"Das Zweite Buch der Welten - Die Halle des
Lichts" von Jaquimo Talaan
veröffentlicht: 29.04.2003
"Das Zweite Buch der Welten" and contained characters © 2001-2003 by
Christoph Günther.
Verwendung, Änderung und kommerzieller Vertrieb nur mit meinem persönlichem
Einverständnis. Dies gilt explizit (aber nicht nur) für die Charaktere Jaquimo
Talaan, Ginuthal, Kirra, Jairree und Loma, an denen mein Herz hängt.
Auch wenn sich mein Selbstbewusstsein wegen meiner Schreiberei inzwischen ein
wenig gefestigt hat, freue ich mich trotzdem immer noch über ernst gemeinte
Kritik. Ich will besser werden und das kann ich nur, wenn IHR mir schreibt.
Email an *
* aus Spam-Gründen nur als Bild
zum abtippen, sorry
Und jetzt viel Spaß mit dem fünften Teil.
Die Halle des Lichts
Talaan seufzte resigniert und schüttelte sich. Wasser spritzte
aus seinem Fell in alle Richtungen, trockener wurde er jedoch nicht. Regen,
Regen, Regen. Nach einem Monat Pilgerwanderung durch den Dschungel meinte
er, dass das menschliche Wort „Regenzeit“ dieser endlosen Nässe nicht gerecht
wurde. Die MaKri nannten sie auch treffender „Rish-Kawjular“ – ewige Himmelsflut.
Sie waren der Überzeugung, das Wasser entspränge den Tränen des Schöpfers. Eine
Träne für jedes Unrecht auf der Welt.
Wenn es wirklich so war, wie die MaKri glaubten, könnte
der Regen noch monatelang so weitergehen. Zum Glück kennen die Kri keinen
Schnupfen., dachte er bei sich.
Eigentlich hatte er vorgehabt, die Halle des Lichts innerhalb
weniger Tage fliegend zu erreichen. Der Ältestenrat jedoch bat ihn, den Weg
zu Fuß zu erleben. Es war Tradition so und der Weg sollte ihm Zeit geben, seinen
Geist zu klären und die wichtigen und würdigen Fragen von den profanen und simplen
Anliegen unterscheiden zu lernen.
In der Tat waren ihm seit Beginn seiner Pilgerschaft viele
Fragen in den Sinn gekommen. Nicht jene, die ihn seit Monaten quälten – sie
konnte er weder vergessen noch beantworten. Doch je länger er mit sich und der
Natur und dem Regen allein blieb, desto mehr Gedanken machte er sich über seine
eigene Existenz. War sie vielleicht der Schlüssel zu allem? Wie groß war die
Rolle, die ihm das Schicksal zugewiesen hatte? Was war er überhaupt? War der
Traum mit der Statue ein Omen?
Viele andere Fragen hatte er wieder verworfen. Entweder,
weil er sie nach einigen Meilen oder Tagen des Überlegens selbst lösen konnte,
oder weil sie ihm angesichts der Mühen, die er mit dieser Wanderung auf sich
nahm, nach und nach unwichtiger erschienen.
Behände erklomm er den Stamm eines Riesenbaumes. Auf einer
halbwegs einladend aussehenden Astgabel band er die größten Blätter höherer
Zweige zu einem behelfsmäßigen Dach zusammen und machte es sich gemütlich. Für
heute war er genug gewandert.
Lächelnd musste er an Kirra denken, die jetzt bestimmt über
ihre magischen Studien gebeugt daheim saß und halb fröhlich, halb missmutig
an ihn dachte. Es hatte einiger Überredungskunst und eines sehr einfallsreichen
Verwöhnfrühstücks bedurft, um seine Frau zu besänftigen. Sie hätte ihn so gerne
zum Orakel begleitet und wollte nicht einsehen, wie wichtig ihre Lehre in der
Heilmagie war.
Er konnte sie so gut verstehen, vermisste er sie doch so
sehr...
Wann er über diesen schönen
Gedanken eingeschlafen war, wusste er nicht genau zu sagen, aber weshalb er
mitten in der Nacht wieder erwachte, erkannte er sofort. Stimmen drangen schwach
durch das ewige Rauschen des Regens.
Schlagartig war er gänzlich wach und spähte über den Ast
hinab in die Dunkelheit. Zunächst konnten selbst seine Katzenaugen nichts erkennen,
so wie es jedoch klang, kamen sie auf ihn zu. Und es waren menschliche Stimmen.
Menschen! So dicht beim Orakel! Die magischen Augen der MaKri schliefen
niemals und schwebten wachsam an den Grenzen ihres Territoriums. Und dennoch
waren jetzt Menschen hier, obwohl der letzte Spähtrupp Mohabs vor zwei Dutzend
Tagen aufgegriffen worden war...
Marten musste einen Weg gefunden haben,
unbemerkt neue Truppen in den Dschungel zu entsenden. Talaan kam ein Verdacht,
der ihm gar nicht behagte. Rasch formte er die Geistessymbole des magischen
Auges und sandte das Auge aus. Er lenkte es in die Richtung der Stimmen, doch
außer für Bäume und Regen war das Auge blind.
„... geht mir gegen den Strich“, drangen die ersten klaren
Worte durch die Nacht. Verärgert fegte Talaan die Sphären beiseite und verließ
sich stattdessen auf seine eigenen Augen. „Immer sausen sie an uns vorbei oder
gar durch uns hindurch.“
„Wenn du deine Männer besser unter Kontrolle hättest, Hauptmann,
müsstest du dir keine Sorgen machen.“, erwiderte eine arrogante Stimme. „Solange
ihr in meiner Nähe bleibt, sieht euch das Auge nicht.“ In diesem Moment teilten
sich unten die Blätter des Buschwerks und fünf Soldaten kamen hindurch. Der
sechste Mann der Gruppe passte überhaupt nicht ins Bild. Zwar trug auch er die
Kleider eines königlichen Soldaten, der sonst allgegenwärtige Brustpanzer fehlte
hingegen. Das Bemerkenswerteste aber war das schwache Leuchten einer magischen
Aura. Ein Schlachtenmagier!
„Eben hat es gezielt nach uns gesucht, will ich meinen.“,
widersprach der Hauptmann.
„Was verstehst du schon von solchen Dingen?“ Der Magier
sah den Soldaten finster an und seine Aura loderte kurz auf in seinem Zorn.
Er ist mächtiger, als es den Anschein hat., musste Talaan bewundernd
erkennen. Er freute sich auf einen Kampf mit diesem Magier. Denn einen Kampf
würde es geben, war dies doch die einmalige Gelegenheit, die Geheimnisse des
Feindes zu ergründen. Die Mystiker zählten schließlich zu Martens erwählteren
Kreisen...
„Reißt das Maul nicht zu weit auf, Hexer.“,
fuhr der Hauptmann den Magier an. „Wenn Ihr aus reiner Eitelkeit versagt, seid
Ihr den Schutz Eures Meisters Marten, hinter dem Ihr euch versteckt, schnell
wieder los.
Ich erkenne ein Suchmuster, wenn ich eins sehe. Seht das
endlich ein!“
Hatte der Zorn des Gescholtenen vorhin
noch zu einem kurzen Auflodern seiner Aura geführt, so stand er jetzt inmitten
von kalten, blauen Flammen – bereit mit ein paar Worten der Macht einen Soldaten
vom Antlitz der Welt zu tilgen. Der Hauptmann sah dies freilich nicht und bot
ihm tapfer die Stirn. Und gewann.
„Ich werde dem Meister davon berichten.“, beschloss der
Schlachtenmagier in einem grübelnden Tonfall, als käme dieser Entschluss von
ihm allein. „Mein Schutz gegen das Auge des Feindes war ohne Fehler und dennoch
hat er uns beinahe gefunden.“
Talaan, der dem Spähtrupp hoch in den Ästen nachgeschlichen
war, richtete seine Ohren auf. Wenn die Menschen eine Möglichkeit hatten, sich
über die Ferne hinweg zu unterhalten, würde das einiges erklären.
Der Magier holte etwas Kleines unter seinem Gürtel hervor,
sprach einen Zauber und wartete. Diese Zeit nutzte Talaan und kletterte lautlos,
in Schatten gehüllt, den Stamm hinab zum niedrigsten Ast, in dessen Nähe der
Spähtrupp stehen blieb.
So überraschend und deutlich, dass Talaan beinahe heruntergefallen
wäre, drang Martens Stimme aus allen Richtungen. "Was willst du, Kahib?"
Talaan schmiegte sich enger an den Ast, um nicht entdeckt zu werden und schüttelte
lächelnd den Kopf. Selbst bei so etwas nützlichem wie einem sprechenden Stein
konnte Marten nicht auf Gauklertricks verzichten.
"Ich bin in Sorge, Meister. Wir sind nun tief in das
Gebiet vorgedrungen, in dem Ihr das Orakel vermutet. Es wird immer schwerer,
den Spähern der Katzenwesen auszuweichen."
„Und?!“ Marten klang ungeduldig. „Damit war zu rechnen. Du
weißt doch noch, was du dann zu tun hast?“
„Einen Kampf mit magischen Mitteln vermeiden und im Falle
einer Niederlage allein weiterziehen, Meister.“
„Kahib.“ Marten war zornig. „Das weiß ich alles.“ Sein Tonfall
troff vor falscher Ruhe und Freundlichkeit. „Du hättest die Frage nicht beantworten
brauchen. Störst du mich deshalb?“
„Nein, Meister. Eben sind wir einem Auge des Feindes begegnet.
Als es uns erreichte, schien es uns zu spüren und begann gezielt nach uns zu
suchen. Was hat das zu...“
Eine schreckliche Energie des Zorns erfüllte mit einem Mal
die Luft und ließ Kahib verstummen. „Wenn ich könnte, würde ich dich jetzt töten,
du Narr.“ Feurige Wut brannte in der Stimme Martens. „Du bist einer meiner begabtesten
Schüler, Kahib, aber nicht einer der klügsten. Wie oft habe ich dir gesagt,
dass der Schutz vor dem Auge SICHER IST?!?“
Die Soldaten wurden unruhig. Nur der Hauptmann begriff, worauf
Marten hinaus wollte, legte einen Pfeil auf seine Bogensehne und starrte angestrengt
in die Dunkelheit.
Marten wurde wieder kalt und ruhig. „Wenn euch ein Auge sucht,
dann weil euch jemand sucht, der euch gehört hat. Eine andere Erklärung gibt
es nicht. Und der wird jetzt vermutlich all das wissen, was er belauschen konnte.
FINDET IHN, TÖTET IHN, LASST IHN NICHT ENTKOMMEN!“
Nun waren die Soldaten hellwach und machten ihre kurzen Kriegsbögen
bereit. Der Magier brauchte einen Moment, um sich aus seiner Starre zu lösen,
aber dann brannte seien Aura lichterloh. Talaan hatte seine eigene Aura noch
nie gesehen, aber er war sich dennoch sicher, in seinem Feind einen würdigen
Gegner gefunden zu haben – wenn er seine Magie zu gebrauchen wusste.
Und er wusste sie zu gebrauchen! „Hauptmann! Schießt auf
alles, was verdächtig scheint, gleich ob ihr den Dämon sehen könnt oder nicht!“
Bei diesen Worten machte er seltsame Gesten und schleuderte ein funkenknisterndes
Energiebündel hoch in die Luft, das dann mit einem falschfröhlichen, kristallinen
Ton zerplatzte und Myriaden von funkelnden Sternchen in der Luft versprengte.
Sie durchdrangen das Blattwerk der Bäume ohne Widerstand, an Talaans schattenbekleideter
Gestalt jedoch blieben sie mit erschreckender Deutlichkeit haften.
„Dort!“, schrie einer der Soldaten und jagte einen Pfeil
in seine Richtung. Surrend blieb er knapp neben Talaans Hand im Holz stecken.
Talaan ließ sich vom Ast fallen und Pfeile durchschnitten die Luft, wo er eben
noch gelegen hatte.
Er formte einen Kugelblitz und sandte ihn zum Hauptmann.
Doch anstatt die Soldaten ihres Führers zu berauben, musste er mit ansehen,
wie der Magier eine kurze Formel murmelte und den Angriff an einem Schild knisternd
abprallen ließ. Die gewonnene Zeit reichte, um neue Pfeile aufzulegen. Sehnen
surrten und ein Geschoss erwischte Talaan mitten in der Bewegung am Oberarm.
Schmerzerfüllt stieß er ein Brüllen aus, lenkte den zurückgeworfenen Blitz auf
einen großen Ast, ergriff ihn im Herunterfallen mit dem Telekinesezauber und
schleuderte ihn mit einer befehlenden Geste, die ihm Schmerzeswellen durch den
Arm schickten, nach den Soldaten.
Die sprangen beiseite, so gut sie konnten und Talaan nutzte
die Verwirrung zur Flucht. Mit wenigen Sätzen brachte er ein paar Büsche und
Bäume hinter sich und zog sich dabei den Pfeil aus dem Fleisch. Blut troff,
als der Widerhaken die Wunde noch mehr aufriss.
Endlich einen kurzen Moment der Ruhe findend, heilte er seinen
Arm in wenigen Augenblicken. Diese kurze Zeit reichte seinen Verfolgern jedoch,
um ihn wieder einzuholen. Ohne zu zielen, beschwor Talaan einen Feuerball in
ihre Richtung, erhob sich in die Luft und verschwand im Geäst eines Riesenbaumes.
Nun war er am Zug. Dies war sein Dschungel und er würde sich
hier nicht besiegen lassen, so gut diese Soldaten auch seien mochten. Und dieser
Magier! Ihn würde er sich für den Schluss aufheben. Er mochte eine Menge nützlicher
Dinge wissen.
Durch den Baum, in dem Talaan sich versteckte,
lieft mit einem Mal ein seltsames Brummen, bis hinauf zu den obersten Blättern.
Dann zerfiel er schlagartig zu Staub. Kaum begann die Asche nach unten zu sinken,
zischten Pfeile durch die Luft. Sie waren in der Eile schlecht gezielt, aber
mit diesem Glitzersplittern am Leib würde das nicht lange so bleiben.
Talaan beschwor eine Reinigung und wusch
alle Magie von sich ab, auch die Levitation entschwand. Noch bevor er drei Schritt
tief gefallen war, hatte er sie wiedererlangt und sich erneut in Schatten gehüllt.
