ihm nun bevorstehen würde
und er ahnte auch, wie sie letzten Endes ausfiel. Aber er hielt
alle Gedanken davon fern. Diese Wahl durfte nicht fallen, bevor
er Marten in seinem Traum gegenübergetreten war.
Ein Unwetter tobte am Himmel, hoch über ihren Köpfen.
Doch es war kein gewöhnliches Unwetter. Die Wolken brodelten
in einem dunklen, pulsierenden Rot, wie kochendes Blut, doch die
Luft bewegte sich nicht einen Hauch. Die Savanne hinter ihm glomm
in eben dieser Farbe. Es war drückend heiß, lebensfeindlich, widerlich.
Es war ein Unwetter, das sie entfesselt hatten. Die
Tore zur Niederwelt hatten das Diesseits verändert.
Und unweit von ihnen, unter dem Zentrum dieses Tobens
der Macht lag Tullma. Die Stadt war nicht wiederzuerkennen. Große
Klüfte taten sich in der einst so mächtigen Stadtmauer auf, die Tore lagen herausgerissen und mit roher Gewalt verbogen
im Sand. Gelegentlich schlugen Flammen in der Stadt empor, donnerten
Blitze herab und schürten das Inferno noch mehr. Die Stadt
Tullma starb.
Überall um Talaan herum lagen tote Soldaten.
Dämonen weideten sich an ihren Kadavern oder trotteten zur Stadt, um frische Opfer zu suchen. Gebrochene Augen starrten ihn
aus vor Entsetzen verzerrten Gesichtern an. Keiner von ihnen war
durch ein Schwert oder einen Speer gestorben. Sie alle, die sie
hier lagen, waren durch das was am Himmel und auf Erden wütete
dahingerafft worden.
"Eine gute Schlacht, Talaan.", sagte Sorral
hinter ihm. Seine Stimme war verändert. Härter. Eine
vor Macht strotzende Aura, wie sie Talaan noch nie gesehen hatte, umgab den Maigan. Seine Augen glühten im magischen Feuer.
"Wir haben nur drei unseres Volkes verloren. Diese Menschen waren
keine ernstzunehmende Gefahr für unsere Macht. Die niederen
Wesen bilden eine wahrhaft großartige Armee."
Ein beinahe irres Kichern erklang hinter Talaan und
er wirbelte herum. Da stand Marten, Hände und Füße
in Ketten, aber nicht im Geringsten von seiner Gefangenschaft
gebeugt. "Ich habe dich unterschätzt, Freund der Elfen, und
ich neige mein Haupt vor dir. Ich strebte nach der größtmöglichen
Verformung des Schicksals, durch langjährige Planung und
viele kleine und große Intrigen.
Aber du, Talaan!" Jetzt war der Wahn in Martens Augen, seiner Stimme nicht mehr zu leugnen.
"Du, Talaan, hast
eine so unglaublich große Macht entfesselt, von der ich
nicht einmal zu träumen wagte! Die MaKri werden das Angesicht
der Welt verdunkeln mit ihrer Magie!"
Hinter Marten brachen die letzen Gebäude Tullmas
mit dumpfen Grollen zusammen, als er sich ehrfürchtig vor
dem Werk Talaans verbeugte. Von der einst so schönen Stadt
blieb nur ein Haufen Trümmer.
Talaan war nicht im Geringsten von diesen Worten
beeindruckt. "Sie sind nicht so wie du, Marten. Macht bedeutet
ihnen nichts, und Macht zu haben bedeutet nicht gleichzeitig, dass man sie missbraucht."
Marten glitzerte ihn auf eine bösartige Weise
verschmitzt an. "Ach wirklich? Glaubst du, nur weil du den Einflüsterungen
eines Dämonen widerstehen kannst, wird es allen MaKri gelingen?
Sieh doch genauer hin."
Und das Land wurde weit, so als würde er durch
ein göttliches Auge die Welt überschauen. Und überall, wo er hinblickte sah er das gleiche Chaos. Städte der Menschen
in Schutt und Asche, unter einem blutrot wütenden Himmel.
Talaan schreckte einmal mehr aus seinen Alpträumen empor.
Es war knapp gewesen. Beinahe zu knapp. Die Entscheidung war gefallen. Niemals, in keinem seiner
Leben, würde er sich der Macht
einer Dämonenarmee bedienen. Und niemals würde er den
MaKri diese Macht in die Hand geben. Sie würde sie korrumpieren
und auffressen, bis nichts mehr von dem ursprünglichen Wesen
der MaKri übrig blieb.
Daran hatte er keinen Zweifel. Aber was sollte er
dann tun?
