Und jetzt viel Spaß mit dem sechsten Teil.
„Der Feind ist auf dem Vormarsch.“ Häuptling
Firrs Stimme lag schwer in der hitzegeschwängerten Luft im Haus des Rates.
Das Feuer in der Schale war bereits Stunden vor dem Zusammentreffen entfacht
worden. „Er überschwemmt die westlichen Ausläufer der Savanne und unsere Späher
berichten, dass seine Zahl unvorstellbar ist.“
„Wir haben Späher in der Savanne?“,
fragte Talaan überrascht. Nach seiner Rückkehr vom Orakel war er direkt zum
Ältestenrat geleitet worden.
Firr nickte einer im Schatten sitzenden
MaKri zu und sie ließ eine Sphäre der Sicht entstehen, welche die Stadttore
Tullmas und das Land davor zeigte. Keine Menschenseele war zu sehen. Die Sphäre
schimmerte kurz und zeigte den Flug eines Auges über die verlassene Savanne.
„Unsere magischen Augen sind blind.
Das konnten wir vor wenigen Tagen noch nicht wissen, wir hatten jedoch ein
ungutes Gefühl. Unser Instinkt trügt uns selten uns so haben wir Späher entsandt,
um im Verborgenen Wache über Tullma und die Savanne zu halten.“
Tonri brummte verdrießlich: „Ich
bin immer noch der Meinung, wir hätten Schamanen entsenden sollen. Dann hätte
uns die Nachricht des Ausmarsches noch in der selben Nacht erreicht.“
Firr hob beschwichtigend die Hände.
„Sie hat uns früh genug erreicht, ehrenwerter Schamane. Mani hat uns versichert,
dass solch große Truppen mehr als einen Mondzyklus benötigen werden, bis sie
auch nur einen Fuß in den Dschungel gesetzt haben.“
„Und diese Zeit werden wir nutzen!“,
fügte Mahi, die Vertreterin der Frauen, mit Nachdruck hinzu.
„Wo wir gerade von ihr sprechen.
Wo ist Mani? Dies ist doch ein Kriegsrat?“, fragte Talaan verwundert nach.
Jirr, der Repräsentant der Männer,
deutete auf ein leeres Sitzkissen neben ihm. „Die Effenda spricht in diesem
Augenblick mit jedem einzelnen Späher und versucht ihnen Details zu entlocken,
die uns verborgen bleiben würden. Sie wird später zu uns stoßen.“
„Was uns großes Grübeln bereitet,
ist die Plötzlichkeit des Vorstoßes.“, nahm der Häuptling den Faden wieder
auf. „Alle Soldaten, von denen uns berichtet wurde, rückten wie Eins vor drei
Tagen zum Beginn der elften Stunde aus. Der Feind hat so lang gezögert uns
anzugreifen und geht nun mit einem Mal so entschlossen vor. Mani sagte, dies
wäre ein schlechtes Omen.“
Mit einem bestimmenden Handzeichen
erbat Talaan das Wort. „Das schlechtest überhaupt.“ König Mohab hatte keine
Zeit verschwendet. „Ich habe vom Orakel in Erfahrung gebracht, was den König
abhielt und was er nun seit genau jener Stunde nicht mehr zu fürchten braucht.
Hexer des Feindes haben die Halle des Lichts in Schatten gehüllt und sie ist
jetzt unerreichbar für unser Begehr.“
Entsetztes Schweigen legte sich
über die Ältesten. Also haben sie es
noch nicht erfahren. Keiner konnte so recht glauben, was er eben gehört
hatte. Wie sollten sie auch. Das Beständigste im Leben aller MaKrigenerationen
war weggebrochen. So konnte selbst die Hitze der Feuerschale nicht bewirken,
die Starre bald zu lösen.
„Wie konnte das geschehen?“, fragte
Shaila schwach.
„Und bringst Du auch gute Neuigkeiten,
oder ist unsere Hoffnung den Schatten zum Opfer gefallen?“, fügte Tonri noch
finsterer als sonst hinzu.
Also begann Talaan von seinem Kampf
mit dem Schlachtenmagier zu berichten, von dessen Schutz vor dem magischen
Auge und seiner Fähigkeit, unsichtbar zu werden. Und er erzählte ihnen, was
er in der Halle des Lichts erfahren hatte. Dass er, Talaan, es sein würde,
der das Orakel vielleicht vernichten würde, enthielt er ihnen nicht vor, doch
vieles Wissen über die Macht der Weltenwandler behielt er für sich. Er sagte
ihnen nur, dass Marten und er von der gleichen Art seien und es ihr Schicksal
war, in dieser Welt Gegner zu sein. Als Talaan auf den unverhofften Beistand
des Orakels und das Potential des vereinigten MaKri-Geistes zu sprechen kam,
hellten sich die finsteren Minen der Ältesten kurzzeitig auf. Er schloss seinen
Bericht mit der Verdunkelung der Halle des Lichts.
Shaila war die erste, die etwas
zu sagen vermochte. „Du bringst seltsamen Wandel mit Dir, Maigan.“ Talaan
blickte ihr forschend in die Augen. Ahnte sie etwas? „Seit Du zu uns kamst
ist viel geschehen – im Guten wie im Schlechten.“ Talaan versteifte sich.
„Aber jeder von uns besitzt genug Verstand, um die Schuld nicht bei Dir zu
suchen. Fürchte nicht, dass Dir einer von uns die Zerstörung der Halle des
Lichts nachtragen wird, so lange Du es nicht getan hast.“
„Ich...“, Jirr blickte in die Runde,
„Wir kennen Dich gut genug, um Dir zu vertrauen. Du hast Dein gutes Herz und
Deine Tapferkeit zur rechten Zeit bewiesen. Wir sind froh, dass Du an unserer
Seite bist, um Marten die Stirn zu bieten.“
Firr erhob sich und die anderen
folgten seinem Beispiel. „Wir haben uns schon zuvor beraten und Dein Bericht
hat uns in unserem Entschluss bestärkt. Maigan Talaan, für die Zeit des Krieges
wirst Du in den Ältestenrat der Stadt berufen. Nimmst Du die Bürde auf Dich,
die damit verbunden ist?“
Seine Gedanken rasten. Erst in diesem
Augenblick wurde ihm das Gewicht dessen bewusst, was für ihn eigentlich nie
außer Frage stand: Er würde über die Geschicke des Krieges mitentscheiden.
Und die Verantwortung über Leben und Tod – auf beiden Seiten – tragen müssen.
Mühsam schluckte er den Klumpen in seinem Hals herunter, als er sich ebenfalls
erhob und verneigte. „Ich nehme sie auf mich, Älteste. Möge ich sie nicht
all zu lange tragen.“
In diesem Moment wurden sie Manis
gewahr, die ernst und selbstsicher an der Tür des Baumhauses wartete. Talaan
wurde leichter ums Herz, als er sie sah, denn er wusste, dass eine fähige
Strategin an ihrer Seite war.
„Setz dich zu uns, Mani.“, bot ihr
Firr beinahe väterlich den freien Platz an. „Was hast Du herausgefunden?“
Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht,
als sie Talaan entdeckte. „Gut, dass Du wieder da bist, Talaan.“, begrüßte
sie ihn in der Sprache des Westens. „Die ganze Sache macht mir Angst.“
Talaan umarmte sie kurz ermutigend
und erwiderte ebenfalls in der Menschensprache. „Ich habe auch Angst. Aber
zusammen werden wir bestehen.“
Ein zaghaftes Lächeln war die Antwort.
Auch wenn Firr ein wenig verwundert die Stirn runzelte, sagte er nichts zu
dem Wortwechsel, der alle Ältesten ausgeschlossen hatte. Vielleicht verstand
er nur zu gut, dass Talaan wie Mani gleichermaßen mehr Verantwortung auf dem
Rücken trugen, als sie sich zutrauten.
Mani wandte sich von Talaan ab und
begann zu berichten, noch bevor sie Platz genommen hatte: „Die Größe von Mohabs
Armee überrascht selbst mich. Zwar wusste ich zu meiner Zeit als Effenda,
dass die Soldaten Tullmas nur Teil einer größeren Streitmacht waren, aber
die Beobachtungen der Späher lassen ahnen, wie klein dieser Teil wirklich
ist. Genaues vermag ich erst zu sagen, wenn ich es mit eigenen Augen erblicke.“
„Von welcher Zahl sprichst Du, Effenda?“,
brachte Mahi die Frage aller zum Ausdruck.
„Fünfzigtausend.“, gab Mani vorsichtig
zur Antwort. „Vielleicht mehr, aber kaum weniger. Mohab teilt seine Truppen
in Fünfhundertschaften ein und die Beobachtungen der Späher legen nahe, dass
es deren an die Hundert dort draußen gibt.“
Erneut wurden alle von bleiernem
Schweigen ergriffen. Talaan sah so etwas wie erste Verzweifelung in den sonst
ruhigen Gesichtern der Ältesten. Fünfzigtausend?
Diese Zahl erschien ihm nicht derart groß. Er hatte in seinem ersten Leben
Kriegsberichte zu Ohren bekommen, in welchen von Zweihunderttausend oder gar
oder einer halben Million die Rede war. Dann aber dachte Talaan daran, wie
klein die Städte dieser Zeit, dieser Welt,
waren – auf beiden Seiten – und erschauerte. Mohabs Städte mussten jetzt ohne
Männer sein, wenn er eine solche Armee unterhielt – oder sein Reich war derart
groß, dass er so viele Männer ohne Sorge entsenden konnte.
„Der König hatte Jahre, um diesen
Schlag vorzubereiten, Soldaten auszuheben und alles sorgfältig geheim zu halten.“,
sagte Mani ernst. „Das nördliche Orakel gibt ihm in der Tat viel Macht...
Ich weiß ja nichts über die Zahl der Krieger, die ihr in die Schlacht führen
könnt, aber selbst wenn ihr ein Dutzend Städte wie diese hier hättet und unzählige
Dörfer, wäre das nicht genug. Mögt ihr nun Blitze schleudern können oder nicht.“
„Die Große Stadt ist einzigartig.“,
erwiderte Firr schwach. Jeder Stolz, der sonst seiner Stimme beiwohnte, wenn
er über seine Stadt sprach, war verschwunden.
„Und wir sind ein Volk von Jägern,
nicht von Kriegern.“, fügte Jirr hinzu. „Wir wissen den Speer in der Schlacht
weniger gut zu gebrauchen.“
„Wir habe seit Jahrhunderten keine
Kriege geführt.“, warf Shaila ein.
Mani sah sie zunehmend bestürzt
an. „Was ist mit eurer Magie?“
„Wir könne vielleicht zweitausend
MaKri der Kampfmagie fähig nennen.“, berichtete Tonri. „Die Zeit war zu kurz,
um in unseren weitgestreuten Siedlungen diese Kunst zu verbreiten. Auch hat
nicht jeder MaKri das Talent dafür.“
Nach dem raschen Erfolg seiner Lehre
in der Großen Stadt hatte Talaan sich eingebildet, die MaKri würden viel rascher
Herr ihrer erwachten Kräfte werden. Aber erst zweitausend? Es musste sich
noch zeigen, was diese Zahl wert war. „Wie steht es mit der Heilmagie?“ Talaan
war besorgt.
Shailas Augen leuchteten bei Talaans
Frage auf. „Die ehrenwert Kirra hat Großes geleistet. Allein in der Großen
Stadt hat sie einen erlesenen Zirkel von siebzig Heilern um sich geschart,
die an einem Tag ein Vielfaches an Verletzten zu heilen vermögen, selbst wenn
keiner von ihnen an die Fähigkeiten der ehrenwerten Kirra heranreicht.“
„Das ist viel zu wenig!“, flüsterte
Mani entsetzt, während Talaan dachte: Die
ehrenwerte Kirra? „Wie sollen wir Mohabs Armee mit so wenigen entgegentreten
können?“
„Der erwählte Maigan wird noch Licht
in dieses Dunkel bringen müssen. Das Orakel offenbarte ihm einen Weg, von
dem sich noch zeigen wird, ob wir ihn beschreiten können.“, besann sich Firr
der Worte Talaans und gewann wieder an Stärke. „Jetzt berichte uns bitte erst,
was du noch von den Spähern erfahren hast, Mani.“
„Da gibt es in der Tat etwas, das
berichtenswert ist. Einige Späher haben Soldaten gesehen, die in Gruppen ein
Artefakt auf einer Art Bahre trugen. Zwei der Späher beschreiben es als großen
Kristall zwei Schritt im Maß und geschliffen wie ein Edelstein. Alle sind
sich einig, dass eine mächtige magische Aura von ihm ausging.“
Mahis Blick wanderte nachdenklich
zu Talaan. „Können diese Kristalle Waffen sein?“
Talaan dachte gründlich nach und
schüttelte schließlich den Kopf. „Meine Erfahrung mit solchen Dingen sagt
mir, dass immer nur ein Zauber an einen Gegenstand geknüpft werden kann. Je
größer und reiner dieses Artefakt ist, um so mächtiger ist die Magie, die
in ihm eingeschlossen ist. Nur Kristalle dieser Größe wären in der Lage, ganze
Legionen vor dem magischen Auge zu verbergen. Das ist ihr Zweck.“
„Die magischen Augen der MaKri...“
Mani wog nachdenklich ihren Kopf. „Es wäre von unschätzbaren Wert für unsere
Sache, wenn sie sehen könnten, was der Feind tut. Mohab weiß dies und blendet
sie aus diesem Grunde.“
„Dann müssen wir die Kristalle zerstören!“,
folgerte Firr entschlossen. „Die Frage ist nur, wie wir diese Aufgabe bewältigen
können.“
Tonri sah Firr finster und zweifelnd
an. „Sie werden von einer ganzen Armee beschützt. Wir können nicht einfach
in ihr waffenstarrendes Feldlager spazieren und mit einem großen Hammer diese
Artefakte zertrümmern.“
„Vor allem mit dem Letzten magst
Du Recht haben, Schamane.“, grübelte Talaan.
Das kluge Glitzern in Manis Augen
verriet, dass sie dennoch eine Idee hatte. „Wenn wir bald zuschlagen, steht
es nicht schlecht um unser Vorhaben. So früh werden die Feldherren mit keinem
Angriff rechnen, zumal sie sich noch unentdeckt wähnen. Die Wachen des Nachts
werden unvorsichtig sein, ganz gleich, wie viel Obacht ihnen befohlen wurde.“
„Aber die Armee...“
„... wird keine in Schatten gehüllte
MaKri erwarten, die vom Nachthimmel herabsteigen, um Unheil zu bringen.“,
brachte Talaan Manis Gedanken zu Ende.
„Marten wird diese Kristalle doch
nicht allein der Wachsamkeit der Wachen anvertrauen.“, gab Tonri zu bedenken.
„Schützende Hexerei wird auf ihnen liegen.“
In tiefes Nachdenken versunken nickte
Talaan beiläufig zustimmend. „Es werden wohl Schutzzauber auf ihnen liegen,
die gleichwohl Magie wie auch Gewalt abwehren sollen. Sie sind nicht sonderlich
schwer zu wirken und Marten wäre ein Narr, darauf zu verzichten.“ Ein verborgenes
Wissen, das sich wie ein Juckreiz in seinem Hinterkopf bemerkbar machte, brachte
Talaan erneut zum Grübeln. Er durchforstete seine Erinnerungen nach diesem
Juckreiz, drang immer weiter in seine Vergangenheit vor, bis er in seinem
ersten Leben angelangt war. Dort stand in klaren Lettern das Wort ‚Resonanz’.
Als er seinen Kopf lächelnd hob,
wurde er der wartenden Blicke der Ältesten gewahr. „Ich habe da etwas in meinem
Zauberbuch, das helfen wird. Noch heute werde ich ein paar Steine verzaubern,
die ich jenen mitgeben werde, welche die Kristalle zerstören sollen.“
Firr neigte zustimmend das Haupt.
„Ich werde tapfere Frauen und Männer suchen, damit alles bereit ist, wenn
Du bereit bist, erwählter Maigan. Wir müssen besser heute als morgen handeln.“
Mani wirkte sehr zufrieden und ihre
Entschlossenheit nahm zu. „Dieser Schlag muss gelingen, denn er wird den Feind
mehr als eine Wunde schlagen. Den Feind zu sehen, bedeutet ihn an schwachen
Stellen angreifen zu können. Und eine so frühe Attacke der MaKri wird an der
Siegesgewissheit des Königs nagen. Ich habe vorhin gehört, dass die Augen
des nördlichen Orakels blind sind. Das ist etwas, das Mohab seit Jahren nicht
mehr ertragen musste – den Ausgang der Schlacht nicht zu kennen.“
Tonri ergriff finster dreinblickend
das Wort. „Wir kennen ihn auch nicht. Freut euch der zerstörten Kristalle
erst, wenn der Sieg erzwungen ist.“
Mani warf dem Schamanen einen vernichtenden
Blick zu. „Wir dürfen es auch nicht dabei belassen. Über Magie zu gebieten,
die euch fliegen, verborgen bleiben und großen Schaden anrichten lassen kann,
gibt uns den Vorteil jederzeit angreifen zu können, während der Feind mühsam
auf sein Ziel zumarschiert. Doch selbst diese Macht muss wohl überlegt genutzt
werden.“
„Und wir müssen unsere Heimat auf
die große Schlacht vorbereiten.“, fügte Mahi hinzu.
„Nahrungsvorräte müssen gehortet
und Nachschub geregelt werden.“, gab Jirr zu bedenken.
„Wir werden Heilkräuter in großen
Mengen sammeln müssen.“, grübelte Shaila mehr für sich. „Die Kräuterfrauen
des Hinterlandes sollten sofort aufbrechen, um den Siedlungen im Westen rechtzeitig
zur Seite zu stehen.“
Firr hob Einhalt gebietend die Hand.
„Ihr habt Recht, ihr habt Recht. Doch Eines nach dem Anderen.“ Er warf dem
Feuer in der Schale einen verdrießlichen Blick zu. „Dies wird ein langer Rat,
meine Freunde. Es gilt, viele Pläne zu schmieden.“
Die glühende
Energie zwischen seinen Händen verblasste. Talaan legte den letzten magischen
Stein beiseite und schlug zufrieden das Zauberbuch zu. Die Verzauberung der
marmordurchwachsenen Flusssteine war leichter ausgefallen, als er gehofft
hatte. Der Spruch, den es zu binden galt war simpel und das Buch ein hervorragender
Ratgeber gewesen.
Ein erschöpftes Seufzen drang aus
dem vorderen Teil des Baumhauses zu Talaans Studienecke und eine geradezu
kindliche Freude durchflutete ihn. Behutsam erhob er sich. Bemüht, kein Geräusch
zu machen, schlich er vorsichtig zum Stamm in der Mitte und dann langsam spähend
um ihn herum, bis er endlich einen Blick auf Kirra erhaschen konnte, welche,
ihm die Seite zugewandt, gerade eine verzierte weiße Robe abstreifte. Nun
stand sie da, nur in ihr Fell gekleidet und sah nachdenklich durch ein Fenster
nach draußen.
„Beim Schöpfer, bist Du schön.“,
seufzte er mit wonnig verliebter Stimme.
Kirras Kopf schnellte herum, ihr
Augen wurden groß und ein unglaublich zauberhaftes Lächeln lag auf ihren Lippen.
„Talaan!“ Sie tat einen zaghaften Schritt auf ihn zu und streckte ihre Hand
aus, als ob sie es nicht glauben konnte. „Du bist endlich wieder da?“ Mit
einem frohem Juchzen sprang sie ihn an, riss ihn von den Beinen und bald kullerten
sie käbbelnd über den Boden, bis Kirra siegreich
auf ihm zu liegen kam.
Sie koste seine Schnauze mit der
ihren, sah ihn wieder freudig funkelnd an, koste erneut, strich mit ihrer
Hand über sein Kinn, seine Augen. „Du bist endlich wieder da.“ Ihr Kuss war
der süßeste, köstlichste seit dem Tag ihrer Hochzeit. Talaan schlang seine
Arme fest um sie, zog sie dicht an sich, sog ihren vertrauten Geruch ein,
umarmte sie fester, wollte in sie hineinkriechen.
