Rettung

die f\xFCnfte Galgenstrickgeschichte.

 

Als ich meinen Wagen aus dem Parkplatz rangierte war ich um einiges besser gelaunt als ich es zu dem Zeitpunkt zu dem ich die Anstalt betreten hatte war. Ich blickte in den R\xFCckspiegel um den gigantischen Komplex noch einmal ins Auge fassen zu k\xF6nnen. Dieses Mal schien der Schrecken und die \xC4hnlichkeit fast verflogen, denn irgendwie war ich froh, dass das was wir in dieser Anstalt untergebracht hatten hinter dicken Mauern eingesperrt war. Es w\xE4re nicht auszudenken gewesen, wenn diese Wesen frei herumliefen und irgendwann, wenn die Demenz weit genug Fortgeschritten sein w\xFCrde, Menschen anfielen und somit vielleicht sogar die Seuche zu einer Epidemie oder gar Pandemie machten.

Ich seufzte und zwinkerte um trotz meiner tr\xE4nennassen Augen einen klaren Blick auf die Landstra\xDFe zu behalten.

Ich musste an Anna denken. An Anna und all die anderen. Es hatte haupts\xE4chlich junge Menschen, wie sie, erwischt und verurteilte sie nun zu einem langsamen aber warscheinlich schmerzlosen Weg in den unvermeidlichen Wahnsinn. Keine Heilung stand in Aussicht. Aber, man musste auch daran denken, dass nur ein verschwinden geringer Prozentsatz der Menschheit bisher an der Russell-Pest erkrankt war und es somit h\xF6chst wahrscheinlich war, dass sie eines Tages, wie so viele andere Virusinfektionen, einfach in das Nichts zur\xFCck verschwand aus welchem sie einst gekommen war. Nun, Nichts konnte man nicht sagen, denn man hatte der Welt ja bereits einen Namen f\xFCr Jenes vorgesetzt, womit man jedoch alles andere als zufrieden war.

Bei mir war das nat\xFCrlich nicht anders. Zwar hatte ich nun einige Antworten auf meine Fragen bekommen und der offensichtliche Zustand der Patienten hatte mich in meiner Unternehmungslust recht stark gebremst, doch gab es immer noch, oder gerade erst jetzt, Dinge, aus welchen ich mir keinen Reim machen konnte, von welcher Seite her ich sie auch betrachtete. Zu Beispiel war es mir immer noch schleierhaft, wie Benarex, meines Wissens nach ein Megakonzern im Bereich von medizinischem Gro\xDFhandel und -Versorgung, an die Patente f\xFCr das Genom dieses verflixten Viruses kommen konnte. Soweit ich wusste war Benarex urspr\xFCnglich in Lichtenstein beheimatet gewesen, vor einigen Jahren aber in die Schweiz gewechselt. Genauso wie SAPharm aus den USA in dieses Land gekommen war.

Ach, wie weit war es schon wieder mit diesem Land, nein mit dieser Welt gekommen. Wenn ich nun nicht den Anschluss an die richtige Seite finden w\xFCrde, dann w\xE4re ich sicher verloren, wie viele Unschl\xFCssige vor mir. Sollte es jedoch die Falsche sein, dann, ja dann, w\xFCrde es mir zwar nicht unmittelbar schlecht ergehen, doch mein Nachruf w\xFCrde wohl ziemlich darunter leiden. Die S\xF6hne der Hy\xE4ne, so hie\xDFen sie doch? Egal, irgendwie so \xE4hnlich. Sie, gegen die freie Welt. Und diesmal war es keine freie Welt, wie sie uns oft von der Gro\xDFmacht vorgegaukelt wurde, sondern diesmal war die Bedrohung sogar hier in unserem Land, oder vielleicht auch nur hier, offensichtlich. Wieso eigentlich? Wieso hatte sich diese Organisation zu aller erst an die deutsche Regierung und nicht an, meinetwegen, die Amerikanische oder Britische gewandt?

Ich versuchte mich wieder auf die Stra\xDFe zu konzentrieren, die sich vor mir durch den rostroten Buchenwald wand. Ich fuhr vorsichtig, denn hier war schon zu viel geschehen, f\xFCr was ich jetzt keine Zeit hatte.

Ich musste noch einmal mit Theodor reden, bevor ich mich ganz und gar festlegen konnte. Da er mich seit dem Anschlag nicht mehr kontaktiert hatte, vermutete ich eine Verbindung zwischen seiner losen \x84Organisation“ und den Hy\xE4nen. Sollte sich dies Stimmen, so w\xFCrde er mir entweder nichts davon erz\xE4hlen, oder er w\xFCrde versuchen mich f\xFCr sich zu gewinnen, was ich keinesfalls zulassen durfte.

