Reglos.

Von Sebastian \x84Rash_Ktah“ Grawan.

Alle Charaktere und die Story sind (C) 2001, Rash_Ktah.

 

Ich erwache wieder in der gigantischen Halle.

Noch immer flimmern Bilder auf der Leinwand, die den gesamten Horizont zu erf\xFCllen scheint, und erf\xFCllen den Raum mit flackernden Lichtblitzen, zuckenden Schemen und Schattenspielen. Stimmen und T\xF6ne \xFCberdecken jedes andere Ger\xE4usch in der Halle, ich kann mich nicht einmal atmen h\xF6ren.

Wie lange war ich dieses Mal weggetreten? Augenblicke? Minuten? Stunden?

Ich kann es nicht sagen, mein Zeitgef\xFChl ist verloren, wie auch meine Freiheit. Metallene Riemen halten mich fest in den Sitz gefangen, in den ich gesetzt worden bin. Sie schneiden in mein Fleisch, welches nahezu vollkommen offen liegt. Keine W\xFCrde wurde mit gew\xE4hrt.

Niemandem wurde sie gew\xE4hrt. Ich kann meinen Kopf nicht weit hin und her drehen, ein Geschirr hindert mich daran, aber ich kann sie aus den Augenwinkeln und vor mir erkennen ... Menschen. Sie sind \xFCberall. Eine unz\xE4hlbare Masse aus K\xF6pfen und K\xF6rpern erstreckt sich vor mir bis zu den Grenzen der gigantischen Leinwand. Wie viele sind hinter mir? Wie viele sind es ... wie viele Gefangene?

Wie ich sind auch die anderen Menschen an St\xFChle gefesselt, die ihre K\xF6rper auf die Leinwand ausrichten. Wir alle sind gefesselt wie Tiere.

Die Bilder auf der Leinwand kommen nicht zum Stillstand, fortw\xE4hrend flackern sie und dringen durch ihre pure Intensit\xE4t in mein Hirn und meine Gedanken ein.

Kleine runde Objekte schweben in der Luft \xFCber den K\xF6pfen der Gefangenen und beobachten uns. Ab und an sto\xDFen sie in die Masse der K\xF6rper hinab, nur um kurz darauf wieder in die H\xF6he zu steigen. Was sind sie? Was wollen sie?

Ich f\xFChle mich m\xFCde, hungrig ... wie lange bin ich schon hier? Wie lange ertr\xE4gt mein schlaffer K\xF6rper diese Tortur schon? Wie lange ertr\xE4gt mein Geist die Bilder, die Ger\xE4usche noch, bevor er ... bevor er was?

Meine schmerzenden Augen k\xF6nnen sich nicht vor den Bildern verschlie\xDFen, die \xFCberall vor mir in einer atemberaubenden Geschwindigkeit vorbeiflackern.

Was sehe ich? Verstehe ich es?

 

*

 

Mein Verstand... bin ich wieder weggetreten? Habe ich getr\xE4umt?

Ich bin wieder in den Ruinen der Stadt. Ihr Name? Hatte sie je einen Namen? Sind Namen wichtig, wenn jede Stadt nur noch ein dreckiger Schatten ihrer fr\xFCheren selbst ist?

Schwer atmend renne ich an den ausgebrannten Wracks einiger Autos vorbei. Der Geruch von kaltem Rauch l\xE4sst meine Augen brennen, die hinter einer verschmierten Schutzbrille verborgen sind. Meine H\xE4nde umklammern ein Sturmgewehr, Munitionsstreifen klappern an meinem G\xFCrtel.

Mit einem Keuchen werfe ich mich in den zerbombten Ruinen eines kleinen Hauses zu Boden und robbe in Deckung. Als ich zur Ruhe gekommen bin, mein Atem geht noch immer schnell, sucht meine freie Hand in den Taschen meiner Tarnhose nach der Karte der Kleinstadt. So leise wie m\xF6glich falte ich die verdreckte Karte auf und suche nach bestimmten Markierungspunkten.

Eine Sekunde lang kommt mir alles sehr falsch vor ... habe ich dies alles schon erlebt?