„Kirra... Meine Liebe.“, flüsterte er zwischen
ihren Küssen. „Von allen Dingen der Pilgerschaft war die Entfernung zu Dir
das Schlimmste.“
„Und das soll ich Dir glauben?“
Kirra rümpfte drollig ihre Schnauze. „Was ist mit dem Regen?“
Talaan mimte kurzes Grübeln und
erwiderte dann zweifelnd. „Darüber muss ich nachdenken...“
„Du!“, rief sie lachend und gab
ihm einen strafenden Schnauzenstüber, den Talaan verspielt in einen Kuss verwandelte.
„Drei Monate Regen sind mir lieber
als zwei Wochen ohne Dich, Geliebte meines Herzens.“, sagte er ernst und Kirra
nickte bedächtig mit geschlossenen Augen.
„Ich liebe Dich, Talaan.“
„Ich liebe Dich, Kirra.“
„Du musst mir etwas versprechen.“
„Was ist es?“, fragte er schmunzelnd.
„Ich bin ein verliebter Narr – Du kannst alles haben.“
„Verspricht mir, dass Du mich ab
jetzt mitnimmst auf deine Reisen.“
In diesem Augenblick klopfte es
am Türrahmen und Rashek trat ein. „Störe ich euch?“
Kirras bohrender Blick verbot es
Talaan, die Gelegenheit auszunutzen, um einer Antwort zu entgehen. Sie wusste,
wie besorgt er um ihr Leben war. „Wir sind Eins, Kirra. Ich verspreche es
nur zu willig und wider meiner Vernunft.“
Glücklich küsste sie ihn überschwänglich
und sagte dann zu dem Krieger: „Bleib nur, Rashek, Du bist willkommen.“ Sie
lösten sich voneinander und standen auf.
„Kommst Du wegen der Steine?“
Rashek nickte nur.
„Unser Häuptling ist ein wenig ungeduldig,
nicht wahr?“
Talaan verschwand im hinteren Teil
der Hütte, verstaute die magischen Steine in einem Leinensack und brachte
ihn Rashek. „Kommt nicht auf die Idee, sie zu erproben. Ich tat es mit dem
Ersten und kann von Glück reden, nicht ertaubt zu sein.“
Rashek kramte einen Stein hervor
und betrachtete ihn neugierig. „Was sind das für Dinger?“
„Ich nenne sie Kreischer.“, antwortete
Talaan mit einem gefährlichen Grinsen. „Marten wird sich wünschen, niemals
einen davon zu Gesicht bekommen zu haben. Sind Firrs Krieger bereit?“
Mit einem Achselzucken tat Rashek
den Stein zurück. „Wir sind bereit. Ich werde eine der Gruppen führen.“
Talaan wandte seine Aufmerksamkeit
von Kirra, an die er sich angeschmiegt hatte, mit hochgezogenen Augenbrauen
auf Rashek. „Du hast auf Deine alten Tage noch fliegen gelernt?“, stichelte
Talaan gutmütig.
„Du hast wohl zu gute Laune, hm?“,
brummte der Krieger. „Kirra, Du solltest diesem Jungspund mal den Kopf zurechtrücken.“
Dann konnte er sein Schmunzeln nicht mehr unterdrücken. „Es gibt nichts anderes,
was mich wieder derart jung fühlen lässt. Du hast uns ein großes Geschenk
mit diesem Zauber gemacht, junger Freund.“
Talaan legte dem Krieger eine Hand
auf die Schulter. Deutlich konnte er die festen Muskeln unter dem Fell spüren.
„Wenn Du einer der Anführer bist, habe ich keine Sorge um das Gelingen, Rashek.
Du wirst Deine Sache gut machen.“
„Lebt wohl ihr beiden und hoffentlich
sehen wir uns wieder. Ich mache mich jetzt auf den Weg, die Zeit drängt.“
Talaan hielt ihn noch kurz zurück.
„Übereilt euch nicht. Es ist den Ältesten lieber, wenn ihr einen Tag länger
auf dem Weg zum Feind braucht, als euch wegen Fehlern aus Erschöpfung zu verlieren.
„Keine Sorge, Talaan.“ Rashek blinzelte
ihm zu. „Ich alter Mann werde mich schon nicht überanstrengen.“
Als Rashek schließlich gegangen
war, sah Kirra Talaan mit neugierig schiefgelegtem Kopf an. „Wovon habt ihr
eigentlich die ganze Zeit gesprochen?“
Talaans Fröhlichkeit flackerte unruhig
wie eine sterbende Kerzenflamme. „Der Krieg hat begonnen, Kirra, und mit ihm
der Kampf gegen den Feind. Heute führen wir unseren ersten Schlag.“
Kirras Mine wurde ernst, aber nicht
ängstlich. „Ich werde der großen Bestie jedes Leben entreißen, das ich retten
kann.“, schwor sie mit entschlossener Stimme.
„Die große Bestie?“
„So nennen ihn die MaKri. Was ist
der Krieg, wenn nicht das? Er wütet blind und hungrig und verschlingt dabei
Leben auf beiden Seiten. Die Bestie wird der einzig wahre Sieger sein.“
„Du bist gewachsen, seit ich fortging.“,
musste Talaan bewundernd erkennen.
Kirra schmunzelte verlegen. „Ich
sehe jetzt einfach, was du vor Jahrhunderten begriffen hast. Wie wertvoll
das Leben ist. Es ist das größte und wertvollste Wunder des Schöpfers.“
Talaan neckte sie aufmunternd mit
dem Schwanz. „Die ehrwürdige Kirra, ja?“
Beschämt blickte sie zu Boden. „Du
hast schon davon gehört? Es mag ja sein, dass ich eine große Heilerin geworden
bin, aber sie übertreiben. Ich will diese Ehrung nicht, ich will nur das Leben
hüten.“
Zärtlich liebkoste Talaan ihr Ohr
mit seiner Zunge. „Ich bin stolz auf Dich, Geliebte. Ich kann mir nichts wunderbareres
vorstellen, als dass Du Deine Berufung in der Heilung gefunden hast. Ich würde
gerne sehen und von dir lernen, was Du erreicht hast. Dann kann ich selber
urteilen, ob sie übertreiben.“
Schüchtern lächelnd nickte sie.
„Ich zeige es Dir gerne.“ Und das tat sie dann auch und eine ganze Weile lang
kam er aus dem Staunen nicht mehr heraus.
Er erwachte aus einem gesichtslosen Traum,
der eine dumpfe Benommenheit in seinem Kopf zurückließ, welche das Denken
auf fiebrig anmutende Bahnen lenkte. Kirra lag neben ihm, einen Arm um seine
Hüfte geschlungen. Ihr Anblick beruhigt ihn, ihre Nähe gab ihm Halt.
Kirra,
dachte er froh und lächelte glücklich. Sie hatte in den letzten dreißig
Tagen viel gelernt und viel Neues entdeckt. Und sie hatte ihn in einer Stunde
mehr über die heilenden Kräfte gelehrt, als er in dreihundert Jahren herausgefunden
hätte. Sie war von Bestimmung her eine Heilerin, ihr Können, ihre Macht war
unglaublich. Das machte ihn froh. Und dennoch war sie die Alte geblieben,
so liebend, so anschmiegsam, so zärtlich wie am ersten Tag. Das machte ihn
auch glücklich.
Der Gedanke an sein Lernen brachte
ihm eine Ahnung an seinen Traum ein, doch so sehr er sich auch konzentrierte,
war es ihm unmöglich, etwas Klares zu fassen. Eine Vermutung jedoch blieb
zurück. Oft, wenn er schlecht träumte, kreisten seine Gedanken um Marten und
ihn selbst. Dem musste er sich stellen. Ohne zu wissen warum, rieb er sich
einen Punkt über der linken Schläfe.
Zärtlich nahm Talaan ihren Arm beiseite,
streichelte sanft ihre Stirn und schlich sich davon.
Als ihre Hände wie viele
Nächte zuvor vergeblich nach Talaan tasteten, dachte Kirra zunächst, sie hätte
seine Heimkehr nur geträumt. Dann sah sie jedoch eine dunkle Silhouette im
Rahmen der Tür stehen.
Wäre
er doch nicht zum Orakel gegangen. Ich mag es nicht, wenn er von sorgevollen
Gedanken geplagt wird. Sie hatte schon andere MaKri erlebt, die vom Orakel
in Gedanken versunken heimkehrten – und das, obwohl sie bereits den langen
Weg zurück gegangen waren, anstatt zu fliegen.
Leise, um ihn nicht zu stören, stand
sie auf. Wie viele Stunden sind es wohl
bis zum Morgen? Als sie sich ihm nährte, bemerkte sie, dass mit Talaans
Schattengestalt etwas nicht stimmte. Sie war menschlich. Und mehr als das
– es war eine menschliche Gestalt, die sie nicht kannte. Doch in keinem Augenblick
kam ihr in den Sinn, dass es nicht Talaan sein könne. Sie spürte es sicher
und unverrückbar in ihrem Herzen. Was
hat ihm das Orakel nur alles erzählt?
Mit behutsamer Stimme sprach
sie ihn an: „Geliebter?“
Überrascht drehte er sich zu ihr
um und lächelte dieses vertraute Lächeln, welches ihm in jeder Gestalt eigen
war. „Ich habe Dir noch nie etwas über mein erstes Leben erzählt, oder?“,
fragte er. Kirra schüttelte den Kopf. „Das will ich auch jetzt nicht tun.
Ich habe im Jungen Wald viele Tränen verloren über das Leiden der Welt, die
ich damals verlassen hatte. Und dennoch liegen dort meine Wurzeln, bin ich
immer noch mit ihr verbunden.“ Neugierig hob er seine rechte Hand und betrachtete
sie eingehend. „Obwohl ich mich nicht an alles erinnern kann.“ Er ballte seine
Hand zur Faust und sah zu, wie die Knöchel dabei hervortraten. „Wer bin ich?
Das Orakel hat mir begreiflich gemacht, dass dies die wichtigste aller Fragen
ist. Gleich, ob ich gegen Marten bestehen mag oder nicht. Ich darf mich nicht
von mir entfernen oder mich gar verlieren.“
Kirra nahm seinen Kopf zwischen
ihre Hände und sah Talaan eingehend an. Das Fell auf seinem Haupt war kurz,
beinahe so wie das eines Kri, braune Augen sahen sie zweifelnd an, eine dreizackige
Narbe zeichnete sich blassrot über seiner linken Schläfe ab. An sonst sah
er aus wie jeder andere Mensch auch – sie konnte sie nicht auseinanderhalten.
„Wer Du bist?“, sie schüttelte schmunzelnd
den Kopf und küsste einen sehr überraschten Talaan. „Du hast die dumme Angewohnheit,
über den großen Fragen der Gelehrten zu grübeln.“ Sie kostete erneut von seinen
weichen, nackten Lippen. „Es gibt so viele Antworten auf diese Frage. Eine
davon könnte lauten: ‚Du bist der Mann, den ich liebe.’ Eine andere wäre:
‚Du bist der Weltenwandler Talaan, der Großes für unser Volk tut.’ Aber niemals
wird sie lauten: ‚Du bist, was Du nach außen zu sein scheinst.’“ Zärtlich
streichelte sie seine Wange, bevor sie einen Kopf losließ. „Du hast es selbst
zu mir gesagt: Dein Kern, du nanntest es Dein Ich, bleibt Dir treu, ganz gleich,
welche Gestalt du trägst.“
Ein wenig erleichtert wirkend lächelte
er sie an. „Es ist gut, dass Du mich an meine eigenen Worte erinnerst, Kirra,
aber dennoch... Menschen verändern sich, das ist ihre Natur. Und egal, was
ich jetzt auch bin – meine Wurzeln sind menschlich. Menschen verändern sich
im Laufe ihres Lebens. Sie verfolgen ihre Träume bis diese entweder erfüllt
oder meist bis sie wieder vergessen sind. Sie werden hart durch andere harte
Menschen, teilnahmslos durch andere Gleichgültige, lassen sich einfangen durch
Geld und Besitz oder verbittern an einer harten, gleichgültigen, neiderfüllten
Welt.“
„Nicht alle Menschen können so sein.“
„Nicht alle Menschen, nein. Aber
kann ich von mir behaupten einer der Wenigen zu sein?“ Traurig schüttelte
er den Kopf. „Nicht ganz und gar, vielleicht sogar weniger, als ich mir eingestehen
mag. Hat die Sehnsucht nach Stärke aus mir einen Blitze schleudernden Maigan
gemacht oder war es das Schicksal? Ich stehe auf schmalem Grad, Kirra, denn
Macht verführt die Menschen. Wie kann ich über Jahrtausende meinen Weg gehen
ohne zu straucheln, ohne mir fremd zu werden?“
„Die weise Rerrena hat uns einmal,
als sie in unserem Dorf lehrte, von einer Suchenden berichtet, die dem Orakel
eben jene Frage stellte: ‚Wer bin ich?’ Das Orakel antwortete nur: ‚Ich kann
Dir diese Frage beantworten, aber sobald Du die Antwort vernommen hast, werden
meine Worte schon nicht mehr ganz richtig sein.’“ Ich habe nicht so recht
verstanden, was diese Worte bedeuten sollen, Rerrena sagte nur, wir sollten
wie die Suchende auch darüber nachdenken.“
Talaan nickte bedächtig. Jene Worte waren die bessere Antwort gewesen.
„Ich verändere mich. Alles, was ich erfahre, selbst meine Gedanken, bedeuten
Wandel. Das ist es, was das Orakel meinte. Zu leben bedeutet, sich zu verändern.“
Er zerraufte sich grübelnd seine Haare. „Die Frage ‚Wer bin ich?’ muss ich
mir wohl immer wieder aufs Neue stellen.“
Kirra
neigte ihren Kopf zur Seite und musterte ihren Mann eingehend. „Wie kommt
es, dass Du das nach einem Jahrtausend bei den Elfen noch nicht gelernt hast?
Sie waren ein weises Volk, sagst du.“
Verträumt lächelte Talaan, als er an das Schöne Volk dachte und ihm
die Erkenntnis in den Sinn kam. „Ich habe mich nicht verändert. Nicht so jedenfalls,
wie man das sonst tut. Ich wurde verändert. Die Veränderung floss in den Jahrhunderten
durch mich hindurch, könnte man sagen.“
„Das verstehe ich noch weniger.“, murrte Kirra verwirrt. Sie mochte
es gar nicht, wenn sie sich dümmer als Talaan vorkam.
“Ich auch nicht. Aber es ist die Wahrheit. Das sagt mir mein Herz.
Der Junge Wald war ein Ort des alles durchdringenden Friedens. Veränderung
war nicht nötig, nehme ich an. Sie kam unmerklich einfach mit der Zeit. Friedlich,
sozusagen.“ Er verstummte kurz, um über seine Worte nachzudenken und nickte
schließlich. „Die Elfen würden mich für diese simpel geratene Erklärung vermutlich
sanftmütig belächeln und mir an den Feuern vieler Abende erzählen, wie es
wirklich ist, aber mir will sie genügen.“
„Und was tust du nun?“
„Weiter nachdenken, nichts anderes
bleibt mir übrig. Dass Veränderung auf immer ein Teil des Lebens ist bringt
wieder nur die Frage hervor: Wie werde ich wissen, welche Veränderung zum
Guten und welche zum Schlechten gereicht? Denke ich an Marten, so schaudert
es mich. Wie soll ich verhindern, Schritt für Schritt wie er zu werden? Große
Ziele erfordern manchmal Opfer und wenn es nur Teile meiner alten Überzeugungen
sind. Ist es denn derart unmoralisch das Geschick eines Volkes durch die Figur
eines Königs zu lenken?“
„Um Gutes zu tun vielleicht nicht.“,
erwiderte Kirra nach reichlichem Nachdenken. „Marten hingegen hat klar offenbart,
was er im Schilde führt.“
Talaans Blick wanderte ins Leere,
als sein inneres Auge zu einem von ihm beherrschten Land reiste. „Selbst bei
guten Absichten kann so leicht Leid entstehen, nur weil mein Verstand das
Wohl eines Bauern angesichts des großen Ziels als unwichtig erachtet.“
Die Stimme Kirras war weich und
nachsichtig, als sie antwortete: „Der Unterschied zwischen Marten und Dir
sind jene, die Dich auf Deinem Weg begleiten, Talaan. Marten hat niemanden,
der ihm hilft, andere Pfade als die seines Verstandes zu sehen. Niemanden,
der ihm hilft jedes mal aufs neue einen Wandel zum Schlechten zu bemerken,
niemanden um dessen Willen er diesen neuen Zug seines Wesens ändern bräuchte.
Es ist niemand da, der ihn von Verbitterung, Missgunst und zu großer Härte
fern hält.“
Gedankenverloren kratzte Talaan
seinen Nacken. Was Kirra sagte, ergab Sinn, selbst in Bezug auf das, was sie
noch nicht wissen konnte: dass er durch Träume und Wünsche seine kommenden
Leben beeinflusste. Er hatte nicht Stärke jenseits jeder Kontrolle gewählt,
sondern schöpfte seine innere Stärke, seinen Rückhalt und seine Macht gegen
Marten aus der Gesellschaft der MaKri. Er hatte sich bewusst für aterbliche
Schwäche entschieden und so seinen Weg gewählt, sich nicht an zu viel Macht
zu verlieren.
Und eines mehr wurde ihm bewusst:
Jene Veränderung, welche ihm im Jungen Wald widerfahren war, gab ihm ein wertvolles
Fundament, auf das er in diesem und kommenden Leben den rechten Weg bauen
konnte. Das Wunder des Lebens und der Wert der Freiheit hatten über die Jahrhunderte
seine Seele durchdrungen.
Er hatte Frieden gefunden, tiefen,
in sich selbst hatte er ihn entdeckt und wie eine seltene Orchidee gehegt
und gehütet. Doch wo war dieser Frieden jetzt? Wie sollte er ihn wiederfinden?
Kirras Arme schlossen sich um ihn
und waren für den Moment Antwort genug. „Hör auf zu grübeln, Geliebter, und
komm’ ins Bett.“ Ihre Stimme war Balsam, lockender, wohltuender Balsam. „Ich
habe einen Monat lang ohne Deine Nähe schlafen müssen. Jetzt will ich nicht
noch eine Nacht allein verbringen.
Lächelnd küssend schmiegte Talaan
sich in ihre Umarmung und schnurrte. Aus seiner menschlichen Kehle klang das
ein wenig seltsam, aber das entlockte Kirra wenigstens ein Lächeln. „Du hast
Recht, lass uns schlafen.“
Als Talaan am
nächsten Tag mit Sorral zusammen saß, um mit ihm gemeinsam eine Möglichkeit
zu suchen, Geistessymbole zu vereinen, fiel es ihm nicht leicht, sich darauf
zu konzentrieren. Immer wieder musste er an jede Frauen und Männer denken,
die an diesem Tag dem Feind entgegen gingen.
„Die Zeit ist nahe, da sich deine
Worte als wahr erweisen werden, mein Freund.“, durchbrach Sorral seine wandernden
Gedanken und holte ihn zurück ins Hier.
„Verzeih, ich war...“
„...abgelenkt.“ Sorral wandte seinen
Blick nach Westen. Von dem Holzweg um Talaans Hütte herum konnte man freilich
nicht weit sehen, aber Talaan wurde bewusst, dass auch Sorral an jene dachte,
die in den Kampf zogen. In den Kampf... befremdliche Worte einer befremdlichen
Zeit.