In der Dunkelheit der Nacht und inmitten
der rieselnden Aschewolke war er nun wieder so gut wie unsichtbar und ging zum
Angriff über. Einem Raubvogel gleich stieß er hinab, erspähte einen Soldaten
und schlug ihm seine magisch aufgeladenen Krallen in den Hals. Noch bevor sein
Opfer mit einem sterbenden Wehklagen zu Boden gesunken war, hatten Talaans Füße
den Boden berührt und er formte ein neues Symbol in seinem Geist und rief die
Erde selbst zu seinem Schutz.
Felsnadeln brachen um ihn herum aus der Erde hervor, Schmerzensschreie
drangen durch den im Regen verklumpenden Ascheschleier und Talaan verschwand
mit einem grimmigen Lächeln wieder in die Luft.
Zerstörung war so einfach. Sein Lächeln
zerfiel.
Eine kleine Weile herrschte so etwas wie
Stille, nur sein eigenes, heftiges Herzpochen war zu hören, und Talaan zog sich
in die Krone eines anderen Riesenbaumes zurück.
„Das ist eine verdammte Sauerei!“, hörte
er den Hauptmann schreien. „Kahib! Ist das euer versprochener Schutz? Zwei meiner
Männer sind tot und einer ein Krüppel!“
„Schweig’, du Dummkopf! Er wird uns finden!“
Das war längst geschehen. Unbemerkt hatte
Talaan ein magisches Auge in die Nähe des Hauptmanns gebracht. Er konnte nun
ihn und einen weiteren Soldaten sehen, nahebei lag ein dritter, durch dessen
rechten Schenkel eine Felsnadel spießte.
Nur vom Kampfmagier fehlte jede Spur, doch
plötzlich verschwand auch der Verwundete, dann der Hauptmann und schließlich
der letzte Soldat. Übrig blieben die Toten, die Felsnadeln und der ewige Regen.
Jetzt begriff Talaan endgültig. Der Magier
hüllte sich in eine Art Aura, die ihn und alle in einem bestimmten Umkreis vor
dem magischen Auge schützte. Sobald Talaan sie auseinander trieb, war der Nutzen
verflogen.
Rasch kletterte er auf einen Ast bis an
den Rand der Krone und spähte hinab. Dort war die Stelle, an der er sie im Auge
gesehen hatte und da waren auch die Soldaten und der Hexer, die sich eifrig
berieten. „Feuerball!“, rief er als Warnung und schleuderte einen so, dass er
seine Gegner aufscheuchen sollte, ohne den Verwundeten zu treffen.
Wie erwartet hüllte der Magier sich in einen
Schild, die Soldaten aber sprangen beiseite. Talaan setzte drei Flammenkugeln
hinterher, wehrte mühelos einen Blitzstrahl des Kampfmagiers ab und vertrieb
die Soldaten mit zwei weiteren Zaubern endgültig in den Dschungel.
Ein Blick in die Sphäre des magischen Auges
verriet ihm auch bald, wo der Hauptmann war. Talaan ließ den Hexer stehen, wo
er war, und nahm die Fährte des Hauptmanns auf, die Sphäre begleitete ihn.
Schon bald hatte Talaan ihn gefunden und
streckte ihn mit einer geballten Kraftkugel nieder. Er legte dem Schwerverwundeten
magische Fesseln an, heilte ihn von seinen Wunden und ging auf die Jagd nach
seinem letzten einfachen Opfer. Der verbleibende Soldat war rasch entdeckt und
teilte das Schicksal seines Befehlshabers auf einer farnüberwucherten Lichtung.
Gerade, als Talaan von dem Gefesselten ablassen
wollte, traf eine magische Ladung auf seinen Schild, zerplatzte und setzte widerlichen,
grünen Nebel frei. Da der Schild nur magische Angriffe abwehrte, durchdrang
ihn die grüne Wolke mühelos und hüllte Talaan in sich ein.
Rasch drehte er sich zu dem Schlachtenmagier
um, der mit höhnischem Grinsen am Rande der Lichtung stand. Die Welt begann
vor seinen Augen zu verschwimmen. Gift!, erkannte er, Marten hat seine
Schüler gut vorbereitet! Er formte das Symbol der Heilung. Viel langsamer
als sonst, nahm es in seinem Geist Gestalt an. Und zerfaserte im Dunst des Giftes,
das ihn durchdrang. Die anderen Zauber fielen in sich zusammen und Talaan verlor
jeglichen Schutz.
Ein Blitz traf ihn einem Rammbock gleich
mitten auf der Brust und schleuderte ihn zurück. Doch der Schmerz klärte kurz
sein Denken. Er beschwor die Heilung, wusch Gift, Schmerz und Wunden aus seinem
Körper.
Sein Gegner beschwor eine neue Formel. Jene
ekelerregende, violett summende Energie, die Talaan nur zu gut in Erinnerung
hatte, sammelte sich um die Fäuste des Hexers. Er will mich unter seine Kontrolle
bringen! Und dieser Angriff war mächtig. Die Aura seines Feindes brannte
lichterloh. Talaan errichtete einen Schild, verformte das Symbol ein wenig und
schob die hintere Hälfte seines Schildes nach vorn, um ihn dort zu verstärken.
Das Summen schwoll zu einem Kreischen an. All seine Konzentration floss in diesen
Zauber, als die violette Energie Tentakeln gleich auf ihn zuglitt. Der Angriff
prallte auf Talaans Abwehr, tastete, riss an seiner Konzentration, das Schild
gleißte.
Und hielt stand. Der Zauber des Schlachtenmagiers
verblasste und verschwand. Sein Feind sah Talaan ungläubig an.
„Gib auf, Mensch!“, rief Talaan. „Ich will
mit dir reden.“
Von allen Antworten war dies die am wenigsten
erwartete: Der Magier lachte. „Du hast gar nichts erreicht, MaKri. Du kannst
mich nicht aufhalten.“ Er sprach einen Zauber und bevor Talaan angreifen konnte,
verschwand er. Der Mensch, die Kleidung, die Aura, alles.
Erst war Talaan so verdutzt, dass er glaubte,
der Hexer sei wirklich fort. Doch seine empfindlichen Ohren vernahmen das helle
Knacken eines kleinen Astes durch den dumpfen Regen. Er war nur unsichtbar!
„Du wirst nicht gehen!“ Mit äußerster Anstrengung rief er einen seiner mächtigsten
Zauber. In der Richtung, in der er den Magier vermutete, schoss eine Feuerwand
dort aus dem Boden, wo die Lichtung zum Dschungel wurde. Talaan riss seine Arme
zur Seite, drehte sich einmal um sich selbst und der Flammenwall raste um die
Lichtung herum, bis sie völlig umschlossen war.
Doch der Regen fraß mit dem ersten Augenblick
an den Flammen. Es kostete Talaan eine kaum erträgliche Konzentration, allein
diesen Zauber aufrecht zu erhalten. An jegliche andere Magie, um den Magier
aufzuspüren, war nicht zu denken.
Laut rief er: „Beweg dich nur, Hexer von
Marten, und ich werde dich hören. Beweg dich nicht, und ich werde dich ein wenig
später aufspüren. Es ist vergebens, du kannst dich nicht auf ewig verbergen.“
Eine Stimme antwortete in seinem Geist.
Spiel’ dich nicht auf, MaKri, ich sehe doch, wie du vor Anstrengung zitterst.
Nicht lange und ich werde frei sein.
Talaan schaute sich dennoch ruhig um. Hast
mochte alles verderben. Der Himmel war ein Ausweg, der dem Magier zum Glück
versperrt blieb. Das Feuer wütete im Hintergrund und ließ die Luft wabern. Das
niedrige Blattwerk am Boden war vom Kampf zu zertrampelt, um die Fußabdrücke
des Magiers sehen zu können. Und das vermaledeite Plätschern des Regens machte
es unmöglich, den Atem des Magiers zu hören.
Der Regen! Natürlich! Mit zu Schlitzen verengten
Augen machte er sich auf die Suche. So behutsam wie nötig schlich er zu jener
Stelle, wo der Magier zuletzt gestanden hatte. Der Hexer mochte vielleicht unsichtbar
für das Auge sein und der Regen verdarb die Witterung, aber das Wasser würde
wohl kaum...
... durch ihn hindurchrieseln. Da war es!
Keine drei Schritt vor Talaan gab es ein Loch im Regen, in der Gestalt eines
Mannes. Sofort ließ er die Flammen fahren, befreite seinen Geist von ihrer Last
und sprang den Magier an. Kaum berührten seine Hände etwas festes, umschloss
er seien Gegner mit einer besonderen Form der magischen Fessel.
Jegliche Magie entwich aus dem Körper seines
Feindes und beraubte ihn so jeglicher Schutzzauber. Entsetzen stand in das Gesicht
des Mannes geschrieben. Ungläubig sah er an sich hinab, dann zu Talaan und zuletzt
zu Boden. „Ich habe versagt, Meister.“, murmelte er und warf Talaan furchtsam
zornige Blicke zu.
„Komm mit, Mensch!“, befahl ihm Talaan mit
ruhiger Stimme. „Ich will die Verwundeten versorgen.“ Der Magier machte keine
Anstalten, sich zu bewegen. Gleichgültig wob Talaan die Levitation um den Hexer
und trug ihn so hinter sich her, ohne auf seine Proteste zu achten.
„Und nun rede, bevor ich dir
etwas antue.“, knurrte Talaan. Er war dem Magier nun noch schlechter gesonnen,
als nach dem Kampf. Das Leben des aufgespießten Soldaten hatte er leicht retten
können. Aber es hatte ihn viel Mühe und noch mehr Schmerzen gekostet um das
Leben des Soldaten zu kämpfen, den er zuletzt gefesselt hatte. Der achtlose
Giftzauber des Hexers hatte auch ihn getroffen und er war kaum noch als lebend
zu erkennen, als sich Talaan seiner annahm. Und zu letzt war er gestorben.
„Droh’ mir nur, MaKri, mein Herz ist standhaft.“,
behauptete der Magier, doch seine Augen sprachen eine andere Sprache.
Talaan ließ seine Fangzähne aufblitzen,
als er bedrohlich lächelte. „Keine Angst vor den Dämonen des Waldes?“
Der Magier schnaubte verächtlich. „Dämonen?
Das ist nur das Geschwätz für die Dummen. Der Meister enthält seinen wahren
Getreuen nichts vor.“ Tatsächlich schlich sich so etwas wie ein selbstsicherer
Ausdruck in sein Gesicht. „Ihr seid gutherzig und harmlos. Die MaKri foltern
nicht.“
Dies war ein Spiel nach Talaans Geschmack.
Selbstverständlich würde er dem Magier oder sonst einem Menschen kein Leid oder
gar Folter antun. Aber ein wenig Einschüchterung war etwas, das ihm lag. „Kahib,
mein Freund, da Marten euch so gut unterrichtet, solltest du wissen,“, bei den
letzten Worten kam er dem Gesicht seines Gefangenen immer näher, „dass ich
kein MaKri bin.“
Die Sicherheit des Magiers zerfiel vor seinen
Augen zu einer Maske des Zweifels und als er endgültig die Worte Talaans begriff,
zu Furcht. „Du... bist der Feind des Meisters.“, hauchte er. „Der andere Weltenwandler.“
Urplötzlich wollte er aufspringen und fliehen, doch Talaan packte ihn beim Kragen
und zog ihn ohne weitere Mühe zurück auf den Boden.
„Bleib’ sitzen und hör’ zu!“, knurrte Talaan
voller Inbrunst. „Du kannst nicht gehen, da du eine zu große Bedrohung bist.
Fliehst du jetzt oder später, wirst du sterben. Kein MaKri, so gutherzig er
auch sein mag, wird dich schonen. Verstanden?“
Der Hexer nickte kläglich, denn der Zorn
in Talaans Augen ließ keine Zweifel zu. „Und du wirst reden. Was du weißt, ist
zu wichtig für uns, als dass ich irgend welche Skrupel hätte. Was hat euch Marten
gelehrt? Warum ist er so besessen vom Östlichen Orakel? Ein Krieg gegen unsere
Dämonen ist zwecklos. Und ich will alles über eure Schwächen wissen, eure Grenzen
kennen.“
„Hältst du den Meister für dumm?“ Überheblichkeit
im Stolz auf seinen Herrn schwang bei seinen Worten mit. „Denkst du, er hätte
die Möglichkeit nicht erwogen, dass einer von uns gefangen würde? Er hat das
Wissen, das in uns ist, mit einem Fluch belegt. Geben wir es dem Feind preis,
sterben wir.“
Prüfend schaute Talaan dem Magier in die
Augen. Sprach er die Wahrheit? Versuchte er sich nur herauszuwinden? Wusste
er vielleicht gar nicht die Wahrheit?
Die Antwort auf all jene Fragen war indes
einfach. „Ich kann diesen Fluch von dir nehmen. Magie ist Magie, ob Fluch oder
Heilzauber.“ Talaan streckte seine Hand aus, doch die schiere Todesangst in
den Augen des Schlachtenmagiers ließ ihn zögern.
„Du kannst es nicht tun, ohne mich zu töten.“
Hatte er eben noch arrogant und selbstsicher im Schutze Martens Teufelei geklungen,
war er jetzt nur noch furchtsam, dass Talaan es dennoch versuchen würde. „Der
Fluch soll uns nicht töten, er hält uns am Leben. Ohne ihn, ob er nun gereinigt
wird oder ich Geheimnisse verrate, sterbe ich.“ Als er merkte, dass diese Erklärung
offenbar nicht ausreichte, fügte er noch hastig hinzu: „Wir mussten ihm nicht
nur die Treue schwören, verstehst du! Er wollte mehr als das und nahm unser
Leben als Pfand. Er nahm es und gab uns etwas zurück, das uns dennoch
am Leben hält. Der Fluch, verstehst du?!“
Für einen Augenblick war Talaan sprachlos.
Das war eine grotesk geniale Abscheulichkeit, wie er sie Marten zutraute. Es
musste Monate, wenn nicht Jahre in Anspruch genommen haben, einen solchen Fluch
zu ersinnen.
Ohne auf seine Gegenwehr zu achten, nahm
er den Kopf des Magiers fest zwischen seine Hände. „Halt still, du Narr. Ich
will es mir nur einmal ansehen.“ Mit geschlossenen Augen ließ er seinem magischen
Gespür freien Lauf und so fand er bald, was er suchte. Eine schwammige, dunkle
Masse durchdrang den Körper dieses Mannes, fließend verschmolzen mit einem filigranen
Geflecht aus glühender, reinlich weißer Energie. Die Quelle jener Lebensfäden
war die widerliche Wucherung, die geradezu übermächtig und erdrückend schien.