Dann schiebe ich den Gedanken zur Seite und konzentriere mich wieder auf die Aufgabe, die vor mir liegt.

Als ich die Markierungen auf der Karte entdecke und meine eigene Position errechne zeichnet sich ein d\xFCnnes L\xE4cheln auf meine ru\xDFverschmierten Lippen. Ich bin nahe des Ortes, den ich seit Stunden zu erreichen versuche.

Ich robbe durch die staubige Ruine des Hauses, mein Sturmgewehr an mich gepresst. W\xFCrde ich noch an Gott glauben, w\xFCrde ich beten. Aber mein Glaube ist in zu vielen Jahren des Krieges abget\xF6tet worden, wie auch meine Menschlichkeit. Schon lange f\xFChle ich keine Gnade mehr, keine Liebe, keine Freude ... alles, was noch z\xE4hlt ist der Tod der Feinde.

Nach einigen Metern sp\xE4he ich um eine Ecke. Alles frei, wie es scheint.

Ich warte einige Herzschl\xE4ge, dann springe ich auf, das Gewehr im Anschlag. Mit weiten Schritten haste ich aus der Ruine, um \xFCber eine offene Strasse zur n\xE4chsten Deckung zu gelangen.

Staub wirbelt unter meinen schweren Stiefeln auf, kleine Knochen, die \xFCberall auf der Strasse liegen, zerbrechen knackend.

Die Deckung n\xE4hert sich mit jedem Schritt, mit jedem Herzschlag.

 

*

 

Meine Augen weiten sich schmerzerf\xFCllt.

Mit einem mechanischen Surren l\xF6st die schwebende Kugel einige fanghakenbewehrte Tentakeln aus meinem Fleisch und erhebt sich taumelnd in die H\xF6he.

Ein heftiger Schwindel \xFCberkommt mich und ich \xFCbergebe mich w\xFCrgend. Ich sp\xFCre die stinkende Fl\xFCssigkeit an mir herabrinnen, die metallischen Riemen lassen mir keinen Bewegungsfreiraum.

Die Bilder vor mir flackern noch immer wild \xFCber den Horizont und werden dabei von den br\xFCllenden Ger\xE4uschen unterst\xFCtzt.

Ich erkenne Schemen ... ich erkenne Bilder ... erst jetzt oder habe ich sie schon die ganze Zeit erkannt und in mich aufgenommen?

Mein Kopf schmerzt ... k\xF6nnte ich nur schlafen...

Auf der Leinwand erkenne ich dunkel gestrichene Panzerfahrzeuge, die durch die Ruinen einer Stadt walzen. \xDCberall liegen menschliche Leichen. Ausgebrannte Autos. Zerst\xF6rte und brennende H\xE4user flankieren die Panzer wie willige und emotionslose Fackeltr\xE4ger.

Ich versuche meinen Geist zu festigen, zu fokussieren ... mich zu fragen, wieso dies alles geschieht, wer uns allen ... so viele Gefangene ... dies antut ...

Gepanzerte Infanterie stapft durch die Ruinen der Stadt. M\xFCndungsfeuer blitzt auf.

Die Bilder wechseln. Genetische Berechnungen, Tabellen und Listen unz\xE4hliger Toter wehen an meinen Augen vorbei. Informationen werden in meinen Geist gepresst.

Mein Kopf schmerzt...

 

*

 

Ich habe die Deckung nahezu erreicht.

Fast unterbreche ich meinen schnellen Lauf, als mir bewusst wird, wie nutzlos diese Aktion doch ist ... ich werde scheitern.

Nur fast ergebe ich mich diesen unerwarteten Emotionen ... meine Stiefel tragen mich noch immer \xFCber die aufgerissene Strasse auf mein Ziel zu.

Dann sp\xFCre ich einen Stich, ein Rei\xDFen.

Mein K\xF6rper wird um seine eigene Achse herumgewirbelt und landet blutend am Boden. Ich schreie.

Weitere Stiche. Wunden \xF6ffnen sich in meinem Fleisch. Ich versuche mein Gewehr zu fassen, welches nur einen halben Meter neben mir im Staub der Strasse liegt.