„Viele von uns werden töten, doch
kaum einer wird ein Held sein wollen, selbst wenn er tapfer das Leben anderer
verteidigt hat. Nur Narren dienen der Großen Bestie mit Freude.“
Talaan seufzte bedrückt. „Es will
mir nicht aus dem Kopf gehen, dass ich es war, der sie aussandte. Und ein
Irrtum könnte sie alle das Leben kosten.“
Ernst und nachdenklich saß ihm Sorral
gegenüber und Talaan war froh, einen erfahrenen Mann an seiner Seite zu wissen,
mit dem er seine Sorgen teilen konnte. „Um diese Bürde beneide ich Dich wahrlich
nicht, Talaan. In Zeiten wie diesen aber brauchen die MaKri jene, die solche
Last ertragen, denn ohne starke Führung kann unser Volk nicht einig handeln.“
Sorral hielt einen Moment inne und fragte dann einfühlsam: „Weißt Du, warum
Du einer jener bist, die diese Verantwortung tragen?“
Es brauchte nicht viel Zeit, eine
Antwort zu finden. „Es ist Schicksal.“, erwiderte Talaan voller Überzeugung.
„Ja, es ist Schicksal. Sicherlich
hast Du Dich niemals gefragt, weshalb die MaKri uns weiterhin Maigan nennen,
obwohl nun jeder über Magie gebieten kann.“
Talaan schüttelte mit dem Kopf.
„Ich hielt es für einen Brauch.“
„Maigan bedeutet stets ‚vom Schicksal
erwählt’, denn das sind wir.“ Ein nahezu väterliches Lächeln huschte über
Sorrals Gesicht. „Obgleich Deine Rolle ohne Frage größer als die meine ist.
Aus diesem Grund sind wir beide es, die hier sitzen, um eine neue Waffe gegen
den Feind zu schmieden. Da wir Maigan sind, verlässt sich unser Volk auf uns.“
Ermutigt straffte Talaan seine Haltung.
„Recht hast du. Sie verlassen sich auf uns. Lass uns weitermachen.“ Und nach
einer Zeit des einvernehmlichen Schweigens: „Danke, Sorral.“
Zunächst versuchten sie eine Verbindung
durch einen Heilzauber, doch so ähnlich sich die Ströme der Magie und die
des Lebens auch waren, konnte keiner das Geistessymbol des Anderen sehen oder
gar berühren. Ein Versuch, genau zeitgleich den Kältezauber zu beschwören,
führte nur dazu, dass ihnen sehr kalt wurde, brachte aber nicht die erhoffte
Verstärkung des Zaubers. Als Talaan mit einer leichten Form der Geisteskontrolle
Sorral dazu brachte, Magie zu wirken, konnte er seine Energie dennoch nicht
mit Sorrals vereinen. Letztlich mussten sie einsehen, dass wildes Ausprobieren
nicht fruchtete, nachdem Sorral von einem völlig unkontrollierten Blitz getroffen
wurde - sie hatten sich beim Formen der Zauber zu intensiv aufeinander konzentriert.
„Das bringt so nichts.“ Sorral richtete
sich mit einem matten Stöhnen wieder auf. „Sollte jemand beobachten, wie ein
Maigan den anderen einfriert oder brät, ist es vorbei mit unserem Ruf der
Weisheit.“
Talaan lächelte halb belustigt,
halb zerknirscht und wirkte einen Heilzauber auf seinen Freund. „Du meinst,
wir sollten lieber unseren Verstand gebrauchen?“
„Unbedingt.“ Sorral rieb die Stelle,
an welcher der Blitz seine Schulter durchschlagen hatte. „Die Zeit zum Spielen
ist vorüber. Du, der einst Mensch warst und dich auf ihre Zauberkunst verstehst,
solltest besser als jeder andere sonst ergründen können, was unsere Magie
von ihrer unterscheidet. Was an ihr bewirken soll, was das Orakel offenbarte
und was den Menschen aber verwehrt bleibt.
„Wir sprechen die Zauber nicht,
wir formen sie in unserem Geist. Das weißt Du.“
Sorral lehnte sich zuversichtlich
an die Wand der Hütte. „Da ist noch mehr, denk nach.“
„Wir formen die magischen Ströme
so, dass sie ihre Macht entfalten können.“
„Aber die Menschen können das nicht?
Wie formen sie die Ströme?“ Sorral klang bemerkenswert entspannt.
Talaan überlegte sich die Antwort
reiflich. Es war alles andere als leicht, das
zu erklären. „Es ist am ehesten so, das sie den Strömen der Magie Befehle
erteilen. Sie zwängen ihr ihren Willen durch Worte, Gedanken und Gesten auf.
Sie befehlen ihr, was sie bewirken soll.“
Sorral richtete sich hellwach auf.
„Die Menschen formen die Magie nicht? Sie...“, er schmunzelte ungläubig, „...
sagen ihr, was geschehen soll?“
So recht vermochte Talaan seine
Begeisterung nicht zu verstehen und nickte nur verhalten.
„Diese... rohe, ungeformte Magie...
Was ist sie? Wo ist sie, bevor wir sie uns Untertan machen?“
Lächelnd schüttelte Talaan seinen
Kopf. „Niemand kann sie sich Untertan machen, Sorral, außer der Schöpfer vielleicht,
denn sie ist gewaltig und allgegenwärtig. Sie durchdringt alles, deshalb kann
sie so viel bewirken. Stell sie Dir wie einen gewaltigen Stoff vor, von dem
du winzig kleine Fädchen kurze Zeit in andere Bahnen lenkst.“
„Ha!“ Begeistert schlug Sorrals
linke Faust in seine rechte Hand. „Das ist die Antwort: Wir müssen lediglich
an den gleichen Fäden knüpfen.“
„Sorral, es ist nur...“ ...ein Sinnbild?
Diese Worte blieben in seinem Hals stecken. Natürlich war die Magie mit einem
Gewebe zu vergleichen nur ein Sinnbild, doch waren die Geistessymbole nicht
genau das Gleiche? Ein Symbol für das Formen der Magie, wie fremdartig die
Wahrheit hinter den Bildern, hinter den Grenzen des Verstandes auch aussehen
mochten? „Sorral, um den Ruf Deiner Weisheit brauchst Du Dich nicht zu sorgen.
Lass es uns versuchen. Wenn jeder von uns an diesen Fäden zieht, können wir
vielleicht ein Tau anstatt einer Schnur knüpfen.“
Es
war die vierte Nacht ihres Aufbruchs und Rashek wusste insgeheim, dass sie
zu sehr geeilt und zu wenig geruht hatten. Die MaKri unter seiner Führung
waren erschöpft. Erschöpft, aber dennoch entschlossen, noch heute Nacht zuzuschlagen.
Darauf hatten sich alle Führer geeinigt, als sie den Feind erblickt hatten.
Es war schon bei Tage schwer gewesen,
ihn zu übersehen, doch jetzt, in der Nacht, verbreitete seine Zahl einen viel
größeren Schrecken. Die unzähligen Lichtflecken der Lagerfeuer verwandelten
die nachtschwarze Savanne in ein Sternenmeer, welches die Gestirne weiter
oben erblassen ließ - vor Neid, wie es schien. Die Herren der Feuer blieben
indes verborgen und überließen es den Flammen, die Botschaft ihres Kommens
zu verkünden.
So schwebten Rashek und seine Krieger
weit über den Sternen der Menschen, verborgen im Nachthimmel unter echten
Sternen und warteten auf ihre Zeit. Die Zeit, um hinabzusteigen und die Zeichen
ihres eigenen Kommens zu hinterlassen. Er blickte auf den sanft pulsierenden
Opal in seiner Hand hinab. Wenn er erlosch, in den Händen aller Führer zur
selben Zeit, war es soweit.
Sein Blick glitt von dem schwachen
magischen Glimmen in seiner Hand hinab in die Tiefe zu dem arkanen Leuchtfeuer
im Lager des Feindes. Die Kristalle, für Menschenaugen in Schatten gehüllt,
wiesen den MaKri strahlend, flammend blau ihren Weg.
Bald. Ein guter Jäger verstand es
zu warten. Mit einer stummen Geste holte er die MaKri seiner Gruppe zu sich
heran. „Ein letztes Mal. Wir steigen im Ring hinab. Tötet alle Wachen des
Kristalls. Sind noch mehr Menschen in der Nähe, greift sie an, lenkt sie ab.
Grrish und Schauurri, schlagt auf das Kristall ein und zaubert ein wenig,
ohne euch zu verletzen. Der Feind muss unter allen Umständen glauben, dass
dies unser eigentlicher Angriff ist.“
Alle nickten ernst, nur Schauurri
konnte ihren vorlauten Mund nicht halten. „Und was, wenn ich den Kristall
mit meinem Speer in Stücke haue?“
„Dann bekommt Dein wundersamer Speer
einen Platz in unserer Ruhmeshalle, Flauschohr.“
Alle lachten, selbst die zurechtgewiesene
grünschnäblige und es war gut so.
„Keine Heldentaten.“, ermahnte sie
Rashek ein letztes Mal. „Sobald ich das Zeichen gebe, gibt es nur noch den
Weg nach Hause.“
Der Opal in seiner Hand erlosch.
„Auf, Krieger des Waldvolks! Lasst unsere Feinde die Nacht fürchten lernen!“
„Effendi!
Effendi!“
Beim zweiten Anruf seines Titels
saß der Befehlshaber bereits hellwach in seinem Bett. Eine Störung mitten
in der Nacht konnte nur Ärger verheißen. „Nun sprich schon.“, knurrte er den
Soldaten an, der am Eingang seines Zeltes aufgeregte Unruhe verbreitete.
„Ein Angriff auf das Artefakt des
Hofzauberers, Herr. Die zehn Wachen sind tot, doch wir konnten die Angreifer
vertreiben. Es ging aber viel zu leicht - ich bin beunruhigt!“
„Schäden?“ Es graute ihm vor der
Vorstellung, er würde dem König den Verlust eines Kristalls zu verantworten
haben.
Der Soldat wollte gerade zu einer
Antwort ansetzen, als ein seltsam heulender Laut einsetzte. Der Effendi sprang
auf, warf sich ein Gewand über die Schultern und eilte hinaus. Das Heulen
wurde immer höher, während er sich dem Kristall näherte und dann begann etwas
absonderlich schönes - der Kristall begann zu singen.
Das hohe Heulen wurde reiner, klang
in Harmonie mit dem Kristall und dieser sang immer klarer, immer Lauter. Es
war ein vollendet schöner Ton, voll Freude und Reinheit, wie es der Effendi
noch nie zuvor aus der Kehle einer Frau oder dem Bauch eines Instruments gehört
hatte. Er konnte die Ohren davor nicht verschließen, obwohl die Stärke des
Klanges schmerzte.
Und dann zerbarst der gewaltige
Kristall vor den Augen des entsetzten, entzückten Generals und der gewaltig
schöne Ton mit ihm.
Erst nach einiger Zeit wurde ihm
bewusst, dass der Klang nicht nur in seinen Ohren nachhallte, sondern immer
noch an sie drang. Seine Augen entdeckten einen Stein, vermutlich von viel
Wasser rund geschliffen, von dem der sterbende Ton ausging. Teufelswerk der Dämonen!, dachte er zornig.
Er versuchte das Geheimnis des unscheinbaren Unglücksbringers mit bohrenden
Blicken zu ergründen, während er nachdachte, wie er das dem König, viel schlimmer noch - dem Hofzauberer des Königs selbst
- erklären sollte.
Die Toten ganz in seiner Nähe sah
er nicht.
„Beim Schöpfer.“,
hauchte Firr entsetzt. „Wie sollen wir gegen solche Übermacht bestehen?“
Die Ratsmitglieder verfolgten ernst
und besorgt den Flug des magischen Auges, welches seit geraumer Zeit von Süden
kommend die Truppen des Königs überflog. Stumm zählte jeder von ihnen die
Fünfhundertschaften, die in ordentlich getrennten Lagern rastend leicht zu
erkennen waren. Der nächtliche Angriff hatte die Feldherren einen Tag lang
aufgehalten, doch die Freude darüber erstickte in den Herzen der MaKri unter
der Last dessen, was sie sahen.
Keiner wagte es laut auszusprechen,
als die Zahl in ihren Köpfen die Hundert überschritt und so ihre Befürchtungen
noch übertraf. Eigentlich war sie auch bedeutungslos. Was sagte schon das
Wort „Fünfzigtausend“, wenn man die schiere Masse aus Mensch und Stahl mit
eigenen Augen erblickte?
Plötzlich hoben sich hoffnungsvoll
alle Köpfe, als das Auge nur noch das satte, grüne Gras der Savanne zeigte.
„Einhundertund...“, brachte Jirr gerade noch hervor, bevor weitere Soldaten
erschienen.
„Ein Kristall hat überdauert.“,
brummte Tonri.
„Haben wir eine Gruppe verloren
oder waren es nicht genug?“, grübelte Mahi laut.
„Ich habe genug Kreischer für fünfzig
Kristalle erschaffen.“, warf Talaan ein, während er in seinem Kopf weiterzählte
und die drei Fünfhundertschaften hinzunahm, die in der Lücke wohl verborgen
blieben. „Ich hoffte allerdings, dass es viel zu viele sein würden.“
„Lasst das Raten.“, beendete der
Häuptling die Diskussion mit knappen Worten. „Wenn unsere Männer und Frauen
heimgekehrt sind, werden wir es wissen.“
„Der König hat den besten Zeitpunkt
für seinen Angriff gewählt.“, lenkte Mani das Gespräch in eine vollkommen
andere Richtung. Die ehemalige Effenda des Königs wirkte von allen am wenigsten
beeindruckt von der Armee dort draußen. „Die Savanne ist nach der Regenzeit
bei weitem nicht so lebensfeindlich wie in den restlichen Monaten des Jahres.
Geringe Hitze, reichlich Nahrung und vor allem Wasser. Ich hätte ahnen sollen,
dass er jetzt angreift.“ Ihr Blick driftete davon, als ihr etwas in den Sinn
kam. „Das Wasser...“ Sie sah Shaila zunächst abschätzend, dann zunehmend hoffnungsvoll
an. „Ihr versteht euch doch auf Kräuter. Giftige wie heilende, nicht wahr,
ehrwürdige Shaila?“
Das Gesicht der Kräuterfrau verzog
sich zu einem ablehnenden Ausdruck. „Ich werde mein Wissen NIEMALS missbrauchen,
um auch nur einen Soldaten, sei
er Mensch oder nicht, zu vergiften, Mani. Dieser Gedanke allein ist unehrenhaft.“
„Aber versteht ihr nicht?“ Mani
war in heller Aufregung. „Mit einem langsam wirkenden Gift ließe sich ein
nicht auszudenkender Teil dieser Armee aus dem Weg räumen.“
„NEIN!“ Shaila war nun wahrhaftig
zornig.
Der Effenda ging es genauso. „Es
könnte euer Sieg sein! Euer Überleben!“, rief sie inbrünstig.
„NEIN!“
„Warum nicht, verdammt?!“
Mani wie Shaila waren halb von ihrem
Kissen aufgestanden, als Firr mit samtigweicher Stimme sagte: „Weil wir MaKri
sind, Mani.“
Die Effenda stutzte, seufzte und
setzte sich wieder. „Verzeiht, ich habe vergessen, wie anders ihr seid.“,
sagte sie beschämt. Talaan staunte im Stillen, welchen Einfluss Firr auf seinen
Schützling hatte. Offenbar hatte er sich viel Zeit genommen, ihr von den MaKri
zu erzählen.
Doch Mani ließ sich nicht so einfach
abweisen, selbst wenn ihr die Enttäuschung deutlich anzusehen war. „Lieber
sterbt ihr?“
Shaila glättete einige der Zornesfalten
auf ihrer Stirn. „Wenn wir unsere Feinde feige vergiften sterben wir auch.“
Mani nickte niedergeschlagen. „Auf
eine andere Weise.“ Traurig schüttelte sie den Kopf. „Ich kann euch sogar
verstehen...“
Abwägend wiegte Shaila ihren Kopf
und vertrieb dann die letzten ihrer Falten.
„Wer will die Zahl wissen?“, fragte
Tonri finster. Das magische Augen überflog jetzt nur verlassene Savanne und
zeigte auch nach einigem Warten nichts als Gras.
Es wunderte niemanden, dass keiner
antwortete.
Und der Krieg
ging weiter. Jenseits der Blicke der meisten MaKri ging Angriffswelle um Angriffswelle
auf dem Feind nieder, säten Angst und Tod. Mani hatte eine wirkungsvolle Strategie
entwickelt, die Menschen zu schwächen. Sie nannte es ‚den Schlangen die Köpfe
abschlagen’. Viele Effendis starben, bevor die restlichen lernten, sich nicht
mehr durch prächtige Zelte und glanzvolle Rüstungen von den gemeinen Soldaten
abzuheben. Der Vormarsch des Königs geriet in Unordnung, geriet ins Stocken.
Dennoch machte sich unter den daheimgebliebenen
keine Begeisterung über die Siege breit. Viel zu deutlich sprachen die Gesichter
der zurückkehrenden Krieger vom Tod. Viel zu deutlich machten ihre Worte klar,
dass es der Menschen dort draußen in der Savanne einfach zu viele gab, um
sie aufzuhalten. Ihr Kampfeswille war ungebrochen, doch sie waren keine Narren,
sich ihrer Mückenstiche gegen den stahlbewehrten Riesen zu sehr zu freuen.
Immer mehr zauberkundige MaKri trafen
in den Siedlungen am Rande des Dschungels ein und machten durch ihre Zahl
immer deutlicher, dass Krieg herrschte. Einige von ihnen wurden dem Schutz
der Grenze zugeteilt, andere eilten jenen zur Seite, welche die nächtlichen
Angriffe führten.
Talaan bekam von all dem nicht viel
mit. Er arbeitete zusammen mit Sorral verbissen an der Vereinigung der Geistessymbole.
Am neunten Tag gelang ihnen das Wunder.
Unzählige MaKri
hatten sich auf der großen Lichtung am Rande der Großen Stadt versammelt.
Wie ein Lauffeuer hatte sich die Neuigkeit verbreitet, dass der erwählte Maigan
und einige andere Zauberwirker eine neue Waffe gegen den Feind erdacht hätten
und an diesem Nachmittag zum ersten Male erproben wollten. Es schien beinahe,
als wären es sogar mehr als bei der Heimkehr der Friedensgesandten vor der
Regenzeit, die nun freudig lärmend auf ein Spektakel warteten. Sehnsüchtig
dachte Talaan an jene schöne Zeit.
„Könnt ihr beginnen?“, fragte Firr
zum wiederholten Male. Er ließ seinen Blick über die Magier schweifen, welche
die Vereinigung bewirken sollten.
Talaan musterte ihn schmunzelnd.
„Wenn ich Dich nicht besser kennen würde, Häuptling, würde ich denken, Du
wärest aufgeregt wie ein Kind an seinem Geburtstag.“
Firr zuckte murrend mit seinen Ohren.
„Dass Du auch nie ernst bleiben kannst.“
Zufrieden, dass er ihn ertappt hatte,
erwiderte Talaan gelassen: „Das letzte, was wir verlieren dürfen ist unser
Humor, nicht wahr?“ Als Firr erneut mit den Ohren zuckte, hob er beschwichtigend
die Hände. „Es ist alles bereit.“
Der Häuptling trat in Richtung der
Wartenden und gebot mit einem Handzeichen Ruhe. Der Lärm wurde zum Raunen,
verebbte schnell zu vereinzeltem Zischeln und wich dann gespannter Stille.
Jeder war begierig zu sehen, was nun geschah.
„Freunde!“, rief Firr den MaKri
entgegen. „Dies ist ein denkwürdiger Tag.“ Talaan beschlich das Gefühl, dass
Firr lange an dieser Rede gefeilt hatte. Lange, bevor der Erfolg überhaupt
feststand. „Ihr alle wisst inzwischen, welche Worte der erwählte Maigan Talaan
vom Orakel empfing. Das Erwachen unseres Volkes war bisher nur ein Dämmern.
So außerordentlich erstaunlich unsere magische Gabe auch ist, waren wir doch
nur wie Kinder im Umgang mit ihr. Heute aber sollt ihr sehen, welch großartige
Zukunft uns erwartet!“
Heftiger Jubel schlug dem Redner
entgegen. Annerkennend musste Talaan feststellen, dass selbst ihn die feurigen
Worte des Häuptlings ergriffen. Firr wusste, was er tat.