Marten hatte es tatsächlich geschafft, das Wunder des Lebens für seine Zwecke
zu korrumpieren. Um all das herum war noch ein Schutzzauber gewoben, der den
Fluch vor störenden magischen Einflüssen schützte.
Seufzend ließ er den Magier los. „Wieder
keine Antworten. Ich werde das Orakel fragen müssen.“ Bei diesen Worten legte
sich ein gieriger Schleier über den Blick Kahibs. „Du hast mir genug Fragen
in den Sinn gebracht, die diesen Krieg entscheiden könnten.“
„Dann schonst du mein Leben?“
Missgelaunt knurrte Talaan erneut. „Was
auch immer du denken magst, Kahib, ich bin nicht so wie Marten. Du hast dich
für den falschen Meister entschieden, als es dir nach Macht gelüstete.“
Seine eigenen Worte riefen ihm wieder in
Erinnerung, dass vor ihm ein williger Handlanger Martens saß, der sein Schicksal
selbst besiegelt hatte. Und er sprach kein Wort mehr, bis er ihn zusammen mit
den anderen in die Obhut der nächsten Siedlung übergeben hatte.
Dieser Ort erwies sich als
ein ansehnlich großes Dorf, welches ein wenig mehr als zwei Tagesmärsche entfernt
in einem Tal verborgen lag. Man konnte sich kaum eine Siedlung vorstellen, die
weiter von der Großen Stadt entfernt im Hinterland des MaKri-Territoriums lag.
Weiter östlich – so hatte es Rerrena berichtet – lag ein Niemandsland, welches
weder von den MaKri noch vom Bergvolk, den TaKri, besiedelt wurde.
Und inmitten des herrenlosen Gebiets, in
der größt denkbaren Einsamkeit, erhob sich die Halle des Lichts, der dieses
Dorf seine Größe verdankte. Pilger aus allen drei Himmelsrichtungen kamen hier
her, um sich noch einmal zu stärken, bevor sie zum letzten Marsch gen Osten
aufbrachen.
Das Dorf wirkte dennoch zusammengekauert
und schläfrig, als es sich vor den Wanderern auftat. Die Hütten schienen sich
unter dem ewigen Regen niedergeschlagen zu ducken und enger an die Stämme der
Bäume zu schmiegen.
Das Leben erwachte gerade erst und das sehr
allmählich. Zum einem lag das an der Regenzeit – die MaKri mieden den Regen,
da sie kein nasses Fell mochten. Nach einem Monat Regenwanderung verstand Talaan
das nur zu gut. Zum andern war die Regenperiode jene Zeit, in der die Frauen
der MaKri fruchtbar waren. Die Beziehungen wurden sehr innig und das warme,
trockene Heim wurde verlockender denn je. Das ganze Volk verfiel in Müßiggang.
So war es auch nicht weiter verwunderlich,
dass man Talaan und seinen drei Gefangenen zunächst keine Aufmerksamkeit schenkte,
als sie an diesem Morgen in das Dorf kamen. Selbst die Wachen, die sich vor
dem Regen unter einen Unterstand in Sicherheit gebracht hatten, ließen sie passieren.
Offenbar genügte es ihnen, dass ein MaKri die Schar anführte.
Die Soldaten des Königs hingegen wurden
vom Grauen gepackt. Mühsam hatten sie sich an die Nähe Talaans gewöhnt, der
sich für einen Dämon wohl ganz anständig verhielt – er machte ihnen des Nachts
ein magisches Feuer, gönnte ihnen Pausen und sorgte für Essen. Aber ein ganzes
Dorf voller Dämonen rüttelte zu stark an ihrem Mut.
„Sie werden uns hinrichten!“, raunte der
einfache Soldat, Ramin war sein Name.
„Hinrichten?!“, fauchte der Hauptmann. „Das
ist meine geringste Sorge. Wenn wir irgendwann endlich wirklich tot sind, können
wir froh sein, wenn unsere Seele noch unbeschadet ist!“
„Oder sie machen das gleiche mit uns, wie
mit der alten Effenda. Sie rauben uns den freien Willen und halten uns für den
Rest unseres Daseins als Sklaven...“
„...tot und doch nicht tot...“
„...bis der Körper zerfällt.“
Kahib sah sich schwach neugierig um und
schüttelte nur spöttisch den Kopf. „Niederes Volk.“, murmelte er. Ob er damit
die MaKri oder die Soldaten meinte, vermochte Talaan nicht zu sagen.
Talaan wusste, das beruhigende Worte von
ihm nur auf taube Ohren stoßen würden. Also drängte er das furchtsame Geraune
der Soldaten aus seinem Bewusstsein und ging seinen eigenen Gedanken nach, bis
plötzlich etwas an seiner Konzentration riss: Ramin stemmte sich mit unerwarteter
Heftigkeit gegen seine magischen Fesseln, fing wie wahnsinnig zu schreien an
und versuchte die Zauberei durch Kraft zu überwinden.
Talaan ließ die Fesseln ein wenig locker,
damit sich der Soldat in seiner Raserei nicht die Arme brach. Ramin verstand
das als einen Sieg seiner Stärke, steigerte sich gnadenlos in einen Rausch und
kämpfte sich langsam, zäh und unaufhaltsam wie erkaltende Lava, von Talaan fort.
Vom Lärm angelockt kamen nun doch einige
MaKri näher. Die Wachen eilten im Laufschritt heran. Ramin war jenseits jeder
Vernunft und bemerkte sie nicht einmal. „Was ist hier los?“, fragte die eine
Kriegerin, den tobenden Menschen voll mitleidiger Neugier betrachtend. „Warum
bringst du Diener des Feindes ausgerechnet an diesen Ort?“
„Ich nahm ihn im Kampf gefangen.“, erklärte
Talaan. „Der König vergiftet seinen Spähern den Geist, bevor er sie zu uns schickt.
Der arme Kerl glaubt wohl, wir wollen ihn aufessen und seiner Seele berauben.“
Traurig seufzte er: „Haltet ihn irgendwie auf, ohne ihn allzu schlimm zu verletzten.“
Die andere Wache, offenbar eine erfahrene
Kriegerin, maß den Tobenden kurz mit abschätzendem Blick, wirbelte herum und
schlug ihm den Stab ihres Speers über den Kopf. Mit einem beinahe erlöst klingendem
Seufzer sackte Ramin in sich zusammen.
„Er wird bald wieder mit Kopfweh aufwachen,
keine Sorge.“
Talaan fühlte kurz den Puls des Mannes,
nickte zufrieden und hob den Bewusstlosen mit der Levitation hoch. „Danke, Kriegerin.
Er mag im Dienste des Feindes stehen, aber mich dauert jedes Leben. Bring mich
bitte zum Häuptling.“
„Gefangene? Und gleich drei?“
Häuptling Hrrula fing eine unruhige Wanderung an und verfiel ins Grübeln.
Talaan ahnte, dass Ungeduld hier keine Früchte
tragen würde und begann sich ein wenig in ihrem Haus umzuschauen. Bis auf eine
kleine Schlafstelle, die sich nahezu ganz hinter dem Stamm verbarg, schien es
einzig und allein ihren Pflichten als Häuptling zu dienen. Mehrere weiche Kissen
lagen in einem Kreis, wohl um Besucher und Bittsteller zu empfangen. Abgegriffene
Bücher – sie waren etwas seltenes bei den MaKri – standen in einem kleinen Regal.
Überall hingen Tafeln mit Weisheiten des Orakels an der Wand, so dass man die
kleine, in Holz geschnitzte Karte der Umgebung leicht übersehen konnte.
„Das ist eine gute und eine schlechte Botschaft
zugleich.“ Hrrula blieb einen Moment stehen, sah Talaan flüchtig an und setzte
sich wieder in Bewegung. „Du musst wissen, dass deine Begegnung mit den Menschen
nicht die erste war, seit die Große Stadt die Vertreibung der Späher verkündet
hat.
Drei Jäger eines vier Tage entfernten Dorfes
im Nordwesten stießen vor zwei Wochen bei ihrer Jagd durch Zufall auf das gut
getarnte Lager der Menschen. Der Kampf war lang und hart. Am Ende lagen zwei
der Jäger und alle Menschen tot am Boden. Einer von ihnen trug keine Rüstung
und erweckte nicht den Eindruck, Soldat zu sein.“
Hrrulas Ohren zuckten zornig. „Vor sechs
Tagen dann stießen zwei unserer Krieger auf einen weiteren Spähtrupp der Menschen.
Beide sind fähige Zauberwirker und gute Kämpfer und besiegten die fünf Soldaten
rasch – keiner überlebte. Vom Hexer blieb keine Spur.“ Sie hielt kurz inne,
um Talaans Reaktion zu beobachten.“
„Woher wisst ihr, das er ein Hexer war?
Hat er offen Magie benutzt? Marten wäre nicht erfreut, das zu hören.“
Hrrula runzelte die Stirn. „Er hat nicht
versucht, unserer Krieger anzugreifen. Er verschwand am Ende der Schlacht vor
ihren Augen, als er sich unbeobachtet wähnte. Er muss ein Hexer gewesen sein.“
Talaan nickte zustimmend. „Jede Gruppe scheint
jetzt in Begleitung eines Zauberwirkers zu sein. Sie schützen die Soldaten vor
dem magischen Auge und sind Martens Sicherheit, falls die Soldaten versagen.“
Mehr zu sich selbst gewandt fuhr er fort: „Es wundert mich nur, dass er seine
so wertvollen Magier für solch einen banalen Zweck gebraucht. Ein magisches
Artefakt, das vor dem Auge schützt, würde die gleiche Wirkung haben.“
„Schlechte Neuigkeiten.“, murmelte sie kopfschüttelnd
und noch ein zweites mal. „Schlechte Neuigkeiten.“
Plötzlich verschwand ihre sorgenvolle Mine
und sie blickte Talaan frohen Mutes an. „Aber ich sagte ja auch, dass deine
Gefangenen auch eine gut Botschaft sind. Diese Soldaten... was sollen wir mit
ihnen tun?“
Talaan dachte kurz nach, wog Wohl und Wehe
dieser Entscheidung ab und antwortete dann schweren Herzens: „Lass sie wieder
nach Westen ziehen.“
„Sie gehen lassen? In ihre Heimat? Du scherzt,
Maigan.“
„Es ist mir ernst damit, Häuptling.“
Hrrula nahm sofort wieder ihre nervöse Wanderung
auf.
„Keiner der bisher gefangenen Späher hat
überlebt, Hrrula. Sie werden wahnsinnig und töten sich dann selbst.“
Der Häuptling nickte bedächtig. „Wie konnte
ich das vergessen... Ich werde sie unter Todesdrohung gehen lassen. Einige meiner
besten Krieger werden sie im Auge behalten, ohne selbst gesehen zu werden, bis
sie den Dschungel verlassen haben...“
„Lass den Kopf nicht hängen, Häuptling Hrrula.
Auf diese Weise mag vielleicht die Botschaft die Menschen erreichen, dass die
MaKri keine blutrünstigen Dämonen sind, sondern Gnade erweisen können.“ Dass
Marten die Freigelassenen eher töten würde, als die Wahrheit über die Kri im
Volk verbreitet zu sehen, verschwieg er lieber. Es bestand wenigstens eine kleine
Hoffnung, dass sie überleben konnten.
Hrrulas Gesicht hellte sich ein klein wenig
auf. Sie kannte den verdorbenen Sinn der Menschen nicht und war froh über Talaans
Worte. „Wird der Hexer mit ihnen gehen? Er ist kaum unter Kontrolle zu halten.“
„Und soweit vom Wahnsinn entfernt, wie man
nur sein kann.“, fügte Talaan hinzu. „Er bleibt hier.“
Hrrula hielt erneut inne und musterte ihn
eingehend. „Ich kenne dich erst sehr kurze Zeit, Talaan, aber etwas an deiner
Stimme verrät mir, dass selbst dies keine gute Nachricht ist.“
„Befragt oder verhört ihn nicht, das würde
ihn töten. Wenn ich vom Orakel wiederkehre, werde ich einen Weg suchen, den
Fluch zu brechen, der auf ihm liegt. Bis dahin bewacht ihn und behandelt ihn
gut. Lebt wohl Hrrula, ich muss mich eilen.“
Talaan wollte schon gehen, denn eine große
Unruhe hatte sich seiner bemächtigt, als ihm noch etwas einfiel. „Schickt jeden
Krieger und jeden Jäger auf die Suche. Ich fürchte, unser Feind plant eine Teufelei,
die ich nicht zu durchschauen vermag. Diese Hexer müssen vor allem anderen aufgehalten
werden.“ Aufgehalten werden... Er sprach schon so beschönigend wie ein Mensch.
„Tötet sie, sobald ihr einen entdeckt.“ Das war ein bitterer Geschmack auf der
Zunge. Zum ersten mal in all seinen Leben hatte er den Tod von Menschen befohlen.
„Töten?“ Hrrula schien einen Augenblick
lang bedauernswert hilflos. Konnte ihn das verwundern? Die MaKri waren ein friedliebendes
Volk, auch wenn sie erbittert kämpfen konnten, wenn man sie angriff. Aber auszuziehen,
um zu töten? Das war ihnen fremd. Hrrula wurde traurig und ernst und beantwortete
ihre eigene Frage. „Wir werden es tun. Der Krieg verlangt es.“
„Der Krieg verlangt es.“, stimmte Talaan
bedrückt zu. „Lebt wohl, Hrrula.“ Und er wandte sich zum gehen.
„Der Pfad zur Halle ist unwegsam und schwer
zu finden, Maigan. Wenn du schnell reisen willst, solltest du einen Führer nehmen.“
Talaan drehte sich nicht noch einmal um
und sagte im hinausgehen: „Die Zeit drängt, ich fühle es mit jeder Faser meines
Körpers. Ich werde nicht zu Fuß reisen.“ Mit diesen Worten sprang er von der
Plattform des Baumhauses und übergab sich den Lüften.
Die Unrast trieb ihn voran,
zwang ihn so schnell zu fliegen wie er nur konnte. Seine Vorahnung, die Hexer
des Feindes verfolgten ein unsichtbares Ziel, war inzwischen zur Gewissheit
gereift. Es war nicht Martens Art, nur eine Absicht zu verfolgen.
Gut – er versuchte die Halle des Lichts
zu finden und die Schlachtenmagier konnten ihm sofort berichten, wo sie lag.