Eine Idee schlich sich auf leisen Sohlen in meine Gedanken und brachte mich zu einem Grinsen, welches langsam immer und immer breiter wurde.

Nat\xFCrlich! So konnte das etwas werden. Sobald ich es, wie auch immer ich es schaffen wollte, fertiggebracht haben w\xFCrde Theodor zu kontaktieren, w\xFCrde ich einen Anruf bei der Polizei t\xE4tigen. Man k\xF6nnte dann sicher die n\xF6tigen Schritte unternehmen um mir und Europa Gewissheit zu verschaffen.

Den Rest der Fahrt sann ich dar\xFCber nach, wie ich Theodor zu fassen bekommen w\xFCrde.

Als ich schlie\xDFlich meinen Wagen zum halten gebracht hatte, musste ich zu meinem Erstaunen feststellen, dass ich mich vor der T\xFCr des Verlages befand und nicht wie geplant vor meiner trauten Wohnung.

So beschloss ich die Gelegenheit zu nutzen und noch einmal nach dem Rechten zu sehen. Es hatte sich sicher in letzter Zeit eine Menge Papierkram angesammelt um welchen ich mich k\xFCmmern musste. Au\xDFerdem konnte ich nur hoffen, dass Berla daf\xFCr gesorgt hatte, dass die Zeitung weiterhin p\xFCnktlich herausgekommen war. Um dies herauszufinden begab ich mich sofort nach oben zu meinem B\xFCro, in dessen Vorraum wie immer Frau Berla an ihrem Schreibtisch arbeitete.

\x84‘n Morgen, Frau Berla.“, gr\xFC\xDFte ich freundlich.

Sie blickte mich erstaunt an und schaute dann auf ihre Armbanduhr. \x84Morgen? Es ist halb vier.“

\x84Oh,“, meinte ich. \x84Auch egal.“ Ich wusste nicht, wie ich fortfahren h\xE4tte sollen denn ich hatte ihren anklagenden Blick bemerkt. Ich wusste, dass ich meine Pflichten vernachl\xE4ssigt hatte, aber ich war mir auch sicher, dass ich daf\xFCr eine hervorragende Geschichte an Land gezogen hatte, fast so, wie die Reporter in alten amerikanischen Filmen. Ich beschloss also mir meine Betretenheit nicht anmerken zu lassen und fuhr fort.

\x84Nun \xF6h,“, begann ich noch unsicher. \x84Haben sie, haben sie daf\xFCr gesorgt, dass die Zeitung w\xE4hrend meiner Abwesenheit p\xFCnktlich herausgekommen ist?“

Die Sekret\xE4rin seufzte laut und schaute mich wieder mit ihrem zerschmetternden Blick an. \x84Alles k\xF6nnen sie auch nicht von mir verlangen. Ich habe mein Bestes gegeben, muss aber sagen, dass wir doch drei Ausgaben nicht mehr rechtzeitig fertigbekommen haben.“

Ich zuckte mit den Schultern. \x84Kein Problem. \xDCberhaupt kein Problem. Das Geld bekommen wir bald wieder rein.“

Ich grinste, doch sie schien keineswegs gl\xFCcklich \xFCber die momentanen Umst\xE4nde zu sein.

\x84Ich wei\xDF nicht wie sie sich das vorstellen.“, knurrte sie.

Ich verbreiterte mein Grinsen um einige Millimeter. \x84Ganz einfach, ich habe eine hervorragende Titelgeschichte, f\xFCr die wir sogar das Weltgeschehen um einige Seiten verschieben k\xF6nnen.“

\x84Na dann raus damit!“, seufzte sie ungl\xE4ubig, vielleicht sogar etwas gelangweilt.

\x84Nun, ich war in Bitterwasser und...“, begann ich.

\x84Damit werden sie sicher noch \xC4rger bekommen.“

\x84Nein, nein, Berla, sie verstehen nicht. Nicht auf die \xFCbliche Methode, ich habe mich schlicht und einfach offiziell als Pressevertreter angemeldet und nach einigem hin und her sogar einen Termin beim Leitenden Beobachter -was immer das auch f\xFCr ein Posten sein mag- bekommen.“

\x84Was sie nicht sagen.“, murmelte Frau Berla.