„Jene, die dem Feind bereits entgegen
zogen, säten zu Recht Zweifel in unseren Herzen, ob wir in diesen Krieg bestehen
können. Diese Zweifel sind nun vorbei!“ Firr wandte sich ernst den Zauberwirkern
zu. „Maigan, Du hast das Wort.“
Ebenso ernst verneigte sich Talaan
vor dem Ältesten, setzte dann ein schelmisches Lächeln auf und sprach zu der
Menge. „Nun, da der ehrwürdige Firr seine aufrüttelnden Worte gesprochen hat,
finden sich doch bestimmt Freiwillige, die an einem kleinen Wettstreit teilnehmen
wollen.“ Unzählige Hände schossen empor und Talaan wählte zwölf von ihnen
aus, die stolz nach Vorne traten.
„Sehr schön.“ Talaan deutete in
Richtung einiger gewaltiger Holzblöcke, die einst Teil eines Riesenbaumes
waren. „Wie ihr seht, haben wir dort zwei Reihen aufgestellt, fein säuberlich
hintereinander. Die rechte gehört euch, die linke uns.“ Mit einer Geste umfasste
er sich, Sorral und vier weitere Magier. „Welche Gruppe zuerst ihre sechs
Stammscheiben zerteilt hat, gewinnt.“
Eine junge Frau der Ausgewählten
hob zögerlich die Hand. „Was hat es mit dem großen Fels auf sich?“ Sie deutete
auf den Gesteinsbrocken, der hinter Talaans Reihe stand.
„Das werdet ihr schon noch sehen.
Seid ihr bereit?“ Die Herausgeforderten nickten.
„Dann los!“
Magische Auren flammten auf, als
die Freiwilligen ihre Kampfzauber beschworen. Feuerbälle und Kugelblitze schlugen
auf den ersten Block ein, sprengten große Stücken aus dem Holz. Weitere folgten
und fraßen sich einem Hagel gleich immer tiefer durch den Stamm, bis er schließlich
krachend zerbarst.
Die Zwölf schauten zu der Reihe
der Herausforderer und hielten verwundert inne. Nicht ein Kratzer war zu sehen
und die Sechs beobachteten sie neugierig. Sorral nickte ihnen aufmunternd
zu. „Nur weiter.“
Ein wenig irritiert setzten sie
ihre Zerstörungswerk fort, ließen ihren Kräften freien Lauf und spalteten
so nach und nach
Block zwei und drei. Talaans Gruppe plauderten angeregt, diskutierten Feinheiten
in den Beschwörungstechniken der Herausgeforderten und riefen ihnen Ratschläge
zu, sehr zur Erheiterung der versammelten Menge.
Als der vierte Holzblock unter den
Angriffen der Zwölf zu ächzen begann, nickten sich die Herausforderer zu und
stellten sich nebeneinander auf. Zum Erstaunen aller MaKri entstand ein Geistessymbol
in der Luft vor ihnen, größer und kraftvoller, als es je zu vor einer gesehen
hatte. Die Magier um Talaan fügten jeder ihren Teil dazu, stellte Verbindungen
zum Stück des Nachbarn her, füllten all ihre Kraft hinein. Es kostete einiges
an Zeit, da die Kräfte schwerer zu kontrollieren waren, doch mit dem Bersten
des vierten Stammes war es vollendet.
Das Symbol gleißte, ein Kugelblitz
wuchs in seinem Innern, verschlang mit seinem eigenen Gleißen die Linien des
Zeichens, als er immer mehr wuchs. Ohrenbetäubendes Knistern erfüllte die
Luft, als er auf die Holzreihe der Herausforderer zuraste, mühelos durch alle
Blöcke brach und donnernd den Felsbrocken in tausend Stücke zersplittern lies.
Ein Augenblick absoluter Stille
setzte ein. Sogar Talaan war beeindruckt und bemerkte den begeisterten Jubel,
der kurz später ausbrach, erst nach einiger Zeit. Selbst die Verlierer dieses
Wettkampfes strahlten und überhäuften Talaans Zauberer mit wissbegierigen
Fragen.
Firr versuchte vergeblich mehrmals,
Ruhe für seine abschließenden Worte zu erlangen und gab es dann freudig lächelnd
auf. Dies war ein guter Tag für die MaKri.
Das
Zwielicht war gerade der Nacht gewichen, als Kirra am nächsten Abend ihre
Hütte betrat und diese verlassen vorfand. Ein wenig traurig zog sie ihr weißes
Gewandt aus und warf es achtlos beiseite. Sie hatten sich doch vorgenommen,
einen schönen Abend miteinander zu teilen, wie hatte er das vergessen können?
Vielleicht war ja etwas geschehen, das Talaans Anwesenheit im Ältestenrat
verlangte. Vielleicht kam er ja bald zurück?
Sie ging zu jenem Teil der Hütte,
in dem sie ihre Mahlzeiten aßen und stutzte. Es fehlten einige Teller, Schalen
und Becher, auch der Tonkrug mit dem erjagtem Fleisch war fort. Schmunzelnd
erkannte sie, dass Talaan etwas vorhatte.
Das Gefühl, jemand würde sie beobachten,
lies sie herumschnellen, doch niemand war zu sehen. Doch inzwischen richteten
sich sogar ihre Nackenhaare auf, eine untrügliche Warnung ihres Instinkts,
dass jemand ganz nah sein musste. Sie schaute sich erneut um, das Gefühl blieb
aber an ihrem Hinterkopf haften wie Honig. Knurrend ließ sie sich urplötzlich
zu Boden fallen und sah nun über sich ein magisches Auge schweben, welches
näher kam und ein Fragezeichen in die Luft malte.
Kirra musste schmunzeln. „Talaan?“
Die Sphäre wippte mehrmals auf und ab. „Schämst Du Dich nicht, mich so zu
necken?“ Das Auge schwang dreimal hin und her. „Wo bist du?“ Langsam schwebte
das magische Auge in Richtung Tür davon und Kirra eilte sich, ihm zu folgen.
Kaum dass sie draußen war, stieg es nach oben und verschwand über dem Strohdach
der Hütte. Nun wusste sie, wo Talaan zu finden war.
Ohne Hast erklomm sie den Stamm
des Riesenbaums und verscheuchte immer wieder lachend das Auge, welches verspielt
um sie herumflog. Sie brachte die letzten großen Äste hinter sich, steckte
den Kopf durch das Blätterdach und hielt staunend inne.
Unzählige Kerzen trieben gemächlich
in der Luft und warfen ihr goldenes, mildes Licht auf eine reich gedeckte
Tafel, die ebenso schwerelos in der Luft über einem Ast schwebte. Talaan stand
außerhalb des Lichtkreises und deutete einladend auf das Essen. „Schön, dass
Du mich gefunden hast. Mach es Dir gemütlich, Geliebte.“
Von eine warmen Freude erfüllt,
tat sie, wie ihr geheißen und blickte sich lächelnd um. „Wie lange ist es
her...“
„...dass wir hier oben waren?“ Talaan
streichelte ihr sanft die Wange, während er ihr kühlen Mangosaft eingoss.
„Viel zu lange, denke ich. Warum vergessen wir immer die kleinen Freuden so
leicht, die uns geschenkt werden?“
Kirra stahl ihm einen Kuss, bevor
sie antwortete. „Du hattest viel zu tun. Und da war noch die Rish-Kawjular.“
Er machte es sich nun ebenfalls
am Tisch gemütlich und reichte ihr ein Schüsselchen gefüllt mit dampfenden,
unglaublich lecker gewürzt riechendem Fleisch. „Es gibt immer Gründe, die
einen abhalten, nicht wahr?“
„Dabei ist es so schön hier.“, seufzte
Kirra wonnig und sog die milde Nachtluft tief ein. „Ich erinnere mich gerne
an die Nacht, in der ich Dich hier oben zum ersten mal aufgespürt habe.“
„Und ich denke, Du bist froh, entgegen
Deiner Androhung Girrad nicht geheiratet zu haben.“ Talaan schenkte ihr ein
derart wunderbar verliebtes Lächeln, dass sie lachen musste.
„Heilfroh. Mein Mann.“
Eine Weile aßen sie schweigend,
genossen die Gegenwart des Anderen, die Stille, den Frieden. Die hauchdünne
Mondsichel bot den Sternen die Gelegenheit, in aller Pracht zu funkeln während
die Bäume in Dunkelheit liegend leise in der Briese dieser Nacht wisperten.
„Ich hatte Sehnsucht nach diesem
Ort.“, flüsterte Talaan behutsam, während er sich mit funkelnden Augen umsah.
„Ich habe sie immer noch.“
Kirra wusste sofort was er meinte,
von welchem Ort er sprach. „Kannst Du selbst hier nicht finden, was Du suchst?“,
fragte sie teilnahmsvoll.
„Ich sehe all die Schönheit hier,
erfreue mich an ihr, aber sie berührt dennoch nicht ganz und gar mein Herz,
schenkt mir keinen tiefen Frieden. Etwas fehlt noch...“
Kirra sah ihren Mann irritiert an.
„Du siehst das finden Deines Friedens einfach nur als eine Aufgabe an, die
es Schritt für Schritt zu lösen gilt?“
Lächelnd erwiderte Talaan ihren
Blick. „So ist es nicht... Aber ich spüre einfach mit absoluter Gewissheit,
dass noch etwas fehlt. So, wie ich mich fühle, jetzt in diesem wundervollen
Augenblick, da ich die Schönheit Deiner Augen und des Waldes schaue, bin ich
mir so sicher, alles erreicht, erfahren, gefunden zu haben, was mir auch im
Jungen Wald eigen war.“ Er seufzte tief und sah wehmütig zu den Sternen. „Doch
es genügt nicht mehr.“
„Weil die Veränderung Dich berührt
hat.“
Talaan nickte stumm, ergriff ihre
Hände und zauberte ein unbekümmertes Lächeln herbei, das so gar nicht zu dem
eben Gesagten passen wollte. „Ich liebe dich, Kirra. Du gibst mir allen Halt,
den ich heute Abend brauche, um glücklich zu sein. Lass uns die Nacht genießen.“
Dann
lass dich fallen, Geliebter., dachte sie froh. Und das tat er.
Das
gewohnte Zwielicht kündete gerade erst vom Nahen des folgenden Tages, als
kräftige Hände Talaan aus dem Schlaff schüttelten. Seine schlaftrunkenen Augen
erblickte Tonri und für einen Augenblick fühlte er sich an jenen Morgen in
Tullma zurückversetzt, an dem der Schamane ihm die Worte des Orakels überbrachte.
„Was ist geschehen?“, murrte Talaan
und versuchte die all zu kurze Nacht abzuschütteln.
„Marten. Er kommt.“
Jegliche Müdigkeit wurde weggefetzt.
Die
Ältesten saßen um die Sichtsphäre des magischen Auges herum und betrachteten
die in eine weiße Kapuzenrobe gehüllte Gestalt des Hexers, wie sie zügig,
doch ohne Hast durch die Savanne schritt.
„Ich habe ihn heute Nacht in meinen
Träumen erblickt.“, berichtete der Schamane. „Es schien gerade so, als wollte
er, dass ich ihn fände.“
„Er will gesehen werden.“, folgerte
Mahi nüchternen Tonfalls. „Sonst hätte er sich in Unsichtbarkeit gehüllt oder
würde wenigstens unsere magischen Augen täuschen.“ Die anderen Ältesten nickten
zustimmend.
„Die Frage ist nur, was will er?“
Firr sah Talaan fragend an.
„Er will mich.“, hauchte Talaan
und rieb sich die Schläfen. Seine Gedanken hetzten einer Affenhorde gleich
durcheinander, doch er drängte sie in klarere Bahnen. „Seine Botschaft ist
klar: ‚Komm zu mir oder ich werde euch heimsuchen.’“
„Bist du ihm gewachsen?“, fragte
Shaila besorgt.
Lange dachte er über diese Frage
nach, obwohl sie ihm Tag für Tag in den Sinn gekommen war. „Ich glaube nicht.
Marten würde mich nicht herausfordern, wenn er des Sieges nicht gewiss wäre.“
Er war mir stets überlegen. Immer drei Schritte
voraus.
Betroffenheit ergriff die Ältesten.
„Dann warten wir hier auf ihn. Gemeinsam können wir ihn...“
„Nein.“ Talaan schüttelte bestimmend
den Kopf. „Ich bin sicher, dass Marten irgend eine Teufelei bereit hält, die
alles nur noch schlimmer machen würde. Ich werde ihm entgegengehen.“
„Maigan...“, hob Häuptling Firr
zu weiterem Widerspruch an, doch Talaan schnitt ihm sofort das Wort ab. Zweifel,
Angst und Zorn rangen in ihm. „Ich werde gehen. Morgen früh.“ Kirra... er würde sie nie wiedersehen,
wenn er in dieser Welt starb. „Vernichtet mein Zauberbuch, wenn ich versage.“
Wenn er versagte, würden die MaKri fallen und Kirra mit ihm.
„Du wirst es nicht mitnehmen?“
„Marten erwartet, dass ich es als
Waffe gegen ihn einsetzen werde. Er will, dass ich es ihm bringe. Vielleicht
ist das seine Absicht.“
Tonri sah Talaan prüfend in die
Augen. „Mir gefällt nicht, was ich sehe, Talaan. Du erwartest zu sterben.“
Stumm verflucht Talaan sein altes
Ich, das die Sterblichkeit gewählt hatte. Was für ein romantischer Narr er
doch war! Und noch während er das dachte, wusste er, dass es eine Lüge war.
In dieser Welt sterblich zu sein, war die richtige Wahl gewesen. Um seiner
Menschlichkeit willen.
Ohne zu antworten, erhob sich Talaan
und verließ den Rat.
Sorral
fand Talaan am Ufer eines träge dahinfließenden Flusses, wie er vollkommen
in sich versunken den Kampf mit den Rikashi übte. Klinge und Stab wirbelten,
stoppten, stießen vor. Es dauerte eine ganze Weile, bis Talaan seinen Freund
bemerkte und innehielt.
„Du führst die Waffen eines TaKri?“
Sorral neigte anerkennend sein Haupt. „Das ist gut. Wie viele Geheimnisse
verbirgst Du noch vor uns?“
Talaan sah mit zusammengezogenen
Brauen auf die eleganten Waffen in seinen Händen hinab. Würde er wieder kalten
Stahl in seinem Herzen spüren, bevor er die Welt verließ? „Zehn Jahrhunderte
voll, mein Freund.“ Nein, er musste überleben. Er musste.
„Oh, da kann ich nicht mithalten.“,
schmunzelte Sorral. „Ob man diese Klingen magisch aufladen kann?“
Einen hauch weniger finster nickte
Talaan. „Eine gute Idee. Ein leicht zu wirkender Zauber und dennoch effektiv.
Warum bist du hier, Sorral?“
Sorrals Lächeln wurde breiter. „Ich
habe vielleicht gute Nachrichten für Dich. Wir haben einen Zauber entdeckt,
der Dir morgen helfen kann. Einen vereinigten Zauber.“
Talaans Herz machte einen freudigen
Sprung, während ein entlegener Teil seines Verstandes sagte, dass er von Anfang
an Vertrauen in sein Volk gehabt haben sollte. „Und weshalb ist das nur vielleicht eine gute Nachricht?“
Sorral wirkte nun nicht mehr ganz
so fröhlich, aber dennoch zuversichtlich. „Der Zauber kann dich genauso gut
töten.“
„Wir sind bereit, Talaan.“,
sagte Sorral schließlich wiederstrebend. Talaan konnte seine Besorgnis genauso
deutlich sehen, wie die magischen Bande, die alle Zaubernden vereinte. „Du
brauchst nur noch den Fokus zu schließen.“
Der Fokus... Er war Teil eines jeden
Zaubers und bündelte die Energien der Magie an jenem Punkt, an dem er wirken
sollte. Kaum mehr als eine Handvoll Kurven. Nun gleißte jeder dieser Bögen
in der Mitte des großen Marktplatzes der Großen Stadt und wartete auf den
Kern, in den sich alle Macht entladen würde.
Talaan trat in das Gebilde uns spürte
die Energien, die bereits jetzt greifbar um ihn flossen. „Es wird gut gehen.“,
redete er Sorral und sich gleichermaßen ein. Er wappnete sich, schloss die
Augen und beschwor den Kern des Zaubers in seinem Innern.
aaaaAAAAAAHHHHH! Er brannte! Der Feuersturm tobte in seinem Innern, durchdrang jede Faser
seines Körpers! Raste! WÜTETE! Die Flammen brannten heiß, heißer als das Feuer
der Apokalypse, es war die wabernde, sengende Hitze im Herzen einer Sonne.
Und es war gut! Die Kraft, die Magie, das Leben, das Sein von zehn MaKri brannte in seinen Adern, seinen Muskeln, seinem
Herzen. Und es war kein verzehrendes Feuer, oh nein! Diese Flammen waren sein,
waren er, nährten ihn, verstärkten
alles in ihm, sein Zorn brannte lichterloh, seine Liebe zu Kirra war unerträglich
süß, sein Mut wuchs zu den Riesenbäumen empor!
„aaaaAAAAARRRRRRRRR!“, stieß er
ein ohrenbetäubendes Brüllen in die Welt hinaus.
„Hört auf, hört AUF!“, drang Kirras
Stimme durch das Feuer in sein Bewusstsein.
„Nein, es geht mir gut.“ Talaan
schlug die Augen auf und erschrak vor der Lichtflut, die auf ihn eindrang.
Jede Farbe schien neu geboren, kraftvoll und frisch, wie am ersten Tag.
„Wie fühlst du dich, Geliebter?“
Talaan konnte ihre Besorgnis regelrecht spüren, ihren klammen Herzschlag fühlen.
„Lebendig wie noch nie. Ich fühle
mich, als strömte ein gewaltiger, reißender Fluss durch mich hindurch und
ich bin dieser Fluss! Ich kann Täler bahnen,
wenn ich es will.“
Kirra ergriff seinen Kopf mit beiden
Händen und sah ihm tief in die Augen. „Verlier’ dich nicht, Weltenwandler.“
Wie ein Sturz in kaltes Wasser trafen
ihn diese Worte und kühlten sein Temperament ein wenig ab. Der Gedanke, er
hätte sich mit dieser Macht verändert, erschien ihn absurd und dennoch wusste
er, das es stimmte. Er war zu klein für diese große Kraft, zu jung, einfach
noch nicht bereit.
Er wandte sich Sorral zu, der ihn
mit furchtsamen Augen ansah. „Beim Schöpfer, Talaan, ich will dich nie wieder
so sehen müssen. Gehe und verrichte dein Werk.“
Mühsam seine Arroganz unterdrückend
– sie erschienen ihm alle so unbedeutend! – nickte er. „Sobald Marten zu Asche
verbrannt ist, beendet ihr den Zauber, egal was ich euch auch sagen mag. Versprecht
mir das.“
Sorral nickte stumm und blicke dann
in Richtung Himmel. Er will, dass ich
gehe. Und ich kann es ihm nicht einmal verübeln.
„Lebt wohl.“ Mit diesen Worten
sprang er dem Himmel entgegen, empor getragen von gewaltiger Kraft.
Staunend blickte er zurück, sah
winzig den großen Platz der Stadt und lachte fröhlich. Seine Existenz hatte
noch so viel zu bieten und er wusste, dass dies nur ein Vorgeschmack war.
Dieser Gedanke jagte ihm genug Angst
ein, um wieder zu Verstand zu kommen. Er musste Marten töten, schnell, und
dann wieder zum Kri-Sein zurückkehren. Spielend leicht konzentrierte er sich,
brachte den Levitationszauber zum Gleißen und schoss auf Marten zu.