Aber das war noch nicht alles, oder? Nein. Nur zum Aufspüren der Halles des
Lichts hätte es nicht eines solchen Aufgebots hervorragend geschulter Magier
bedurft. Die Unsichtbarkeit und der Schutz vor dem magischen Auge waren nicht
sonderlich schwere Kunststücke – dennoch schien es, als habe Marten seine Elite
ausgesandt. Das verhieß nichts gutes.
Nur was?
Solche Gedanken trieben ihn zur Eile. Sein
von der langen Pilgerreise ermüdete Körper ächzte unter der Last, die ihm der
Geist auferlegte und ließ ihn so viel langsamer vorankommen, als er es mit vollen
Kräften und bei gutem Wetter vermocht hatte. Dennoch flog er tief und so rasch,
wie er es vermochte, bis die Nacht alles Licht verschluckte. Widerwillig schlug
er sein Lager auf, nachdem er ohne Vorwarnung in die Bäume es Hügels eingeschlagen
war.
Sein Geist kam nicht zur Ruhe und die Nacht
nährte sich bereits dem Morgen, als er endlich einschlief.
Talaan erwachte am nächsten
Morgen aus diffusen Träumen und blinzelte halb blind in die Morgensonne. Die
Sonne! Unweigerlich musste er lächeln und streckte sein Gesicht mit einem
wohligen Schnurren der Sonne entgegen. Diese Wärme! Wie hatte er sie vermisst.
Den Regen konnte man ertragen, jedoch war er nicht gut für das Gemüt. So wie
es schien, hatte die Regenzeit endlich ein Ende gefunden.
Aber das plötzliche Ende der Rish-Kawjular
sollte nicht die einzige Überraschung dieses wundervollen Morgens bleiben. Als
Talaan der Sonne entgegen nach Osten blickte, funkelte etwas durch die Kronen
der Bäume, wie er es noch nie zuvor im Dschungel gesehen hatte.
Aufregung brandete kribbelnd durch seinen
Körper bis in die Schwanzspitze und sein Herz schlug schneller. Er erhob sich
in die Luft, stieg nach oben, stieg über die höchsten Wipfel der Bäume hinaus
und erstarrte vor Ehrfurcht.
Der Hügel, auf dem er geschlafen hatte,
war Teil einer ringförmigen Kette von Hügeln, die einen weiträumigen Talkessel
umschlossen. Und unten erhob sich gewaltig, monolithisch und unirdisch schön
die Halle des Lichts.
Erst beim genauerem Hinsehen begriff Talaan
so allmählich, was er dort sah. Die Riesenbäume wirkten klein neben jenem Bauwerk,
das goldgelbsilbrig glitzernd eine geradezu gewaltige Kuppel formte. Sie schien
aus silbrigweißem Gestein zu bestehen, das den Schein der Sonne wiedergab, und
von unzähligen kristallenen Fenstern der verschiedensten Formen durchsetzt war,
die sich nahtlos in die Form des Steines einfügten. Diese Fenster wirkten wie
ein reicher Sternenhimmel in einer feuriggelben Nacht.
Eine ganze Weile blieb Talaan dort, wo er
war, und staunte und freute sich gleichermaßen. Allein dieser Anblick war als
Lohn all seiner Mühen genug. Die Halle des Lichts ließ keine Zweifel offen:
wer sie erbaut oder erschaffen hatte, war größer, reiner und weiser als es Mensch
oder Kri je sein würden. Wer der Schöpfer solch gewaltiger Schönheit war, musste
die Antwort auf alle Fragen wissen.
Und im Grunde seines Herzens entflammte
ein neuer Mut. Alles würde sich fügen, alles musste sich fügen. Niemals würde
er zulassen, dass Marten oder Mohab diesen heilig anmutenden Ort entweihen oder
missbrauchen würden.
„Niemals!“, rief er dem Wind entgegen und
eilte davon, der Halle entgegen.
Bereits im Flug erspähte Talaan
die Eingangspforte der Halle. Rerrena hatte ihm nur mit auf den Weg gegeben,
das der Weg zum Orakel das Auffälligste sein würde, was es entlang der Kuppel
zu finden gab. Und das war wohl jener kleine Teich aus goldenem Licht, der,
in Silbermarmor gefasst, ruhig und gemächlich vor sich hin wogte. Bewaffnete
Kri – MaKri und TaKri ebenso – bewachten den Teich. Wie dieser allerdings einen
Eingang zur Halle des Lichts sein konnte, entzog sich Talaans Verständnis.
TaKri - nie zuvor hatte er welche gesehen,
aber Geschichten über sie gehört. Wenn die MaKri der Legende nach die Kinder
der Pumas waren, so waren die TaKri die Kinder der Panther. Stolze Krieger mit
feurigen Augen und einem nachtschwarzen Fell.
Talaan landete bei den Wachen, die dem Teich
am nächsten waren. Dort wo sie standen, führten flache, marmorne Stufen in den
Teich hinein. Sein Licht war eine süße Verlockung von Wärme nach dieser klammen
Regenzeit.
„Ich muss das Orakel sprechen.“, erzählte
Talaan den Wachen.
Eine TaKri lachte und antwortete ihm: „Du
und jeder andere, der hier herkommt.“ Sie deutete in Richtung eines kleinen
Lagers, wo etliche Kri um ein Feuer herum saßen und plauschten, während andere
abseits sitzend nachdenklich in die Flammen blickten. „Du musst warten, bis
du an der Reihe bist, Maigan Talaan.“ Sie bemerkte Talaans Überraschung und
lächelte freundlich. „Ja, ich weiß, wer du bist und auch, weshalb du das Orakel
suchst. Aber weder dein Name noch dein Anliegen werden dir vor der Zeit Einlass
gewähren. Die Pforte lässt immer nur den passieren, der an der Reihe ist.
Da Talaan zu einem Widerwort anhob, fügte
sie noch hinzu: „Du kannst es gerne versuchen, Maigan, sobald die Suchende,
die hineinging, wieder herauskommt. Keiner von uns oder jenen dort drüben wird
dich abhalten.“
Einen Moment lang wusste Talaan nichts zu
erwidern. Sollte all seine Eile vergebens gewesen sein? Sicher würde das Orakel
bei ihm eine Ausnahme machen, oder?
Nein. Würde es nicht. Das Orakel hatte bisher
nie Partei ergriffen, das hatte Rerrena berichtet. Das Orakel sah alles und
urteilte nichts. Keine Ausnahme, sondern warten.
Also nickte er schweren Herzens. „Gut, ich
werde warten. Gebt indes den Kriegern bescheid, dass sie scharfe Wache halten
müssen. Der Feind hat Hexer entsandt und plant etwas Übles.“
Eine andere Wache, ein alter MaKri, der
bisher geschwiegen hatte, meldete sich zu Wort. „Obwohl du sie nicht gesehen
hast, Maigan, so wachen doch in diesem Augenblick Hunderte von Augenpaaren über
diese Stätte. Sie lagern verborgen auf den Hügeln dieses Tals. Kein Ort im Dschungel
ist sicherer.“
Das beruhigte Talaan nur wenig. „Der Feind
vermag es, sich unseren Augen zu entziehen. Den magischen wie auch unseren eigenen.“
Der alte Krieger nickte bedächtig, offenbar
hörte er nichts neues. Dann sollen unsere Ohren und Nasen den Hexern zum Verhängnis
werden.“ Und mit einem grimmigen Lächeln sagte er noch: „Und unseren Fallen.
Es sind erfahrene Jäger unter uns, Maigan. Hab Vertrauen.“
So gesellte sich Talaan zu
den Kri, die wie er selbst auf Einlass in die Halle des Lichts warteten. Viel
Zerstreuung fand er jedoch nicht, da diejenigen, die nicht in Gedanken versunken
waren, nur vom Krieg sprachen. Ein Krieg! Seit undenklichen Zeiten hatte es
keinen Krieg gegen die MaKri gegeben, seit die Ältestenräte regierten.
Davon wollte Talaan nichts mehr hören, seine
eigenen Zweifel reichten ihm. Also setzte er sich ein wenig abseits und suchte
etwas, das ihn von seiner Ungeduld ablenken konnte. Er fand es bald in der Gestalt
einer jungen TaKri, die ebenfalls ein wenig abseits in seiner Nähe saß. Wie
andere auch saß sie einfach nur da und starrte in die Flammen. Doch etwas an
ihr war anders, etwas, das sie von jedem Kri hier unterschied.
War es ihre wilde Schönheit, die in ihrem
Antlitz lag? Er betrachtete andere TaKri und fand bei ihnen ähnliche Züge. Die
TaKri hatten das Aussehen von wahren Kriegern in ihrem Blut. Sie wirkten stolz,
edel und... frei. All das war ihnen ins Gesicht geschrieben. Doch bei den wartenden
TaKri schien ein Schatten über ihrem Wesen zu liegen. Diese eine TaKri jedoch
schien klarer zu sein. Wachsam. Bereit.
Tatsächlich richteten sich ihre Augen auf
Talaan und sie blickte ihn herausfordernd an. „Hast du noch nie einen vom Bergvolk
gesehen, oder bin ich nur so unwiderstehlich?“
In ihren smaragdenen Augen brannte ein lebendiges
Feuer, welches Talaan ein wenig durcheinander brachte. „Ja. Nein.“ Er biss die
Zähne zusammen und stieß dann hervor. „Ich starre nicht deswegen.“ Und weil
er sich unter ihrem forschenden Blick immer noch wie ein Narr vorkam, sagte
er es gerade heraus: „Du bist anders als die anderen.“
Das brach den Bann ihres Blickes und ein
Lächeln huschte über ihre Lippen. „Ist das so?“ Weiße Zähne blitzten zwischen
schwarzem Fell, als ihr Lächeln breiter wurde. „Was versteht denn ein MaKri
davon?“ Sie sagte das in einem erstaunlich warmen Ton, so dass keinerlei Überheblichkeit
in dieser Frage steckte.
Talaan stand der Sinn aber nicht nach Schmeichelein,
was die TaKri vielleicht vermutete. „Du trägst ein Feuer in dir, das selten
ist unter den Sterblichen.“ Sie schien ein wenig mehr da zu sein als alle anderen
hier, mehr zu leben. Eben mit einer helleren Lebensflamme zu brennen.
Es war jedoch nicht nur das. Diese Flamme schien zornesgleich heiß und bereit
zu sein, jederzeit loszuschlagen.
Die TaKri verengte ihre Augen zu abschätzenden
Schlitzen und musterte Talaan eingehend. „Wer bist du? Du scheinst mir ebenfalls
ein wenig anders als der Rest deines Volkes.“
Er neigte den Kopf mit einem Schmunzeln
auf den Lippen. „Talaan ist mein Name. Ich vermag eine Waffe zu führen, wenn
es sich lohnt.“
„Wenn es sich lohnt? Ich bin Jairree und
meine Waffenkunst ist gefürchtet.“ Sie blinzelte verschmitzt. „Was meinst du
mit den Worten ‚wenn es sich lohnt?’“
Trotz des Blinzelns spürte Talaan den Ernst
ihrer Worte. Vor ihm war eine wahre Kriegerin und ein lang vergessener Drang
erwachte in ihm mit erstaunlicher Heftigkeit wieder zum Leben. Ein Drang, der
ihn damals den Jungen Wald verlassen ließ, um auf die Suche nach Abenteuer und
Kampf zu gehen. „Ich würde dich gerne kämpfen sehen.“, antwortete er schließlich.
Jairree hob erstaunt die Brauen, um ihre
Augen dann wieder abschätzend und lauernd zu verengen. „War das eine Herausforderung,
MaKri?“ Talaan nickte ohne Zögern.
„Hier hast du meine Waffen, Waldbewohner.“,
meldete sich ein anderer TaKri zu Wort und reichte ihm zwei seltsame Stabwaffen.
Eine unterarmlange, scharfe Klinge und ein gleichlanger Stab aus dem selben
Stahl. „Sie werden dir aber nichts nützen, fürchte ich.“ Ihr Gespräch hatte
wohl Aufmerksamkeit geweckt und die Augen aller TaKri und einiger MaKri waren
auf sie gerichtet.
Talaan erhob sich, nahm die Waffen prüfend
in die Hand, schwang sie zur Probe und nickte zufrieden. „Eine gute Arbeit.“
Jairree sprang auf die Füße und schenkte
Talaan den Blick eines Raubtiers, das seine Beute entdeckt hat. „Das ist Unsinn.
Kein MaKri hat je Rikashi geführt. Ihr verachtet Schwerter.“
Ohne langes Überlegen nahm Talaan den Stab
in die linke, die Klinge in die rechte Hand und führte einige Streiche und Blöcke
gegen die Luft. „Die Elfen hatten ähnliches, Jairree. Ich vermag diese Waffen
zu gebrauchen.“
Mehr als seine rätselhaften Worte schien
Talaans eingenommene Kampfhaltung überzeugend zu wirken. „Die Hüter des Orakels
werden uns nicht lange kämpfen lassen, Talaan.“ Sie nahm ebenfalls eine Angriffsstellung
ein und lauerte. „Sie mögen keine Unruhe im Lager.“
Er brannte inzwischen auf diesen Kampf.
Die Unruhe in ihm, die angestaute Anspannung wegen des Krieges und die stets
vorhandene Sorge um die Zukunft der MaKri drängten seit Wochen auf eine Eruption.
Dies war die Gelegenheit. Talaan bemühte sein gefährlichstes Lächeln. „Dann
lass uns keine Zeit verschwenden.“
Und Jairree griff an. Schnell,
unfassbar schnell, hatte sie die Distanz zwischen ihnen überwunden und Klinge
prallte auf Stab. Talaans Klinge stieß vor und wurde beiseite gefegt. Er tauchte
unter ihrem Angriff durch, trat nach ihrem Bein und fällte sie. Jairree verwandelte
den Sturz in eine Rolle, diese wiederum in einen geduckten Sprung und riss Talaan
von den Füßen. Talaan brachte den Stab hinter ihren Nacken und zog sie so mit
sich, fiel, rollte selber ab und warf sie mit dem Schwung des Sturzes von sich.
Dennoch war Jairree vor ihm auf den Beinen und nutzte den Vorteil sofort. Sie
griff an, wirbelte, schlug erneut, hieb mit dem Stab zu und setze einen Tritt
nach. Talaan hielt stand, wich aus und brachte zwei Schritt Abstand zwischen
sie.