\x84He, vergessen sie nicht, dass sie bei mir angestellt sind. Also...“

Nach etwas zwanzig Minuten hatte ich ihre die ganze Geschichte samt meinen Mutma\xDFungen erz\xE4hlt und sie angewiesen mir s\xE4mtliche Telefonb\xFCcher zu bringen, die sie im Verlag finden konnte und mich f\xFCr die n\xE4chsten Stunden nicht zu st\xF6ren. Ich grub mich lange und tief in diese einseitige Lekt\xFCre hinein, bl\xE4tterte und suchte, bis ich schlie\xDFlich im \xF6rtlichen Register, welchen ich mir nat\xFCrlich bis zuletzt aufgehoben hatte, die gesuchte Nummer entdeckte. Ein weiterer Erfolg, den ich heute verzeichnen konnte. Nun konnte ich endlich die Ereignisse weiter voran treiben und wenn mein Plan aufging, dann war ich bereits ein mehr als aktiver Teil im ewigen Spiel der Weltgeschichte. Ich w\xFCrde einer derer sein, die die Seuche und vor allem den Wahnsinn, der ihr folgte, in die Schranken gewiesen hatten. Ich w\xFCrde es mit diesem Schachzug, welcher zweifelsfrei recht genial war, endlich zu etwas bringen. W\xFCrde ich letztendlich erfolg haben, so s\xE4he man mein Konterfei in jedem Magazin und in jeder Zeitung, meine Berichterstattung w\xFCrde zu Legende und mein Name unsterblich.

Bevor ich weiter in meinem augenblicklichen Zukunftswahn schwelgen konnte w\xE4hlte ich langsam und beinahe feierlich die Nummer Anton Theodors.

Schon der erste Ton des Freizeichens wurde abgebrochen.

\x84Dr. Theodor?“, schallte die weiche Stimme des alten Mannes aus dem H\xF6rer.

\x84Ja, Schleifer hier.“, antwortete ich mit gespielter Hast \x84Sie, ich habe die Anstalt einmal in Augenschein genommen und habe einige interessante Neuigkeiten f\xFCr sie, aber sie wissen ja, \xFCber das Telefon... Der Gro\xDFe Bruder sieht dich.“

\x84Ja.“ Ein kurzes Rascheln war zu h\xF6ren und eine lange Pause folgte. Sicher wurde der Telefonh\xF6rer zugehalten, w\xE4hrend Dr. Theodor mit jemandem sprach. Dies gefiel mir ganz und gar nicht, doch noch konnte ich jederzeit einen R\xFCckzieher aus meinem Plan machen. Schlie\xDFlich musste ich mich nur vor meiner Selbst rechtfertigen. Nein, ich wollte es tun. Das Risiko war erstaunlich gering und der Lohn bestimmt nicht von schlechten Eltern.

Endlich, nach beinahe zwei Minuten, nahm Anton das Gespr\xE4ch wieder auf.

\x84Wir treffen uns f\xFCnfzehn Minuten beim ;Elli’s’. Sie wissen sicher wo das ist?“, meinte der Alte.

\x84Nat\xFCrlich.“

Er legte auf, keine Verabschiedung oder ein weiteres Wort.

Dass er w\xE4hrend des Gespr\xE4ches auf Kohlen gesessen war, hatte jeder merken k\xF6nnen. Hier hatte ich meinen Beweis, dass ich keinen Falschen erwischen konnte. Die Situation war auch f\xFCr ihn nach den Anschl\xE4gen der \x84Kinder“ recht brenzlig geworden und er musste noch vorsichtiger als sonst sein, sonst w\xFCrde man seine Verstrickungen sofort aufdecken. Seine Zelle war es schlie\xDFlich, die am n\xE4chsten an der \xD6ffentlichkeit arbeitete. Damit w\xFCrde schon bald Schluss sein.

Ich bl\xE4tterte weiter im Telefonbuch, bis ich die Nummer der \xF6rtlichen Polizeidirektion gefunden hatte.

 

Exakt vierzehn Minuten sp\xE4ter schlenderte ich die Stra\xDFe zu \x84Elli’s Vorstadtcafé“ hinauf und blickte durch die Glasfront in den langen, niedrigen und sp\xE4rlich beleuchteten Gastraum des Cafés, doch ich konnte Theodor nicht unter den wenigen G\xE4sten ausmachen. So setzte ich an einen der Imbisstische, die vor dem Haus auf dem sonnenbeschienen Gehsteig standen. Zum wiederholten Male schob ich verstohlen die Hand unter meine Jacke, die ich trotz der Hitze anziehen hatte m\xFCssen, und \xFCberpr\xFCfte den Betrieb und die Fokussierung meiner guten alten Versteckten Kamera.

\x84Ah, Herr Schleifer! Gut sie einmal wieder zu sehen.“

Die Stimme Antons hinter mir lie\xDF mich ruckartig die Hand aus der Innentasche rei\xDFen und brachte mich augenblicklich in eine Aufrechte Sitzhaltung.

\x84Ah,“, hustete ich erschrocken und versuchte mich so schnell wie m\xF6glich wieder zu fassen. \x84Her Theodor, ich habe schon auf sie gewartet. Ist etwas dazwischen gekommen?“

Er sch\xFCttelte den Kopf als er mir gegen\xFCber Platz nahm. \x84Fragen sie nicht. In letzter Zeit sind die Dinge nicht mehr so gut gelaufen, wie wir alle Anfangs gedacht haben.“

\x84Die Anschl\xE4ge?“, fragte ich.