Lachend streckte Talaan dem
Wind sein Gesicht entgegen, genoss wie er harsch durch sein Fell zauste. Ihm
war nicht kalt, das Feuer in ihm wärmte ihn mehr als genug. Den Dschungel
hatte er längst hinter sich gelassen und sah mit Genugtuung die Savanne unter
sich entlang eilen. Er konnte jedes einzelne Wesen dort unten sehen, seinen
Augen entging nichts. Von den grazilen Gazellen bis hin zu den winzigen Mäuschen
und den Feuerameisen unter ihren Füßen.
Als sein Blick auf Marten fiel,
empfand er ihn als äußerst störend. Er war ein Fremdkörper im Gräsermeer.
Ruckartig änderte Talaan seinen Flug, stürzte hinab und schlug hart aber kontrolliert
vor Marten auf dem Boden auf. Nicht ohne Genugtuung sah er die ehrliche Überraschung
im Gesicht seines Feindes, bevor seine Klinge in Martens Herz stieß. Geradezu
fasziniert bemerkte er die feinen Nuancen in Martens Gesichtsausdruck, der
von Überraschung über kurzes Aufflackern von Angst in Zorn umschlug.
„Dafür wirst Du büßen.“, sagte Marten
eiskalten Zorns und starb.
Mit einer geschulten Bewegung wippte
Talaan das Blut von seinem Rikashi, schob es zurück in den Gürtel und setzte
sich nieder, um zu warten. Er war neugierig. Wie lange würde Marten tot bleiben?
Die Antwort kam ernüchternd schnell.
Kaum sechzig Herzschläge später erwachte er mit einem keuchendem Einatmen.
Er betastete die verheilte Wunde in seinem Herzen und musterte Talaan mit
spöttischem Lächeln. „Du hast mich nicht vernichtet? Diesen Fehler hättest
du nicht machen sollen, Elfenfreund.“
„Hör auf, mich so zu nennen, Marten.
Es ist alt.“, erwiderte Talaan gelassen. Er fand es äußerst interessant, wie
die Lebensfäden des Hexers ohne sichtbaren Übergang vom Nichts wieder Martens
Körper erfüllten.
„Wie Du willst, Du Narr.“ Marten
zog seine Klinge. „Genug der Worte. Ich bin nicht gekommen, um zu reden.“
Talaan erhob sich seelenruhig, deutete
eine Verneigung vor seinem Feind an und ließ die Rikashi nicht weniger spöttisch
lächelnd in seine Hände gleiten. „Du kannst es nicht sehen, oder?“ Die Aura meiner Macht. Dann würde er eben
durch Leid erfahren müssen, welche Kräfte in Talaan wüteten. Wenn ein Wesen
den Tod verdient hatte, dann dieser abscheuliche Mann.
Als Martens Klinge stümperhaft langsam
vorstieß, dachte Talaan zunächst, sein Gegner wolle ihn nur reizen, so mühelos
gelang es ihm, dem Angriff auszuweichen. Doch als Angriff auf Angriff folgten,
einer aufs andere ins Leere gingen, dämmerte Talaan, dass Marten voller Ernst
kämpfte. Lauthals lachend hieb Talaan mit dem Stab nach der Schwerthand des
Hexers, brach ihm zwei Mittelhandknochen und beendete sein Leben mit einem
weiteren Stich ins Herz.
„Aber ich kam, weil ich reden will.“,
sagte er dem Sterbenden ins Gesicht und setzte sich nieder um zu warten. Nach
kurzem Nachdenken, nahm er Martens Schwert, betrachtete die zweifellos vergiftete,
schwarze Klinge und warf sie dann angeekelt fort. Weit fort.
Siebzig Herzschläge. Fünfundsiebzig.
Die leuchtenden Lebensfäden begannen Marten erneut zu durchziehen, obwohl
‚beginnen’ nicht das Richtige zum Ausdruck brachte. Talaan erinnerte sich,
dieses Gefühl bereits einmal gehabt zu haben... Beim Orakel. Der Tee. Das war sehr interessant.
Marten erhob sich aus dem Gras,
machte ein greifende Geste in die Luft und sein Schwert erschien in seiner
Hand. „Du musst noch viel lernen, Weltenwandler.“, knurrte Marten. „Du glaubst
doch nicht, dass ich es Dir so einfach machen werde, nicht wahr?“ Seine magische
Aura flammte auf, hässlich klingende Silben verließen seinen Mund. Talaan
wappnete sich mit einem magischen Schild, doch Marten griff nicht an. Vielmehr
schien es Talaan, als würde er die Welt um sich herum auseinanderziehen. Der
Wind blies zunehmend heftiger, das Gras flatterte hektisch im Wind.
Erst als Marten mit einem Male erstaunlich
schnell angriff und Talaan den Hieb mit Mühe parierte, erkannte Talaan, was
geschehen war. „Du hast mich verlangsamt!“
Der Hexer lächelte arrogant. „Nein.
Ich habe die Zeit um Dich herum beschleunigt.“ Martens Klinge sauste nieder
und der Klingentanz begann. Der Hexer griff in fließenden Bewegungen an, aus
einem Hieb wurde eine gedrehte Abwehr, die verwandelte sich in einen Aufwärtsschlag.
Talaan ließ ihn gewähren. Innerhalb kürzester Zeit erkannte er Martens Schwäche:
Das lange Schwert war auf nahe Distanz nur schlecht von Nutzen. Talaan griff
an, wehrte Martens wütende Angriffe ab, konterte behände und trieb seinen
Gegner mit raschen Schlagfolgen in die Defensive, tauchte immer tiefer in
Martens Abwehr, durchbrach sie, tötete.
Erstaunt sah Talaan die Sonne ihren
Weg über den Himmel ziehen. Martens Zauber überdauerte selbst dessen Tod!
Rasch entriss er das Schwert den Händen des Toten, warf es in die Luft und
schleuderte einen Kugelblitz hinterher. Zurück blieb ein deformiertes Stück
qualmender Stahl, der gerade auf dem Boden aufschlug, als Marten erwachte.
„Ich hasse das!“, schrie Marten
wütend, beschwor sein Schwert und verbrannte sich die Hand an dem glühenden
Metall. „Du bist gewachsen Weltenwandler. Deine Macht ist bemerkenswert.“
Lachend heilte er die Brandwunde. „Aber was nutzt Dir Macht, wenn Du nicht
verstehst, sie richtig einzusetzen? Du vermagst mich offenbar nicht zu töten,
sonst hättest Du es bereits getan.“
Er zog sein Zauberbuch hervor, presste
es gegen seine Brust und beschwor einen Zauber. Das Buch versank in Martens
Körper und seine magische Aura brannte nun lichterloh.
„Ich will Dich nicht töten, Marten.“,
erwiderte Talaan.
„Nicht?“ Marten mimte Erstaunen.
„Ich Dich schon.“ Feuer schoss aus seinen Fingerspitzen, rasten auf Talaan
zu und löste sich eine Armlänge vor ihm einfach auf. Das Symbol der Ruhe leuchtete
fröhlich in Talaans Geist und raubte dem Feuer jegliche Zerstörungskraft.
Talaan beschwor eine Kraftkugel,
klein, gleißend vor wütender Energie und ließ sie auf Marten los. Sie prallte
auf dessen Abwehrzauber und schleuderte den Hexer viele Schritt weit durch
die Luft. Der beschwor einen Angriff, doch ein Kugelblitz Talaans durchschlug
seinen Brustkorb und hinterließ ein gewaltiges Loch.
Talaan wartete erneut. Diesmal eine
geraume Weile, die Schatten wurden um einiges länger, bis Marten zum Leben
erwachte. Das Loch in seinem Körper hörte plötzlich auf zu existieren. Ja,
es bestand darauf, nie existiert zu haben! Marten wirkte kein wenig mitgenommen,
als er aufstand.
„Wenn Du mich nicht töten willst,
was willst Du dann?“ Mürrisch musterte er Talaan, während er wie ein lauerndes
Raubtier um ihn herumging. „Mir Dein Zauberbuch bringen?“
Talaan schüttelte den Kopf. „Es
ist nicht hier. Ich will verhandeln.“
Marten hielt inne. Lachte kurz,
verstummte aber rasch wieder. „Verhandeln? Warum sollte ich verhandeln wollen?“
Er riss seine Hände mit befehlenden Worten empor und schleuderte Talaan jene
summkreischende, dunkle Energie entgegen, die er nur zu gut kannte. Sie riss
an seinem Schild, tastete, wütete. Zornig ließ Talaan sein Schild fahren,
fing den Zauber mit seiner Hand ab und schritt auf Marten zu. Er konnte nur
ahnen, was geschah, wenn Marten von seinem eigenen Zauber getroffen würde,
aber zum ersten Male sah er Furcht in den Augen seines Feindes. Je näher Talaan
Marten kam, desto schwerer wurde es, die Magie zurückzudrängen, zum Schluss
wurde es unerträglich schwer. Talaan schrie Marten all seinen gerechten Zorn
entgegen und drückte die schwarze Energie in das Gesicht seines Gegners. Kurz
bevor sie dessen Haut berührte, verschwand der Zauber.
„Verhandeln.“, befahl Talaan gepresst.
„Jetzt.“ Dann stieß er Marten von sich.
„Es gibt nichts zu verhandeln, mein
Kätzchen.“, sagte Marten nüchtern.
„Ihr könnt diesen Krieg nicht gewinnen.
Die MaKri sind erwacht.“
„Denkst Du, nur weil euer erster
Schlag weh tat, zittern wir?“ Marten schüttelte resigniert den Kopf. „Ich
gebe es auf. Du begreifst einfach nicht, was euch bevorsteht.“ Er ballte seine
Hände zu Fäusten, presste sie gegen seine Brust und der Wind begann sich um
ihn zu sammeln. „Wenn Du erst einmal tot bist, Talaan, werden die MaKri angstvoll
ihrem eigenen Ende entgegensehen. Sie klammern sich an Dich.“ Der Wind wuchs
zu einem wirbelnden Sturm und riss bald nicht mehr nur Sand sondern gar Gesteinsbrocken
mit sich. Talaans Blitzangriff wurde einfach beiseite gefegt. Dieser Sturm
schien auch die Magie zu verwirbeln!
Talaan neigte neugierig seinen Kopf
schief und sah dem Feind gelassen in die Augen, als er bedrohlich näher kam.
Erste kleine Steine trafen Talaan an Arm und Beinen, doch zersplitterten sie
nahezu schmerzlos an seinen angespannten Muskeln. „Wen willst Du damit beeindrucken,
Marten?“ Er riss seine Arme nach oben und Stalagmiten brachen unter Marten
aus dem Boden empor, durchbohrten den schutzlosen Körper. Der Wirbelsturm
starb zusammen mit Marten.
Die Sonne versank hinter dem Horizont.
Talaan schüttelte besorgt den Kopf. Wenn das so weiter ging, würde die Armee
des Königs sie irgendwann mitten im Kampf überraschen und seinem Leben ein
Ende bereiten. Er wandte sich der verrenkt in der Luft hängenden Leiche Martens
zu. Es musste doch einen Weg geben, ihn endgültig zu töten!
Gerade, als er sich fragte, wie
Martens Körper mit den ihn durchdringenden Steinnadeln fertig werden würde
geschah es. Jene Stalagmiten, die ihn getötet hatten, hörten auf zu existieren.
Die schrecklichen Wunden verschwanden mit ihnen. Wieder war es, als hätte
sie es nie gegeben.
Allmählich verstand es Talaan. Marten
war nie gestorben. Er...
„Begreifst du es langsam, ja?“,
spottete der Hexer. „Du kannst mich nicht töten. Mein Wille, in dieser Welt
zu weilen ist stärker als Deiner, mich zu töten.“
„Dann werde ich ihn brechen!“, schrie
Talaan seinem Feind entgegen und konzentrierte sich auf die Macht in ihm.
Er ballte sie noch mehr zusammen, bis sie wütender als je zuvor in ihm brannte.
„ArrrRRR!“
Talaan schnellte nach vorn, eine
geballte Faust traf Martens Brust, trieb ihm alle Luft aus den Lungen. „Versuch
dich zu wehren, mein Freund.“, spottete
Talaan. Ein wahrer Hagel aus Tritten und Schlägen prasselte auf Marten ein,
trieb ihn zurück, brach Knochen, schickte ihn zu Boden. Als der Hexer wehrlos,
aus vielen Wunden blutend am Boden lag, stieß ihm Talaan seine magisch aufgeladenen
Krallen in die Schultern, jagte gleißende Energien durch die Venen des Feindes
und verbrannte ihn so von innen.
Schwer atmend ließ er von dem Sterbenden
ab. Angewidert wurde ihm bewusst, was er eben getan hatte. Er hatte begonnen,
Martens Unsterblichkeit zu nutzen, um ihn zu foltern! Das musste ein Ende
haben! Feuerbälle schossen aus seinen Händen, hüllten die Leiche des Hexers
ein und verbrannten sie binnen kurzer Zeit zu Asche, die im steten Wind der
Savanne verweht wurde.
Der Mond beschrieb einen Bogen über
das schwarze Himmelszelt voll dahineilender Sterne. Und Marten blieb tot.
Doch Talaan wusste, dass es nicht das Ende war. Der Zeitenzauber existierte
nach wie vor. Als der Morgen dämmerte wurde der Tod des dunklen Weltenwandlers
ungeschehen. Die kalte Asche, die es nie gegeben hatte wich dem lebenden,
warmen Körper Martens.
„Du Narr!“, stieß der hervor und
funkelte Talaan wütend an. „Es geht nicht um meinen Willen. Es geht um den
Willen Martens. Des Martens, der...“
„...Du einst warst.“, beendete Talaan
schwach seinen Satz.
Marten hob erstaunt die Augenbrauen.
„Sieh an, sieh an. Du hast es ja doch verstanden!“ Er klopfte sich imaginären
Staub aus seiner weißen Kutte. „Wir können also dieses Spiel bis zum Ende
der Zeit treiben und es wird sich nichts ändern. Diese Schlacht ist bereits
entschieden.“
„Du kannst nicht sterben, weil Dein
altes Ich Dich nicht sterben lassen will.“, erkannte Talaan den Schluss der
furchtbaren Wahrheit.
Marten lachte vergnügt. „Praktisch,
nicht wahr. Nichts kann mich töten, weil es von mir nicht vorgesehen ist zu
sterben. Und Dein altes Ich, wie Du es so schön nennst, kann sich diese Welt
auch nicht ohne mich vorstellen.“ Marten wandte sich irgendwie vom Hier ab
und sah an einen Ort, der Talaans Augen verborgen blieb. [Ich hingegen sehe
Dich wohl, Marten!] „Du bist schwach, Weltenwandler.“
[Dein Tod ist schon besiegelt.]
„Mein Tod? Mein Wille ist stärker,
du Narr!“, lachte Marten seinen Widersacher aus.
[Noch ist es so, Marten. Noch.]
Verwirrte musste Talaan mit ansehen,
wie sich Marten wieder dem Hier zuwandte und ein wenig nachdenklich dreinschaute.
Er hatte Marten mit jemandem reden hören, die Stimme des Andern jedoch nicht
vernommen.
„Du kannst also nicht sterben.“
Marten nickte gelangweilt.
„Dann lass mich etwas anderes versuchen!“
Talaan formte den Zauber zum Tor der Niederen, stieß seine Krallen in das
Gewebe der Realität und riss es mühelos auf. Dahinter kam die krankhaft pulsierende
Dunkelheit der Niederwelt zum Vorschein.
Marten beäugte den undefinierbar
großen Spalt mit einer Mischung aus Furcht und perverser Neugier. „Was hast
Du vor?!“ Dunkelheit begann aus dem Riss zu fließen, Eile war geboten! Talaan
packte Marten mit dem Telekinesezauber und schleuderte ihn nach dem dunklen
Spalt. Martens magisch flammender Körper riss den herauskriechenden Dämon
mit sich und verschwand mit einem entsetzten Schrei in der Niederwelt. Rasch
versiegelte Talaan das Tor.
Lauthalses Lachen entkam seiner
Kehle, als er bemerkte, dass die Zeit zu ihrem alten Lauf zurückgekehrt war.
Marten war fort! Und wie einfach es gewesen war, das Tor zu öffnen! Diese
Kraft in ihm war unglaublich.
Immer noch lachend wandte sich Talaan
dem magischen Auge zu, das die ganze Zeit über den Kampf gewacht hatte. „Sieg!
Sieg, meine Freunde! Jetzt werde ich diese Armee einebnen gehen!“
Mit einem gewaltigen Satz sprang
er dem Himmel entgegen, als ihn die berauschende Kraft mit einem Schlag verließ
und er hart auf den Boden prallte. Diese
Narren! Ich hätte diesen Krieg beenden können! Dann wurde es schwarz um
ihn.
„Du hättest sterben können,
Talaan.“, drang Kirras Stimme in sein Bewusstsein. Er fühlte sich an jenen
Tag zurückversetzt, an dem ihn die Schlange gebissen hatte. Genauso schwach
hatte er sich damals gefühlt. Dem Tode sehr nah.
Mühsam schlug er seine Augen auf
und sah in das besorgte Gesicht seiner geliebten Frau. Das Zwielicht einer
Dämmerung drang durch die Fenster in die nur spärlich mit Fackeln erhellte
Hütte. Zurück daheim., dachte er
wohlig.
„Wie fühlst Du Dich?“, fragte sie
mit sorgevoller Stimme.
Er horchte eine Weile in sich hinein.
Diese endlos scheinende Kraft war fort. Mit ihr war auch der fiebrige Wahn
der Macht verschwunden. Eigentlich sollte es ihm jetzt so vorkommen, als hätte
sein Leben hier keinen Sinn mehr, nun da er gekostet hatte, was ihn in zukünftigen
Leben erwarten mochte. Doch viel deutlicher als dieser abstrakte Gedanke war
ein überraschend starkes Gefühl. Er war wieder er selbst, mit jeder Faser
seines Körpers!
„Wie ein Sterblicher, Kirra. Schwach.
Klein. Unbedeutend.“ Mühsam brachte er ein Schmunzeln zustande. „Es ist ein
unglaublich gutes Gefühl. Friedlich.“
Kirra drückte ihn fest, küsste ihn
überschwänglich und sah ihm unsagbar erleichtert in die Augen. Doch schon
bald befiel ein Schatten ihren Blick und sie wurde wieder ernst. „Du warst
viel länger dieser Macht ausgesetzt, als es gut für Dich war. Eine Stunde
länger und Du wärst gestorben und hättest alle, die mit Dir verbunden waren
mit in den Tod gerissen.“
Schwach nickte Talaan. „Ich fühle
mich auch unendlich erschöpft. Ich will mich ausruhen.“
„Ich werde Dir mit einem kleinen
Zauber auf die Beine helfen.“, bot ihm Kirra an.
Nach einem herzhaften Gähnen lehnte
Talaan dankend ab. „Ich habe genug von Magie. Ich will richtig schlafen. Zwei
Tage oder mehr.“
„Dafür ist keine Zeit.“, entgegnete
Kirra finster. „Es ist etwas Schlimmes geschehen, während Du weg warst.“
„Die Hexer des Feindes waren hier.“,
begann Tonri zu berichten. Erst jetzt wurde sich Talaan bewusst, dass er ein
wenig abseits in der Hütte stand und ihn die ganze Zeit beobachtet hatte.
„Als Du gerade Marten zu Asche verbranntest, erfüllten mit einem Male unheilvolle
Stimmen die Luft. Grausame Worte, die wir nicht verstanden, durchdrangen Mark
und Bein eines jeden, der sie hörte, und legten einen dunklen Schleier über
den Wald, der uns nun allmählich alle Hoffnung raubt. Die MaKri verzweifeln,
Talaan. Der Fluch des Feindes ist über uns gekommen.“
Talaan wusch die Schwäche selbst
aus seinem Körper und richtete sich auf. Kirra sah ihn schwermütig an, doch
Tonri stand finster da wie eh und je, aber dennoch ungebeugt. „Alle MaKri?“
„Nein. Ich und meine Geistesbrüder
scheinen dagegen gefeit zu sein. Doch jeder andere, der sich dem westlichen
Dschungel nährt wird davon befallen.“
Schlechte Neuigkeiten. Dieser verdammte...