Beide atmeten schwer, suchten einen Schwachpunkt
in der Haltung des Gegners und griffen erneut an. Talaan erlebte in den folgenden
Momenten den besten Klingentanz seiner drei Leben. Klinge und Stab wurden Teil
ihrer Körper, wirbelten in stetem Fluss, prallten aufeinander, glitten beiseite,
sangen. Die Zeit schwand und wurde bedeutungslos, alles was zählte war der Kampf,
bis eine harsche Stimme in sein Bewusstsein drang: „Auseinander! SOFORT!“
Talaan schrie, blockte ein letztes mal und
stoppte seine Klinge vor Jairrees Kehle. Im selben Augenblick spürte er ihren
Stahl an seinem Hals.
Ein verärgerter MaKri schob sich zwischen
sie, schaute beide zornig an und schüttelte ungehalten den Kopf. Die TaKri-Wache
an seiner Seite war zwischen Bewunderung und Ärger hin und hergerissen. Doch
Talaan hatte kaum einen Blick für sie übrig, er hatte nur Augen für die begnadete
Kriegerin, mit der er sich eben gemessen hatte.
Jairree erging es genauso. Sie neigte kurz
Haupt und Oberkörper ohne den Augenkontakt zu verlieren. „Du machst deinem Meister
und deinem Volk alle Ehre, Talaan.“
Talaan ahmte ihre Verbeugung respektvoll
nach und erwiderte: „Dieser Kampf war ein Geschenk, wie ich es niemals vergessen
werde, Jairree.“
„Wo hast du gelernt so zu kämpfen?“
„Bei einem Volk weit fort von hier. Doch
auch wenn dort Klingentänzer lebten, die meinen Fähigkeiten weit überlegen waren,
so stellt dein Kampf alles in den Schatten, was ich dort sah. Es war ein Kampf
voller Feuer, Tochter des Bergvolks.“
Er verneigte sich erneut, überzeugte die
Wache davon, dass der Kampf zu Ende sei und reichte die Rikashi ihrem Besitzer.
Der jedoch verschränkte seine Arme vor der Brust. „Behalte sie, Talaan. Sie
haben einen würdigeren Herren gefunden.“ Er klang derart bestimmt, dass Talaan
befürchtete ihn zu beleidigen, sollte er ablehnen. Also bedankte er sich, schob
die Waffen nicht ohne Stolz in seinen Gürtel und setzte sich wieder mit Jairree
abseits des Feuers zusammen. Die Wache schüttelte erneut verständnislos den
Kopf und ging.
„Ich würde dieses Volk, von dem du sprachst,
gerne einmal aufsuchen, Talaan.“, sagte die immer noch vor Begeisterung glühende
Jairree. Auch wenn sie nicht mehr kämpften, wirkte sie keinen Deut weniger aufmerksam.
„So mancher TaKri würde monatelange Pilgerschaft auf sich nehmen, um solchen
Kriegern zu begegnen und von ihnen zu lernen.“
Talaan musste unweigerlich schmunzeln, als
er sich eine Begegnung zwischen Elfen und TaKri vorstellte. „Sie sind keine
Krieger, Jairree. Sie sind Dichter und Waldläufer und Friedenshirten. Der Klingentanz
ist für sie genau das – ein Tanz, ein Vergnügen – voller Eleganz und Anmut,
in Gedenken an die Tage der Schlachten von einst.“
„Dichter und Krieger?“, wiederholte Jairree
ungläubig. „Wenn der Kampf mit Rikashi für sie nur ein Tanz ist, zu welcher
Meisterschaft müssen sie es erst bringen, wenn sie sich für den Krieg rüsten?“
Talaan behagte die Richtung des Gesprächs
überhaupt nicht. Wie sollte er Jairree begreiflich machen, dass Elfen jenseits
ihrer Welt lagen? „Von wem hast du denn derart gewandt kämpfen gelernt, Jairree?
Gewiss hast du deinen Meister bereits überflügelt, sonst wäre es an mir, eine
Pilgerschaft auf mich zu nehmen.“
Stolz erhob sie ihren Kopf, als sie erwiderte:
„Ich habe die Ehre besessen, meine Lehrerin Gorrhari vor nicht all zu langer
Zeit im Zweikampf besiegen zu können. Sie galt als die größte Kriegerin des
westlichen Gebirges.“
„Die Berge...“ Talaans Augen glänzten. „Ich
sah sie auf dem Weg hierher in weiter Ferne. Wie ist es in deiner Heimat? Es
ist ein karges Land, nicht wahr?“
Jairree nickte und wandte ihren Blick nach
Osten. Die Hänge des Talkessels verwehrten ihr den Anblick ihrer Heimat. „Es
ist bei weitem nicht so üppig wie hier, aber dennoch wunderschön. Du müsstest
die Oasen der blühenden Wälder sehen, die um diese Jahreszeit in den fruchtbaren
Tälern zwischen den schroffen Fels der Berge ihre ganze Pracht entfalten.
Mit einem mal hielt sie inne und sah Talaan
streng an. „Du hast unser Gespräch von meinen Fragen fortgelenkt.“
„Ja.“, antwortete er ohne Umschweife.
„Du bist direkt, für einen MaKri. Du stellst
dich der Herausforderung.“ Sie wog ihren Kopf bedächtig hin und her und ein
Lächeln bemächtigte sich ihrer Augen, dann ihrer Schnauze. „Ich glaube, ich
mag dich. Du möchtest nicht darüber sprechen?“
„Ja.“
„Gut.“ Und ohne ein weiteres Wort dazu zu
verlieren, fing sie an von den Gefilden der TaKri zu berichten und Talaan lauschte
gespannt ihrer Stimme.
Die Reise ihrer Worte trug
ihn zu den ersten Ausläufern des Gebirges, wo die zaghaften Hügel des östlichen
Dschungels den kleineren Bergen des Vorgebirges Platz machten, wo der Urwald
immer noch unbesiegt war. Weiter zu jenen Gefilden, wo das Gebirge abrupt aus
dem Wald emporwuchs und der Fels den größeren Bäumen keinen Halt mehr bot. Und
weiter trugen ihn ihre Worte, vorbei an Bergen aus hellem Gestein mit schroffen
Klüften, hin zu Enklaven des Dschungels in weitgestreckten Tälern, die sich
seit je her tapfer gegen das karge Bergland behaupteten. Auch hier endete die
Reise nicht, selbst wenn um jene fruchtbaren Täler herum die meisten TaKri in
den Bergen lebten. Ihre Worte zogen weiter, hin zu dem kahlen Gestein uralter
Berge, die sich unbezwungen in dem Himmel türmten, und wo der ewige Schnee die
wolkenverhangenen Gipfel krönte. Selbst in jenen unwirtlichen Regionen rangen
einige TaKri den Bergen ihr tägliches Überleben ab.
„Aber warum all das? Warum lebt ihr in den
Bergen und nicht in den Tälern? Gibt es nicht genug fruchtbare Täler, in denen
ihr leben könnt?“, fragte Talaan verwundert. Er hatte in seinen Leben einige
Gebirge durchquert, aber eines wie hier war ihm noch nicht zu Augen gekommen.
„Die fruchtbaren Täler sind in Friedenszeiten
ein Paradies, im Krieg jedoch sind sie tödliche Fallen, in die wir lieber unsere
Feinde locken, statt selber in ihnen zu sterben. Wir TaKri sind ein Volk von
Kriegern und wir leben für den Krieg.“
„Ihr lebt für den Krieg?“ Talaan konnte
das nicht so recht mit den friedfertigen Eindruck der hier versammelten TaKri
in Einklang bringen.
„Er ist unser ständiger Begleiter und wir
achten sein Wirken.“, erwiderte sie festen Blickes und stolzer Stimme.
„Ich habe manches Volk untergehen sehen,
weil es dem Krieg mehr Beachtung schenkte als dem Leben.“, erwiderte Talaan
daraufhin nachdenklich.
Jairree lächelte fröhlich, als sie das hörte. „Dann waren
sie Narren und haben ihr Schicksal wohl verdient.“ Diese Antwort überraschte
Talaan und Jairree bemerkte es. „Versteh‘ mich nicht falsch. Wir TaKri lieben
den Frieden, doch wir achten den Krieg gleichermaßen, denn er tilgt das Schwache
und das Starke besteht. Unsere Stärke erst ermöglicht uns den Frieden.“
Als sie sah, dass Talaan nicht so recht überzeugt war, fuhr
sie fort: „In den Bergen hat uns der Krieg immer wieder eingeholt, ob wir ihn
wollten oder nicht. Dort kann nur der Starke überleben. Und wir sind auch keine
Wilden, die untereinander die Nachbardörfer überfallen. Auch wir haben Ältestenräte
und leben meist in Eintracht. Kommt es doch einmal zu unlösbaren Streitigkeiten,
vergießen wir dennoch kein Blut. Die geschicktesten Kämpfer beider Siedlungen
treten gegeneinander an und der Kampf endet meist ohne Tote. Auf diese Weise
ist jedes Dorf und jede Stadt stets bemüht, den besten Krieger hervorzubringen.
Und das wieder macht uns alle noch stärker gegen wahre Feinde.“
Talaan war einen Moment lang sprachlos und dachte über ihre
Worte nach. Sie gingen einen vollkommen anderen Weg und dennoch erlangten sie
die wertvollsten Güter auf Erden. Frieden und Freiheit.
„Es ist auf seine Art weise.“,
sagte er schließlich mit Bedacht. „Dem Wesen der MaKri fremd, aber dennoch wohl bedacht.“
Jairree mimte Überraschung. „Solch hohes Lob aus dem Munde
eines MaKri? Hast du deine Vorurteile so schnell in den Wind geschrieben?“
Gelassen ernst erwiderte er: „Ich hatte sie nie.“
Ihr Gesichtsausdruck ließ erahnen, dass sie das nicht so
recht glaubte. „Jeder MaKri glaubt doch, wir seien blutrünstige Wilde.“
„Dann glaubt wohl jeder TaKri, das Waldvolk sei rückständig
und dumm?“ Jairree schaute betroffen zu Boden. „Es gibt wohl Vorurteile auf
beiden Seiten. Ich habe in keinem Leben ein solch aufgeschlossenes und vorurteilsfreies
Volk kennen gelernt wie die MaKri.“ Selbst die Elfen waren den Menschen gegenüber
nicht so offen gewesen.
„In keinem Leben?“, fragte sie verwundert und Talaan merkte,
dass er sich verraten hatte. Er wusste darauf nichts zu sagen und
sie verfielen in ein Schweigen, in dem ein jeder seinen Gedanken nachging. Talaan
schalt sich einen Narren. Ein Augenblick der Unachtsamkeit war einer zuviel.
Selbst Kirra gegenüber nahm er sich in dieser Beziehung zurück, er mochte sie
nicht zu oft an seine Andersartigkeit erinnern. Und jetzt hatte er sich einer
Fremden gegenüber derart gehen lassen... Eine Fremde wohl, aber sie schien auch
irgendwie... gleichgesinnt. Nahestehend. Talaan viel kein passendes Wort ein,
um die Bande zu beschreiben, die er zu spüren glaubte.
„Es heißt, es wird einen großen Krieg geben.“, beendete Jairree
endlich die Stille. „Einen gewaltigen Krieg.“
Talaan nickte stumm.
„Werdet ihr bestehen?“
Talaans Antwort kam schnell, da sie ihm schon so oft durch
den Kopf gegangen war. "Ich weiß es nicht. Niemand weiß es.“ Er nickte
in Richtung der Halles des Lichts. „Darum bin ich hier.“ Dann fiel sein Blick
auf die Wachen, die von den TaKri stammten. „Ich wünschte, wir hätten Krieger
wie euch an unserer Seite. Dann wäre mir wohler ums Herz.“
Traurig sah die Kriegerin nach Osten. „Wir können unserer
Heimat nicht ungeschützt lassen. Jedes Klingenpaar wird gebraucht.“ Und beschämt
fügte sie noch hinzu: „Auch wenn ihr eigentlich unsere Brüder seid, erscheint
ihr uns dennoch fremd. Die Räte würden niemals zustimmen.“
„Deine Anteilnahme ehrt dich, Tochter der Berge. Auch wenn
ihr uns eure Hilfe anbieten würdet, wäre der Ausgang ungewiss. Zweitausend,
viertausend Krieger mehr wären nicht von Bedeutung. Ihr würdet in erster Reihe
kämpfen und ohne Ausnahme abgeschlachtet werden.“ Beinahe flehend blickte er
erneut zur Halle des Lichts. „Die Antwort muss eine andere sein.“
„Viertausend?“, staunte Jairree ungläubig. „Wir könnten euch
nicht einmal tausend Krieger senden, ohne uns selbst eine Blöße zu geben. Braucht
ihr wirklich so viele? Wir sind gute Kämpfer – das weißt du. Ein TaKri ist in
der Schlacht fünf Menschen wert.“ Das war keine Prahlerei, sondern nur eine
erprobte Tatsache, erkannte Talaan.
Dennoch bestand keine Hoffnung in der Stärke von so wenigen
Klingen. „Die Savanne wird überschwemmt sein mit dem Hass und dem Stahl der
Menschen, Jairree.“
„Und was ist mit eurer Magie?“, hakte Jairree kämpferisch
nach. „Selbst unter den TaKri verbreitet es sich wie ein Lauffeuer, dass die
MaKri erwacht seien und ungeahnte Kräfte entfesselt hätten.“ Sie wollte nicht
aufgeben, sie war ein Krieger. „Die TaKri, die es mit eigenen Augen erblickten,
sprechen in Ehrfurcht von euch.“
Talaan lächelte dankbar. Wenn alle TaKri so mitfühlend wären,
ständen in wenigen Monaten ganze Legionen von ihnen an der Seite der MaKri.
„Es liegt Hoffnung in dieser Macht, Jairree. Aber auch Zweifel. Der Feind ist
listenreich und kämpft mit vielen Waffen.
Meine ganze Hoffnung ruht auf dem Orakel. Die Zeit drängt,
denn die Menschen werden es bald entdeckt haben. Was dann geschieht... Das Warten
wird eine harte Prüfung sein.“
In diesem Augenblick kam Bewegung in den Teich des Lichts.
Wellen, gemächlich wie flüssiges Gold, wogten höher, ohne einen Laut zu erzeugen.
Erst tauchte ein Kopf aus dem Licht empor und der restliche Körper folgte, als
eine MaKri die Stufen des Teichs emporstieg. Sie schaute sehr nachdenklich drein
und schenkte Wachen wie Wartenden kaum Beachtung.