Ich schreie, die Schmerzen vernebeln meinen Geist.

Schritte n\xE4hern sich.

Blut sickert in dickfl\xFCssigen Pf\xFCtzen auf den Beton der Strasse.

Mein Blut. Mein Schmerz.

Ein Schatten f\xE4llt auf mich.

 

*

 

Schreiend rei\xDFe ich meine Augen auf ... Bilder bombardieren sofort wieder meinen Geist.

Tr\xE4nen laufen meine Wangen herab. Meine Lippen sind trocken und aufgesprungen.

Medizinische Daten flimmern auf dem Horizont ... der Leinwand ... der Realit\xE4t?

Wissen wird in mein Hirn gepresst. Genetische Tests, Experimente...

Wei\xDFgekleidete Menschen schreiten endlose G\xE4nge von K\xE4figen ab. Spritzen blitzen auf.

Genetische Tabellen. ... Wieso verstehe ich es?

Verstehe ich es?

 

*

 

Ich schreie und winde mich.

Meine Hand sucht nach einer Waffe. Irgendeiner Waffe.

Finger strecken sich nach mir aus.

Ich erkenne den Feind ... wie viele Male zuvor.

Nur dieses Mal erkenne ich sein wahres Ich.

 

*

 

Die Tabellen blitzen auf, die Bilder rasen vorbei, die Ger\xE4usche br\xFCllen meine Ohren taub.

\xDCberall um mich herum schreien die Menschen, winden sich in ihren St\xFChlen. Ich rieche Blut, welches dort ausgetreten ist, wo die Metallriemen in das Fleisch der Gefangenen schneiden.

Ich selbst schreie, reihe mich mit meiner eigenen heiseren Stimme in die Kakophonie des Terrors ein.

Ich verstehe es ... jetzt verstehe ich es.

Der Vortex aus Bildern und T\xF6nen nimmt an Intensit\xE4t zu, dreht sich immer schneller, braust durch meinen Geist und erf\xFCllt ihn mit blutiger W\xE4rme und ... Wissen.

 

*

 

Pl\xF6tzlich ist es, als w\xFCrde ich auf einem weich gepolsterten Stuhl inmitten einer ruhigen Oase aus wei\xDFem Licht sitzen.

Mein K\xF6rper ist ohne Wundmale. Mein Geist ist ruhig. Mein Kopf schmerzt nicht.

Ich h\xF6re meinen Atem.

Ich sehe meine Gedanken.

Ich sehe, wie sie versuchten, den perfekten Soldaten zu erschaffen. Menschliche Intelligenz gepaart mit dem Jagdinstinkt, der Kraft und der Gewandtheit eines Tiers.

Wer es versuchte? Wer die \xDCberheblichkeit besa\xDF, f\xFCr das Spiel \x82Krieg’ Gott zu spielen?

All dies ist in Vergessenheit geraten.

Vor mir sehe ich, wie eine nebelhafte Gestalt sich in dem wei\xDFen Licht bildet und an Form zu gewinnen beginnt.

Es ist ein Mensch, ein Mann. Seine Haut ist grau und Muskeln spannen sich darunter.

\xDCberall um ihn herum erscheinen genetische Symbole, die sich um ihn herum zu drehen beginnen. Dann, pl\xF6tzlich, dringen sie in ihn ein und beginnen, ihn zu ver\xE4ndern.

Fell w\xE4chst auf seiner Haut, seine Knochen verziehen sich. Krallen wachsen an seinen Fingern, seine F\xFC\xDFe verzerren sich zu knotigen Pfoten. Sein Gesicht verformt sich zu der Schnauze eines Wolfs. Innerhalb von Sekunden ist der Mann zu einem Bastart aus Mensch und Wolf geworden.

Das Bild verschwimmt und formt sich erneut, dieses Mal zu einer sich rasend schnell drehenden Weltkugel, auf der \xFCberall rote Flecke aufzukeimen beginnen.

Krisenherde? Genetische Tests?

Wieder verschwimmt das Bild. Mein Kopf schmerzt.