„Ich hätte wissen müssen, das Marten noch etwas anderes vorhatte. Wenigstens
ist er nun fort und wird uns nicht wieder behelligen. Was ist mit seinen Hexern?“
„Sie haben mit dem Leben bezahlt.
Doch das konnte den Fluch nicht brechen.“
„Lasst es mich mit eigenen Augen
sehen.“
Erst als er vor die Hütte
ins Freie trat erkannte er, dass er sich geirrt hatte. Es war nicht die Stunde
der Morgendämmerung, auch nicht die Stunde des abendlichen Zwielichts. Die
Sonne stand hoch am Himmel, doch war sie kaum mehr als ein schwacher Schatten
ihrer selbst. Auf den ersten Blick fühlte er sich an dichten Hochnebel erinnert,
durch den die Sonne ihre Strahlen nur mühsam zu schicken vermochte. Doch dieser
Nebel war anders. Dunkel, abscheulich. Das Licht, das seine Augen erreichte
erschien ihm aschgrau, leblos und auf eine widerliche Weise... befleckt.
Dann stutze er. „Ich kann ihre Wärme
spüren, Kirra.“, erkannte er erstaunt. „Wie an jedem anderen Tag auch.“
Traurig nickte Kirra. „Wenigstens
das haben sie uns nicht nehmen können. Aber dieses Licht macht die Seele krank.
Es sind erst zwei Tage vergangen und dennoch bin ich es leid, als wäre es
ein Monat.“
Vollkommen überrascht sah Talaan
Kirra an. „War ich so lange bewusstlos?“
Tonri trat an seine Seite. „Wir
brauchten einen Tag, um zu Dir zu gelangen und einen, Dich heimzubringen.
Wir haben sehnsüchtig auf Dein Erwachen gewartet, da Du unsere letzte Hoffnung
bist, das da“, er deutete in Richtung Himmel, „zu enträtseln.“
Talaan widmete seine Aufmerksamkeit
wieder dem waberndem Dunkel am Himmel zu. Irgendwie kam ihm das dort bekannt
vor. Es brauchte eine Weile, bis er erkannte, an was. „Der Schlachtenmagier,
den ich auf dem Weg zum Orakel gefangen nahm, trug etwas ähnliches in sich.
Ein schwarzes Geschwür das aussah wie wabernde, schwarze Tinte in Wasser.
Es war der Fluch, den Marten an sein Leben gebunden hatte.“ Etwas passte nicht.
Die Wärme auf seinem Fell passte nicht ins Bild. Er konzentrierte sich auf
seinen magischen Instinkt und musterte angespannt diesen seltsamen Hochnebel.
Eine Ahnung regte sich in ihm. „Habt ihr Mani gefragt?“
„Sie erkundet derzeit mit ihren
Männern die Grenze des Dschungels.“, erwiderte Tonri. „Sie will einen Überblick
über den Ort der großen Schlacht erlangen.“
„Was hat Mani damit zu tun?“, fragte
Kirra nach.
Ohne auf die erstaunten Gesichter
seiner Gefährten zu achten, beschwor er den Gestaltenwandel. Er lauschte mit
geschlossenen Augen der Verwandlung, wie das Fell in ihn hineinkroch, ebenso
wie die Krallen, Fangzähne und der Schwanz. Es fühlte sich beinahe an, als
würde er in sich hineinschrumpfen, obwohl sein Körper ein wenig in die Höhe
wuchs. Dann war es vorbei und er schlug die Augen auf. Und erblickte helles
Sonnenlicht, das durch die Riesenbäume auf den großen Platz der Stadt fiel.
Düster sagte er: „Die Hexerei des
Feindes trifft unser Volk härter, als er es vermuten würde. Unsere magische
Natur lässt uns den Fluch sehen. Wir müssen ertragen, dass er uns die Sonne
raubt, wo Menschenaugen klaren Himmel erblicken. So wird uns eine weiter Hoffnung
genommen.“
„Mehr als eine, Talaan.“, brummte
Tonri finster. „Die Geistesbrüder der Schamanen planten, die Träume der Soldaten
heimzusuchen, sie die Nacht fürchten zu lehren und sie der Erfrischung des
Schlafes zu berauben. Doch nun...“, er seufzte und warf dem Himmel böse Blicke
zu. „hatten wir letzte Nacht genug damit zu tun, die Träume der MaKri vor
der Finsternis der Verzweiflung zu bewahren.“
Talaan verwandelte sich zurück und
schüttelte den Kopf, als er erneut den Fluch des Feindes sah. „Wann wird die
Wirkung bei mir einsetzen?“
Kirra sah ihn mild verwundert an.
„Spürst Du denn nichts?“
Er lauschte erneut in sich hinein.
„Kein Bedrücken, keine finsteren
Gedanken? Es hat jeden von uns heimgesucht von dem Moment an, da das letzte
Wort des Zaubers ausgesprochen war.“
Talaan konnte nicht anders, als
den Kopf zu schütteln. „Da ist nichts. Ich bin froh, am Leben zu sein, wieder
ich zu sein. Ich bin vielleicht ein wenig zornig über die List des Feindes
und erst recht darüber, dass Marten einmal mehr gewonnen hat, obwohl ich ihn
besiegt glaubte. Aber Finsternis ist nicht in mir.“
„Dann hat der Fluch keine Macht
über Dich.“, folgerte Tonri. „So wie mir und meinen Geistesbrüdern kann er
Dir nichts anhaben.“
„Warum
kann er Dir nichts anhaben, Tonri?“, fragte Kirra. „Kennen Schamanen keine
Furcht, keine Verzweiflung?“
„Wir wären keine Kri, wenn dem so
wäre.“, erwiderte der Schamane ernst. „Doch wir sprechen viel mit den Ahnen.
Sie haben jede Furcht abgelegt und wissen nun, da sie tot sind, wie unnütz
all ihr Bangen und Verzagen zu Lebzeiten war. Ein Teil ihrer Weisheit durchdringt
uns auch im Leben.“
„Aber was ist dann mit Dir?“ Kirra
sah Talaan vage hoffnungsvoll an.
Doch Talaan blieb nur erneut den
Kopf zu schütteln. „Ich weiß es nicht. Vielleicht ist es meine Art der Unsterblichkeit,
vielleicht ist es der menschliche Teil in mir oder die Erfahrung, die ich
im Rausch der Macht gemacht habe. Oder etwas ganz anderes, möglicherweise
Schicksal oder Zufall.“
Bedrückt senke Kirra ihr Haupt und
selbst ein verspielter Kuss Talaans konnte sie nicht aufmuntern.
„Ich werde mich sofort daran machen,
mein Zauberbuch zu Rate zu ziehen. Vielleicht haben wir morgen schon wieder
Sonnenschein.“ Der Blick, den ihm Kirra darauf zuwarf war eine Mischung aus
Dankbarkeit und dem Wissen um seine Lüge.
Auch wenn der Fluch keine
Macht über ihn hatte, so beugte sein Wirken dennoch Talaans Mut. Überall,
wo er an diesem Tag hinging erwartete ihn der selbe Anblick. Von dem geschäftigem
Treiben am Boden war nur noch ein schwacher Nachhall zu sehen. Die Kinder
saßen meist stumm zu Füßen ihrer Eltern, anstatt herumzutollen. Die Erwachsenen
gingen zwar ihren gewohnten Tätigkeiten nach, doch ging ihnen die Arbeit nur
schleppend von der Hand und nicht selten geschah es, dass einer mit einem
gleichgültigen Schulterzucken ein Stück misslungenes Handwerk beiseite legte.
Die Schüler der Zauberwirker vermochten kaum, sich zu konzentrieren und selbst
die Lehrer machten sich nicht viel daraus, ob etwas gelang oder scheiterte.
Jene Krieger, die ausziehen sollten, um den Feind zu bekämpfen ließen mit
geneigtem Haupt ihre Anweisungen über sich ergehen. Wenigstens sie schienen
einen Funken Freude in sich zu tragen. Doch schon bald erfuhr Talaan von einer
jungen MaKri, weshalb. Sie freuten sich in der Savanne dem Fluch entgehen
– sei es durch Tod oder langem Kampf fernab seines Wirkens. Selbst auf den
Gesichtern der Ältesten fand Talaan Spuren der Verzweiflung. Selbst wenn sie
diese recht gut verbergen mochten – sie war in ihren Herzen.
Das Schlimmste von allem war für
Talaan eine eher unterschwellige Veränderung. Die MaKri hatten das verloren,
was sie für ihn seit je her zu MaKri gemacht hatte: ihr edler Stolz, der sonst
in ihren Augen glomm, war erloschen. Die Hüllen ihrer Körper schienen nicht
mehr vom Wesen der MaKri erfüllt zu sein.
Aus ihrer Befürchtung
wurde Gewissheit. Die Angst war ihr wieder in den Schlaf gefolgt. Kirra stand
inmitten träger wabernder Dunkelheit, die ihre Füße umspülte wie ein schrecklicher,
kriechender Morast. Es war doch alles so vollkommen sinnlos. Die Menschen
waren übermächtig, wer sollte gegen solche Macht bestehen? Todessehnsucht
strömte aus dem Dunkel und durchdrang ihr Herz. Wenn sie nur endlich kamen,
die Soldaten des Königs, dann würde ihrer aller Leiden ein Ende haben. Im
Tod mochten sie den Frieden finden, von dem der Schamane gesprochen hatte.
Hoffnungslos hob Kirra ihren Blick
und sah auch über dem kriechenden Dunkel nur Schatten. Keine Sterne, keine
Sonne, kein Himmel. Nur Schatten. Sie hatte keine Kraft mehr. Woher sollte
sie die auch nehmen? Jegliche Hoffnung war Illusion, Halt für jene, die das
Ende nicht sehen wollten. Jeder der hoffte betrog doch nur sich selbst.
Was war aus den glücklichen Tagen geworden?
Sie lagen im Nebel der Vergangenheit, erstickt unter einer schweren Decke
aus Vergessen. So sehr sie sich auch anstrengte, sie konnte sich nicht mehr
daran erinnern, wie es war zu lachen. Der ungetrübte Genuss warmer Sonnenstrahlen
lag nur noch matt in ihrer Erinnerung, die Freude mit Freunden Zeit zu verbringen
war nicht mehr greifbar, unvorstellbar. Alle guten Gefühle schienen nur noch
eine blasse Erinnerung ihres Verstandes zu sein. Ihr Herz hingegen konnte
sich gar nicht mehr erinnern, jemals anders als verzagt zu sein.
Die Dunkelheit zu ihren Füßen rief
sie, lockte mit dem dumpfen Versprechen einer gnädigen Ohnmacht. Dies ist nur ein Traum., flüsterte die
stumme Dunkelheit. Lass dich fallen,
Kirra, es wird nicht schaden. Gib auf und der Traum wird enden. Sie wusste,
dass es eine Lüge war. In dem Moment, in dem die Dunkelheit über ihrem Körper
zusammenschlug, würde sie verloren sein. Und dennoch war da eine leise Hoffnung,
ein kranker Schatten des wahren Gefühls, dass es vielleicht doch das Beste
war einfach aufzugeben. Warum erst standhaft kämpfen, um dann doch unterzugehen?
War diese kleine Hoffnung nicht besser als gar keine?
Kirra schloss die Augen und ließ
sich nach vorne fallen.
Kräftige Arme fingen sie auf. „Mach
keinen Unsinn, Geliebte.“, drang Talaans sanfte Stimme in ihr Bewusstsein.
„Ich bin hier. Hab’ keine Angst mehr.“
„Was...“ Kirra schlug die Augen
auf und blickte in die roten Rubine von Talaans Augen. Sie funkelten voller
Freude und Fröhlichkeit. „Wieso bist Du hergekommen? Es gibt keinen Weg fort
von hier.“
„Möchtest Du denn fort von hier?
Schau Dich noch einmal um, bevor du antwortest.“
Jetzt erst bemerkte sie die Veränderung.
Der dunkle Morastnebel wich dem Blättermehr der Baumkronen. Die Schatten über
ihr lösten sich auf und funkelnde Sternendiademe kamen zum Vorschein. Frischer
Wind wehte von Osten her und durchstrich sanft ihr Fell.
„Gefällt es Dir hier besser?“
Sie nickte stumm und sah sich ungläubig
um. Sie fühlte sich, als hätte Talaan sie aus finsterem, eisigkalten Wasser
emporgezogen zu Hoffnung und... Frieden.
Kerzen flammten um sie herum auf,
trieben auf unsichtbaren Winden davon und machten neuen Kerzen Platz, die
mal honiggelb, mal friedlich orange oder fröhlich violett erstrahlten. Bald
war es ihr, als trieb sie in einem Lichtermeer über Wipfeln der Bäume.
„Ich kenne diesen Ort.“, stellte
sie lächelnd fest, sah ihren Mann freudig an und küsste ihn dann zärtlich.
„Du hast ihn wiedergefunden.“ Talaan nickte friedlich lächelnd und schloss
seine Arme um sie. „Inmitten dieser dunklen Zeit. Wie ist das möglich?“
Eine Weile wiegten sie sich in einvernehmlichen
Schweigen, bevor er mit milder Stimme antwortete: „Ich habe Frieden mit mir
selbst geschlossen, Kirra. Ich bin, der ich bin, mit allen Schwächen. Und
das ist gut so. Meine Sehnsucht nach Stärke, nach Macht die MaKri zu beschützen,
ist gestillt. Ich bin, der ich bin. Ein sterblicher Weltenwandler, der nicht
länger die Ohnmacht fürchtet.“
Glücklich schmiegte sie sich ganz
eng an ihn. Doch so sehr sie sich auch an ihm festhielt, spürte sie eine altbekannte
Angst rasch in sich aufkeimen. Kirra wollte es nicht sagen, aber es blieb
ihr keine andere Wahl. „Was ist mit den Menschen?“
Behutsam löste Talaan sich von ihr
und beinahe fürchtete sie, jene Angst und Trauer in seinen Augen zu sehen,
die sie einst bei der selben Frage in Talaans Traum befallen hatte. Doch Talaan
lächelte nur. Er ging ein paar Schritte leichtfüßig über die Blätter nach
Westen und sandte seinen Blick nach der Armee des Feindes.
In diesem Augenblick schien die
Welt seltsam weit zu werden, als könnten ihre Augen den Dschungel und die
Savanne mit einem Mal überblicken. Und auch Talaan hatte sich verändert. Es
war ihr, als könnte sie durch den Kri hindurch den Menschen sehen, der er
einst war, oder durch den Menschen den MaKri – sie war sich nicht sicher.
Er deutete auf die Lager von Mohabs
Armee, die mitten in der Savanne beinahe friedlich dalag. Feuer brannten,
unzählig viele Feuer, zwischen beängstigend vielen Zelten. „Ich fürchte den
Feind nicht länger, Kirra.“, sprach der Kri Talaan mit menschlicher Stimme
und lachte froh. „Er hat für mich seinen Schrecken verloren. Mich dauert das
Leid, das er bringen wird, aber nach dem Krieg wird wieder Frieden herrschen
und die MaKri werden ihn in Freiheit erleben.“
Kirra trat an seine Seite, musterte
ihn voller Faszination. Es schien beinahe so, als könne sie durch die äußeren
Hüllen aus MaKri und Mensch hindurch das Ich ihres Mannes erkennen. Und es
war voller Frieden und Fröhlichkeit. „Aber ich fürchte den Feind. Dein Frieden
schützt mich vor der Verzweiflung, doch die Angst kann er nicht vertreiben.“
Sie wandte ihren Blick nach Westen. „Es sind so unsagbar viele und der Fluch
der Hexer ist über uns.“
Statt eine Antwort zu geben, begann
Talaan leise vor sich herzusummen. Es war eine seltsam traurigschöne Melodie,
die bald durch ihre Ohren in ihr Herz sank und sie mit Freude erfüllte. Dann
begann er Worte zu singen, fremdartig und doch vertraut, seltsamen Klanges
und dennoch nicht ungewohnt und bei allem schien ihr, als wäre ihr Sinn nur
durch einen hauchdünnen Schleier von ihrem Verstehen getrennt.
Je mehr sie seiner klaren Menschenstimme
lauschte, um so friedlicher und ruhiger wurde sie. Eine Traurigkeit, klar
und leicht wie der Tau am Morgen spülte alle Zweifel und Unrast aus ihrem
Herzen und hinterließ neuen Mut und eine unbändige Freude am Leben zu sein.
Wie lange er gesungen hatte, vermochte
sie nicht zu sagen, denn als er endete, schien es ihr, als wäre sie aus einem
tiefen Traum erwacht, einem Traum im Traume. Sie brauchte eine ganze Weile,
bis sie zu fragen wagte: „Was war das?“
Lächelnd sah er sie an, küsste sie
sanft und innig, und antwortete schließlich: „Ein Lied, das ich vor lange
Zeit bei den Elfen gehört habe. Ich wusste nicht, dass ich es singen kann,
aber wie so manche Magie, die sie wirken, hat auch dieses Lied in mir Wurzeln
getrieben. Es ist eine Erzählung über einen Krieg, der viel Kummer über ihr
Volk brachte, aber durch den sie auch ihre Heimat im Jungen Wald fanden und
dort ihre wahre Bestimmung erlangten. Ihr Leid war der Quell von vielem Schönen
und Schmerz wie Freude ist somit auch in diesem Lied miteinander verwoben.
Hat es dir gefallen?“
Doch bevor sie eine Antwort geben
konnte, die auch nur schattenhaft das wiedergeben konnte, was sie fühlte,
neigte Talaan seinen Kopf zur Seite und stutzte. „Der Morgen naht, Geliebte.
Und auch wenn Du diesen Traum verlässt, vergiss nicht, was gehört hast. Es
mag Dir für eine Weile Kraft geben.“
Und mit diesen Worten war er verschwunden.
Als Kirra erwachte, sah sie
Talaans Gesicht über sich schweben. Mit einem verspielten Kuss und einem fröhlichen
Zwinkern wünschte er ihr einen guten Morgen und fragte: „Wie fühlst Du Dich?“
Kirra lauschte in sich hinein und
stellte erstaunt fest, dass sie kaum einen Hauch von Angst in sich spürte.
„Hast Du den Fluch gebrochen?“
Talaan schüttelte ernst den Kopf.
„Er ist zu mächtig, als das ihn ein paar Strophen der Elfensprache brechen
könnten, aber es scheint, als wären ihre Lieder dennoch voller Kraft. Es gibt
wieder Hoffnung, Geliebte. Ich muss mich eilen.“
Sie wollte nicht, dass er sie verließ,
doch sein ernstes Gesicht sagte ihr, dass es sein musste. „Wohin gehst du?“
„Ich muss mit den Ältesten sprechen.
Ich sagte, es gibt wieder Hoffnung, doch sie hängt an einem dünnen Faden.
Vielleicht wissen die Weisen der Stadt, was getan werden kann.“
„Der Fluch des Feindes ist
mächtig.“, begann Talaan die Sitzung des Ältestenrates. Erschüttert hatte
er hinnehmen müssen, dass die Ältesten diesmal gleichgültig auf das Entfachen
des Feuers verzichtet hatten. „Meine ersten Versuche, schon allein seine Natur
zu enträtseln sind bisher fruchtlos geblieben. Ich fürchte auch, dass er,
ebenso wie der Zauber, der die Halle des Lichts verhüllt, derart beschaffen
ist, dass es geraume Zeit brauchen wird, ihn aufzulösen. Beide sind für den
Feind kriegsentscheidend und Marten wird Jahre, wenn nicht Jahrzehnte dafür
aufgewandt haben, sie gegen unsere Macht zu schützen.“
„Ich wusste nicht, dass Magie derart
Abscheuliches anrichten kann.“, seufzte Firr und schüttelte den Kopf. „Es
muss wirklich einer kranken Seele und vieler Jahre bedürfen, um solch ein
Werk zu ersinnen.“
Und Mahi sprach daraufhin die Befürchtung
aller aus: „Es wird unmöglich sein, in der kurzen Zeit, die uns bleibt, den
Fluch zu brechen, nicht war? Die Armee Mohabs hat die Savanne schon halb durchquert.“
Talaan nickte stumm.