Jairree wurde mit einmal ruhig und in sich gekehrt, erhob
sich und legte ihre Waffen ab. „Ich bin an der Reihe.“, erklärte sie Talaan
in feierlichem Tonfall. In gemessenem Schritt ging sie zu dem Teich. Talaan
folgte ihr, denn er wollte sehen, was nun geschah. Als sie am Rande des Teiches
stand, atmete sie tief durch...
...und zögerte. Sie betrachtete das Spiel der Wellen mit
fragendem Blick und begann zu lächeln. Ohne ihre Augen vom Teich abzuwenden,
sagte sie: „Mein halbes Leben lang habe ich von diesem Moment geträumt. Seit
zwei Jahren habe ich darauf gewartet, diese Pilgerreise antreten zu können.
Und nun zögere ich, da neben mir einer steht, der mehr als alle anderen hier
nach Antwort verlangt.“ Sie schloss kurz die Augen, sog noch einmal tief Luft
ein und trat einen Schritt zurück. „Versuche es, Talaan. Mein Platz gehört dir.“
Bei den letzten Worten sah sie ihn voller Ernst und Entschlossenheit an.
Er zögerte nicht lange. Das Gefühl drohenden Unheils wurde
mit jeder Minute stärker. Vorsichtig berührte er die strahlende, tanzende Oberfläche
des Teichs.
Sie war hart wie Glas. Die Wellen waren deutlich spürbar,
hoben und senkten seinen Fuß, gaben aber keinen Deut nach. Talaan trat ganz
auf den Teich, aber nichts änderte sich. „Es geht nicht.“, stellte er enttäuscht,
wenn auch nicht sonderlich überrascht, fest.
Eine ältere MaKri-Wache trat zu Jairree und sagte hintergründig:
„Es muss eine Entscheidung des Herzens und des Kopfes gleichermaßen sein, Kriegerin
der Berge. Wenn du ihm wirklich deinen Platz überlassen möchtest – lass los.
Dein Wunsch, ihm zu helfen muss stärker sein, als dein eigenes Verlangen.“
Jairree schloss konzentriert die Augen. „Wir können euch
nicht im Kriege beistehen, Talaan. Nimm dies als all den Beistand, den ich dir
stattdessen geben kann.“ Die Konzentration wich einem Lächeln. „Ich kann es
tatsächlich.“, murmelte sie zu sich selbst und schlug die Augen auf. „Ich hoffe,
du findest, wonach du suchst.“
Bei diesen Worten sank Talaan in das Licht ein, das nun nur
noch wenig Widerstand bot, bis seine Füße den Marmor der Treppe berührte. Das
Licht fühlte sich weder warm noch kalt an, noch wie Wasser, aber ein eigenartiges
Kribbeln durchdrang seine Füße.
Unglaublich erleichtert atmete Talaan auf. Das Warten hatte
ein Ende. „Ich danke dir, Jairree. Du hilfst uns vielleicht mehr, als du jetzt
ahnst. Ich hoffe, du bereust es nicht.“
Sie lächelte immer noch, als sie antwortete. „Ich werde die
Zeit nutzen, um darüber nachzudenken, ob sich nicht heute eine oder zwei Fragen
für mich beantwortet haben.“
„Hab dank, Jairree.“ Er wandte sich um, tastete mit den Füßen
nach der nächsten Stufe und stieg in das Licht hinab.
Im Teich des Lichts herrschte das Gegenteil absoluter Dunkelheit:
ewiges, alles durchdringendes Licht. Kein Schatten überlebte an diesem Ort.
Obwohl er nichts sehen konnte, hatte er dennoch keine Angst, seinen Weg zu gehen.
Die absolute Gewissheit über die Richtigkeit der Wahl seines nächsten Schrittes
vermischte sich mit einem Gefühl wunderbarer Geborgenheit.
Das Kribbeln, welches er vorher in seinen Füßen gespürt hatte,
durchdrang nun seinen gesamten Körper. Je weiter er ging, um so stärker wurde
es, bis es alle anderen Empfindungen übertönte. Er fühlte nicht den Marmor unter
seinen Ballen, nicht die Luft in seinen Lungen, nicht den Herzschlag in seiner
Brust, noch sonst irgend etwas. Auch sein Zeitgefühl war verschwommen und es
war ihm auch gleichgültig. Zeit spielte an diesem Ort keine Rolle. Talaan wusste
nicht mehr, wie lange er gelaufen war, als die Stufen begannen, die wieder nach
oben führten.
Beinahe war ihm, als hätte er seinen Körper zurückgelassen,
als sein Kopf durch die Oberfläche des Lichtes stieß, in Dunkelheit eintauchte
und er kühle Luft an seinen Ohren spürte.
Dunkelheit umfing ihn, selbst die Oberfläche des Ganges leuchtete
zwar, schien aber alles Umliegende kein bisschen zu erhellen. Dies sollte die
Halle des Lichts sein? Sie musste es sein, denn ein geradezu erdrückendes Gefühl
von Größe, die ihn umgab, von weitem Raum, war nicht zu leugnen.
Talaan trat endgültig aus dem Licht heraus und es verschwand.
So gut es eben ging, sah er sich um und mit der Zeit begann er unbestimmbare
Flecken zu sehen. Sie waren am Boden, verschwammen zum Horizont hin und schwebten
über ihm in der Luft. Als sich seine geplagten Augen immer besser von der Lichtflut
des Ganges erholten, erkannte er, dass die Lichtflecke in der Luft die ins Gemäuer
eingelassenen Fenster sein mussten, durch die das Sonnenlicht hereinfiel.
Staunend schaute er sich um, den Kopf in den Nacken gelegt.
Er fühlte sich, als würde er unter einem gewaltigen, aber endlichen Himmelszelt
stehen, an dessen nächtlichem Gewölbe Sonnen unterschiedlichster Gestalt strahlten.
Da waren schmale Sicheln, Ovale, Vielecke aber auch vollkommen unregelmäßige
Formen, die hier an ein Schneckenhaus, dort an den Ast eines Baumes erinnerten.
Sie alle formten eine monumentale Kuppel bis hin zum Horizont.
Er musste in der Mitte der Halle des Lichts aufgestiegen
sein. Vor Freude über diese großartige Schönheit lächelnd sah er zu Boden und
ihm stockte der Atem. Er stand in einem Meer aus filigranen, sich klar von dem
dunklen Marmor abhebenden Lichtmustern.
"Dies ist wahrhaftig eine Halle des Lichts.", entkam
es ihm, und sofort duckte er sich ein wenig, weil er halb eine Strafe für die
Störung der Stille erwartete. Wahrhaftig eine Halle des Lichts., sagte
er noch einmal stumm in Gedanken. Wenn dem Licht in all seiner Schönheit und
Kostbarkeit jemals ein Denkmal gesetzt worden war, dann mit diesem monumentalen
Bau, an dessen Kuppel und auf dessen Boden ein unvorstellbar großer Gobelin
des Lichts ausgebreitet lag.
"Das Staunen über die Schönheit an diesem Ort erfreut
mich jedes mal aufs neue.", ertönte eine menschliche Stimme hinter ihm.
Talaan drehte sich um und stand einem alten Mann gegenüber.
Er hatte ihn bereits einmal in seinen Träumen gesehen, doch jetzt war er nicht
nur das vage Bild eines Greisen. Der alte Mann mochte neunzig Jahre erlebt haben,
war verhutzelt, faltenzerfurchte, sonnengegerbte Haut überzog Hände und Gesicht.
Seine Augen waren wach, funkelten verschmitzt und Lachfalten, die sich mit den
Jahren dauerhaft ins Gesicht geschnitten hatten, umrandeten sie. Der Alte trug
Hose und Hemd aus rauem, sandfarbenen Leinen.
"Ihr... Ihr seid das Orakel?", fragte Talaan verdutzt.
Der Alte lachte fröhlich. "Ich bin das, was du siehst."
"Ich hoffe, nicht respektlos zu sein, aber..."
Talaan konnte es einfach nicht glauben. "Das Orakel ist ein alter Mann?"
Der Alte stützte sich auf seinen Gehstock und machte ein
verdrießliches Gesicht. "Andere als du würden in mir einen achtungswürdigen
Weisen sehen." Dann lächelte er hintersinnig. "Außerdem siehst du
mehr als das, oder?"
Talaan blickte sich um. "Die Halle? Das Licht?"
Anerkennend nickte der alte Mann. "Es gibt nur wenige,
die das erkennen."
"Ich mag es erkannt haben, wirklich begreifen kann ich
es aber nicht."
Statt sofort eine Antwort zu geben, wandte sich der alte
Mann um und bedeutete Talaan mit einem Wink, ihm zu folgen. Während sie in der
Langsamkeit des alten Mannes auf ein unbekanntes Ziel zuhielten, begann er zu
erzählen. "Es ist nicht so, dass ich ein alter Mensch bin. Es ist auch
nicht so, dass jemals einer diese Halle betrat und einen alten Mann angetroffen
hätte. Ich wähle meine äußere, sag ich mal irdische, Erscheinung stets nach
demjenigen, der mich aufsucht." Als ob er Talaans aufkeimende Frage schon
erraten hätte, erklärte er seine Worte. "Man hat nicht viele weltliche
Freuden, wenn man von Anbeginn der Zeit bis zu ihrem Ende lebt und den Sterblichen
als Orakel dient." Der Greis blinzelte ihm vertrauensvoll zu. "Ich
wähle stets die Form, welche der Suchende am wenigsten erwartet. Du, Talaan,
hast eine sehr reiche Phantasie. Eine die Halle erfüllende Stimme... wirklich
schön. 'Ich bin Godwin, der Große und Schreckliche!'"
Erneut blinzelte der alte Mann Talaan zu und Talaan musste lachen. Er mochte
den Alten. "Ein kleines, unheimliches Mädchen..., der schemenhafte Geist
eines Gottes..." Der Greis schüttelte amüsiert den Kopf. "Selbst nachdem
du mich in deinem Traum gesehen hast, konntest du dir nicht vorstellen, dass
ein alter, lustiger Kerl das Orakel sein könnte und dazu noch auf reimende Rätsel
verzichtet.
Bist du enttäuscht, mein Junge?"
Talaan schüttelte energisch den Kopf. "Nur überrascht.
Ich hatte mir etwas mehr mystisches und... feierliches vorgestellt."
"Das ist es ja, mein Junge!" Der Alte deutete
auf zwei marmorne Stühle an einem marmornen Tisch. "Wir sind da. Nimm Platz,
Talaan."
"Aber was bist Du nun wirklich?", hakte
er nach, während er sich setzte. Der Alte mochte nicht in Reimen sprechen, rätselhaft
waren seine Worte dennoch. "Die Halle des Lichts selbst?"
"Man könnte sagen, dass ich ihre Seele bin. Aber so
wenig deine Seele von deinem Körper getrennt etwas ist, sowenig bin ich ohne
diese Mauern. Unsterblich aber dennoch nicht ganz ich."
Talaan sah sich erneut ehrfurchtsvoll um. Die Halle des
Lichts lebt?
"Ja und nein, Weltenwandler. Zur geeigneten Zeit kannst
du dir Gedanken über diese Frage machen. Jetzt gibt es wichtigere Dinge zu bereden."
Innerlich schalt sich Talaan
einen Narren. Die Faszination für die Halle des Lichts und seine Neugier hatten
ihn das Wesentliche einstweilen vergessen lassen. "Martens Hexer! Wie weit
sind sie noch davon entfernt, die Halle zu entdecken?"
Der Greis seufzte bedrückt und ließ seinen Blick über die
filigranen Lichtmuster wandern. „Die ganze Zeit über bin ich ihrer gewahr, Talaan.
Ich habe mich in den letzten eurer Wochen oft gefragt, ob du es noch vor ihnen
schaffen würdest." Die eisblauen Augen des Orakels sahen ihn an. "Es
stand auf des Messers Schneide, Weltenwandler, und nur Jairrees Entscheidung
hat dich vor dem Scheitern bewahrt.
In diesem Augenblick umstehen neunzehn Zauberwirker des Feindes
meine Heimstätte und warten darauf, dass derjenige, der bei mir ist, die Halle
endlich verlässt.
"Sie sind bereits da?", wiederholte Talaan fassungslos.
„Und sie warten auf mich? Was wollen sie dann tun?“
Das Orakel schloss kurz die Augen und schüttelte dann den
Kopf. „Ich weiß es nicht. Sie selbst wissen es nicht, sie warten lediglich auf
dein Erscheinen. Nur Marten weiß, was es zu tun gilt.“ Überrascht hob der alte
Mann die Augenbrauen. „Seit ewigen Zeiten weile ich schon auf dieser Welt, und doch
gibt es etwas, was mich noch überraschen kann: Seine Gedanken sind verschleiert
– ich kann nichts Klares erkennen. Das sollte nicht möglich sein.“
Die Hexer wollten also aus irgend einem Grunde, dass niemand
beim Orakel war, mussten aber warten, bis sie von genügender Zahl waren... Und
Marten hielt den Plan für gefährdet, sollte jemand vorzeitig davon erfahren...
"Haben sie die Macht, dich zu vernichten?"
Der alte Mann schüttelte den Kopf und seine Mine wurde kummervoll.
"Kein Sterblicher vermag das zu tun, wie mächtig seine Magie auch sein
mag."
"Aber Marten hat sie!", platzte es aus Talaan heraus.
"Wenn er die Hexer dazu be..."
"Ja, Talaan.", unterbrach ihn das Orakel. "Marten
hat diese Macht. Aber er würde und wird sie nicht einsetzen. Er will mein Wissen
besitzen, um noch mehr Macht zu erlangen. Er braucht mich ‚lebend’."
Talaan war verwirrt. Die ganze Zeit hatten er und die Ältesten
geglaubt, dass Marten das Orakel vernichten würde, sollte der Krieg verloren
gehen. Aber was... Wer? "Gibt es noch andere Weltenwandler außer Marten
und mir?"
"Nicht auf dieser Welt, Talaan. Nicht zu dieser Zeit."
Der Gram des Greisen war jetzt deutlich zu sehen und zu spüren.
Talaans Magen verkrampfte sich. "Wer wird dich töten?",
fragte er schwach. "Wer, wenn nicht Marten?"
"Ich kann die Zukunft nur in unendlich vielen Facetten
sehen, aber in allen Zeiten, in denen meine Existenz endet, wirst immer du es
sein."
"Ich...", hauchte Talaan fassungslos. "Ich
würde dich nie..."
"'Nie' ist ein Wort, das selbst mein nördliches Geschwister
zu verwenden meidet.", entgegnete ihm das Orakel. Sein Blick war voller
Mitgefühl statt Feindschaft.