Etwas anderes konnte er nicht denken. Es gab nur
diese eine Frage.
Was sollte er tun?
Was sollte er
nur tun?
Was...
... sollte er tun?
Ohne all zu große Verwunderung stellte er fest, dass er wieder eingeschlafen war. Er stand vor der geborstenen
Stadtmauer Tullmas und wusste, dass dieser Traum nur ein Nachhall
war. Ein neuer Traum hatte sich den Ort seines verstorbenen Bruders
als Bühne gewählt. Es würde kein durch Dämonen
zerstörtes Tullma geben.
Tatsächlich konnte er keine niederen Kreaturen
sehen und auch die Stadt wirkte trotz ihrer Zerstörung seltsam
friedlich. Da er nicht wusste, was er sonst machen sollte, trat
er in die Stadt. Die toten Menschen, die einst dort gelegen hatten, waren den Leichen von MaKri gewichen.
Sein Herz wurde schwer. Eine Entscheidung für
das Licht würde das Leben seines Volkes kosten. Und wenn
Mohab erst einmal das Orakel kontrollierte... Es lag noch mehr
Verzweiflung auf der anderen Seite dieses Gedankens.
Das Bild der Zerstörung war in steinerne Ruinen
gemeißelt und dennoch sah er in ihnen die brennenden Baumhäuser
der MaKri. Sie würden den Preis bezahlen. So oder so.
Was konnte er nun tun? Er hatte Tausende Fragen, jede einzelne wog so schwer wie ein Berg. Jegliche
Versuche, sie
zu lösen, waren gescheitert.
Er kam an der verkohlten Leiche einer Frau vorbei, die ihre Arme um ein kleines Kind geschlungen hielt. Mit grausamer
Klarheit erkannte er Kirra und ihren gemeinsamen, ungeborenen
Sohn.
Anstatt dem Gedanken nachzugeben, doch Dämonen
zu rufen, wurde seine Trauer nur schwerer. Es würde so seien, wie es seien würde. Er würde eine andere Antwort finden
müssen.
Aber...
Was war, wenn er die Antwort niemals fand, weil er
die Fragen nicht lösen konnte? Wer würde ihm die Antworten geben, nach denen ihm verlangte?
Er wanderte tiefer in die Ruinen der Stadt, bis er
an den Platz kam, der vor den Palasttoren lag. Ein gewaltiges
Monument erhob sich an der Stelle, an welcher eigentlich eine
Statue des Königs stehen sollte. Talaan erschrak vor seinem
eigenen Ebenbild. In Obsidian gemeißelt stand er da: hart, ewig, tiefe Qual in seinem Antlitz.
Zu Füßen des Kolosses konnte er kleine, unbedeutende Gestalten ausmachen. Eine davon war
Ginuthal, so
wie er sie auf ihrem Totenbett in Erinnerung hatte. Eine andere
stellte Loma dar, wie sie mit eingedrücktem Brustkorb das
Leben aushauchte. Eine dritte zeigte eine Gargoyle, der eine Streitaxt
im Rücken steckte.
Jede dieser Steinfiguren starb oder war bereits tot
und jede einzelne lag Talaan am Herzen. Dies war eine Antwort:
Er selbst würde Tot, Leid und Elend hinter sich lassen, während
er durch die Leben schritt, die ihm neue Welten offenbarten. Jede
dieser Welten würde mehr als einen Verlust bedeuten.
"Nur weil das dort eine Wahrheit ist, muss
es nicht die Wahrheit für dieses Leben sein, junger Weltenwandler.",
sagte jemand hinter ihm.
Talaan schnellte herum und stieß beinahe mit
einem kleinen, alten Mann zusammen. Er kannte diesen Greis nicht, aber er kannte seine Stimme. Er hatte ihn vor der Sterblichkeit
seiner Existenz gewarnt.
"Wer..."
"Keine Zeit für dumme Fragen, Weltenwandler, dein Erwachen ist nahe. Dies alles hier sind nur Träume.
Du magst hier Wahrheiten, aber keine Antworten finden. Marten
blendet dich nach wie vor. Suche mich auf und erfahre, was du
wissen musst."
Friedlich. Zum ersten Mal seit langer Zeit erwachte er friedlich
aus seinem Schlaf. Er brauchte nicht fragen, was dieser letzte
Traum zu bedeuten hatte oder wer der alte Mann war. Alle Antworten, die er brauchte waren die ganze Zeit vor seiner Nase gewesen.
Der gesamte Krieg kreiste um jenen Ort! Das Ende aller Zweifel
lag greifbar nahe: Die Halle des Lichts.