„Dann ist der Krieg verloren. Unser
Volk ist kaum im Stande, das tägliche Leben zu meistern, wie sollen wir da
kämpfen!“
„Es gibt eine Hoffnung, mit der
Marten niemals rechnen konnte.“, widersprach ihr Talaan. „Und selbst jetzt,
da ich einen Weg für uns sehe, weiß ich doch nicht, ob wir ihn gehen können.
Ein unüberwindbar scheinender Gegner steht uns im Weg. Das ist der Grund,
weshalb ich den Rat einberief. Wir brauchen unser aller Weisheit und Schläue,
um gegen ihn zu bestehen. Ich spreche vom Nördlichen Orakel.“
Die Ältesten sahen Talaan verwundert
an. „Das östliche Orakel gewährt uns doch Schutz vor dem Blick seines nördlichen
Geschwisters.“, erinnerte ihn Jirr.
„Viele Meilen bis an die Grenzen
der Savanne reicht sein Schutz, sonst wäre schon unser erster Angriff gescheitert.“,
bestätigte ihn Talaan. „Doch ich sehe unser Hoffnung nicht dort, ich sehe
sie im königlichen Palast von Tullma.“
Mahi schüttelte einwendend den Kopf.
„Was auch immer du vorhast, Talaan, es ist zum Scheitern verurteilt. Wie du
schon sagtest: das nördliche Orakel ist ein unüberwindbarer Gegner. Der König
wird all unser Tun voraussehen und jeden Angriff abwehren.“
Talaan lächelte verschmitzt. „Ich
sagte nicht, dass es unüberwindbar ist, ehrenwerte Kräuterfrau. Ich sagte,
dass es unüberwindbar scheint. Es
würde unsere Sache erleichtern, könnten wir das östliche Orakel befragen und
auf seinen Ratschluss hin handeln. Doch da es in Schatten liegt, müssen wir
uns auf unseren Verstand verlassen. Das nördliche Orakel mag vielleicht die
Zukunft sehen, doch es ist immer noch der König uns seine Mystiker, die es
befragen und seine Antworten deuten.“
In Firrs Augen leuchtete zum ersten
Mal Hoffnung auf. „Deine Worte sind so wahr, wie sie es nur sein können, Maigan.
Was hast Du vor?“
Talaan hatte schon eine Weile darüber
nachgedacht, wie sie es am Besten angehen mochten und hatte deshalb die Antwort
sofort parat. „Es wäre ein guter Anfang, wenn wir den König töten.“
Die Ältesten sahen ihn eine geraume
Weile stumm an, bevor sie alle durcheinander zu sprechen begannen.
Nach vielen Stunden eifrigen
Pläneschmiedens, Pläne Verwerfens und erhitzten Debatten war Talaan über zwei
Dinge unglaublich froh. Zum einen darüber, dass das Feuer nicht entzündet
worden war, und zum anderen über den Lohn ihrer Mühe. Sie hatten es vollbracht,
einen Vorhaben zu ersinnen, das Erfolg haben mochte.
Zunächst hatte Talaan es nicht gewagt,
die Lehre der Vereinigungsmagie allein zu lassen, denn sie war die einzige
Waffe, welche die Soldaten des Königs aufzuhalten vermochte. Fähige Lehrer
gab es seit der Schaustellung vor einigen Tagen genug, doch Lehrer wie Schüler
mochten dem Fluch erliegen, wenn Talaan nicht dabei war. Doch die Ältesten
beschlossen die Lehre weit in den Osten zu verlegen, wo der Fluch seine Wirkung
verlor.
Nun war der Weg für Talaan und seine
Gefährten frei. Es mochte ein Wagnis sein, dass sie alle das Leben kosten
mochte, doch es gab in diesem Krieg mehr als eine Front. Diese Schlacht vermochte,
den Krieg zu entscheiden.
„Du musst fort?“, Kirra
zog die Stirn in Kraus. „Du weißt, was Du mir versprochen hast. Ich will mit
Dir kommen.“ Sie machte sich für einen langen Kampf bereit, denn sie wusste,
dass Talaan ihr widersprechen würde.
Talaan sah sie traurig an und lächelte
dann verzagt. „Du musst sogar mitkommen, Kirra.“
Sie sah in ungläubig an. „Dann kann Dein trauriger
Blick nur bedeuten, dass wir alle sterben werden.“, versuchte sie zu scherzen.
Doch seine ernste Mine belehrt sie eines besseren. Kein Scherz. Er fürchtete,
sie in den Tod zu schicken.
Behutsam ergriff sie seinen Kopf
und blickte ihm fest in die Augen. „Ich bin an Deiner Seite, geliebter Mann.
Wohin Dein Weg dich auch führen mag.“ Selbst
in den Tod., dachte sie und erschrak darüber.
Zehn
Tage waren vergangen. Zehn Tage, in denen die Unruhe in Talaan immer größer
wurde, denn der Tag der unausweichlichen Schlacht kam unaufhaltsam näher.
Alles in ihm hatte danach gedrängt jegliche Vorsicht in den Wind zu schreiben,
ohne Rücksicht auf ihre Kraft Tag und Nacht zu fliegen und den Königspalast
umgehend anzugreifen.
Alles in ihm, nur sein Verstand
nicht. Sie hatten die Armee des Feindes weiträumig umflogen, um selbst Spähern
aus dem Weg zu gehen. Stets hatten sie tagsüber Rast eingelegt um Kräfte zu
sammeln, den Plan durchzusprechen und jeden seine Rolle einstudieren zu lassen.
Als sie schließlich in der Nähe
Tullmas angekommen waren, schickten sie ihre magischen Augen aus, um den Palast
zu erkunden. Heimlichkeit hatte keinen Sinn, wusste der Feind doch längst,
wann und wo sie angreifen würden. Er hatte es in der Zukunft gesehen.
Wir
sind schon seltsame Narren, dass wir das nördliche Orakel herausfordern wollen!
Es überraschte sie nicht sehr,
dass im Palast kein einziger Mensch zu sehen waren. Kein Mensch, dennoch verschwanden
vor ihren Augen volle Weinkaraffen und tauchten dann geleert auf der gedeckten
Tafel wieder auf. Ihre magischen Augen wurden getäuscht. Doch Talaan fand
den Anblick der Kissen des Thrones durchaus beruhigend, da sie sich hin und
wieder unter einem unsichtbaren Gewicht plattdrückten. Der Feind wusste vom
Kommen der MaKri und spielte ein Spielchen. Leichtsinn würde sein Untergang
sein.
Zehn Tage hatte all das gedauert.
Ihr Rückweg durfte nicht mehr als die Hälfte verschlingen. Wenn es einen Rückweg
gab.
„Talaan?“
„Welchen meinst Du, Geliebte?“,
fragte er fröhlich und sah seiner Frau fragend in die Augen.
Die blickte zu den anderen rotäugigen
MaKri hinüber. „Wenn Du glaubst, ich würde meinen Mann nicht erkennen!“ Sie
hob spielerisch drohend eine Faust und Talaan küsste sie rasch. „Ich halte
es immer noch für seltsam, dass der Feind Dich nicht erkennen soll.“
Talaan schmunzelte. „Konntest Du
einen der Berater des Königs auseinanderhalten?“
Kirra stutzte und schüttelte schließlich
zaghaft den Kopf. „Sie hatten alle dunkle Augen, dicke Augenbrauen und dicke
Nasen. Wie soll ich sie da unterscheiden?“
„Siehst du.“, bestätige Talaan und
küsste sie zärtlich auf den Mund. „Alle, die uns begleiten, haben meine Augenfarbe,
beinahe meine Größe und fast die selbe Fellzeichnung wie ich. Erwarte nicht
noch mehr von den Menschen.“ Er deutete auf das Bild des leeren Herrscherstuhls.
„Mohab wird geflucht haben, dass das Nördliche nicht in die Köpfe der Wesen
schauen kann. Zwanzig Talaans, die den Palast stürmen, um ihn zu töten, müssen
ihn in mächtige Aufruhr versetzt haben.“
„Aber er ist noch da, oder so scheint
es. Es ist mir ein Rätsel.“ Kirra sah ihren Mann voller Sorge an.
„Mir auch. Er heckt irgend etwas
aus. Doch soweit seine Augen auch in die Zukunft sehen mögen, seine Hände
weilen in der Gegenwart. Wachen können von uns gesehen und getötet werden.“
„Darum bin ich hier.“, Kirra wurde
noch ernster und ihre Sorge um ihn nahm beinahe Stofflichkeit an. „Tonri ist
aus dem Reich der Träume zurückgekehrt und unsere Späher sind auch wieder
da. Wir wissen nun, wo die meisten Wachen sind. Es sind sehr, sehr viele.“
Entschlossen stand Talaan auf und
ergriff seine Frau bei den Schultern. „Wir werden sehr, sehr viele von ihnen
töten. Wir sind MaKri und wir sind erwacht. In den engen Gängen des Palastes
wird ihnen ihre Überzahl viel weniger von Nutzen sein, als auf dem offenen
Feld.“
„Komm ja heil wieder. Du darfst
mich nicht zurücklassen.“
Talaan küsste sie erneut liebevoll
und nickte dann. „Und ich werde nicht mit leeren Händen kommen.“
Mit
lauten Krachen durchschlugen Kraftkugeln die Kuppel des Thronsaales, rissen
immer größere Löcher hinein bis sie barst und knirschend, reißend, brechend
einstürzte und eine große Anzahl Soldaten unter sich begrub.
Die Flammenbälle der hereinschwebenden
Talaans rafften die verbliebenen Bogenschützen dahin. Ein Pfeil hatte die
Schulter eines MaKri durchbohrt, der riss ihn zornig heraus und die Wunde
schloss sich, bevor ihre Füße den Schutt auf dem Boden berührten. Kirra wachte
über sie.
Auf dem einzigen Fleck auf dem Boden,
wo keine Trümmer lagen, ziemlich genau in der Mitte der Halle, stand erhobenen
Hauptes ein Herold des Königs. Er entrollte gemessen langsam eine Pergamentrolle
und erhob seine Stimme.
„Seine allmächtige Majestät, der Herrscher des Vereinigten Muronischen Reiches,
Mohab der Fünfte, Sohn des Mohab, lässt die feigen Attentäter auf sein Haupt
und Leben folgendes wissen:
Wie das Überleben meines treuen
Dieners“, der Ausrufer neigte kurz sein Haupt, „unter Beweis stellt, ist euer
Unterfangen zum Scheitern verurteilt. Nichts was ihr tut, kann von Erfolg
belohnt sein, denn keiner eurer Schritte ist von mir nicht bereits gesehen
und vereitelt worden. Lasst ab von eurem lächerlichen Vorhaben oder erleidet
die Konsequenzen.“
Der Herold rollte das Pergament
zusammen und reichte es dem nächststehenden Talaan. „Ich danke euch, dass
ihr mich am Leben lassen werdet. Mein Familie dient dem Königshaus schon sein
Generationen. Es wäre eine Schande, das jetzt zu beenden.“
Mit diesen Worten wandte er sich
um und ging zu der gewaltigen Tür aus Gold und Edelsteinen. Talaan versperrte
ihm den Weg. „Wo ist der König?“
Der Herold warf ihm einen hochmütigen
Blick zu. „Ich stünde nicht hier, wenn ich den König verraten würde.“
Talaan neigte zustimmend seinen
Kopf und trat beiseite. „Ich musste fragen. Sonst hätte der König gewusst,
dass ich es nicht tun werde.“
„Selbstverständlich.“
In diesem Moment schwang das Tor
nach Außen auf und der Diener trat hinaus.
„Er hat sich viel Mühe gegeben,
einen allwissenden Eindruck zu hinterlassen, dieser König.“, sagte einer der
MaKri.
„Auf jetzt.“, sagte ein anderer.
Sie kämpften sich ihren
Weg durch den königlichen Palast und trafen dabei auf unglaublichen Widerstand.
Der König hatte Hunderte Soldaten in den Kampf und so in den sicheren Tod
geschickt. Sie lauerten hinter jeder Tür, jeder Ecke, jedem Fenster. Stets
schlugen sie an schwer zu verteidigenden Stellen zu, stets gut abgestimmt,
doch auch stets aussichtslos. Der geballten Magie von zwanzig MaKri hatten
Schild, Panzer und Schwert nichts entgegenzusetzen. Talaan und seine Männer
wussten durch Tonris Traumreisen und die Späher oft, wo die Wachen postiert
waren und gingen stets in kleinere Gruppen geteilt vor, die sich gegenseitig
Schutz boten. So wurde ein Hinterhalt so gut wie unmöglich, zumal die MaKri
immer wieder einfach durch die Decke brachen und Teile des Palastes in Trümmer
legten. Die ganze Zeit über tobten draußen weitere MaKri und töteten jeden
Bogenschützen, der in der Dunkelheit auf der Lauer lag, um solche Durchbrüche
in einen Hinterhalt zu verwandeln.
Diejenigen, die doch einmal schwere
Wunden davontrugen wurden fortgeschafft und kehrten kurze Zeit später vollkommen
wiederhergestellt zurück. Es war ein Albtraum für die Wachen und ein furchtbares,
nicht enden wollendes Gemetzel für die MaKri. Doch ihrem Ziel kamen sie nicht
näher. Der König war wie vom Erdboden verschluckt. Natürlich war er das. Er
kannte jeden Ort, an dem sie suchen würden und jeden Ort, an dem sie nicht
suchen würden.
Voller Zorn sprengten die Angreifer
ein gewaltiges Loch in die Wand einer königlichen Schatzkammer und sahen sich
niedergeschlagen um. Offene, leere Kisten standen vielerorts. Hier und dort
standen leere Sockel an den Wänden. Welche Kostbarkeiten sie auch gehalten
haben mochten, der König hatte vieles in Sicherheit bringen lassen. Ein weiteres
Ziel war vereitelt.
Innerlich lachte Talaan. Es war
sowieso närrisch gewesen, dem König durch die Vernichtung seines Schatzes
schaden zu wollen. Doch was war besser, um einen eitlen Narren zu täuschen,
als ein närrischer Plan? Er hatte vieles in Sicherheit bringen lassen, aber
bei weitem nicht alles.
„Ich habe es satt!“, schrie ein
Talaan und zerschlug eine Vitrine, die ebenfalls leer war. „Vernichtet all
das hier!“
Sie vereinten ihren Magie, formten
eine gewaltige Kraftkugel und durchschlugen die Decken der Schatzkammer und
der zwei Stockwerke darüber. Mit ohrenbetäubenden, wütendem Brüllen stiegen
sie empor bis hinauf zum sternenklaren Nachthimmel und ließen einen wabernden
Feuerregen niedergehen. Schon bald stand dieser Flügel des Palastes in Flammen
und brach wenig später zusammen, als sie schön längst weitergezogen waren.
Unbemerkt von
jeglichem sterblichen oder unsterblichen Auge huschte Tonri in das flammende
Inferno, beruhigte die Flammen auf seinem Pfad, zertrümmerte das Schloss einer
bestimmten Truhe und nahm den Inhalt an sich. Genauso schnell, wie er gekommen
war verschwand er dann wieder und war schon weit weg, als alles einstürzte
und jegliche Spuren und Schätze unter sich begrub.
Gerade weil sie keine Hoffnung
hatten, den König zu finden, waren die MaKri um so überraschter, als sie ihn
dann doch entdeckten. Versteckt in einer geheimen, hinter einem Wandteppich
verborgenen Kammer fanden sie den zitternden König. Hätte Tonri diese Kammer
nicht dem Schlaf eines Vertrauten des Königs entlockt, wäre Mohab am nächsten
Tag lebendig und lachend aus ihr herausspaziert.
Nichts war von der kühlen, überheblichen
Art des Königs übrig geblieben, angesichts so vieler MaKri, die nur seinen
Tod zum Ziel hatten. „Es hat mich schon wieder verraten! ES HAT MICH VERRATEN!
Oder war es Marten? MARTEN! Seine Schüler sind meine Übermittler des Nördlichen
Orakels! Tötet mich nicht!“
Ein Talaan trat vor uns schüttelte
traurig den Kopf. „Ich glaube kaum das Ihr getäuscht wurdet. Zumindest nicht
vom Orakel oder den Übermittlern des Königs.“
Talaan trat an seine Seite. „Mich
dauert dieser Mann. Er ist bestimmt nicht der König, sondern nur ein Doppelgänger,
Talaan“
„Doch wir können erst sicher sein,
wenn er tot ist, Talaan.“, sagte ein Dritter. „Solange wir nicht töten kann
an dieser Stelle genauso gut der wahre König sitzen, der sich ins Fäustchen
lacht, dass wir Narren ihn aus Mitleid nicht von seinem Schicksal erlösten.“
„Mörder!“, schrie der Doppelgänger
und starb, als drei Blitze seinen Körper durchschlugen.
Talaan schüttelte den Kopf und seufzte.
„Jetzt können wir sicher sein, dass unser Plan gescheitert ist. Der König
ist wahrscheinlich soweit fort, dass wir ihn selbst mit Legionen von MaKri
nicht finden könnten.“
„Lasst uns verschwinden. Unser Glück
kann nicht ewig dauern.“
Sie flohen durch
die Savanne, als wären die Dämonen der unteren Höllen an ihre Fersen geheftet.
Doch es war nicht die Hölle hinter ihnen, vor der sie flohen, es war die Hölle
der Schlacht vor ihnen, die sie rechtzeitig zu erreichen suchten.
Tonri flog an Talaans Seite. „Ich
habe, was wir suchten.“
Talaan nickte und seufzte erleichtert.
„Ich hatte nicht so recht an unseren Erfolg geglaubt. Jetzt kann alles gut
werden.“
Kirra beäugte die dunkle, große
Kugel, die Tonri in seinen Händen hielt. „Es wundert mich, dass es dem König
entging, was wir vorhatten.“
Ein finsteres Brummen drang aus
Tonris Kehle. „Es sind immer noch seine sterblichen Augen und sein menschlicher
Verstand, die das Wissen des Orakels sehen und bewerten. Wie sollte er erahnen,
dass wir den Anschlag auf sein Leben und seinen Palast nur ausführten, um
den Diebstahl dieses Artefakts zu verschleiern? Er hatte genug damit zu tun,
sein Leben durch immer neue Pläne zu retten, die er immer wieder vom Nördlichen
prüfen lassen musste. Talaan, es war ein guter Plan von Dir.“
„Er hat zu viele Leben gekostet.“, erwiderte
Talaan betrübt. „Aber ja... es war ein guter Plan.“
Eine Weile schwieg Kirra nachdenklich,
bevor sie fragte: „Wenn Du Recht hast, und dieses kleine Ding den Krieg entscheiden
kann... Wieso wusste dann Mohab nichts von seinem Wert?“
„Es ist genau das in seinen Augen:
Ein kleines Ding. Er hat viele solcher Kugeln und er sieht keine Waffe in
ihnen, da sie auch keine sind.“
„Und wozu dann der verzweifelte
Widerstand? All die Toten?“
Tonri meldete sich wieder zu Wort.
„Sie dienten dazu, uns zufrieden zu stellen. Er hat sie in den Tod geschickt,
damit wir wirklich glauben konnten, Mohab selbst getötet zu haben. Es sollte
wie verzweifelter Widerstand aussehen, aber es war nur Trug. Wir hatten uns
fest vorgenommen, den gesamten Palast und die Kasernen einzuebnen, sollte
uns ein ernstzunehmender Erfolg verwehrt bleiben, der den König täuschen konnte.
Das wusste er und hat Hunderte geopfert, um den Rest zu retten.“
Daraufhin wusste Kirra nichts mehr
zu sagen und sie flogen schweigend weiter. So allmählich verstand Kirra, warum
sich Talaan vor zuviel Macht fürchtete. Sie hatten gerade Täuschung mit Täuschung
beantwortet und dafür unsägliches Leid gesät. Das waren die Pläne der Großen
und Weisen. Mitleidig sah sie ihren Mann an, der seinen Schmerz darüber für
andere Augen als die ihren gut verbarg. Niemals, niemals wollte sie eine solche
Bürde tragen müssen.