"Was für einen Grund sollte ich haben, dich zu vernichten?"
Doch bereits als er diese Frage stellte, dämmerte ihm eine mögliche Antwort.
Sie schien ihm jedoch fern von hier, fremd und unvorstellbar.
"Ich werde dir eine Antwort geben, Talaan. Schließ deine
Augen."
Die Welt stand in Flammen, seine Welt stand in Flammen. Der
Ansturm der Menschen war hart und unerbittlich über sie hereingebrochen. All
der Widerstand, all das Töten war zwecklos gewesen. Nach zwei Wochen erbitterten
Kampfes war die Große Stadt gefallen, der Großteil der kämpfenden MaKri dahingerafft.
Unaufhaltsam brutal stießen die Menschen auf die Halle
des Lichts zu und steckten alles in Brand, das ihren Weg kreuzte - Häuser und
MaKri gleichermaßen. Sie töteten wahllos in ihrem eingebläuten Hass.
Die Halle des Lichts kam in Sicht und Talaan
schüttelte kurz seine nachtschwarzen Gedanken ab. Er landete bei der magischen
Pforte. "Ist alles bereit?", fragte er die Wache.
Die Kriegerin nickte. "Die TaKri sind vertrieben und
jeder andere auch, der uns aufhalten könnte.", antwortete die Wache bedrückt.
"Rerrena... hat das Orakel mit ihrem Leben verteidigt.", fügte sie
flüsternd hinzu.
Talaan suchte nach Schmerz in seinem Herzen, aber Rerrenas
Tod berührte ihn nicht mehr. Zu viele MaKri waren sinnloser gestorben als sie.
Er sah der MaKri nicht in die Augen. "Dann sei es."
Talaan trat in den Teich und rannte den Gang des Lichts dem
Schicksal entgegen. Die Dunkelheit in ihm ließ die Helligkeit hier verblassen.
Kirra... Kirra war tot. Marten hatte es sich nicht nehmen
lassen, sie eigenhändig zu Tode zu quälen. Talaan hatte selbst über die große
Entfernung Kirras Schmerzen und Todesangst spüren können. Der Tod seiner Liebe
hatte auch in ihm etwas sterben lassen.
Doch das war nicht einmal das Schlimmste - der Krieg und
Kirras Tod. Das Schlimmste war, dass Marten seine Pläne offenbarte, als er Kirra
folterte und Talaan daran teilhaben ließ.
Wie hatte er sie nur derart peinigen können? Dieser rasende
Schmerz, als ihre Knochen brannten...
Talaan schrie seine eigene Qual hinaus, doch der Schrei versickerte
im Nebel des Lichts.
Das Chaos dieser Welt würde erst der Anfang sein. In dieser
Welt würde Marten Marten bleiben, mächtiger als zuvor, aber dennoch, was er
war. Die Zukunft dieser Welt würde eine ewig währende Tyrannei sein, in der
es keine Freiheit mehr geben konnte.
Aber die Welten, die folgten! Martens
Macht würde unvorstellbar sein, wenn er nach und nach zum Gott aufstieg. Und
wenn er dort erst ankam... Die Grenzen zwischen den Welten würden fallen...
und es gäbe kein, absolut kein Entrinnen mehr vor seinem Willen.
Talaan trat aus dem Gang des Lichts. Das Orakel erwartete
ihn bereits. Eine ganze Weile sahen sie sich stumm in die Augen, zwei Unsterbliche
- auf ihre Weise, die wussten, dass sich ihre Bestimmung hier erfüllen würde.
"Es tut mir Leid.", sagte Talaan schließlich. Das
tat es ihm wirklich. Es gab jedoch keinen anderen Weg. Auch wenn er nun das
wertvollste und wunderbarste Wesen auslöschen würde... Sein Herz verzagte.
Der alte Mann nickte. "Ich weiß."
Und Talaan begann.
Es brauchte eine ganze Weile, bis Talaan begriff, warum nichts
geschah. Warum die Halle des Lichts nicht in Stücke zersplittert war, warum
ihm das Orakel immer noch friedlich in die Augen blickte.
Nichts von dem war geschehen. Kirra lebte noch, die Große
Stadt lag nicht Asche. All der Schmerz, all die Verzweiflung, die ihn erdrückt
hatte...
"...sind nur Teil einer möglichen Zukunft." Der
Alte schloss die Augen und lauschte in die Halle hinein. "Einer sehr möglichen
Zukunft. In diesem Augenblick kann ich Gedanken Martens hören, die um jene Dinge
kreisen, die du gesehen hast."
Seufzend öffnete das Orakel wieder die Augen und sagte ernst:
"Ich mache dir keinen Vorwurf daraus, Weltenwandler. Dein Kampf gegen Marten
kann von meinesgleichen weder als gut noch als böse gewertet werden. Aber Marten
missbraucht uns und strebt nach der Macht des Schöpfers. Wenn er in einem seiner
Leben diese Macht erlangt, werden die Grenzen zwischen den Welten fallen, die
Zeit bedeutungslos werden und unsere Existenz - in allen Welten - wird sinnlos."
Talaan konnte die Tragweite der Worte des Orakels nicht fassen.
Er verstand, was es bedeutete, glauben konnte er es nicht. "Marten kann
zu einem Gott werden?"
"Nicht sofort, aber mit meinem Wissen und seinen Fragen
hat er alles, um dieses Ziel irgend wann zu erreichen."
"Wie?"
"Diese Frage wohnt nicht in deinem Herzen, Talaan. Ich
werde sie nicht beantworten.“
Mühsam zwang Talaan seine Gedanken zur Ruhe. "Das erklärt
einiges...", sagte er bedächtig. "Die Obsession Martens, Macht über
Euch zu erlangen. Und vor allem, warum er bisher nicht angriff. Solange er die
Zerstörung der Halle des Lichts befürchten muss, kann er nicht angreifen."
Aber weshalb riskierte Marten dann einen Vorstoß mit den Schlachtenmagiern?
"Das ist der einzige Grund für alles. Die Späher, die
Friedensverhandlungen und der Versuch, dich auf seine Seite zu ziehen."
"Niemals werde ich mich gegen die MaKri wenden. Ich
bin nicht so wie Marten."
Darauf hin sah ihn der Alte nur fragend an. Fragend und abschätzend.
"Ich bin nicht wie Marten!", bekräftigte Talaan
seine Worte mit innerster Überzeugung.
"Du solltest es besser wissen, Talaan.", tadelte
ihn das Orakel. "Ihr seid einander so ähnlich wie Ebenbilder in einem Spiegel,
nur dass euch keine Scheibe von der anderen Seite trennt. Ihr seid beide Weltenwandler
und das gibt euch eine schwer greifbare Form der Macht, die niemand erlangen
sollte, der sterblich geboren wurde. Dein Herz ist gut, Talaan, doch du bist
jung. Wie wird es um dein Herz bestellt sein, wenn viele Leben hinter dir liegen?
Kannst du von dir behaupten, es von Verbitterung, Hass und Verzweiflung rein
zu halten? Kannst du das? Wenn du von deinesgleichen verheerte Welten gesehen
hast? Kannst du von dir behaupten, niemals ein Volk, eine Welt zu opfern, um
andere zu retten? Kannst du das?
Wenn das Leben selbst auf strategische Ebene herabgesetzt
wird und es kein gut oder böse mehr gibt, sondern nur noch strategisch richtig
und strategisch falsch? Kannst du da noch behaupten, niemals so zu werden wie
Marten oder gar schlimmer? Kannst du das?"
Es lag kein Vorwurf oder Zorn in den Worten des alten Mannes,
seine Stimme war scharf, präzise und gnadenlos nüchtern, so dass Talaan bei
jedem "Kannst du das?" zusammenzuckte und mehr in sich zusammen sank.
Am Ende fehlte ihm die Kraft für eine Antwort.
"Bereits in diesem Leben wirst du vielleicht bereit
sein, deine Ethik zu überwinden und mich töten. Bereits jetzt..."
"Ich kann es nicht behaupten.", unterbrach ihn
Talaan, der langsam wieder zu Kräften kam. "Aber ich kann in jedem Leben
mein Bestes tun, um das alles abzuwenden. Und ich werde in diesem Leben damit
anfangen."
"Gut." Der Alte begann freundlich zu lächeln und
sagte noch einmal leiser: "Gut."
"Der beste Weg schein mir, den Krieg zu entscheiden,
bevor er Deine Mauern erreicht."
"Der Krieg..." Unerwartet lachte der Alte auf und
schlug sich an die Stirn. "Das hätte ich beinahe vergessen, mein Junge:
Möchtest du Tee?"
Talaan sah in fassungslos an.
"Ja, du möchtest welchen.", stellte der alte Mann
fest und aromatisch dampfende Teeschalen standen auf dem Tisch. Es war nicht
so, dass sie plötzlich erschienen; vielmehr war es so, als wären sie die ganze
Zeit bereits da gewesen.
"Aber dann wäre der Tee jetzt schon kalt, oder?",
gab der Alte verschmitzt zu bedenken.
Skeptisch griff Talaan zu dem Schälchen, schnupperte und
kostete schließlich... "Thilisar!", seufzte er genüsslich. Der beruhigende
Geschmack des Elfentees rann seine Kehle hinab und machte ihm das Herz leichter.
Der Alte nahm selbst ein Schälchen und nippte daran. "Der
Krieg... Um deinen Wortschatz zu gebrauchen: Es ist schwer, die Geister loszuwerden,
die man unbedacht rief."
"Ich bin wohl kaum für diesen Krieg verantwortlich."
Der alte Mann lächelte freundlich. "Vielleicht nicht."
Er trank einen Schluck. "Vielleicht doch." Noch ein Schluck. "Du
bist ein Weltenwandler, Talaan. Euresgleichen ist immer verantwortlich für die
Geschehen seiner Zeit."
"Meinesgleichen... Das ist der Schlüssel zu vielen Antworten,
nicht wahr?", grübelte Talaan halblaut. "Ich habe mich so oft gefragt,
warum mit mir geschieht, was geschehen ist. Um so mehr, seit ich Martens Natur
erkannte."
Das Orakel stellte seine Schale zurück auf den Tisch und
legte beide Hände auf den Gehstock auf seinen Knien. "Die Art deiner Existenz
ist in der Tat ein Schlüssel. Eure wahre Macht liegt nicht in dieser Welt. Eure
Macht liegt in den Träumen."
"Träume? Tonri sagte mir, die Träume seien mächtig,
aber..."
Geduldig schüttelte das Orakel den Kopf. "Nicht solche
Träume meine ich. Ich rede über Träume von großen Taten, von fremden Welten
und nie gesehenen Kreaturen. Ich spreche von Träumen, welche die Urkraft der
Phantasie entfesseln."
Talaan konnte den Alten nur verständnislos anschauen.
"Einst hast du das selbst erkannt." Obwohl sich
Talaans Blick auf die Halle nicht einen Jota veränderte, glaubte er auf einmal
schwarze Buchstaben auf sandfarbenem Grund zu sehen. Als das Orakel die Worte
sprach, las er gleichzeitig:
"Jenseits dessen, was wir unser Universum nennen, liegt
eine schier unendlich große Anzahl anderer Welten. Einige sind nur eine anders
gefällte Entscheidung von uns entfernt, andere hingegen so unwahrscheinlich,
so anders, dass sie kaum mehr sind als Träume.
Doch was sind Träume? Sind sie nicht so real, wie wir sie
haben wollen, wenn sie vor unserem inneren Auge Gestalt annehmen? Können Träume
real werden, wenn wir sie intensiv genug träumen, oder klärt sich dabei nur
der Blick auf etwas, das sowieso bereits existiert?"
"Ich habe das gesagt?", fragte Talaan verwundert.
Er konnte sich nicht erinnern.
Der Alte nickte und nahm gelassen noch einen Schluck Tee.
"Niedergeschrieben hast Du es sogar. Du warst eine Zeit lang der Überzeugung,
dass das geschriebene Wort mehr Macht entfalten würde."
Jetzt verstand Talaan noch weniger. Seine Gedanken, teils
wirr und absurd, jagten von Mutmaßungen zu Phantastereien und wieder zurück.
Selbst wenn er wahrhaftig offen für große, neue Gedanken war, konnte doch nicht...
"Du willst nicht behaupten, das dies alles hier nur ein Traum ist. Die
MaKri, der Krieg, alles."
"Was für eine sonderbare Vorstellung.", scherzte
der Alte schelmisch. "Schlag' deinen Kopf so fest du kannst gegen diesen
Tisch hier, solltest du das glauben."
Zufrieden mit dieser Antwort nickte Talaan, der nächste Gedanke
war jedoch nicht weniger absurd. Dennoch wollte er ihn nicht ungefragt verwerfen.
"Aber es ist nicht so, dass ich von all dem hier geträumt habe und deswegen
ist es real geworden?"
"Ja und nein, Talaan."
"Also habe ich von dieser Welt 'Visionen' erlangt, die
mir irgend wie den Zugang erlaubten?"
"Ja und nein, Weltenwandler." Das Orakel deutete
irgendwie in Talaans Kopf. "Bedenke deine eigenen Worte."
Lange grübelte er nach. Auf beide Fragen hatte das Orakel
mit 'Ja und Nein' geantwortet. Er erschuf diese Welten also nicht und dennoch
tat er es? Die Träume waren nur Visionen und dennoch mehr als das?
Talaan konnte nicht anders als lächeln. Das war absurd! Er
dachte gerade über das Erschaffen von Welten nach!
"Du bist noch jung, Talaan.", stimmte ihm das Orakel
zu. "Das Wissen ist das eine, das tatsächliche Verstehen, das Verinnerlichen,
das Glauben ist etwas ganz anderes. Viele Weltenwandler bestehen nicht,
weil sie den Schritt zum Glauben nicht schaffen. Es ist ein schleichender Prozess
und es wird dich vermutlich einige Leben kosten, bist du diesen Schritt
gemacht hast."
Das glaubte Talaan nur all zu gern. Er konnte all das nur
als Gedankenspiel betrachten, das eher in einem Philosophenzirkel besprochen
werden sollte. Frage und Antwort als Philosophie...
Kaum hatte er das Gewicht der Fragen des Orakels beiseite
geschoben, kam ihm auch schon eine Idee in den Sinn. "Es ist ein Paradoxon.
Es ist so und gleichzeitig nicht. Beides - das Sehen und das Erschaffen - ist
wie die berühmte Schlange, die ihren eigenen Schwanz verschlingt. Es gibt kein
'Erst' und 'Dann'."