Nebel wallt auf, schluckt das wei\xDFe Licht.

Die Sch\xF6pfungen erheben sich gegen ihre Sch\xF6pfer. War dies nicht immer die Furcht der Menschheit, sich einmal selbst \xFCbertreffen zu k\xF6nnen?

Wie konnten die Kreaturen ihren Sch\xF6pfern gegen\xFCbertreten? Wieso taten sie es?

Wie gro\xDF war ihre Zahl?

Siegten sie? Unterlagen sie?

\xDCberall um mich herum sp\xFCre ich den Krieg. War ich nicht selbst ein Teil davon?

Was geht um mich herum vor...?

Warum geschieht all dies?

 

*

 

Eine krallenbewehrte Hand schlie\xDFt sich fest um meine Schulter und rei\xDFt mich, meine Schmerzen ignorierend, herum, dreht mich auf den R\xFCcken.

Ich starre durch meine Tr\xE4nen hindurch in die Fratze des Feindes ... eine lange Wolfsschnauze, aus der gelblicher Geifer tropft.

Auf den R\xFCcken des Bastards ist ein Scharfsch\xFCtzengewehr geschnallt.

Ich versuche aufzustehen, mich der Kreatur entgegenzuwerfen, sie zu t\xF6ten.

Ein dumpfes Knurren schallt mir entgegen, dann dr\xFCckt mich die Krallenhand heftig zu Boden, raubt mir die Luft.

Dann ein kurzer Schmerz und mein Geist erl\xF6scht.

 

*

 

Stille herrscht um mich herum und es riecht nach Schwei\xDF.

Ich wei\xDF nicht, wo ich bin.

War ich im Krieg?

War ich in der Halle?

Halluzinierte ich?

\xDCberall um mich herum ist es dunkel. Mir ist kalt.

Ich liege r\xFCcklings auf einer festen, metallisch kalten Unterlage.

Mein K\xF6rper schmerzt.

Was ist geschehen? Wurde ich gefangen genommen? Wurde ich unter Drogen gesetzt?

Was soll ich hier... wo ist hier?

Ich h\xF6re meinen Atem. Und noch etwas ... ein leises Gluckern, wie von Wasser.

Wie lange bin ich schon hier? Wie lange werde ich noch hier sein? Wohin werde ich dann gehen?

Weshalb der Krieg? Gab es Gr\xFCnde daf\xFCr? Gibt es f\xFCr Krieg \xFCberhaupt einen Grund?

Mit einem elektrischen Summen gl\xFChen pl\xF6tzlich lange Reihen von Phosphorlampen an der Decke \xFCber mir auf.

Ich blicke mich um, mein Atem geht schnell.

Lange, unendlich lange Reihen von Untersuchungstischen stehen parallel zueinander in der gigantischen Halle. Es sind Tausende von Tischen, alle identisch zu meinem, und auf jedem von ihnen liegt eine Gestalt. D\xFCnne Schl\xE4uche scheinen die K\xF6rper mit irgendeiner Fl\xFCssigkeit zu versorgen, beziehen das Fluid aus dunklen K\xE4sten, die unter die Tische montiert sind.

Einige der Gestalten liegen da wie tot, andere zucken auf den Tischen. Keine von ihnen gibt einen Laut von sich.

Meine \xDCberraschung w\xE4rt nur einige Augenblicke, dann erkenne ich, warum die Menschheit den Krieg l\xE4ngst verloren hat, in dem ich k\xE4mpfte und t\xF6tete.

Eine unbekannte W\xE4rme erf\xFCllt mich. Ein Gef\xFChl der Zugeh\xF6rigkeit.

Ein ... was ist nur los mit mir?

Als ich an mir hinab blicke, erkenne ich Fell und Krallen.

Die Fl\xFCssigkeit pumpt in meinen K\xF6rper, ver\xE4ndert mich.

Die Sch\xF6pfungen haben sich gegen ihre Sch\xF6pfer erhoben, um selbst Sch\xF6pfer zu werden.

Und dann h\xF6rt ein weiterer Mensch auf zu existieren...

Sterbe ich?

Werde ich geboren?

 

Ende.