Es gab kein Morgen mehr. Das Ende der Tage war gekommen. Die Savanne,
der uralte, ewige Nachbar des Waldvolkes war bereits von den Boten des Unterganges
verschlungen worden. Soweit Firrs Auge auch reichte – es gab kein Gras mehr,
wo die schiere Masse aus Mensch und Stahl die Savanne bedeckte. Nur noch grenzenlosen
Hass und Mordlust unter dem von Verzweiflung verseuchten Himmel.
Der Häuptling ließ seinen Blick
über den schwindenden Streifen des Graslandes schweifen, der zwischen der
Armee des Königs und den letzten Ausläufern des Dschungels lag. Aus dieser
Höhe, in der er zusammen mit Mahi und Jirr schwebte, weit über dem Wald, erschien
dieser Streifen unbedeutend gegenüber der Übermacht des Feindes.
Und das, obwohl der Feind noch Meilen
von den ersten Bäumen entfernt war. Je näher der Feind rückte, desto mehr
ballte er seine Kraft zu einem konzentrierten Schlag gegen die Große Stadt
zusammen. So tat Mohab unbeabsichtigt etwas zu Gunsten der MaKri. Sie konnten
nun ihren Widerstand geballt an einem Ort mit aller Wucht über den Menschen
hereinbrechen lassen. Wucht?, dachte
er. Das ist lächerlich. Wir können ja
kaum erhobenen Hauptes warten, wie sollen wir da kämpfen?
Firr blickte zu den Schamanen,
die in der Nähe Wache hielten. Ihre Aufgabe war es, die Befehlshaber der Schlacht
vor Angriffen zu schützen- Die Schamanen waren der letzte zuverlässige Schutz,
der ihnen in diesen schlimmen Zeiten blieb – jeder andere MaKri war der Verzweiflung
zum Opfer gefallen. Wo bleibst Du, Maigan
Talaan?, dachte Firr sehnsüchtig.
Tonri hatte über die Traumpfade
vom Erfolg des Planes berichtet, doch seit vorletzter Nacht gab es keine Botschaft
mehr. Sie sind tot. Der Krieg ist entschieden.,
sagte eine schwere, mächtige Stimme in ihm. Nur ein leises Flüstern hielt
dagegen: Sie haben keine Zeit für Schlaf
oder Träume. Sie eilen bei Tag und bei Nacht.
Das Aufblühen einer Explosion in der Savanne riss ihn aus seinen
Gedanken. Eine der Fallen war ausgelöst worden! Mani sei Dank! „Späher auf dem Vormarsch!“, rief Mahi mit lauter Stimme.
Einer der Schamanen beschwor ein gleißendes, rhythmisch pulsierendes Licht.
Das vereinbarte Signal wurde unten von Spähern in den Baumkronen an die Krieger
am Boden weitergegeben. Die Schlacht um das Ende der MaKri begann.
Die Fallen waren Manis Idee gewesen.
So schlecht wie es um die Moral der Kampfmagier stand, waren Fallen als Einziges
verlässlich. Einmal gezaubert warteten sie nur auf ihr gewaltsames Ende, jeder
andere Kampfzauber konnte unter der Verzweiflung zusammenbrechen. Schwermütig
seufzte Firr. Vor allem die vereinigten Zauber, auf die sich all ihre Hoffnung
gegründet hatte, litten unter der Macht, die der Fluch über die MaKri hatte.
Es war beinahe unmöglich, zehn Kri eine solchen Zauber wirken zu lassen, ohne
dass ein Magier dabei die Konzentration an die Hoffnungslosigkeit verlor.
Es war schrecklich. Wie sollte da erst ein Zauber gelingen, den hunderte MaKri
auf einmal wirken sollten?
Feuerbälle und magische Geschosse
brachen aus dem Blätterdach hervor und zerschellten an den Schilden, welche
die Schamanen um die Ältesten gehüllt hatten. „Keine Späher!“, schrie Firr
entsetzt. „Unsichtbare Schlachtenmagier!“ Sie
wollten unsere Führung zerschlagen! Die Schamanen riefen zur Schlacht.
Kampfeslärm unten im Dschungel antwortete.
Kurze Zeit später tauchte eine MaKri
aus dem Grün auf. Wachsamkeit glomm in ihren Augen, sogar Mut! „Die Feinde
sind tot, ehrenwerter Firr. Und sie haben ein unerwartetes Geschenk mitgebracht:
den Willen, zu leben. Wir werden kämpfen, bevor wir untergehen!“
„Danke, Kriegerin.“ Firr neigte
sein Haupt. Ein kleiner Funken der Hoffnung glomm nun in seinem Herzen. „Sag
den MaKri, dass sie stark sein müssen.“ Und entgegen aller Hoffnung, entgegen
allen Gefühls, ja entgegen besseren Wissens sagte er: „Der erwählte Maigan
Talaan wir bald zu uns stoßen. Seit standhaft.“
Und wie zur Antwort schnitt mit
einem Mal ein Messer aus Feuer durch die Reihen des Feindes. Vom Westen her
teilte es die Armee in zwei Hälften und hinterließ eine schmale Schneise der
Verwüstung. Herbei eilten jene MaKri, die den Angriff auf den Königspalast
geführt hatten, allen voran Talaan mit der Heilerin Kirra an seiner Seite.
Erschöpft und außer Atem hielt der
Maigan vor ihnen an und hielt stolz jene schwarze Sphäre hoch, die den Wandel
des Übels bringen sollte. Jetzt wo er sie sah, fragte sich Firr, ob überhaupt
Hoffnung bestand. Die Worte Talaans, die vor einem halben Zyklus Mut in ihren
Herzen entflammt hatte, schienen nun fad und unbedeutend.
„Du kommst spät, Maigan Talaan.“,
begrüßte ihn Firr.
Talaan wusch seine Erschöpfung mit
einem Zauber fort und hob sein Haupt. „Spät, aber hoffentlich nicht zu spät.
Lasst uns keine Zeit verlieren.“ Er blickte zwei der Schamanen an. „Leiht
mir eure Kraft.“
Der Fokus, klein und schwach im
Vergleich zu jener Macht vor der Schlacht mit dem finsteren Weltenwandler,
formte sich in der Luft und Talaan schlüpfte hinein. Er wuchs vor Firrs Augen,
doch nicht zu erschreckender Größe, sondern zu kraftvoller Schönheit.
Die Aura des Maigan flammte stärker
auf, als er einen Zauber beschwor und sich zu verwandeln begann. Doch zu aller
Überraschung blieb der Maigan ein MaKri und wurde dennoch anders, wurde mehr. Dort, vor ihren Augen war ein MaKri
und war ein Mensch zur gleichen Zeit, doch nicht vermischt, sondern...
„Eins.“, sagte der Maigan mit ruhiger,
weicher Stimme. „Ich bin eins, Mensch und MaKri, ein Weltenwandler.“ Er hob
die schwarze Sphäre mit der Levitation an, ließ sie vor sich schweben und
ließ Magie in sie strömen, bis sie vor Energie summte. „Es kann beginnen.“
„KRI DES WALDES!“, donnerte Talaans
Stimme über den Dschungel und die Kugel pulsierte mit dem Klang seiner Worte.
Firr war, als hielt alles Leben einen kurzen Augenblick den Atem an. „DER
TAG, FÜR DIE FREIHEIT UND DAS LEBEN ZU KÄMPFEN IST DA. LAUSCHT UND LASST ALLE
ZWEIFEL FAHREN!“
Und dann begann Talaan zu singen.
Nie zuvor und niemals später hatte Firr Worte und Melodie solch vollendeter
Schönheit vernommen und jene wundersame Stunde, die folgte, sank unauslöschlich
in sein Gedächtnis. Und so erging es jedem, der in dieser Schlacht kämpfte
und gebannt lauschend Tod und Verderben über die Feinde des Waldvolkes brachte.
Der Gesang
des Maigan stieg vom Himmel herab und berichtete in einer unbekannten Sprache
von einer Zeit der Dunkelheit. Doch die Dunkelheit war gut, in jenen Tagen
und barg Wärme und Leben in sich. Unter sternenbezelteten Himmeln wanderten
die Elfen in der ewig währenden Nacht und waren unsterblich und zeitlos. Das
Leben schlief einen friedlichen Traum, bedeckte die Welt mit ihrem Schlummer.
Das Lied trug eine wohlige Melodie
mit sich, leise wie ein Schlaflied und doch durchwirkt von lebendiger Freude.
Ein jeder, dessen Ohr von ihm berührt wurde, horchte auf, lauschte und sah
die Geschichte des Schönen Volkes an sich vorüberziehen. Die Zeit des Jetzt
war vergessen, genau wie der Feind der MaKri, alle Verzweiflung wurde sanft
hinweggewaschen von der wundersamen Geschichte längst vergessener Zeitalter
einer anderen Welt.
Sie hörten von der zeitlosen
Wanderschaft der Elfen, die sich an dem ungetrübten Glanz der Sterne erfreuten,
von ihnen lernten, das Leben zu lieben, das Leben zu fühlen, ein jedes Leben
zu verstehen. Und so zogen sie weiter durch unendlich scheinendes Land und
über unendlich scheinende Meere und gaben allem Leben, dass sie fanden den
rechten Namen und freuten sich an jedem neu entdeckten Leben.
Während die MaKri lauschten,
verstanden sie allmählich in ihrem Herzen, wie wertvoll und wunderschön das
Leben war und viele die lauschten legten die Verzweiflung des Fluches, der
ihnen nur Schwärze als Konsequenz des Lebens vorgegaukelt hatte, für lange
Zeit ab.
Doch dann betrat der FEIND die
Welt. Der FEIND allen Lebens, der FEIND der Zeitlosigkeit, der FEIND des Friedens
in der samtenen Dunkelheit. Er hasste die Unsterblichen wegen ihres Friedens
und so überzog er sie mit Krieg. Er hasste die Wärme und Geborgenheit der
Dunkelheit und korrumpierte sie, füllte sie mit Kälte und Furcht. Er hasste
die Unsterblichkeit der Elfen und allen Lebens und brachte daher die Zeit
in die Welt.
Da wurden sich die MaKri wieder
der heranrückenden Menschen bewusst, hoben ihre Köpfe. Diejenigen, die in
vorderster Reihe standen sahen die Armee nahen und wappneten sich. Sie wussten
nun wieder deutlich, warum es sich zu kämpfen lohnte. Die Menschen würden
ihnen alles nehmen, was sie hatten. Den Frieden, die Freiheit, die Freude
am Leben. Mut entflammte in ihren Herzen und machte sie stark. So stark, wie
sie es in den Wochen der Verzweiflung nicht für möglich gehalten hatten. Ein
Krieger rief: „Wir sind die MaKri! Wir werden bestehen!“ Und viele nahmen
diesen Ruf auf und er verbreitete sich wie ein Lauffeuer. Und das Lied des
Maigan schwebte über allem und der Ruf vereinte sich mit ihm, Wachsein und
wundersamer Traum vermengten sich zu einem Gewebe, kraftvoll und schön und
traurig zugleich.
Die MaKri lauschten der Melodie,
dem Fluss der wundersamen Sprache, wie sie sich veränderte. Traurig und klar schwebte sie über dem Dschungel. Sie sang von Krieg und Tot, der ersten Schlachten
der Elfen die bisher nichts anderes als Frieden kannten. Doch der Feind war
übermächtig, denn seine Macht nahm zu in der kranken Dunkelheit und bald kämpften
die Elfen erbittert ihre letzte Schlacht in der es alles zu verlieren oder
den Frieden zu gewinnen galt.
Die Armee eilte der Flut des
Meeres gleich heran und nur Hunderte MaKri warfen sich ihnen auf den letzten
Meilen der Savanne entgegen. Auch für sie war jetzt die entscheidende Schlacht
gekommen. Sie waren kleine Felsen in der Brandung eines tosenden, gewaltigen
Ozeans. Vereinigte Feuerwände fraßen sich durch die Reihen der Menschen, rissen
verkohlte Wunden in den Rumpf der stählernen Bestie. Gewaltige Kugelblitze
durchbrachen Stahl und Fleisch gleichermaßen.
Und inmitten dieses kühnen, kleinen
[Gruppe] der MaKri stand Mani auf einer kleinen Erhebung. Ihre dunklen Augen
durchdrangen die Wirren des Krieges, ihr schwarzes Haar flatterte im Wind
und mit kraftvoller, befehlsgewohnter Stimme lenkte sie mit strategischem
Geschick den Tod aus den Händen der MaKri.
Fliegende Kampfmagier erhoben sich
immer wieder in die Luft, rissen mit sengenden, vereinigten Feuerbällen Krater
in den Boden, wo der Feind zu schnell vordrang. Felsnadeln bohrten sich inmitten
der gegnerischen Truppen aus dem Boden und schnitten stets kleine Gruppen
von großen Verbänden ab, um restlos aufgerieben zu werden.
Mani erkannte bald, dass die Verteidigung
der MaKri nicht lange halten konnte. Selbst die vereinigten Kampfzauber, die
unglaubliche Vernichtung unter den Feinden anrichteten, konnten die Flut nicht
stoppen. Sie konnten sie nur verlangsamen.
Und genau das war der Plan. Jene,
die hier kämpften, boten den Magiern im Dschungel die Zeit für den großen
Angriff. Sehnsüchtig blickte Mani zum strahlend blauen Himmel. Viel zeit blieb
nicht mehr, wenn das Gewitter die Menschen in der Savanne ereilen sollte!
Die Traurigkeit
des Liedes füllte sich nach und nach mit Kraft und Freude. Die Elfen fochten
ihren Kampf mit Entschlossenheit, doch erkannten sie, dass sie unterliegen
würden. Darum riefen die weisesten unter ihnen die Sterne um Hilfe an, wohl
wissend, dass sie damit einen hohen Preis zahlen würden. Einer der Sterne
erbarmte sich ihrer Rufe und stieg vom Firmament herab und verdrängte die
kalte Finsternis mit seinem gleißenden Licht.
Es war nicht die Sonne, die zu den MaKri herabstieg, um den Feind
zu bezwingen. Es war die Niederwelt, die sich über der Savanne auftat, um
alles zu verschlingen. Der vereinigte Geist von Dreihundert MaKri öffnete
einen Spalt zu jener schwarzen, krankhaft rot pulsierenden Finsternis, zwängten
ihn immer weiter auseinander und rissen so eine immer größer werdende Kluft
in den Himmel. Die ersten Blitze zuckten an ihren undefinierbaren Rändern.
„Gebt das Signal zum Rückzug!“,
befahl Firr und die Schamanen riefen die Verteidiger vom Wüten der Schlacht
in der Savanne zurück. Wie ein Schwarm zorniger Insekten erhoben sich die
verteidigenden MaKri in die Luft und flohen vor dem Unheil in den Dschungel,
ließen die jubelnden Menschen mit ihrem Verderben zurück.
Dreihundert vereinigte Willen rissen
am Tor der Niederwelt und schufen im Himmel einen unsäglichen Abgrund. Blitze
zuckten nun unentwegt an den wegzuckenden Kanten, krachten gewaltig donnernd
in die Erde und furchten durch die Armee des Feindes. Was selbst die vereinigte
Magie von zweitausend MaKri nicht bewirken konnte, schaffte das Wüten der
Niederwelt mit brutaler Leichtigkeit: Die Armee des Königs wurde dahingerafft.
Doch es war nicht die einzige Schlacht.
Dreihundert MaKri waren nötig, um das Tor zu öffnen, doch doppelt so viele
Seelen waren nötig, um das aufzuhalten, was aus der Niederwelt zu entkommen
suchte. Geballter Willen schlug den Niederen entgegen, geballte Magie versuchte
jene zurückzutreiben, die aus dem Abgrund quollen.
Mit einer Mischung aus Abscheu,
Mut und Hoffnung sah Firr all dies: Er
sah wie unzählige Leben vernichtet wurde, sah wie das Heer zum Stehen kam,
während das Heer der Niederen vorstieß. Sah, wie die Menschen schließlich
in Grauen zu fliehen begannen und der Wille der MaKri die Oberhand gewann
und auch die Niederen in ihre Finsternis zurückgeworfen wurden.
Durch all dies Grauen zog sich
die Stimme Talaans, dämpfte es und erfüllte die Herzen der MaKri mit Traurigkeit
ob der verlorenen Leben. Gerade, als Firr den Befehl gab, den Angriff einzustellen
und das verfluchte Tor zu den Höllen sich schloss, berichtete das Lied des
Maigan von der Vertreibung des FEINDES vom Angesicht der Welt. Freude und
Fröhlichkeit durchdrang nun Melodie und Worte, die Bilder vor aller Augen
und berichtete vom Erwachen und mannigfaltigen Gedeihen des sterblichen Lebens.
Die Ankunft der Sonne war Ende und Anfang zu gleich.
Dann...
...endete das Lied.
Talaan erwachte wie aus
einem Trance. Ungläubig und froh und traurig sah er die verwüstete Savanne
und überlebenden, fliehenden Menschen. Von der stolzen Armee des Königs waren
kaum mehr als fünftausend Mann mit dem Leben davongekommen.
Doch nichts in ihm drängte danach,
‚Sieg!’ zu rufen. Keinem der MaKri ging es so. Ein andächtiges Schweigen senkte
sich über den Dschungel und das ehrte den Sieg angemessener und die Toten
würdiger, als es irgend welche Worte vermocht hätten.
Der Krieg war gewonnen. Er drehte
sich zu Kirra um und sah, dass sie weinte. Nur all zu gut konnte er sie verstehen.
Das Leben war kostbar, egal auf welcher Seite man in den Krieg zog. Heute,
an diesem Tag, hatte es zu viele Tote gegeben. Das machte den Sieg schal,
dämpfte die Freude, am Leben zu sein.
„Schick’ Deine Heiler aus, Geliebte.“,
sagte er sanft und berührte sie am Arm. „Es werden viele verwundete unter
den Menschen sein.“
Kirra nickte zur Antwort. Erst zaghaft,
dann bestimmt. „Du hast Recht. Jetzt ist die Zeit, Wunden zu heilen anstatt
sie zu schlagen.“ Sie wollte schon loseilen, doch dann richtete sie ihren
traurigen Blick noch einmal auf Talaan. „Ich hätte nie geglaubt, dass unser
Sieg so bitter werden könnte.“ Dann stieg sie hinab, scharte ihre Heiler um
sich und entschwand zum Schlachtfeld.
Talaan blickte ihr nach, bis er
sie nur noch als kleine Punkte erkennen konnte. Wie wahr sie gesprochen hatte...
Der Sieg war bitter erkauft. Die Große Bestie hatte Festschmaus gehalten und
Tausende Leben verschlungen.
Doch gerade, weil er die Sage vom
Ende der Zeitlosigkeit gesungen hatte, wusste er, dass diese Bitterkeit versiegen
würde. In wenigen Tagen würden die MaKri begreifen, dass der Frieden wieder
ihrer war und die Bestie sie nahezu verschont hatte. Sie würden erkennen,
dass der Tod der Menschen das Leben der MaKri bedeutete und aus dem Leid des
Krieges neues Glück entstehen würde.
Warme Sonnenstrahlen brachen durch
die sich auflösenden Schwaden des Fluchs und schienen Talaan ins Gesicht.
Unglaubliche Freude durchflutete ihn, als der Wind die Wolken der Verzweiflung
zerfetzte und nach Westen trug. Nun war der Krieg wirklich beendet.
Talaan wandte sich nach Osten und
ließ seinen Blick über den Dschungel schweifen. Ungetrübte Sonne flutete nun
über ein wogendes Meer aus Grün. Dieser Urwald war nun wieder ein Hort des
Friedens, der Ort, an dem sein Volk und so auch er zu Hause war.
Heimat.,
dachte er glücklich und wusste, dass er nun wahrhaft Eins sein konnte.