Der Alte nickte erfreut. "Die Henne und das Ei - was
war zuerst da?" Er lachte fröhlich sein ziegisches Altmännerlachen. "Obwohl
diese Frage leichter zu beantworten ist, als dein Problem.
Manchmal ist es bei euch so, dass ihr einen Blick auf eine
Welt erhascht, die euch derart in ihren Bann zieht, dass eure Gedanken sehr
lange um sie kreisen und immer wieder zu ihr zurückkehren. Und je mehr ihr an
sie denkt, um so mehr träumt ihr. Von großen Taten, Kriegen, Liebe, Veränderung...
Und diese Träume verändern, Talaan. Sie formen das Geschehen dieser Welt so
nachhaltig, dass ihr euch diese Welt gar nicht mehr ohne diese Taten, Kriege
oder Veränderungen vorstellen könnt. Es ist zu einem realen Bestandteil geworden.
Und jene Abenteuer, jene magischen Orte sind es, die einen Bann auf euch ausüben.
Je stärker dieser Bann ist, desto leichter fällt euch der Übergang."
Um Talaan einen Moment zeit zu geben, trank der Alte sein
Schälchen in sehr gemütlichen Schlucken leer. "Und nun zu dem, was du paradox
nennst. Habt ihr erst einmal etwas erschaffen, war es stets ein Teil dieser
Welt und ihrer Bestimmung. Wer vermag jetzt noch zu unterscheiden, was erdacht
ist und was ursprünglich? Nicht einmal ich kann es dir sagen, Weltenwandler,
ob ich eines deiner Werke bin - oder Martens - obwohl sich meine Existenz seit
dem Anbeginn der Zeit nicht leugnen lässt."
Gedankenverloren nippte Talaan an seinem eigenen Tee. "Und
wozu das alles? Es erscheint mir so ziel- und sinnlos."
Das Orakel hob beschwichtigend seine hageren Farmerhände.
"Ich sagte, manchmal ist es so. Du bist, was du bist, Talaan. Dein Geist
ertrug die Grenzen seiner Welt nicht, also hast du sie überwunden. Es gibt viele,
die so sind wie du. Weil die Phantasie mächtig ist. Andere, wie Marten stammen
aus Welten, wo die Grenzen von sich aus dünner sind, wo Magie alltäglich geworden
ist. Martens Wille ist sein Wegbereiter. Sein unnachgiebiger, harter Wille bietet
ihm seine Macht der Veränderung und der Visionen. Für ihn sind diese Veränderungen
nur Werkzeuge auf einem großen Schachbrett.“
„Aber wie soll ich dann gegen ihn bestehen? Es scheint mir
so, als würde ich nur durch die Welten stolpern, während er nur seinen Aufstieg,
seinen Sieg vor Augen hat. Wie kann ich mit Träumerei gegen die Macht Martens
bestehen, der seine Macht zielstrebig gegen uns richtet?“
Der Alte beugte sich über den Tisch und pochte mit dem Knauf
seines Stockes gegen Talaans Stirn. „Du kannst es, weil nichts mächtiger ist
als die Phantasie, mein Junge.“ Er setzte sich wieder und legte die Stirn in
Falten. „Und du wirst vielleicht scheitern, weil die Phantasie ein Ross ist,
dem keine Zügel angelegt werden können.
Marten hat lange gegrübelt, sein Plan war ausgereift, bevor
er diese Welt betrat. Er erschlich sich das Wohlwollen des Königs, eroberte
zwei Orakel und hob die größte Armee aus, die sich sein Verstand vorstellen
konnte, nur um jetzt die einzig wirklich bedeutsame Schlacht gegen dich führen
zu können.
Du hingegen sitzt mir im selben Moment gegenüber, da du noch
keinen Weg aus dem Krieg heraus gefunden hast. Jedoch ist dir vieles gelungen,
was für Marten unvorstellbar und unplanbar war: Du hast eine neue, machtvolle
Gestalt angenommen und wirkst Magie auf eine Weise, wie sie Marten unmöglich
erscheinen muss. Du hast ihm das Buch entrissen, welches er durch viel Willenskraft
an sich brachte. Und du hast ein Volk hinter dir, das über die gleiche magische
Macht gebietet wie du.“
Der alte Mann sah lächelnd zu einer weit entfernten Stelle
auf dem Boden. „Noch in diesem Augenblick tobt ein Zorn in Marten, weil er es
nicht fassen kann, dass ein Weltenwandler freiwillig ein gesamtes Volk mit seiner
Macht ausstattet. In keinem seiner Leben würde er dies je tun, da ihm Vertrauen
fremd ist. Er hält es für eine gewaltige Torheit, die ihn den Sieg kosten kann
und dich ebenfalls ins Verderben ziehen wird.“
Talaan stutze. „Marten fürchtet diesen Krieg? Er ist vielfach
überlegen!“
„Ist er das?“ Das Orakel erhob sich mit einem altersgeplagtem
Ächzen. „Komm mit, junger Weltenwandler.“ Grübelnd über die Worte des Orakels
folgte Talaan dem Alten und fragte sich zerstreut, wohin es wohl ging.
Nach einigen Minuten stummer Wanderschaft blieben sie unvermittelt
stehen. „Was siehst du dort?“ Der alte Mann deutete mit einer Hand auf ein sehr
filigranes Lichtmuster, das sich einige Schritt vor ihm in alle Richtungen erstreckte.
Zwar war es nur ein Teil des großen Gobelins, dennoch stach es klar hervor,
grenzte sich ab. Es war...
„Ein Geistessymbol!“, erkannte er verblüfft. Er blickte nach
rechts und erkannte bald einen weiteren Zauber. Direkt unter seinen Füßen...
Wo ist mein Schatten? ...befand sich ein weiteres. Als er versuchte,
das erste Symbol in seinem Geist entstehen zu lassen, konnte er seine Macht
spüren. Er ahnte, was es bewirken könnte, konnte es aber nicht fassen. Etwas
fehlte. Dasselbe geschah bei den beiden anderen Symbolen ebenfalls. Stets fehlte
etwas.
Und Talaan dämmerte, was es war. Es war wie mit dem kleinen
Symbol des Schmerzes, das in dem größeren Heilzauber steckte. „All das Licht...“,
hauchte er ehrfurchtsvoll, „ist ein gewaltiges Geistessymbol, das sich aus vielen
kleinen zusammensetzt!“ Was für einen gewaltigen Geist das Orakel haben musste,
dass es den gesamten Gobelin in ihm wirken konnte!
Der alte Mann nickte zufrieden mit einem aufmunterndem Lächeln
auf den Lippen. „Also? Was siehst du?“
Talaans Stirn wollte sich in Falten legen, da das Orakel
erneut gefragt hatte. Aber im selben Moment traf ihn die wahre Antwort wie eine
kraftvolle Vision: Er sah MaKri – Hunderte, Tausende – die mit ihren vereinten
Kräften, mit ihrem vereinten Geist eine Magie wirkten, wie sie keine
Welt zuvor gesehen hatte. Jeder würde nur einen kleinen Teil des Zaubers formen,
um eine nie da gewesene Macht zu entfesseln.
Alle Sorge, alle Müdigkeit fielen von Talaan ab, er hob sein
Haupt und sprach mit klarer Stimme: „Der Weg zur Freiheit der MaKri ist es,
was ich sehe.“ Er musste sich beherrschen, den Alten nicht aus Freude zu umarmen.
„Du hast mir mehr geholfen, als ich zu träumen wagte!“
Der alte Mann hob beschwichtigend seine knochigen Hände.
„Ich habe dir nur die Augen geöffnet. Wirklich helfen werde ich dir mit einer
anderen Kleinigkeit.“ Er schloss konzentrierend die Augen. „Dass wir Orakel
uns gegenseitig nicht sehen können, haben wir einem kleinen Schutzzauber zu
verdanken. Wenn wir die Geister unserer Geschwister schauen könnte, würde der
Wahnsinn uns befallen, da selbst unser Geist nicht bewältigen könnte, was die
anderen sehen. Ich werde diesen Schutz auf den Dschungel der MaKri ausdehnen.“
Plötzlich schnellte der Kopf des Orakels herum und es starrte
auf einen fernen Punkt. „Marten ist beim nördlichen Orakel! Eile dich, Weltenwandler!
FLIEHE!“ Die Stimme des Alten füllte scharf und klar die Halle des Lichts, so
dass Talaan keinen Wimpernschlag zögerte. Er beschwor die Levitation, erhob
sich in die Luft und erspähte den Ausgang. Während er darauf zuhielt, hörte
er das Orakel sprechen: „Er hat gesehen, was du erkanntest. Er sah die gewaltige
Macht und dann verdunkelte sich sein Blick auf den Dschungel. Er hat erraten,
dass du bei mir bist und die Entscheidung dieses Krieges in Erfahrung gebracht
haben könntest. Marten will dich einschließen!“
Der gleißende Ausgang wurde größer. „Habt dank, Orakel der
Halle des Lichts.“, verabschiedete sich Talaan in würdigem Tonfall. „Ich werde
um Euer Leben kämpfen so gut ich vermag.“ Ohne langsamer zu werden tauchte Talaan
in den Gang des Lichts und flog, vom Wissen geleitet, dem Draußen entgegen.
Im selben Moment, in dem er aus dem Teich des Lichts emportauchte,
tauchte er ein in Martens Stimme. Sie erfüllte die Luft mit einer fremden Sprache,
durchdrungen von Befehlen in der Sprache des Westens und formte einen nahezu
melodischen Singsang.
„Maigan, endlich!“, rief eine MaKri, die zur Wache gehörte,
über die Stimme hinweg. „Was geschieht hier?“
„Das ist eine Hexerei des Feindes!“, knurrte Talaan. „Marten
wirkt einen Zauber!“ Aber wie? Marten war Tausende Meilen entfernt...
Die Erkenntnis traf ihn wie ein Donnerschlag. „Die sprechenden
Steine der Schlachtenmagier!“ Dieses kleine Ding, das der Hexer benutzt hatte,
um Marten zu fragen! Was für ein Narr er doch war. Die von allen Seiten dringende
Stimme war keine Effekthascherei, sondern diente Martens Plan! Die Steine verstärkten
seine Stimme, verband sie jetzt aus vielen Steinen dringend zu einer großen
ganzen und machten die unsichtbaren Hexer zudem unauffindbar.
Talaan erhob sich wieder in die Luft und rief den versammelten
MaKri zu: „Das Orakel wird angegriffen! MaKri! Findet den Feind! Tötet ihn!“
Er wartete nicht, ob die anderen ihm folgten und stieg noch
höher, beschwor das Symbol der Feuerballs und schleuderte ihn auf einen willkürlichen
Fleck nahe der Mauer. Die krachende Explosion ließ den von oben betrachtet kleinen
Fleck der Verwüstung um so enttäuschender erscheinen. Voll verzweifeltem Zorn
ließ er Feuerball um waberndem Feuerball niedergehen, legte einen Teppich aus
verbrannter Erde. Plötzlich tauchte einer der Hexer auf, während der tot zu
Boden sank. Nun verstanden auch die letzten MaKri und stiegen in den Kampf ein.
Es hagelte Feuer vom Himmel, das eine Schneise der Verwüstung durch das Grün
zog.
Da riss die Beschwörung Martens plötzlich ab. Jeder MaKri
hielt inne und sah sich fragend und vage hoffnungsvoll um.
„Du bist ein Narr,“, donnerte Marten. „wenn du glaubst, meinen
Plan mit eurer erbärmlichen Magie vereiteln zu können, Elfenfreund. SHAR KAI!
WRULUD! SHAR KAI!“
Die Vögel des Waldes flogen wie Eins kreischend auf und stoben
davon. Dann verstarb jeglicher Laut. Niemand wagte zu sprechen, der Wind verebbte
und ließ die Bäume verstummen. Kein Tier, kein Rauschen des nahen Flusses war
mehr zu hören. Die Stille wurde greifbar, stofflich.
Und dann begannen die Schatten zu wandern. Der Schatten der
Halle, die Schatten der Bäume, selbst die Schatten der kleinsten Grashalme flossen
auf die Halle des Lichts zu, umringten sie, türmten sich auf. Sogar die Dunkelheit
des Alls, jenseits der erhellten Himmelssphäre, stieg herab und ergoss sich
über die gewaltige Kuppel, bis sie sich mit dem Schatten vereinte.
Eine Kuppel wie aus dunklem Glas lag nun über der Halle des
Lichts wie eine zweite Haut. Talaan ging nahe des Lichtteiches nieder und stellte
wenig überrascht fest, das der Teich leer war und die dunkle Barriere auch den
Gang des Lichts versperrte. Bei näherer Betrachtung war die Finsternis doch
nicht dem Glase ähnlich, sondern eher zäh fließend wie dunkles Öl.
Er brauchte nicht erst zu versuchen, durch die Finsternis
zu treten oder einen Kampfzauber zu wirken, um sie zu durchbrechen. Er spürte
die Macht, die von diesem gewaltigen Zauberwerk ausging.
Unweit schlug der Blitz einer weniger besonnen MaKri in die
Barriere ein und verursachte kleine Wellen auf der Oberfläche. Es blieb keine
sichtbare Spur des Angriffs zurück.
Die alte Wache, die Jairree beraten hatte, trat zu Talaan
und betrachtete die Barriere mit ruhigen Augen. „Wir haben versagt. All unsere
Augen und Ohren waren dem hier nicht gewachsen. Der Feind ist gerissen.“ Dann
wandte er seine Augen zu Talaan. „Du hast Dir Zeit gelassen, Maigan. Nach fünf
Tagen beim Orakel hast du den letzten Moment genutzt, um dieser Teufelei zu
entkommen.“
Talaan riss sich vom Anblick der verdunkelten Halle des Lichts
los. Wie sich das Orakel wohl fühlen würde? Seine Augen waren getrübt... „Fünf
Tage? Ich...“
„Die Zeit vergeht anders, wenn Du in der Halle wandelst.
Seit einer Stunde hörten wir diese Stimme, die das dort angerichtet hat. Dir
ist bewusst, was diese Barriere bedeutet?
Talaan wusste es. Durch diesen magischen Wall war die Halle
des Lichts unerreichbar, unzerstörbar. Nicht hielt Mohab mehr auf. „Ja, es ist
mir bewusst.“, antwortete Talaan langsam. Jetzt, da es endlich geschehen war,
fiel einige Angst vor diesem Moment von ihm ab. „Der Krieg hat begonnen.“