\x84Ich sagte fragen sie nicht.“, sagte er etwas eindringlicher.

Ich zog die Augenbrauen hoch.

W\xE4hrend die Bedienung unsere Bestellungen aufnahm blieb mir noch etwas Zeit um dar\xFCber nachzudenken wie ich ihn zum reden zu bekommen sollte, ohne ihn zur\xFCck zum eigentlichen Thema unseres Treffens zur\xFCckzuf\xFChren. Was das anging, stand ich auf verlorenem Posten, schlie\xDFlich hatte ich fast nichts, was f\xFCr ihn von Relevanz gewesen w\xE4re in Bitterwasser erfahren und auch vor dem Treffen weder die Zeit noch die Voraussicht gehabt mir etwas passendes aus den Fingern zu saugen. Es blieb mir also nur noch ein Ausweg: Sturmangriff.

Ich lehnte mich etwas weiter \xFCber den Tisch und fl\xFCsterte: \x84Die Sache mit Bitterwasser ist ernster, als ich angenommen habe. Sie benutzen es nicht nur zur Verwahrung oder zur Forschung, nein, ich glaube sie wollen eher auf eine, sagen wir, etwas endg\xFCltigere L\xF6sung hinaus.“

Die Gesichtsz\xFCge des alten Mannes sackten f\xFCr einen Moment ab, doch er war sehr darauf bedacht sich nichts von seiner Best\xFCrzung anmerken zu lassen. \x84Meinen sie, dass es so schlimm ist“, hauchte er atemlos.

Ich beschloss besser gleich mit der T\xFCr ins Haus zu fallen, denn so war es mir eventuell m\xF6glich ihn in seiner Erregung unvorsichtig werden zu lassen. \x84Friedrich Berg ist tot.“, antwortete ich, langsam nickend.

F\xFCr einige Sekunden starrte er mich ungl\xE4ubig an, dann presste er seine Rechte gegen die Stirn. \x84Nein!“, wisperte er.

\x84Doch!“, meinte ich und griff nach seiner Hand. \x84\xDCber ihre Tochter konnte ich nichts herausbekommen, doch wenn sie etwas tun wollen, verstehen sie, dann jetzt.“

Der Alte hatte nun die Hand um sein Kinn gelegt und blickte mich traurig an. \x84Nur was?“

Verschw\xF6rerisch blickte ich mich um. \x84Sie haben doch sicher Verbindungen. Sie k\xF6nnten doch sicher ein treffen arrangieren.“

\x84Sie meinen mit den ;Kindern der Hy\xE4ne’. Nein.“

\x84Was meinen sie damit?“, fragte ich verwirrt.

Er lehnte sich zur\xFCck und verschr\xE4nkte die Arme auf dem Tisch. \x84Ich will es nicht tun. Das ist zu gef\xE4hrlich und selbst wenn, w\xFCrden sie ihnen niemals vertrauen.“

\x84Wir k\xF6nnen es versuchen.“

Er sch\xFCttelte den Kopf. \x84Nein. Diese Leute sind wahnsinnig“

\x84Ist das ihr letztes Wort?“, wollte ich wissen. \x84Schlie\xDFlich, bleibt ihnen nicht viel anderes \xFCbrig.“

\x84Nun sein sie endlich ruhig“, herrschte mich Theodor an und zog einen teuren Kugelschreiber aus seiner Brusttasche. Er kritzelte hastig etwas auf die d\xFCnne, mit Kaffee getr\xE4nkte Serviette, die unter seiner Tasse gelegen hatte. Schlie\xDFlich streckte er mir die Hand entgegen, wartete aber nicht darauf bis ich verstanden hatte und sie ergriff. \x84Guten Tag“, sagte er und ging.

Etwas verdutzt \xFCber sein schnelles verschwinden nahm ich die klebrige Serviette an mich, verschwendete aber keinen Blick auf die dort notierten Daten. Nachdem ich die Rechnung –er hatte mir auch seinen Kaffee \xFCberlassen- beglichen hatte, ging ich zu dem dunkelblauen BMW, der etwa zehn Meter vom Café auf der anderen Stra\xDFenseite stand. Vorne sa\xDFen zwei sich erschreckend \xE4hnlich sehende M\xE4nner mir Schnauzb\xE4rten in schwarzen Lederjacken, wei\xDFen T-Shirts und Jeans. Das typische Aussehen von Zivilpolizisten. Jedes Mal fragte ich mich wo der Sinn darin lag auch den Freund und Helfer in zivil zu uniformieren.

\x84Fahren sie mich bitte schnell zu meiner Redaktion“, sagte ich zum Fahrer. \x84Ich muss den Speicher der Kamera auswerten.“